Tobias Starnecker – Videoüberwachung zur Risikovorsorge – Rezensiert von: Kasten Lauber

Starnecker, Tobias (2017);  Videoüberwachung zur Risikovorsorge. Body-Cam zur Eigensicherung und Dashcam zur Beweissicherung – eine verfassungs- und datenschutzrechtliche Analyse;  434 Seiten, Duncker & Humblot, Berlin, ISBN 978-3-428-15126-4, 99,90 EUR (Print), 89,90 EUR (E-Book), 119,90 (Print & E-Book)

1.    Thema

Die Diskussionen um neue Polizeigesetze in einigen Bundesländern priorisieren vor allem neue Gefahrenbegriffe (drohende Gefahr), spezielle Überwachungsmaßnahmen oder die Militarisierung von Polizei. Dabei verlor die Bodycam etwas an Öffentlichkeit. Der Autor widmet sich in seiner verfassungs- und datenschutzrechtlichen Analyse sowohl der Bodycam als auch der privat genutzten Dashcam.

2.    Autor

Bei dem Werk handelt es sich um die Dissertation von Dr. Tobias Starnecker, die im Jahr 2016 bei der Juristischen Fakultät der Universität Passau eingereicht wurde (Betreuer: Prof. Dr. Dirk Heckmann). Hierfür erhielt der Autor den Dissertationspreis des Vereins der Freunde und Förderer der Universität Passau e.V.[1] sowie den Promotionspreis der Rechtsanwaltskammer München[2].

3.    Aufbau

Das Inhaltsverzeichnis kann dem Katalog der Deutschen Nationalbibliothek entnommen werden.

4.    Inhalt

Für die vorliegende Arbeit berücksichtigte der Autor die Rechtsprechung bis August 2016 sowie die Literatur bis September 2016. Neuere Entwicklungen verdeutlichen die hohe Dynamik, die in den untersuchten Themen steckt; beispielsweise das Urteil des BGH zur Verwertbarkeit von Dashcam-Aufnahmen als Beweismittel im Unfallhaftpflichtprozess[3] oder das Inkrafttreten des Videoüberwachungsverbesserungsgesetzes[4]. Mit Blick auf die Prüfung des Einsatzes der Bodycam auf der Grundlage des BayPAG durch den Autor ist dies insbesondere vor dem Hintergrund des seitdem geänderten Polizeiaufgabengesetzes bedeutsam. Die am 15. Mai 2018 im Bayerischen Landtag beschlossenen Neuerungen beinhalten mit Art. 33 Abs. 4 BayPAG erstmals eine explizite Ermächtigungsgrundlage für die Bodycam[5].

Das kurze 1. Kapitel dient mit dem Titel „Videoüberwachung überall (?)“ dem gut zugänglichen Einstieg in das Thema. Über die unscharfe Verwendung der Begriffe Gefahr und Risiko(vorsorge) ließe sich durchaus diskutieren. Im Kontext dieser Arbeit ist dies jedoch zu vernachlässigen. Angesichts des Gesamtumfangs des Buches fällt das 2. Kapitel (Allgemeine Grundlagen der Videoüberwachung) sehr kurz aus. Im Hinblick auf Wirkung, Akzeptanz und Rechtsgrundlagen bietet es jedoch eine stark komprimierte und auf wesentliche Kernaussagen reduzierte Darstellung: hohe Akzeptanz bei der Bevölkerung, problematische Beurteilung der Wirksamkeit. Der Überblick über die vielfältigen Normen verdeutlicht den Stellenwert der Videoüberwachung für den Gesetzgeber. Bemerkenswert ist, dass der Autor bei der Differenzierung der Rechtsgrundlagen das polizeiliche Einheits- und Trennungsprinzip berücksichtigt, das selbst bei polizeiwissenschaftlichen Arbeiten oft ungenannt bleibt. Das 3. Kapitel ist das Kernstück der Arbeit. Auf über 200 Seiten wird die Bodycam zur polizeilichen Eigensicherung in Bayern untersucht. Die Ausführungen zum Begriff Bodycam fallen vor diesem Hintergrund erstaunlich knapp aus (S. 43). Starnecker gibt einen Überblick über die Situation in den Bundesländern, auf Bundesebene und gewährt zudem einen Blick in andere Länder. Bemerkenswerterweise stellte nur Bayern den Nutzen der Bodycam für den Bürger heraus (S. 52). Während im angelsächsischen Raum der Schutz der Bürger vor unrechtmäßiger Gewaltanwendung durch die Polizei im Vordergrund des Kameraeinsatzes steht, dient sie in Deutschland dem Schutz der Polizeibeamten vor Übergriffen aus der Bevölkerung (S. 55; vgl. Baier/Manzoni 2018: 685). Nun hat man sich daran gewöhnt, dass polizeiliche Pilotprojekte in Deutschland nur selten wissenschaftlich (begleitend) untersucht werden[6] – so auch im Zusammenhang mit der Bodycam (vgl. S. 51), so dass es sich um ein noch wenig erforschtes Thema handelt. Der Blick auf die Situation in den USA beschränkt sich im Wesentlichen auf die Nennung der Untersuchungen in Rialto (Kalifornien) und Mesa (Arizona). Hier bleibt der Autor seinem knappen und auf wesentliche Aspekte begrenzten Stil treu. Gleichwohl hätte hier weitere Literatur einbezogen werden können. Aus der Vielzahl an (Bundes-)Ländern wählt der Autor den Freistaat Bayern aus, um die Verwendung der Bodycam auf der Grundlage des BayPAG und des BayDSG zu untersuchen (S. 62 f). Die Beschreibung der PKS zur Gewalt gegen Polizeibeamte bzw. die Nennung des phänomenspezifischen Bundeslagebildes beinhaltet auch einen kurzen Hinweis auf den problematischen Umgang mit der PKS (S. 69). Es fehlt jedoch der Hinweis, dass es sich (gerade hier) um eine „selbst induzierte Zahl der Polizei“ (Clemens Arzt zitiert in Schnee 2017) handelt, so dass es allein der Polizei obliegt, Widerstandshandlungen für ihre Zwecke zu definieren. In der Beschreibung wird ferner nicht deutlich, dass Bayern ein eigenes Lagebild zur Gewalt gegen Polizeibeamte veröffentlicht. Bei der anschließenden Beschreibung kriminologischer Studien wäre ein umfassenderer Überblick über die Studien zur Gewalt gegen Polizisten wünschenswert gewesen. Im Schwerpunkt werden die Untersuchungen von Ohlemacher et al. und Ellrich et al. genannt. Mit Blick auf den Untersuchungsstand bezieht der Autor richtigerweise auch die Studie von Elsner/Laumer (2015) mit ein (S. 75 f).

Als erstes Fazit lässt sich an diesem Punkt feststellen, dass Starnecker einen gut lesbaren Schreibstil pflegt und quellenreich argumentiert. In dem kriminologisch-polizeiwissenschaftlichen Teil des Kapitels liegen dennoch nicht die Stärken des Buches. Ab S. 82 folgt der rechtliche Teil der Untersuchung und damit der Schwerpunkt der Arbeit. Schnell wird deutlich, dass sich der Autor hier auf sicherem Terrain bewegt. Im Zusammenhang mit der Frage nach der Gesetzgebungszuständigkeit wird auch die Frage erörtert, inwieweit die Reduzierung von Kriminalitätsfurcht überhaupt eine gesetzliche Aufgabe der Polizei darstellt (S. 97, 102 f). Angesichts vorliegender Befunde über die Einflussfaktoren auf die Kriminalitätsfurcht, die sich nur bedingt kriminalpräventiv beeinflussen lassen, ist die Analyse mehrfach berechtigt. Bei seiner Argumentation unterschiedlicher rechtlicher Aspekte verweist Starnecker immer wieder auf den bereits vorgestellte Forschungsstand; diese Verweise verdeutlichen ein in sich schlüssiges argumentatives Konzept. Im Anschluss erfolgt die Prüfung, ob der Einsatz der Bodycam auf das BayPAG gestützt werden kann. Anders als in Hamburg, Bremen und dem Saarland (und eingeschränkt Hessen) ist der bayer. Gesetzgeber dahingehend (zum Redaktionsschluss) noch nicht tätig geworden. Die Frage ist demnach, ob die bisherigen Ermächtigungsgrundlagen aus dem BayPAG und dem BayDSG den Einsatz der Bodycam tragen (zum neuen Art. 33 Abs. 4 BayPAG siehe oben). Im Ergebnis stellt der Autor fest, dass eine Ermächtigungsgrundlage im BayPAG (alt) nicht gegeben ist (S. 122). Daran anschließend folgt eine ca. 100 Seiten umfassende Untersuchung, „ob eine Body-Cam-Regelung in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der von der Videoüberwachung Betroffenen eingreift und ob dieser Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann“ (S. 122). Der Autor nimmt dabei eine facettenreiche und stets gut nachvollziehbare und begründete Prüfung vor. Dabei wird nicht nur auf das bayerische Polizeirecht Bezug genommen, sondern es werden auch die Regelungen in anderen Bundesländern berücksichtigt. Punktuell erfolgen dabei Ausflüge in die Kriminologie oder Soziologie – auch wenn dies nicht immer überzeugt wie im Falle von Broken Windows (S. 159) oder den Erläuterungen zur Sozialkontrolle (S. 169).

Das 4. Kapitel befasst sich mit der Dashcam zur privaten Beweissicherung (S. 257 ff). Die dort vorgenommene Prüfung steht inzwischen unter dem Vorbehalt des nach der Buchveröffentlichung ergangenen Urteils des Bundesgerichtshofs vom 15. Mai 2018[7]. Demnach ist die permanente und anlasslose Aufzeichnung des Verkehrsgeschehens mit den datenschutzrechtlichen Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes nicht vereinbar. Die Verwertung von sog. Dashcam-Aufzeichnungen, die ein Unfallbeteiligter vom Unfallgeschehen gefertigt hat, kann als Beweismittel im Unfallhaftpflichtprozess dennoch zulässig sein. Der BGH geht in seinem Urteil auch auf Fragestellungen ein, die der Autor zwar problematisiert, sie aber dennoch offen lässt, beispielsweise das Recht am eigenen Bild (vgl. S. 273, 278). Die Prüfung beinhaltet zudem alternative Techniken wie die Crashcam (S. 346 ff) oder die Black-Box (S. 314 f). Abschließend beschreibt ein „10-Punkte-Katalog zur Dashcam“ (S. 361 ff) den datenschutzkonformen Einsatz der Kamera. Inwieweit sich künftig ein Dashcam-Schild auf dem Dach eines Fahrzeugs oder an der Windschutzscheibe etablieren wird, bleibt abzuwarten (vgl. S. 361). Das  rechtspolitisch ausgerichtete 5. Kapitel befasst sich unter dem Titel „Wie viel Überwachung verträgt eine Gesellschaft“ zunächst mit dem additiven Grundrechtseingriff und der Überwachungsgesamtrechnung (S. 364 ff). Neben grundsätzlichen Fragen zur Eigensicherung von Polizisten bzw. Gewalt gegen Polizisten greift der Autor auch das Vertrauen in die Polizei auf. Die Ausführungen verdeutlichen (wieder einmal), dass das Vertrauen in die Polizei(arbeit) ein noch immer zu wenig beachteter Untersuchungsgegenstand in der Polizeiforschung darstellt. Das abschließende Kapitel 6 beinhaltet eine Zusammenfassung, wobei in den o.a. Kapiteln bereits regelmäßig Zwischenfazite gezogen werden.

5.    Fazit

Das sehr umfangreiche und ausdifferenzierte Werk steht zwar inzwischen unter dem Vorbehalt der durchgeführten Gesetzesänderung in Bayern bzw. einem neu ergangenen Urteil des BGH, doch schmälert dies nicht dessen grundsätzlichen Gebrauchswert. Dass eine verfassungs- und datenschutzrechtliche Analyse keinen Schwerpunkt auf kriminologische oder polizeiwissenschaftliche Aspekte legt, versteht sich von selbst. Dahingehende Ausführungen bleiben deshalb überschaubar und damit auch nicht vollständig.

Verwendete Literatur

Baier, D.; Manzoni, P. Reduzieren Bodycams Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten? Ergebnisse eines kontrollierten Experiments in Zürich, in: Kriminalistik, Nr. 11/2018, S. 685 – 691
Elsner, E.; Laumer, M. Gewalt gegen Polizeibeamte in Bayern. Langzeitanalyse der Polizeilichen Kriminalstatistik und Auswertung von Strafverfahrensakten. Projektbericht der Kriminologischen Forschungsgruppe der Bayerischen Polizei (KFG), hrsg. vom Bayerischen Landeskriminalamt. München, 2015
Schnee, P. Wie sich Polizisten vor Angriffen schützen, in: Deutschlandfunk vom 28.01.2017. Verfügbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/bodycam-titanhelm-schutzweste-wie-sich-polizisten-vor.724.de.html?dram:article_id=377556. Abgerufen am: 28.11.2018.

 

[1] Verfügbar unter: http://www.uni-passau.de/forschung/wissenschaftspreise/dissertationspreise/. Abgerufen am: 25.11.2018.

[2] Verfügbar unter: http://www.jura.uni-passau.de/aktuelles/meldung/detail/examens-und-promotionsfeier-der-juristischen-fakultaet/. Abgerufen am: 25.11.2018.

[3] Vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 2018 – VI ZR 233/17.

[4] Vgl. BGBl. I 2017 S. 968

[5] Vgl. http://www.polizeiaufgabengesetz.bayern.de/gesetz/index.php#link_4. Abgerufen am: 30.11.2018.

[6] Oftmals wird es polizeilicherseits bevorzugt, eigene Auswertungen vorzunehmen (vgl. Baier/Manzoni 2018: 686).

[7] Vgl. FN 3.

Rezensiert von: Kasten Lauber