André Schulz – Aufgaben und Tätigkeiten von Kriminalist*innen in Deutschland – Rezensiert von: Ulf Küch

Schulz, André; Aufgaben und Tätigkeiten von Kriminalist*innen in Deutschland. Eine empirische Bestandsaufnahme und Bewertung; Felix Verlag Holzkirchen 2018. Bochumer Schriften zur Rechtsdogmatik und Kriminalpolitik Bd. XXXXVIII.  ISBN 9783862935482, Preis 29.- Euro.

Mit dem Thema „Berufsbild der Kriminalpolizei“ betritt die Studie von Schulz aktuell „Neuland“, da wir es in der kriminalpolizeilichen Ausbildung in der Bundesrepublik mit einem „Flickenteppich“ analog der föderalistischen Struktur der Polizei zu tun haben. Schulz legt in seiner Untersuchung offen, dass es ein wissenschaftlich fundiertes Berufsbild der „Kriminalpolizei“ in der Bundesrepublik flächendeckend nicht gibt und mithin die erforderlichen Grundvoraussetzungen für ein Berufsbild von Kriminalist*innen im Hinblick auf ein einheitliches Anforderungsprofil nicht existieren. Damit sind Standards in der „Kripoausbildung“ sofern diese überhaupt zielgerichtet verfolgt werden, auch kaum vorhanden.

In diesem Zusammenhang zeigt sich, dass die Rekrutierung und Ausbildung von Kriminalist*innen in der Bundesrepublik Deutschland sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Insbesondere die in vielen Bundesländern Mitte der 1990iger Jahre eingeführte“ sog. „Einheitsausbildung“ steht im Ergebnis der hier vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchung einer fortschrittlichen Kriminalpolizei des 21. Jahrhundert diametral entgegen.

Schulz will mit seiner Studie einen bundesweiten und repräsentativen Vergleich ermöglichen. Dazu müsste grundsätzlich eine ausreichende Anzahl von Proband*innen, die in der Kriminalitätssachbearbeitung tätig sind, entweder in allen Bundesländern oder zumindest in einer angemessenen Anzahl von Bundesländern befragt werden. Der Autor hat auf diese Möglichkeit verzichtet, da dafür die Genehmigung durch das jeweilige Innenministerium bzw. die Innenbehörde erforderlich gewesen wäre und ihm (wie uns allen) aus der Vergangenheit und anderen Forschungsvorhaben bekannt ist, dass diese Genehmigungen in der Regel – aus verschiedenen Gründen – nicht erteilt werden. Schulz umgeht dieses Problem, in dem er alle aktiven verbeamteten BDK-Mitglieder, von denen mindestens eine E-Mail-Adresse in der Mitglieder-datei vorhanden war, in die Umfrage einbezieht. Insgesamt wurden im Mai 2017 ca. 6.300 Personen aus allen 16 Bundesländern, dem BKA und der Bundespolizei, und aus allen Bereichen der Kriminalitätssachbearbeitung im Alter von 18 bis 63 Jahren befragt. Davon waren 28 % weiblich. Die Rücklaufquote betrug 24 %. Zusammenfassen kommt Schulz zu dem Ergebnis, dass eine wissenschaftlich fundierte kriminalistische Ausbildung derzeit in der Bundesrepublik Deutschland eher die Ausnahme zu sein scheint. Bis auf wenige Lehrstühle an einigen Akademien und Fachhochschulen der Länderpolizeien, ist eine entsprechende Ausbildung bzw. ein Studium in Deutschland derzeit nur an der Ruhr-Universität in Bochum möglich. Selbst die „Deutsche Hochschule der Polizei“ in Münster hat es bislang versäumt hier einen entsprechenden Forschungsbereich aufzustellen. Damit macht der Autor klar, dass die Kriminalistik als eigenständige Wissenschaft ein „Mauerblümchendasein“ in der bundesdeutschen Hochschullandschaft fristet.

In Zeiten einer sich immer schneller verändernden Kriminalitätslandschaft ist die vorliegende Arbeit quasi ein Weckruf, um das Ruder in der Ausbildung von Kriminalist*innen umzulegen.  Dabei ist die Verlagerung polizeilicher Ausbildungen zum „Einheitspolizisten“ ist ein, wie Schulz auch darlegt, innerhalb der Organisation Polizei durchaus umstrittenes Thema. Nachdenklich stimmt, dass in Zeiten von Nachwuchsproblemen gerade in den Sicherheitsbehörden viele junge Menschen nicht mehr den Weg in die Polizei suchen, da ihnen vielfach der fachliche Ausbildungsweg in die Kriminalpolizei von vornherein verwehrt wird und sie nur mit „viel Glück“ nach Jahren einen Spartenwechsel vornehmen können. Speziell in Bezug auf die von Schulz erörterten Historie der deutschen Kriminalpolizei und ihrer Entwicklung über einen Zeitraum von mehr als 200 Jahren, steht das eigentlich verfassungsrechtlich garantierte „Instrument“ der Kriminalpolizei für eine umfassende und nachhaltige Straftatenerforschung mittlerweile auf sehr tönernen Beinen und ist nicht mehr zeitgemäß.

Schulz hat bei seinen empirischen Untersuchungen seitens der Innenbehörden von Bund und Land so gut wie keine Unterstützung erhalten. Man hat sich dort in Fragen der kriminalistischen Aus- und Fortbildung sowie der Personalrekrutierung „bedeckt“ gehalten hat. Daher war er gezwungen, seine Studie im Bereich der Mitglieder des Bund Deutscher Kriminalbeamter durchzuführen, die es ihm erlaubten auf aktive Kriminalistinnen und Kriminalisten sowie Berufsanfänger zurückzugreifen. Insbesondere bei den Fragen zur Kriminalitätsbekämpfung in Bezug auf einzelne Bundesländer sind die dort aufgeführten Ergebnisse erschreckend und lassen dringenden politischen Handlungsbedarf erforderlich erscheinen.

Schulz kommt u. a. zu folgenden Ergebnissen: Die kriminalpolizeiliche Aus- und Fortbildung in Deutschland ist grundsätzlich an keinem verbindlich wissenschaftlich orientierten Konzept ausgerichtet. Die Einheitspolizistenausbildung vieler Bundesländer ist keine „Antwort“ auf die immer komplexer werdende Kriminalität im 21. Jahrhundert. Die meisten aktuellen Kriminalpolizeien in Bund und Land sind überaltert und personell häufig unterbesetzt. Insbesondere in der Bekämpfung der IT-Kriminalität ist die kriminalpolizeiliche Qualifikation häufig infolge der Vernachlässigung von Aus- und Fortbildung sehr unzureichend. Der „Beruf“ der Kriminalistin und des Kriminalisten ist in der Regel unattraktiv geworden, da neben Einkommenseinbußen (Schichtzulagen pp.) die Beförderungsmöglichkeiten in der Regel wenig aussichtsreich sind und damit auch im Bereich der Besoldung eher mit niedrigem Einkommen zu rechnen ist. Die unterschiedlichen Laufbahnverläufe, Aufstiegsmöglichkeiten und Einstellungsvoraussetzungen in den Bundesländern führen bei potentiellen Bewerbern*innen vielfach zur Resignation, den anvisierten Beruf des Kriminalisten*in dann nicht anzustreben. So gehen wertvolle potentielle Nachwuchskräfte verloren.

Mit seiner Untersuchung zu den „Aufgaben und Tätigkeiten der Kriminalist*innen in Deutschland“ liegt ein fundiert wissenschaftliches Werk zu den Hintergründen und erkennbaren Handlungsdefiziten vieler deutscher Kriminalpolizeien vor. Zudem werden Ausbildungsdefizite aufgezeigt. Da das 1975 erstellte sog. („Saarbrücker Gutachten“) nie der Öffentlichkeit offiziell vorgelegt wurde und man offensichtlich die dort gewonnenen Erkenntnisse auf eine moderne Kriminalpolizei nicht umgesetzt hatte, ist es nun an der Zeit, Konsequenzen aus der Bestandsaufnahme von Schulz zu ziehen. Das vorliegende Werk ist dabei ein wichtiger Anstoß zu einem erforderlichen Umdenkungsprozess bei den Personalplanern und bei den Verantwortlichen in den Aus- und Fortbildungsstätten, den  Innenministerien, Polizeiakademien/Fachhochschulen und der Deutschen Hochschule der Polizei, um endlich einer qualifizierten und einheitlich an Standards orientierten kriminalistischen Ausbildung den entscheidenden Impuls zu geben.

Rezensiert von: Ulf Küch