Barton, Stephan[1] / Dubelaar, Marieke[2] / Kölbel, Ralf[3] / Lindemann, Michael[4] (Hrsg.); „Vom hochgemuten, voreiligen Griff nach der Wahrheit. Fehlurteile im Strafprozess“ [5]; ISBN: 978-3-8487-4891-4, 304 Seiten, erschienen bei Nomos, Baden-Baden als Band 56 der Schriftenreihe „Interdisziplinäre Studien zu Recht und Staat“, 2018, 82.- €
Der schon titelgebend[6] interessant gestaltete Sammelband, entstanden aus den „6. Bielefelder Verfahrenstagen“ im „Zentrum für interdisziplinäre Forschung“ (ZiF) an der Universität Bielefeld am 23. / 24. November 2017, vereint – neben der bereits aussagekräftigen und im Befund ziemlich eindeutigen Einführung der Herausgeber, eine Auswahl von elf (von siebzehn) interdisziplinären Beiträgen namhafter Wissenschaftler*innen aus fünf Ländern zum Stand und zu verschiedensten Aspekten der Fehlurteilsforschung.
Wie notwendig diese Überlegung auch im Sinne des Modells einer „Gesamten Strafrechtswissenschaft“ Liszt`scher Prägung[7] ist, die sich in den Beiträgen auch in vielfältiger Weise bemerkbar macht, zeigen nicht nur die (leider) immer noch thematisch relevanten, obgleich inhaltlich in die Jahre gekommenen Erkenntnisse der umfassenden (dreibändigen) Untersuchungen von Karl Peters[8] aus den 1970er Jahren, allerdings jüngst mehrfach mit ähnlichem kritisch-reflexiven Tenor wieder aufgegriffen[9], sehr eindringlich. So stellt nicht nur Kölbel (vgl. Fn. 3) als Mitherausgeber in seinem Beitrag („Der Stand der internationalen Fehlurteilsforschung: Was kann man daraus für Deutschland lernen“, S. 31 – 58) heraus: „Es hat den Anschein, als sei die Fehlurteilsproblematik für die deutsche Strafprozessrechtswissenschaft nach Jahrzehnten des Desinteresses inzwischen wieder zu einem relevanten Thema avanciert.“ Gleichzeitig mute allerdings die „angesichts des (evidenten) Nicht-Wissens etwas selbstgefällige Problemverneinung, die Teile des deutschen prozessrechtspolitischen Diskurses an den Tag legen, zumindest befremdlich“ an, ja „wirke etwas aus der Zeit gefallen“, so Kölbel angesichts der Behauptung der Expertenkommission[10] zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens, „das geltende Recht sei für die Bewältigung der Fehlurteilsproblematik ausreichend aufgestellt.“ Ohne Zweifel darf man angesichts des nicht nur im Rahmen der Tagung dokumentierten Forschungsstandes herausstellen, dass Häufigkeit und Verbreitung von Fehlurteilen jedenfalls in Deutschland unzureichend erforscht sind und die „Korrektur und Prävention von Fehlurteilen keine rein juristische sein kann, sondern im disziplinen- und länderübergreifenden Austausch“ erfolgen müsse. Vor allem letztere Feststellung erschließt dabei dem deutschsprachigen Forschungsverbund die weitaus fortgeschritteneren, jedoch auch dort keineswegs abschließenden Bemühungen und Beiträge v. a. des anglo-amerikanischen Sprachraumes. Auch insofern leistet die Tagung einen kleinen, aber dennoch bedeutenden Beitrag, den hierzulande langsam keimenden Diskurs ein wenig zu ordnen.
Bei der Aufstellung der insgesamt beachtlichen „interdisziplinären Beiträge“ des Sammelbandes fällt allerdings auf, dass, obgleich die Dominanz des Ermittlungsverfahrens in Deutschland mehrfach (zurecht) kritisch kommentiert wird, die durchaus beachtliche Perspektive der „Kriminalistik“ fehlt. Dabei ergänzt und befruchtet auch die Kriminalistik (nicht nur „hilfswissenschaftlich“) das formelle Strafrecht. Es ist geradezu die Aufgabe einer (wissenschaftlichen) Disziplin wie der Kriminalistik, dem Tatrichter sowie den anderen Prozessbeteiligten kasuistisch, sachverständig und bedarfsgerecht die im Zusammenspiel grundlagenbezogener disziplinärer und praktischer (angewandter) Forschung entwickelten Erfahrungsregeln zur Tatsachenermittlung darzulegen und diese andererseits im Alltag kontinuierlicher Überprüfung zu unterziehen. Diese Einzelschritte münden dann schließlich in der nach wie vor noch erforderlichen grundlagenbezogenen Zusammenfügung zu einem widerspruchsfreien Lehrgebäude. Diese Anwendungs- und Forschungskette bezeichnet bspw. jüngst de Vries[11] als einzig akzeptable Antwort auf das moralische Problem „des Fehlurteils“, um gleichzeitig festzustellen, dass es „in Deutschland eine solche (systematische) Fehlerforschung derzeit (weder als eigenständige ‚Strafprozesslehre‘ noch in der Kriminalistik als Grundlagenforschung oder im Rahmen der systematisierten angewandten kriminalistischen Forschung) gibt.“ Er macht neben anderen Umständen hierfür auch ein Wissenschafts-Praxis-Wissenstransferproblem aus, denn die „fehlende Etablierung der Kriminalistik an den Universitäten habe ihre Ursache (wohl auch) in dem fehlenden Verständnis der Juraprofessoren für die praktischen Probleme der Strafverfolgungsbehörden.“ Gerade weil Kölbel in seinem Vortrag auf die Erfordernisse innerhalb der „Strafprozessrechtswissenschaft“ (s. o.) hinweist, sollte in diesem Zusammenhang auch nicht unerwähnt bleiben, dass es gerade der bereits erwähnte Karl Peters war, der schon 1974 als ein Ergebnis seiner weitreichenden tatsachen- und normwissenschaftlichen Analyse „Fehler im Strafprozess“ (vgl. Fn. 8, Band 3, 1974, S. 253 ff.) forderte, angesichts der Erhebungen bedürfe es eigentlich einer „Strafprozesslehre als (selbständige) Wirklichkeitswissenschaft des Strafprozesses“.
Auch insofern ist der Ansatz Kölbels also nachvollziehbar, wenn er in Abwägung zwischen Nutzen und Risiken in Anlehnung an vorhandene Beispiele (vgl. z. B. Fn. 14) die Errichtung „spezialisierter Institutionen, die an der Herbeiführung von ggf. erforderlichen Korrekturentscheidungen systematisch mitwirken“, seiner Ansicht nach staatlich finanziert aber unabhängig agierend, für notwendig erachtet. Dennoch, es bedarf angesichts des immensen „Dunkelfeldes“, sowohl hinsichtlich der Quantität wie auch der begrifflichen Qualität des „Fehlurteilbegriffs“ notwendiger definitorischer Klarheit!
Denn, auch das wird in dem Sammelband im ersten, von den Hrsg. als „diagnostischer Abschnitt“ bezeichnet, deutlich, ist auch angesichts zahlreicher populärwissenschaftlicher oder aus der Perspektive der Gerichtsberichterstattung aufgegriffener „Falldokumentationen“[12] noch weitgehend unklar, was denn den allgemein gehaltenen Begriff „Fehlurteil“ überhaupt inhaltlich-substantiell ausmache. Kölbel fordert deswegen völlig eingangs zurecht die Definition eines (einheitlichen) „heuristischen Fehlurteilsbegriffs“.
Die Herausgeber kontrastieren mit der Auswahl der Beiträge drei wesentliche Absichten (S. 22). Sie wollen
- die Begrifflichkeiten klären und dabei eine Bestandsaufnahme und Aktivierung der Fehlurteilsforschung vornehmen, um so eine gemeinsame Grundlage für den Austausch zwischen unterschiedlichen Disziplinen und Rechtsordnungen zu schaffen. Insofern soll der Sammelband auch einen Impuls für den Ausbau deutschsprachiger Forschung[13]
- Für das Problem sensibilisieren und somit die Rechtswissenschaften / Rechtspraxis für einen aufwachsenden interdisziplinären Dialog interessieren (da ist er wieder einmal deutlich erkennbar, der Ansatz einer „Gesamten Strafrechtswissenschaft“!).
- Nicht zuletzt wollen sie Fehlervermeidungsstrategien entwickeln helfen, und zwar auf der Primärebene der „Vermeidung“ und der Sekundärebene der „Fehlerbeseitigung“, z. B. durch die Diskussion von geeigneten Qualitätsmanagement- oder Controlling-Mechanismen[14] oder ggf. sogar über notwendige Reformen der juristischen Ausbildung[15]
Wichtig sei dieses Thema aber nicht nur erkenntnistheoretisch, unverzichtbar gar aus dem Blickwinkel potentieller Opfer eines Justizirrtums. Im politisch-medialen Kontext werde irgendwann (wenn sie es angesichts umfangreicher Berichterstattung, vgl. oben Fn. 12, nicht schon längst ist) auch die Frage evident, ob man der (Straf-)Justiz noch trauen könne? Vertrauen in die Justiz und damit in die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaates ist jedoch für ein funktionierendes Gemeinwesen elementar und schon der Frage alleine wohnt das Potential inne, dieses nachhaltig zu beschädigen. Noch sind die Vertrauenswerte aber, zieht man z. B. den aktuellen „Roland-Rechtsreport 2018“ (S. 11) oder andere seriöse Umfragen zurate, durchaus beachtlich.
Die Fehlerquellen sind beachtlich, interdisziplinär und auf unterschiedlichen Ebenen zu verorten, und könnten z. B.
- der grds. Struktur des Erkenntnisverfahrens im deutschen Strafprozessrecht mit seiner in horizontaler Struktur „weitgehend externer Kontrolle entzogenen, verfahrensdeterminierenden Bedeutung des Ermittlungsstadiums und zusätzlich aufgrund der Tatsache, dass dieselben Berufsrichter im Zwischenverfahren über die Eröffnung des Hauptverfahrens und am Ende über die Schuld des Angeklagten zu befinden hätten“,
- in vertikaler Hinsicht durch ein strukturelles Defizit im Rechtsmittelinstanzenzug,
- dem Umstand, dass „Strafverfahren Kommunikation sei“ und Urteile aber auch die Erhebung von Zeugenbeweisen mittels polizeilicher Befragungstechniken wesentlich auf „menschlichen Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozessen, Verhaltensmustern, sozialpsychologischen Effekten, Stereotypen und Alltagstheorien basieren, die die Wahrheitsfindung in erheblichem Maße beeinflussen könnten,
- den erheblichen Umgestaltungen des deutschen Strafverfahrens in jüngerer Vergangenheit, z. B. nur im Rahmen sog. „verfahrensbeendenden Absprachen“ (vgl. 257c StPO) oder den signifikanten Ausbau der „Opferorientierung“, welcher aus Sicht des Angeklagten den Übergang zu einem „asymmetrischen Parteiprozess, in dem er sich inzwischen einer Vielzahl professioneller Akteure gegenüber sieht“, gleichkomme,
geschuldet sein (könnten). Dabei sei das Problem aber nicht die Verfügbarkeit solcher Erkenntnisse, sondern die fehlende Kenntnisnahme durch die Akteure.
Ich will exemplarisch noch einen weiteren, derzeit praktisch sehr aktuellen Beitrag aus dem zweiten Teil des Sammelbandes, der sich nach der Diagnostik des ersten Teils mit innerprozessualen Handhabungen und verfahrensrechtlichen Ausgestaltungen beschäftigt, die auf eine Eingrenzung von Fehlern und Fehlerfolgen zielen, herausgreifen. Altenhain[16] beschäftigt sich darin mit „Vor- und Nachteilen der audiovisuellen Aufzeichnung von Zeugenaussagen“ (S. 225 – 252). Nach langer und kontroverser Diskussion, u. a. innerhalb der bereits genannten Expertenkommission, hat der Gesetzgeber im Rahmen des „Gesetzes zur effektiven und praxistauglichen Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017“ (BGBl. I 2017, Nr. 58, S. 3202 ff.), nämlich eine ab dem 01.01.2020 über § 136 StPO (vgl. Art. 3 Nr. 17, dort insbesondere Abs. IV) neu geltende, allerdings gegenüber dem RefE erheblich engere Pflicht zur audiovisuellen Aufzeichnung von Vernehmung statuiert. Der schon bisher existente, für die Vernehmung von Zeugen relevante § 58 a StPO wurde im Rahmen dieses Gesetzes zwar nicht geändert, die dort statuierten Pflichten wurden allerdings über dessen Zitierung in § 136 Abs. IV S. 2 für Beschuldigte übernommen. So war und ist aufgrund der Neuregelung im Absatz IV des § 136:
Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie ist aufzuzeichnen, wenn
- dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen, oder
- die schutzwürdigen Interessen von
- Beschuldigten unter 18 Jahren oder
- Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden,
durch die Aufzeichnungen besser gewahrt werden können. § 58a Absatz 2 gilt entsprechend.
auch künftig in der Vernehmungspraxis bei Zeugen und Beschuldigten wohl weit überwiegend das „Inhaltsprotokoll“ üblich, das von vornherein nicht darauf angelegt ist, den vollständigen und tatsächlichen Inhalt der Aussage und ihr Zustandekommen, insbesondere die Fragen und Vorbehalte, wörtlich wiederzugeben. Der Vernehmende fasst – je nach Geschick und Erfahrung – den aus seiner Sicht wesentlichen Inhalt der Aussage in eigenen Worten zusammen. Die audio-visuell vollständige Dokumentation (auch) als Grundlage einer möglichst umfassenden „Fehlerforschung im Strafverfahren“, gerade solcher Fehler, die im bereits weiter oben erwähnten sozio-psychischen Wahrnehmungsfeld der Beteiligten liegen können, bleibt derart nach wie vor auf ein sehr geringes Maß begrenzt, zumal dabei in der Praxis signifikante Beurteilungs- und Ermessensspielräume offen bleiben. Vor- und Nachteile des Inhaltsprotokolls und auch die Vorteile der audiovisuellen Aufzeichnung waren dem Gesetzgeber sehr wohl bewusst, wie die Ausführungen in der relevanten Bt.-Drs. 18/11277 vom 22.02.2017, S. 24 ff. zeigen. Erstaunlich in diesem Zusammenhang ist, dass wesentliche Feststellungen zu den Schwachstellen von Inhaltsprotokollen, gerade auch unter dem weiter oben evidenten Diktum einer zunehmenden Dominanz des Ermittlungsverfahrens bei überwiegend „faktischer Sachherrschaft“ der Polizei, sogar aus einer (zwar etwas älteren aber nach wie vor lesenswerten) innerpolizeilichen empirisch-kommunikationswissenschaftlichen Studie stammen.[17] Demnach verharren selbst „erfahrene Vernehmungspersonen auf einer durch Routine vorgefassten Meinung vom Tathergang, bei unerfahrenen Vernehmungspersonen sei (hingegen oftmals) mangelnde Konzentration und Selektionsfähigkeit“ feststellbar. Nach seither aus der Praxis bestätigter Befunde (S. 240 m. w. N.) seien „Inhaltsprotokolle (häufig) selektiv, subjektiv und intuitiv, sie seien nicht selten durch vorgefasste Meinungen geprägt, gäben die Aussage nur oberflächlich und lückenhaft wieder und enthalten keine (verlässlichen) Angaben zur Befragungstechnik und zum Verlauf der Vernehmung (…)“. Selbst in sensiblem Umfeld, im Rahmen der Vernehmung mutmaßlicher kindlicher Missbrauchsopfer, zeigte sich z. B. im Rahmen einer interessanten Studie von Lamb et al.[18] bei einem Vergleich der Transkripte mit den simultan angefertigten Protokollen der Vernehmungspersonen nicht nur deren Lückenhaftigkeit, sondern vor allem der Umstand, dass „detailreiche Aussagen der Zeugen öfter als spontane, freie Antworten auf offene Fragen dargestellt wurden, obwohl sie tatsächlich auf suggestive, geschlossene oder ähnliche Fragen hin erfolgt waren.“ All dies veranlasst den Autor zur Forderung der Einführung der „obligatorischen audiovisuellen Aufzeichnung (mindestens von) Zeugenaussagen, (…) einhergehend mit dem Wegfall der Pflicht zur Erstellung eines Protokolls, (…) an dessen Stelle die Kombination von audiovisueller Aufzeichnung und Vermerk träte.“
Der Sammelband hält darüber hinaus noch einige sehr interessante Annäherungen an die Problematik unter Einbeziehung verschiedenster disziplinärer Perspektiven bereit (vgl. Inhaltsverzeichnis inkl. des bei diesem Link der Universität Bern angehängten Beitrags der dort bis 2014 tätigen Forscherin Margrit E. Oswald[19] und Dr. Helen Wyler, „Fallstricke auf dem Weg zur ‚richtigen‘ Entscheidung im Strafrecht: Eine Analyse aus psychologischer Sicht“).
Die Thematik ist hochaktuell, weil ubiquitär und schon deshalb rechts- wie auch gesellschaftspolitisch hoch brisant. So schreibt Heintschel-Heinegg im Zusammenhang mit der Diskussion der „Juristischen Bücher des Jahres“[20] in einem Beitrag, zugleich eine kurze Besprechung eines Buches von Sabine Rückert, schon im Jahr 2008: „Fehlurteile kommen in allen Ländern vor und auch die Ursachen der Fehlurteile sind in allen Ländern dieselben: Mängel in der Beweisaufnahme und im Verfahren, menschliche Fehlerquellen, Gesetzesmängel, aber auch in der Psychologie die Urteilsfindung kann die Ursache liegen. Nur: Fehlurteile sind nicht unvermeidlich. Aber nur wer die Ursachen kennt und sich mit ihnen auseinandersetzt, kann dazu beitragen, dass Fehlurteile im Strafprozess möglichst vermieden werden (…) !“
Schon deshalb ist die Tagung und der daraus entstandene Sammelband ein zwar in der Gesamtbetrachtung kleiner, dennoch wichtiger Beitrag zu dieser hoffentlich andauernden und ertragreichen Debatte, dem man angesichts des wichtigen Themas, seiner interdisziplinären Anlage und der spannenden, multinationalen rechtsvergleichenden Beiträge nur noch die notwendige Aufmerksamkeit und nachhaltige Rezeption wünschen darf.
[1] Prof. Dr. iur. Stephan Barton, Universität Bielefeld, Professur für Strafrecht und Strafprozessrecht.
[2] Ass.-Prof. Dr. Marieke Dubelaar, Radboud Universiteit in Nijmegen, Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminologie.
[3] Prof. Dr. iur. Ralf Kölbel, Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminologie an der LMU München.
[4] Prof. Dr. iur. Michael Lindemann, Lehrstuhl für Strafrecht Strafprozessrecht und Kriminologie an der Universität Bielefeld.
[5] Vgl. Verlags-Website und Inhaltsverzeichnis des Sammelbandes.
[6] Der Titel des Sammelbandes geht zurück auf das Diktum: „Den hochgemuten, voreiligen Griff nach der Wahrheit hemmen will der Kritizismus des Verteidigers“ von Max Alsberg, in: „Die Philosophie der Verteidigung“, Schriften zur Psychologie der Strafrechtspflege, Ausgabe 2, Verlag, J. Bensheimer, 1930, S. 11.
[8] Karl Peters, „Fehlerquellen im Strafprozess. Eine Untersuchung der Wiederaufnahmeverfahren in der Bundesrepublik Deutschland“, Band 1 – 3, 1970 -1974 erschienen bei C. F. Müller, München. Peters hat dabei, angeregt durch die Schrift „Das Fehlurteil im Strafprozeß (sic.) – Zur Pathologie der Rechtsprechung“ von Max Hirschberg und gefördert von der DFG, in Tübingen insgesamt 1.115 nach den §§ 359ff. StPO durchgeführte Wiederaufnahmeverfahren, bei denen der Wiederaufnahmeantrag für begründet erklärt worden war, untersucht. Die Motivation, Entstehung dieses Forschungsvorhabens und erste wesentliche Erkenntnisse hieraus finden sich pointiert zusammengefasst in einem überlieferten Vortrag des Forschers, den er am 2. Dezember 1966 vor der Berliner Juristischen Gesellschaft gehalten hat, „Untersuchungen zum Fehlurteil im Strafprozess“, Schriftenreihe der juristischen Gesellschaft e. V. Berlin, Heft 29, Walter de Gruyter, Berlin, 1967.
[9] Vgl. z. B. nur Böhme, 2018 (Besprechung Feltes im PNL) oder auch Dunkel, 2018 (Besprechung Plank im PNL).
[10] Bericht der Expertenkommission vom 13.10.2015, S. 168 ff. (zuletzt abgerufen am 07.03.2019).
[11] De Vries, „Fehlerforschung in der Kriminalistik“, in: Die Polizei (105) 2014, Heft 5, S. 134.
[12] Der Markt für derartige Produkte ist offensichtlich noch nicht annähernd gesättigt, wenn man die Fülle der Bücher alleine in jüngerer Vergangenheit betrachtet, bspw. Gisela Friedrichsen, „Gerichtsreportagen 1989 – 2004. Ich bin doch kein Mörder“, DVA, 2004; Sabine Rückert, „Unrecht im Namen des Volkes. Ein Justizirrtum und seine Folgen“, Hoffmann und Campe, 2007; Rolf Lamprecht, „Die Lebenslüge der Juristen. Warum Recht nicht gerecht ist“, DVA, 2008; Thomas Darnstädt, „Der Richter und sein Opfer. Wenn die Justiz sich irrt“, Piper, 2013; Coralie Colmez / Leila Schneps, „Wahrscheinlich Mord. Mathematik im Zeugenstand“ (im englischen Original: „Math on Trial. How Numbers Get Used and Abused in the Courtroom”), Hanser, 2013; Max Steller, „Nichts als die Wahrheit. Warum jeder unschuldig verurteilt werden kann“, Heyne, 2015; Rudolf Egg, „Die unheimlichen Richter. Wie Gutachter die Strafjustiz beeinflussen“, Bertelsmann, 2015; Klaus Volk, „Die Wahrheit vor Gericht. Wie sie gefunden und geschunden, erkämpft und erkauft wird“, Bertelsmann, 2016; Joachim Wagner, „Ende der Wahrheitssuche. Justiz zwischen Macht und Ohnmacht“, C. H. Beck, 2017 und viele andere mehr.
[13] So weist nicht nur aber vor allem Kölbel, S. 38, darauf hin, dass sich anderenorts, z. B. in den USA, die Fehlurteilsforschung als eine eigenständige „area of academic study“ zu konstituieren beginnt und sich inzwischen dort sogar eine „Criminology of Wrongful Conviction“ forme, wenngleich übergreifende Datenbanken wie z. B. im Rahmen des in den USA inzwischen seit 25 Jahren praktizierten „Innocence-Project“ immer noch weitgehende ehrenamtlich erstellt und gepflegt würden.
[14] Andere Länder, wie die USA, Kanada aber auch Norwegen, England, Schottland und Wales, haben entsprechende Instanzen entweder auf der Ebene regionaler Staatsanwaltschaften (USA, „Conviction Integrity Units“) oder auf der Ebene des Justizministeriums (Kanada) in der Form so genannter „Criminal Cases Review Commissions“ installiert.
[15] Auch hier schimmert er wieder deutlich durch, der Ansatz der „Gesamten Strafrechtswissenschaft“, wenn die Herausgeber (S. 22) bspw. bemängeln: „Führe man sich vor Augen, dass sich beim Personalbeweis die meisten Fehler schon im Kontext der Wahrnehmungswiedergabe ereignen, muss es erstaunen, dass aussagepsychologische Kompetenzen bislang noch keinen Eingang in die juristische Ausbildung gefunden hätten!“ Diese Feststellung klingt nicht ganz unbekannt, forderten doch schon Hanns Groß, Franz von Liszt und andere bereits ausgangs des 19ten Jahrhunderts, dass die Kriminalistik zu einem selbstverständlichen Teil juristischer Ausbildung werden müsse.
[16] Karsten Altenhain, Prof. Dr. iur., Lehrstuhl Für Strafrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Medienrecht an der Heinrich Heine-Universität, Düsseldorf.
[17] Banscherus, Jürgen, „Polizeiliche Vernehmung: Formen, Verhalten, Protokollierung“, BKA-Forschungsreihe, Band 7, 1977, S. 250, 259 f.
[18] Lamb, Michael E / Orbach, Yael / Sternberg, Kathleen J. / Hershkowitz, Irit / Horowitz, Dvora: „Accuracy of Investigators’ Verbatim Notes of Their Forensic Interviews with Alleged Child Abuse Victims”, in: Law and Human Behavior (24) 2000, Issue 6, S. 699 – 708.
[19] Prof. em. Dr. Margit E. Oswald, Lehrstuhl für Sozialpsychologie und Soziale Neurowissenschaft an der Universität Bern
[20] Ein sehr schönes Format, in dem ein Kreis bekannter Ordinarien seit Mitte der 1990er Jahre jährlich mehrere Werke juristischer Literatur ausgiebig (zumeist in der NJW im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse) bespricht und empfiehlt.
Rezensiert von: Holger Plank