Hilgendorf, Eric[1] / Feldle, Jochen[2] (Hrsg.); „Digitization and the Law“ [3]; ISBN: 978-3-8487-4700-9, 140 Seiten, erschienen bei Nomos, Baden-Baden als Band 15 der Schriftenreihe „„Robotik und Recht““, 2018, 36.- €
Prof. Dr. Dr. Hilgendorf hat an seinem Lehrstuhl an der Würzburger Ludwig-Maximilians-Universität im Jahr 2010 eine beachtenswerte, nach wie vor bundesweit einzigartige Forschungsstelle „Robotrecht“ (FoRoRe) mit derzeit zwölf wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen und vier studentischen Mitarbeiter*innen eingerichtet. Er beschäftigt sich dort v. a. mit den „rechtlichen Herausforderungen, welche die technische Entwicklung im Bereich autonomer Systeme mit sich bringt.“[4] Ein zukunftsträchtiges Thema, bei dem allerdings noch zahllose Fragen ungeklärt sind! So beschäftigt sich auch der Sammelband, entstanden aus der (von der Forschungsstelle an der Universität Würzburg jährlich veranstalteten) internationalen „5. Würzburger Tagung zum Technikrecht“ am 05. / 06. Mai 2017, mit einigen Aspekten des Informationsrechts sowie Bedrohungen / Herausforderungen, die aus dem Themenkreis „Digitalisierung“ erwachsen und vereint – neben einer thematischen Einführung Hilgendorfs, eine Auswahl von sechs (von insgesamt neun, die zur Tagung angemeldet waren) interdisziplinären forensischen, kriminologischen und (straf-)rechtspolitischen Beiträgen namhafter Wissenschaftler*innen aus mehreren europäischen Ländern.
In seiner Einführung („Introduction: Digitization and the Law – a European Perspective“, S. 9 – 20) reflektiert Hilgendorf dann auch zunächst auch auf sieben Herausforderungen, welche die Digitalisierung und die daraus erwachsenden, sehr dynamischen technischen Entwicklungen im Kontext der Veranstaltung für die Fortentwicklung des Rechts breithält und definiert damit den Rahmen des Sammelbandes. Dabei ginge es vorrangig darum, „Recht und neue Technologien miteinander in Einklang zu bringen“, das sei zuallererst eine vordringliche Aufgabe des Rechts. Insbesondere gehe es vor dem Hintergrund „lernender maschineller (Teil-)Autonomie“, neben haftungsrechtlichen Aspekten, um die Einführung angemessener Formen strafrechtlicher Verantwortung. Hierzu hat sich allerdings bspw. kürzlich Precht[5] mit kritischer Anmerkung geäußert. Dort wo Programmierer Maschinen und künstlicher Intelligenz „ethische“ Programmcodes implementieren wollten und damit im Anschluss naturgemäß im Schadensfall für den Programmierer / Auftraggeber straf- und haftungsrechtliche Verantwortung erwachse, habe für ihn Digitalisierung eine Grenzlinie überschritten, die moralisch mindestens fragwürdig sei. Dennoch benötige Recht nicht nur im Kontext von digitalisierter (Teil-)Autonomie eine „Algorithmisierung“, wie Hilgendorf am Beispiel eines künftig weitgehend „autonomisierten“ Straßenverkehrs in einem (weiteren) eigenen Beitrag „The dilemma of autonomous driving: Reflections on the moral and legal treatment of automatic collision avoidance systems“ (S. 57 – 89) entwickelt.
Anwälte und Rechtswissenschaftler müssten künftig auch eine reflektierte Interdisziplinarität und Methodik entwickeln und z. B. empirische Erkenntnis der Naturwissenschaften in ihrer „Logik“ zu adaptieren bereit sein, so Hilgendorf abschließend in seiner Einführung. Fürwahr, ein in den Geisteswissenschaften zwar nicht völlig neuer aber ein noch recht wenig „ausgetretener schmaler Pfad“.
Neben dem Straßenverkehr eröffnet die Digitalisierung „maschinelle Autonomien“ aber auch in völlig anderen Kontexten, z. B. bei der Verknüpfung physischer und virtueller Gegenstände im Rahmen des „Internet of Things“ (IoT), u. a. im Rahmen von „Smart-Home-Technologien“ oder auch im wirtschaftlichen Kontext rund um eine „Industrie 4.0“. Dieses Thema greifen Beale[6] und Berris in einem gemeinsamen Beitrag „Hacking the Internet of Things: Vulnerabilities, Dangers, and Legal Responses“[7] (S. 21 – 40) auf. Sie thematisieren dabei vor allem zwei strukturelle Grundprobleme dieser Technologie. Zum einen ist dies die enorme Menge unzureichend gesicherter Geräte auf dem Markt und im Einsatz sowie die dabei für die Netzwerke entstehenden Gefahren (jedes Netzwerk ist nur so sicher, wie das schwächste Glied der Sicherungskette), zum anderen die nach wie vor ungebremste Flutung des Marktes mit derart unsicheren Gerätschaften um den Preis der Eroberung von Marktanteilen. Dies kann sich keine Gesellschaft auf Dauer erlauben, denn die bisherige Vulnerabilität durch Angriffspunkte auf derartige Connectivities wird dadurch exponentiell wachsen.
Auch die Mitherausgeberin der Reihe „Robotik und Recht“, Susanne Beck[8] steuert den strafrechtswissenschaftlichen Beitrag „Robotics and Criminal Law. Neglicence, Diffusion of Liability and Electronic Personhood“ (S. 41 – 55) zu dem Sammelband bei, in welchem sie u. a. auch die gesellschaftspolitische (digitalethische) Frage – ähnlich wie oben Precht (dieser aber eher aus philosophischer Perspektive) – diskutiert, in welchen Lebensbereichen die Vorteile von Robotik die Risiken überwiegen und wie deren Operationalisierung vonstatten gehen könnte. Dabei wirft sie z. B. abschließend die Frage auf, ob es im Zusammenhang mit den Risiken der Digitalisierung bspw. ein „so-called admissible risk“ braucht, eine Schwelle, unterhalb derer unerwünschte Nebenwirkungen für den Betreiber keine unmittelbaren straf- oder haftungsrechtlichen Folgen entwickeln ohne zugleich völlig uneinschätzbare Risiken für die damit konfrontierten Nutzer aufzuwerfen. Einfache Antworten gibt es hierbei nicht und man bemerkt hierzu auch – wenn überhaupt – nur einen eingeschränkt öffentlichen Diskurs!
Der kleine aber durchaus feine Sammelband wie auch das regelmäßige Würzburger Tagungsformat (im Übrigen nur eines von vielen der sehr regen Forschungsstelle) machen deutlich, dass es im Zusammenhang mit der „digitalen Revolution“ noch mehr offene als schlüssig beantwortete Fragen gibt, aber auch, dass angesichts der Dynamik der Entwicklung das Recht aktuell der Technologie wohl bestenfalls „hinterherläuft, in manchen Bereichen, ohne den derart Verfolgten überhaupt im Blick zu haben“. Insofern darf man sich wünschen, dass die dogmatische Rechtswissenschaft diese große interdisziplinäre Herausforderung, wahrscheinlich eine – neben des Schutzes unserer Umwelt – der zentralen Fragen des 21. Jahrunderts, annimmt. Eine einzelne eigenständige universitäre (rechts-) wissenschaftliche Forschungsstelle ohne hinreichende (trans-)nationale Verbundmechanismen wird dafür kaum ausreichend sein.
[1] Prof. Dr. phil. Dr. iur. Eric Hilgendorf, Ordinarius für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtstheorie, Informationsrecht und Rechtsinformatik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.
[2] Dr. iur. Jochen Feldle, Mitarbeiter der Forschungsstelle „Robotrecht“ am Lehrstuhl von Prof. Dr. Dr. Hilgendorf.
[3] Vgl. Verlags-Website und Inhaltsverzeichnis des Sammelbandes.
[4] Dort ist nachzulesen, das dies von führerlosen Kraftfahrzeugen über kooperierende Industrie- oder Haushaltsroboter bis hin zu neuartigen Formen künstlich intelligenter Software reiche. Die intensive Zusammenarbeit mit Herstellern, Zulieferern, Anwendern und Forschung ermögliche eine praxisnahe Behandlung haftungsrechtlicher, strafrechtlicher und datenschutzrechtlicher Fragen und garantiere eine fundierte juristische Begleitung der technischen Entwicklung. Der interdisziplinäre Austausch zwischen Theorie und Praxis ermögliche die Identifikation der rechtlichen Problemfelder und die sachgerechte Erarbeitung von Lösungsvorschlägen.“
[5] Richard David Precht, „Jäger, Hirten, Kritiker“, Goldmann, 2018.
[6] Frau Prof. Dr. iur. Sara Sun Beal, Charles L. B. Lowndes Professor of Law an der Duke Law Faculty in Durham, North Carolina (US). Peter Berris war zum Zeitpunkt der Erstellung des Beitrag wiss. MA von Beal, ist jetzt als Law Clerk am Connecticut Supreme Court in Hartford (US) tätig.
[7] Hier der Link zum inzwischen aktualisierten Beitrag auf der Website der Fakultät.
[8] Prof. Dr. iur. Susanne Beck, LL.M. (LSE), Lehrstuhl für Strafrecht, Strafrechtsvergleichung und Rechtsphilosophie an der Leibniz-Universität Hannover.
Rezensiert von: Holger Plank