Hermann, Dieter[1] / Pöge, Andras[2] (Hrsg.); Kriminalsoziologie. Handbuch für Wissenschaft und Praxis [3]; ISBN: 978-3-8487-2806-0, 494 Seiten, erschienen bei Nomos, Baden-Baden, 2018, 58.- €
Das inhaltlich sehr gewichtige Buch gliedert sich in die fünf Kapitel (vgl. Fn. 3, Inhaltsverzeichnis)
- Kriminalitätstheorien, Methoden und Praxis
- Ätiologie. Ursachen von Kriminalität
- Struktur und Entwicklung von Kriminalität
- Soziale Probleme und gesellschaftliche Risiken und
- Viktimisierungen und Kriminalitätsfurcht
und versammelt dabei insgesamt 25 Beiträge von 36 Autoren. Der inhaltliche Schwerpunkt mit jeweils sieben bzw. acht Beiträgen liegt dabei auf den beiden ersten Kapiteln. Angesichts des Informationsgehaltes des Bandes ist es zur Orientierung für den Betrachter sehr angenehm, dass sich im Kapitel 6 (S. 475 – 482) zu allen Beiträgen kurze Abstracts finden.
Der interdisziplinäre (praktische wie auch epistemologische) Mehrwert der soziologischen Subdisziplin, die an der Schnittstelle zwischen mehreren Wissenschaftsdisziplinen anzusiedeln ist, z. B. für die Kriminologie, die Urbanistik und hierbei relevante kommunal-kriminalpräventive Projekte / Modelle – aber durchaus auch für die Kriminalpolitik – ist evident, denn: „Die Kriminalsoziologie integriert Beiträge unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen. Sie behandelt das Thema Kriminalität im Kontext von Gesellschaft und Individuum aus verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlichen Methoden. Aktuelle Forschungen aus den Kerndisziplinen der Kriminologie und Soziologie werden mit Fragestellungen aus der Psychologie, Rechtswissenschaft, Pädagogik, Wirtschaftswissenschaft, Theologie und Philosophie verknüpft. Diese Themenbreite, die bislang kaum umfassend dargestellt wurde, soll das Handbuch für ausgewählte Themengebiete leisten. Dazu stellen ExpertInnen eines Fachgebiets ihre aktuellen Forschungsthemen systematisch und umfassend vor (…).“[4]
Obgleich es inzwischen eine Unzahl von (Lehr-)Büchern, Sammelbänden und Schriftenreihen zur Kriminalsoziologie gibt, wird in dem vorliegenden Werk mit seinem weitreichenden interdisziplinären Charakter eine wirklich umfassende Darstellung des kriminologisch-sozialwissenschaftlichen Fachgebietes und Forschungsstandes vorgenommen. Insofern darf man es durchaus in die „Tradition“ der Frankfurter interdisziplinären „Akademischen Reihe“, in der mit Band 1 der Disziplin Soziologie im Jahr 1968, herausgegeben von René König und Fritz Sack, die erste Auflage des damals im deutschsprachigen Raum bahnbrechenden Sammelbandes „Kriminalsoziologie“[5] erschien, stellen. Die damals hierzulande – mit dem Präfix „Kriminal-“ kenntlich gemachte – noch junge Subdisziplin der Soziologie, stark von der amerikanischen „Chicagoer Schule“ sowie von der „Instanzenforschung“ und Ansätzen eines „Kritischen Konstruktivismus“ beeinflusst, bildete den Auftakt eines recht lange andauernden „Schismas“ der Kriminologie, mit unterschiedlichen Schwerpunkten auf einer Skala zwischen den Polen der „traditionellen“ und „kritischen“ Lehre. Dieser Richtungsstreit darf in der „modernen“ Kriminologie als längst überwunden gelten, da die Disziplin inzwischen in ihrer ausgeprägten Interdisziplinarität die Kriminalsoziologie als genuinen Teil ihres Gegenstandes versteht und die (Kriminal-)Soziologie gewissermaßen „inkorporiert“ hat. Der vorliegende Band ist daher ein beredtes Beispiel für die signifikanten sozialwissenschaftlichen Anteile der Kriminologie und für deren unmittelbare Praxisrelevanz.
So stellt Hahn (vgl. Fn. 4), dem man bei dieser Einschätzung nur uneingeschränkt zustimmen kann, auch den Mehrwert des interdisziplinären Sammelbandes mit den Worten fest: „Die Anforderungen an ein thematisch begrenztes Handbuch, das gleichermaßen die Erfordernisse in wissenschaftlicher Forschung und kriminalsoziologischer Praxis berücksichtigen soll, naturgemäß hoch sind. Einerseits erwartet die Leserin einen möglichst vollständigen Überblick kriminalsoziologischer Theorien und Methoden, andererseits Hinweise auf praktische Erwägungen. Beides ist in dem Handbuch Kriminalsoziologie weitgehend geglückt: in den Einzelbeiträgen finden sich die -historisch- relevanten theoretischen Bezüge, neuere Erklärungsansätze und die für die Gültigkeit der aufgestellten Theorien wichtigen empirischen Belege. Dabei gelingt es den AutorInnen (…) durchgehend, die – zum Teil doch recht komplexen – Zusammenhänge in einer verständlichen Sprache zu präsentieren, was dem Buch vor allem in seiner auf die praktisch tätige Leserschaft gerichteten Zielrichtung gut tut. (…) Durch die systematische Darstellung und übersichtliche Gliederung des Bandes, vor allem aber durch die herausgeberisch kluge Auswahl der Beiträge und AutorInnen wird ein differenzierter und vor allem auch aktueller Blick in die Gebiete der Kriminalsoziologie ermöglicht.“ Es handele sich daher um ein Grundlagenwerk für alle im Bereich der Kriminalsoziologie und darüber hinaus auch im Bereich der Straffälligenhilfe Tätigen, so Hahn abschließend. Zudem eröffnet sich über die Anwendungspraxis hinaus ein aktueller und tiefgehender Blick auf ausgewählte Aspekte der aktuellen Forschungslandschaft.
Schon deshalb gehört der Band in jede gut sortierte disziplinäre Fachbibliothek und ist auch für den heimischen Bücherschrank unbedingt zu empfehlen.
[1] Prof. Dr. phil. Dieter Hermann, Soziologe und Dipl.-Mathematiker, Universität Heidelberg, Institut für Kriminologie
[2] PD Dr. phil. Andreas Pöge, Soziologe, Akademischer Oberrat an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld.
[3] Vgl. Verlags-Website und Inhaltsverzeichnis des Sammelbandes in der eLibrary von Nomos.
[4] Schreibt Dr. Gernot Hahn einleitend in seiner Besprechung des Sammelbandes auf der Plattform socialnet. Sehr zutreffend.
[5] Die Deutsche Nationalbibliothek stellt in ihrem Web-Angebot das Inhaltsverzeichnis der unveränderten 3. Auflage des Bandes aus dem Jahr 1995 zur Verfügung.
Rezensiert von: Holger Plank