Stephan Barton / Ralf Eschelbach / Michael Hettinger / Eberhard Kempf / Christoph Krehl / Franz Salditt(Hrsg.) – Festschrift  für Thomas Fischer“ – Rezensiert von: Holger Plank

Barton, Stephan[1] / Eschelbach, Ralf[2] / Hettinger, Michael[3] / Kempf, Eberhard[4] / Krehl, Christoph[5] / Salditt, Franz[6] (Hrsg.); Festschrift[7]  für Thomas Fischer[8]; ISBN: 978-3-406-72459-6, 1.281 Seiten, erschienen bei C. H. Beck, München, 2018, 179.- €

Am 01.05.2017 ist Thomas Fischer als Vorsitzender Richter des 2. Strafsenats am Bundesgerichtshof in Ruhestand getreten, deutlich vernehmbar ist der wort­ge­waltige Jurist (und Soziologe) in seiner schier unerschöpflichen Schaffenskraft aber weiterhin. Er ist nach wie vor Verfasser des wichtigsten Strafrechts­kom­mentars (inzwischen in der 66. Auflage 2019)[9], an­gesehenener aktiver Wissen­schaftler (Honorarprofessur an der Julius-Maximilians-Uni­versität Würz­burg), Mitherausgeber der NStZ, Mitautor am Karlsruher Kom­mentar zur Strafprozess­ordnung, Veranstalter strafrechtswissenschaftlicher Tagungen[10], Autor[11] und Kolumnist[12] mit öf­fent­lichkeitswirk­samer Aus­strahlung.

Nun ehren ihn Kollegen, Weggefährten und Freunde mit dieser Fest­schrift, übergeben am 05.10.2018, im Jahr seines 65. Geburtstages.

Das Werk wird mit einem Umfang von 1.281 Seiten mit 86 Beiträgen von 15 Autorinnen und 73 Autoren, welche ein breit gefächertes Spektrum an Themen be­leuchten, dem derart Geehrten sehr gerecht. „Der Leser stößt bei der Lektüre nicht nur auf juristische, sondern auch auf politische, journalistische, krimi­nologische, psychiatrische und künstlerische Texte sowie auf einen Audiobeitrag (in Form einer eingelegten CD, vgl. Inhaltsverzeichnis Fn. 7). Aufgrund der he­raus­ragenden Persönlichkeit Fi­schers und seiner vielfältigen und vielschichtigen Wir­kungskreise verwundert es nicht, dass ein Teil der Beiträge sogar allein seiner Person gewidmet ist – dabei kommen sowohl Lob als auch Kritik in großer und er­frischender Klarheit zur Sprache“, wie die beiden Mitherausgeber Barton und Hettinger in ihrem Vorwort anl. einer zusätzlichen ZIS[13]-Sonderausgabe zu seinen Ehren vermerken. Insofern gleiche die Vielfalt der Festschrift – dem Anlass und dem „Werk“ des zu Ehrenden angemessen – einem bunten Blumenstrauß.

Dabei, so die Herausgeber im Vorwort, ende sein „publik werdender Interessens­horizont nicht, wie bei vielen ‚Praktikern“ und ‚Theoretikern‘, an den Grenzen des Strafrechts i. w. S., (son­dern) man erlebe einen Autor, der, eine spitze Feder führend, auf der Basis schneller Auffassungsgabe den Mut hat, die Änderung von Missständen durch Aufklärung über deren Ursachen anstoßen zu wollen, wobei er (auch) Vorschläge zu deren Behebung vorstellt.“ Angesichts des Umstandes der politischen Absichtserklärung einer künftig „evidenzbasierteren Kriminalpo­litik“[14], bei der „krimi­nologische Evi­denzen sowohl bei der Erarbeitung von Ge­setz­entwürfen als auch bei deren Evaluation berücksichtigt werden“ sollen, erscheint jedoch auch die Würdigung des „ernüchternd realistisch-kritischen Blicks“ des Geehrten auf das „Verhältnis der beiden Welten, der Wissenschaft (Theorie) und der Rechtsprechung (Praxis)“, die sich, so Fischer, zunehmend „voneinander entfernen“ [15], recht bedeutsam. So fehle es der Rechtsprechung an kri­tischer Selbstreflexion, der Wissenschaft an hinreichender Berücksichtigung der Wirklichkeit. Einige Protagonisten auf beiden Seiten werden Fischers kritischem Befund sicher zustimmen können und zahlreiche Belege hierfür vor­weisen.[16]

Fischer wird in den Beiträgen immer wieder als liberaler, aufgeklärter Straf­rechtsdenker par excellence gewürdigt, der – nicht zuletzt im Rahmen seiner publi­zistischen Tätigkeit -, vor allem wenn er Ignoranz, Unkenntnis oder aber Faulheit spürte, wortgewaltig Furor entfalten konnte und wollte (auch wenn er, was in einigen Beiträgen bemerkt wird, dabei dann gelegentlich über das Ziel hinausschoss). Dabei ging es ihm aber immer darum, einem breiteren Publikum Sachkenntnis über das Strafrecht zu vermitteln, und das, in der Tradition seiner Ausbildung, stets in einem gesamtgesellschaftlichen, rechts­soziologischen Kon­text. Strafrecht, als sozial vermitteltes Konstrukt, dürfe dabei gerade heute, in einer Welt voller Risiken, in der bloßen Absicht einen Schuldigen zu finden nicht dem „Bedürfnis (folgen), den Zufall zu kontrollieren und ihn durch normative Regeln und Zuschreibung von (sanktionswürdiger Ver­ant­­wor­tung auszu­schalten.“ Dies sei uns offensichtlich ebenso „wesenseigen, wie die Ver­kennung unserer Möglichkeiten dazu“, so Fischer in einer Kolumne zu „Zufall, Schuld, Depression“ vom 07.04.2015. Insofern gibt er sich auch als auf­geklärter Ge­sellschaftskritiker, Ignor bezeichnet ihn in seinem einleitend wun­derbar formu­lierten, mit Aphorismen gewürzten Personagramm sogar wohlmei­nend als „Mo­ra­listen“.

Beachtlich ist auch der (in der Sache) gleichermaßen kritische wie auch (per­sönlich) respektvolle Beitrag „Off topic. Ein obiter dictum“ (S. 53 – 59) von Renate Künast zu der Festschrift, lieferte doch gerade sie sich mit Fischer einige Male z. T. scharfe (meist normgenetische) öffentliche Dis­kurse, bspw. im Zusam­menhang mit von Fischer beklagten „Alibianhörungen“ zu Gesetzesvorhaben in den federführenden Ausschüssen des Deutschen Bundesta­ges.[17] Auch in diesem Beitrag zeigt sich Künast argumentierfreudig, ja z. T. kampfeslustig, Eigen­schaften, die sie mit Thomas Fischer teilt und die gewiss beide aneinander schätzen, nämlich die Pflege des „Prinzips, sich nicht (von anderen oder eingefahrenen Meinungen) irritieren zu lassen und beharrlich zu bleiben.“

Sehr schön reflektiert Volker Erb in seinem Beitrag „Von der Gefährlichkeit des ‚gefährlichen Werkzeugs‘ in der Hand von Gesetzgeber, Strafjustiz und Straf­rechts­wissenschaft“ (S. 301 – 314) auf Fischers Kolumne vom 31. März 2015 „Über die Schwierigkeit, einen Raub zu begehen – Ein bemerkenswertes Beispiel für das Zusammenwirken fehlerhafter Gesetzgebung und untauglicher Repara­turversuche durch die Rechtsprechung“ zur Unterscheidung von Waffen und so genannten gefährlichen Werkzeugen durch den GSST des BGH und auf daraus resultierende Paradoxien innerhalb des Straftatenkatalogs, insbesondere der Qualifizierungen des StGB.

Abschließend aus dem breiten Portfolio der Beiträge herausgegriffen sei die Würdigung von Fr. Leutheusser-Schnarrenberger, „Thomas Fischer und die Politik“ (S. 1111 – 1123). Sie spannt hierin zunächst einen weiten verfassungs­rechtlichen und strafrechtspolitischen Bogen unter einem Horizont von „Freiheit und Sicherheit“ und verortet dabei Fischers „Verständnis von Sicher­heit durch Strafrecht“ am Beispiel einiger Zitate seines Schaffens in diesem Bild, bevor sie ihn abschließend als „aktiven Verteidiger eines liberalen materiellen Rechts­staates“, wohlwollend auch als „Mahner und Utopisten“ in diesem Gefüge, be­zeichnet.

Die Festschrift ist sicher ein „Schmuckstück“ für jede Fachbibliothek. Man kann sich stundenlang in ihren Beiträgen verlieren. Sie vereint – den Herausgebern sei es gedankt – eine inhaltlich beeindruckend dichte wie auch vielfältige Sammlung von in unterschiedliche Facetten gefassten Persona­grammen und Charakteristika des Laureaten sowie von strafrechtswissenschaftlichen, -politischen und -prak­tischen Aufsätzen mit zu­sätzlichen, „künstlerisch“ anspruchsvollen, das Gesamtprojekt auflockernden Ausflügen, bspw. zur Architektur am Beispiel des Erbauers des von Fischer bewohnten Hauses in Baden-Baden (Stefan König, „Mein ganzes Glück hängt daran“, S. 25 – 43). Sie wird – an dieser Stelle sind, dem Gusto des Rezensenten geschuldet, auch nur einige wenige Beiträge „ge­streift“ – in Umfang, Tiefe aber auch hinsichtlich Origi­nalität und kritischer Reflexivität in der Sache und zur (streitbaren wie auch gelegentlich umstrittenen) Person – soweit ich dies aus meiner ein­geschränkten Perspektive beur­teilen kann – auch dem Menschen, Praktiker, Wis­senschaftler, (kriminalpolitischen) Kom­mentator, Autor und Kolumnisten in ihrem Facettenreichtum gerecht.

[1] Prof. Dr. iur. Stephan Barton, Universität Bielefeld, Professur für Strafrecht und Strafprozessrecht.

[2] Dr. iur. Ralf Eschelbach, beisitzender Richter im 2. Strafsenat des BGH.

[3] Prof. em. Dr. iur. Michael Hettinger, ehemals Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

[4] Eberhard Kempf, Fachanwalt für Strafrecht, Kanzlei Kempf / Schilling in Frankfurt.

[5] Prof. Dr. iur. Christoph Krehl, beisitzender Richter im 2. Strafsenat des BGH und Honorarprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt

[6] Prof. Dr. iur. Franz Salditt, Fachanwalt für Straf-, Wirtschafts- und Steuerrecht in Neuwied, Hono­rarprofessor an der Fernuniversität Hagen.

[7] Vgl. Verlags-Website und Inhaltsverzeichnis des Sammelbandes.

[8] Zur Vita von Prof. Dr. iur. utr. Thomas Fischer.

[9] Beck`scher Kurz-Kommentar StGB mit Nebengesetzen

[10]  Seit 2015 veranstaltet Fischer die „Baden-Badener Strafrechtsgespräche“, zu der, inzwischen im vier­ten Band 2019, bei Nomos eine eigene gleichnamige Schriftenreihe, bei der der Veranstalter zugleich Herausgeber ist.

[11]  Zuletzt (2018) erschienen bei Droemer Knaur: „Über das Strafen“ (vgl. hierzu die anspruchsvolle Besprechung von Gärditz im „Verfassungsblog“ vom 14.10.2018), 2017, Droemer Knaur, „Richter-Sprüche“ als Aphorismen-Sammlung, 2016, ebenfalls bei Droemer Knaur, „Im Recht“ als Kolum­nen-Sammlung der ZEIT, für die Fischer von Januar 2015 – Mai 2017 mit 118 Folgen tätig war.

[12]  Für die ZEIT (vgl. Fn. 11) mit der Kolumne „Fischer im Recht“, dann seit Januar 2018, zunächst mit ei­nigen unregelmäßigen Debattenbeiträgen, seit August 2018 mit der regelmäßig zweiwöchentlich erschei­nenden Kolumne „Fischers kleine Presseschau“ bei der Online-Zeitschrift MEEDIA, seit September 2018 zudem mit der Kolumne „Recht haben“ bei Spiegel Online.

[13]  Die Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik (ZIS) erscheint seit dem Jahr 2006 als frei zu­gängliches Online-Format, im Jahr 2006 initiiert von dem Mitherausgeber der Festschrift, Prof. Dr. iur. Thomas Rotsch, vgl. Besprechung der Jubiläumsschrift zum zehnjährigen Bestehen der ZIS im PNL. Dem Laureaten Fischer ist – neben der Festschrift – zusätzlich die Ausgabe 10/2018 der ZIS gewidmet.

[14]  Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vom 07.02.2018, S. 133 f., Z. 6289 ff.

[15]  Die beiden Mitherausgeber der Festschrift, Barton und Hettinger, glauben auch, dass die „publi­zistische Tätigkeit“ des Autors, die Alexander Ignor in seinem Beitrag zur Festschrift „Straf­rechts­erklärer. Gesellschaftskritiker. Moralist“ (S. 9 – 22) in ihrer Reichweite – weit über das Sujet Strafrecht hinaus – wunderbar skizziert, mit Fischers empfehlenswerten Beitrag „Strafrechtswissen­schaft und strafrecht­liche Rechtsprechung – Fremde seltsame Welten“ (ebd., S. 63 – 82) in der Festschrift zum 65. Geburtstag von Rainer Hamm im Jahr 2008 begann.

[16] Vgl. z. B. die Besprechung des Sammelbandes, hrsg. von Zabel im Nomos Verlag (2018), „Straf­rechts­politik. Über den Zusammenhang von Strafgesetzgebung, Strafrechtswissenschaft und Straf­gerechtigkeit“ im PNL, wo z. B. Kubiciel, der auch mit einem eigenen Beitrag „Die Strafrechts­wissenschaft als kritische Wissenschaft“ (S. 143 – 154) in der Festschrift vertreten ist, ähnliche selbstkritische Thesen vertritt.

[17]  Kasuistischer Ausgangspunkt war eine Kolumne in der ZEIT-Reihe „Fischer im Recht“. Thomas Fischer beschrieb in dem Beitrag zur Verschärfung des Sexualstrafrechts unter dem Titel „Die Schutzlückenkampagne“ (Teil I, vom 03. Februar 2015) kritisch die (seine!) öffentliche Sach­verständigenanhörung vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages. Nach dem Teil II dieser Kolumne, der unter dem Titel „Es gibt keinen Skandal“ am 10. Februar 2015 erschien, kri­tisierte ihrerseits die damalige Vorsitzende des federführenden Rechtsausschusses, Renate Künast, am 16. Februar 2015 in unmittelbarer Replik auf diesen Beitrag von Fischer unter dem Titel „Fischer allein im Rechtsausschuss“ in ungewöhnlich scharfer Form dessen Rechts- und Poli­tikverständnis. Fischer antwortete hierauf noch am gleichen Tag in Duplik mit dem Titel „Warum so viele Reflexe, Frau Künast?“ Fischer erkannte in einem derartigen Prozedere Hinweise „auf die Alibi-Funktion gesetzgeberischer Anhörungen von Wissenschaftlern“ oder Praktikern.

Rezensiert von: Holger Plank