Hans-Jürgen Lange / Michaela Wendekamm (Hrsg.) – Die Verwaltung der Sicherheit. Theorie und Praxis der Öffentlichen Sicherheitsverwaltung – Rezensiert von: Holger Plank

 Lange,  Hans-Jürgen Prof. Dr. [1] / Wendekamm, Michaela [2] (Hrsg.); Die Verwaltung der Sicherheit. Theorie und Praxis der Öffentlichen Sicherheitsverwaltung[3]; ISBN: 978-3-658-22535-5, 287 Seiten, Springer VS Verlag, Wiesbaden, Reihe: Forum für Verwaltungs- und Polizeiwissenschaft, Band 1, 2018, 34,99 €

Es handelt sich um den ersten Band[4] der neuen Reihe „Forum für Verwaltungs- und Polizei­wissen­schaft“.[5] Die Herausgeber führen – neben ihrer Einführung in die Thematik – in dem Band 14 thematisch unterschiedliche Beiträge (vgl. In­haltsverzeichnis) zusammen. Die Idee zu der neuen Reihe „Forum für Verwal­tungs- und Po­lizeiwissenschaft“ wurde im Nachgang der Tagung „Verwaltungs­wissen­schaf­ten – Zur Balance zwischen Praxis und Wissenschaft in der Öffentli­chen Sicher­heits­ver­waltung“ an der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol) in Münster-Hi­ltrup im Januar 2017 geboren, aus der auch die Mehrzahl der Bei­träge des Sammelbandes hervorgeht.

Die Tagung verfolgte im Kern u. a. den Ansatz, den ursprünglichen politischen „Forschungsauftrag“ für die DHPol zur Po­lizeiwissenschaft, der im Gesetz­entwurf Lt-Drs. 13/6258 vom 22.11.2004, § 4 Abs. 2 (Begründung, S. 28) als „Aufgabe, eine eher neue und noch nicht aus­geformte Wissenschaft, die Polizei­wissenschaft, zu pfle­gen und zu entwickeln (…)“ formuliert war, in seinem Ge­genstand, Inhalt und Umfang kritisch-reflexiv zu hin­terfragen und in einen größeren Kontext einzuordnen. Im Subtext ging der Gesetzesentwurf des Jahres 2004, in Kraft getreten im Jahr 2005, semantisch sogar noch weiter und for­mulierte „einen konkreten wis­senschaftlichen Auftrag und zu­gleich eine ent­sprechende nationale und inter­nationale Perspektive“ zur Poli­zeiwissenschaft im Rahmen einer „integrativen wissenschaftlichen Aufar­beitung (dieses) Zentral­bereichs staatlicher Machtaus­übung“ zu entwerfen. Eine „Poli­zei­wis­sen­schaft[6] als eigenständige Disziplin sei in Deutschland bislang (nämlich) nur in Ansätzen“ vorhan­den. Begrifflich wurde zwar viel für / zur / über die Polizei (aber relativ unkoordiniert) ge­forscht, dieser Polizei­forschung[7] fehlte es jedoch an einem grund­lagen­orientierten wissenschaftlichen Überbau, einer „Polizeiwissen­schaft“.

Die gesetzliche Vorgabe führte in der Fol­ge dann auch zur Ausbringung einer eigen­ständigen Professur für Polizei­wissenschaften an der DHPol, die Prof. Dr. Joachim Kersten von Ok­tober 2007 – Juli 2013 innehatte. Nach dessen Eme­ritie­rung[8] war die polizeiwissenschaftliche Professur lange Zeit unbesetzt und ist in­zwischen – eigenständig denominativ – gänzlich aus dem Profil der Hochschule ver­schwun­den. Dieser Wissenschaftszweig geht im neu ge­gliederten Depar­tement I (vgl. aktuelles Organigramm der DHPol) in dem weiter gefassten Begriff der „Verwal­tungs­wissenschaften“ – mit, wie im Gesetz dargelegt, „integrativem wissen­schaftlichem Ansatz – auf. Unter der Präsident­schaft des Mitherausgebers, Prof. Dr. Hans-Jürgen Lange, entwickelte sich dieser neue integrative Ansatz mit der zentralen Frage­stel­lung, „inwieweit die Poli­zeiwissenschaft, die bislang auf Fra­­gen der Polizeiforschung konzentriert war, mit der Forschung zur Öf­fent­lichen Sicherheitsverwaltung, von der sie unzweifel­haft ein maßgeblicher Akteur ist sowie mit den Verwaltungswissenschaften, die ihrerseits über ein multi-, inter- oder transdisziplinäres Selbstverständnis disku­tieren, zukünftig zu verbinden“ sei.

Insofern spielt die Polizeiwissenschaft in den 16 Kernmodulen des polizei­internen Masterstudiengangs „Öffentliche Verwaltung – Polizeimana­gement“ an der DHPol denominativ auch keine überragende Rolle mehr. Die Polizeiwis­senschaft wird auch nur noch in den nachgeordneten Wahlpflicht­bereichen (WPM 9,I [vgl. S. 45] und 5,II [vgl. S. 50]) des aktuellen Cur­­ri­cu­lums 2016 namentlich erwähnt. Der unter der erweiterten Klammer der „Verwaltungs­wissenschaften“ verortete Forschungsanteil zur Polizei hingegen findet sich außerdem noch im Modul 1 (S. 8 des Curriculums – Kompetenzziele: „Die Studierenden können relevante, die Polizei betreffende Forschungsansätze im Kontext der Verwal­tungs­wissenschaft verorten“ – instruktiv zum Masterstudiengang an der DHPol der Beitrag von Kneissler und Schulze, „Die Vermittlung von Verwaltungswissenschaften im Ma­ster­studiengang ‚Öffentliche Verwaltung – Polizeimanagement‘: ein Werkstattbe­richt“, S. 243 – 256).

Dementsprechend war die Tagung also „verwaltungswissenschaftlich“ ausge­richtet. Daran orientiert sich titelgebend auch der Sammelband und folgt in seiner inneren Gliederung die­sem interdisziplinären Ansatz mit den folgenden vier Schwerpunkten:

  1. Theoretische Linien der Verwaltungswissenschaften und deren Anknüp­fungspunkte an die Sicherheitsthematik (Beiträge 1 – 5)
  2. Praxis des Verwaltungshandelns / Akteure der originären Sicherheitsver­waltung (Beiträge 6 – 8)
  3. Finanz- und Justizverwaltung als Zweig der Öffentlichen Sicherheits­verwaltung (Beiträge 9 – 11) und
  4. Umsetzung wissenschaftlicher und akademischer Impulse in die Praxis des Verwaltungshandelns und in die Ausbildung der Öffentlichen Sicherheitsverwaltung (Beiträge 12 – 14).

Inhaltlich ist also die Auseinandersetzung mit dem nach Gründung der DHPol im Jahr 2006[9] bis zum neuen Curriculum des Studienganges im Jahr 2016 fast zehnjährigen (leider) „wenig erfolgreichen“ Versuch, die Polizeiwissenschaft in der Wis­senschaftslandschaft über die polizeiinterne Universität DHPol hinaus nachhaltig zu etablieren sowie die Kontextualisierung dieses notwendigen (was insbesondere von Lange kei­nesfalls in Abrede gestellt wird) Forschungsauftrages in einem neuen, ein­geführten und etablierten erweiterten Ansatz, dem der Verwal­tungswis­senschaften[10], für diesen Sammelband prägend. Deswegen wer­den nach­folgend auch nur einige wenige Aspekte, die diesen Prozess konturieren, aus den vielfältigen und multidisziplinären Beiträgen des Bandes herausgegriffen.

So berichtet der Präsident der Hochschule der Polizei und Mitherausgeber der neuen Reihe, Prof. Dr. Lange, in seinem Beitrag „Verwaltungswissenschaften, Öffentliche Sicherheitsverwaltung und Polizei“ (S. 7 – 23) von dem inzwischen rund vier Jahre andauernden Neustrukturierungsprozess an der polizeiinternen Hochschule, der somit also unmit­telbar nach seiner Berufung in dieses Amt zum 01. Juli 2014 initiiert worden sein muss. In dessen Folge ist die DHPol im Jahr 2016 auch in das nordrhein-westfälische Hochschulgesetz (dort § 81a) aufge­nommen worden, womit die Be­stätigung der Hochschule als Universität in Trä­gerschaft des Bundes und der Länder erfolgte. Insbesondere reflektiert er hierbei näher auf den weiter oben genannten politischen Auftrag in Bezug auf die „Po­lizeiwissenschaft“ und deren allgemeine „An­schlussfähigkeit“ in der (außerpo­li­zeilichen) Wissenschaftslandschaft. Es sei in dieser Dekade vor allem deshalb nicht gelungen, eine eigenständige Disziplin der „Polizeiwissenschaft“ mit einem originären Theorien- und Methodengerüst zu etablieren, da diese hochspe­ziali­siert sei, mangels eines eigenen Berufsbildes „Polizeiwissenschaftler/in“ außer­halb der öffentlichen Eingriffsverwaltung eine signifikante Beteiligung anderer Universitäten (vgl. oben Fn. 6) und allgemeiner Hochschulen an diesem Prozess der Etablierung ausblieb und an der DHPol selbst nur begrenzte Res­sourcen (!) für die elementare Formung dieser Disziplin über die Forschung und Lehre hinaus zur Verfügung stand. Lange fasst dieses (unter Kritik, bspw. von Feltes, vgl. oben Fn. 7, ders., 2015, S. 22) in der markanten Aussage zusammen, „die kritische Masse bzw. das notwendige Potential, das zur Etablierung einer eigenständigen Wissen­schaftsdisziplin nötig wäre, fehle aktuell und wohl auch dauerhaft.“

Was aber nun tun als Präsident der DHPol, wenn der gesetzliche Auftrag nach § 4 Abs. 2 des DHPolG unverändert fortbesteht? Ausgehend von der „Beobachtung, dass die Ar­beit der Polizei heute zunehmend mit der Tätigkeit anderer Sicher­heitsbehörden vernetzt“, die Polizei „integraler Bestandteil eines umfassender angelegten Sicherheitssystems“ sei, lotet er in seinem Beitrag[11] so­wohl insti­tutionell als auch aus der Perspektive von (Grundlagen-) Forschung und Lehre die Chancen eines neuen, integrativen Ansatzes einer „Verwaltungs- und Polizei­wissenschaft“ aus. Aus Sicht der Polizeiwissenschaft bilanziert er letztlich, dass deren engere „Per­spektive den Einbezug einer verwaltungswissen­schaftlichen Theorie- und Metho­denentwicklung bedürfe, wenn sie den Anspruch einlösen wolle, Polizei in allen ihren Facetten als Akteur im staatlichen Sicher­heitssystem zu erforschen und Folgerungen daraus für Lehr und Fortbildung aufzuzeigen.“ Dies eröffne der „Polizei-Wissenschaft“, mit einer derartigen „Anker­wis­senschaft“ als Grundierung und damit „ohne (ständige und zu schwere) Last der Begründung einer eigenständigen Wissenschaftsdisziplin“ auch die Mög­lichkeit, als solche tätig zu sein, ja sie „müsse dies sogar, weil sie im Verbund der Hochschulen der Polizeien der Länder und des Bundes, einschließlich der DHPol, nicht nur im Bereich der Polizei-Forschung aktiv sein kann.“ Sie habe vielmehr „auch im Bereich der Lehre und Fortbildung konzeptionelle Antworten zu geben.“

Der Beitrag von BäuerlePraxis und Wissen im Gleichgewicht? Voraussetzungen und Grenzen einer Balance zwischen Praxis und Wissenschaft in der Öffentlichen Sicherheitsverwaltung“ widmet sich mit sehr klaren und gut nachvollziehbaren Thesen dem eingeschränkten Wissenschaftsverständnis und dem „Theorie-Pra­xis-Problem“ inner­halb der Polizei und rügt die tendenziell weitere Abgrenzung der Praxis vor einer intensiveren wissenschaftlichen Durchdringung des eigenen Forschungsfeldes. Egal ob Polizei- oder – im erweiterten Kontext – Verwal­tungs­wissenschaft, ein disziplinäres / institutionelles Selbstverständnis benötigt ein wohl­durchdachtes theoretisches Fundament, und, „eine ‚gute‘ Theorie zeichne sich (schließlich) nicht zuletzt durch ihre Differenz zur Praxis aus.“ Dies müsse auch kein Widerspruch sein, wie der Autor am Beispiel des Medizin-, Lehramts- oder des rechtswissenschaftlichen Studiums und der darin verankerten Trennung zwi­schen wissenschaftlichem Studium (Theorie) und Praxisanteilen (Praktikum / Re­fe­rendariat) darzulegen versucht. Praxis und Theorie seien – in Abkehr des immer wieder zitierten Diktums von Kant zur Pflichtenethik, „das mag in der Theorie richtig sein, tauge aber nicht für die Praxis“ – somit durchaus in ein sinnvolles und ausgewogenes Gleich­gewicht zueinander zu bringen.

Der Beitrag der „Initiative Polizei in der Wissenschaft“[12] namens „Polizei und Wissenschaft – eine kritische Standortbestimmung“ (S. 257 – 274) beschäftigt sich hingegen eher in entgegengesetzter Perspektive mit dem (leider nach wie vor) sehr eingeschränkten Blick und Forschungsinteresse universitärer Wissen­schafts­disziplinen, namentlich der Sozialwissenschaften, der Kriminologie, der Ge­schichts­wissenschaft, der Sicher­heitsforschung und der Politikwissenschaft sowie der Verwaltungswissenschaft an der Polizeiorganisation, was einerseits natürlich am einschränkten Feldzugang, andererseits aber auch an der „Randständigkeit der Polizeiforschung“ für die jeweilige Disziplin liegen könnte. Der erweiterte Ansatz biete – neben den Risiken des Scheiterns – auch zahlreiche Chancen, dieses Missverhältnis umzukehren.

Der Sammelband bietet substantiell einen hervorragenden Überblick über die Entwicklung der Disziplin „Polizeiwissenschaft“, den (leider bislang wenig erfolgreichen Ver­such) ihrer  durchgängigen Kontextualisierung und Institu­tionalisierung und weist, ohne ihren Nukleus erkenntnistheoretisch aufzugeben, einen Weg aus, wie sie in breiterem epistemologischen Zusammenhang weiter verfolgt werden kann, ja muss. Schon deswegen darf man auf die Fortsetzung dieser neuen Reihe und die dort gesetzten inhaltlichen Schwerpunkte gespannt sein.

[1] Prof. Dr. Lange, Sozial- und Politikwissenschaftler, Präsident der Deutschen Hochschule der Polizei, Initiator und Sprecher des „Arbeitskreises Innere Sicherheit“ (AKIS) sowie des „Arbeitskreises Politikfeldanalyse Innere Sicherheit“ in der „Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaften“ (DVPW), Herausgeber der Schriftenreihe „Studien zur Inneren Sicherheit“ im Springer Verlag.

[2] Dr. Michaela Wendekamm, Wiss. Referentin des Präsidenten der DHPol.

[3] Vgl. Verlags-Website zum diesem Band.

[4] Vgl. Besprechung des zweiten Bandes der Reihe im Polizei-Newsletter.

[5] Band 2, Lange / Model / Wendekamm: Zukunft der Polizei. Trends und Stategien,, Springer VS Ver­lag, Wiesbaden, 2019, siehe Inhaltsverzeichnis.

[6] Der gleichnamige Masterstudiengang am Lehrstuhl für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizei­wissenschaft von Prof. Dr. Thomas Feltes, M. A., an der Ruhr-Universität Bochum startete auch erst im Jahr 2005, dem Jahr des Inkrafttreten des DHPol-Gesetzes, fast ein Jahr vor der Gründung der DHPol.

[7] Zum Begriff und Gegenstand nach wie vor instruktiv z. B. Feltes, in: Die Kriminalpolizei, 2003, S. 96 – 98, Liebl, in: SIAK-Journal (2), 2008, S. 59 – 70 oder, aktueller, Behr, in: Polizei & Wissenschaft, 1/2015, S. 33 – 41, Feltes, in: der kriminalist, 10/2015, S. 18 – 24 etc.

[8] Hr. Kersten ist z. Zt. noch als Gastprofessor für Kriminalsoziologie an der DHPol tätig.

[9] Die wesentlichen Entwicklungsschritte der DHPol, von der Zentral-Polizeischule über die Polizei-Führungsakademie hin zur Hochschule der Polizei werden auf einer eigenen Website „Wir über uns“ dargestellt.

[10] So existiert z. B. sogar ein eigenes Berufsbild „Verwaltungswissenschaftler/in“ im Berufsnet der Bun­desagentur für Arbeit, es gibt an vielen Universitäten eigene „verwaltungswissenschaftliche“ Lehr­stühle, insbesondere in Speyer (dort als eigene verwaltungswissenschaftliche Universität), Konstanz (zum B.A.), Potsdam (zum M.A.) oder in Hagen (zum B.A. im Präsenz- und Fernstudium) und die Thematik wird an allen Fachhochschulen und Berufsakademien der öffentlichen Verwaltung gelehrt.

[11]  Welcher im Übrigen die Kerngedanken seines instruktiven Beitrages „“Polizeiwissenschaft als Ver­wal­tungswissenschaft – zur Entwicklung der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol)“ in dem 2017 herausgegebenen, sehr aussagekräftigen, von Stierle, Wehe und Siller bei Springer herausgegebenen zweibändigen „Handbuchs Polizeimanagement“ aufgreift und ausbaut.

[12]  Namentlich Jonas Grutzpalk, Daniela Hunold, Lena Lehmann, Daniela Pollich, Andreas Pudlat, Patricia Schütte, Michaela Wendekamm.

Rezensiert von: Holger Plank