Walter, Tasia Tamara Dr. [1]; Der Staat als Sicherheitsgarant?; Sicherheitsverständnisse, Sicherheitserwartungen und Sicherheitsverheißungen des Staates im Umgang mit neuen terroristischen Bedrohungslagen des 21. Jahrhunderts[2]; (ISBN: 978-3-8288-4083-6, 134 Seiten, Nomos Verlag (in Gemeinschaft mit Brockhaus / Commission Tectum), Baden-Baden, 2019, 34.- €)
Das Buch, zugleich im Jahr 2017 von der Juristischen Fakultät der Universität Gießen angenommene Dissertation der Verfasserin, widmet sich in sehr interessanter interdisziplinär historischer / soziologischer / rechtswissenschaftlich-dogmatischer Anlage dem angesichts zunehmend amorpher gesellschaftlicher Risiken / terroristischer Bedrohungen immer bedeutsamer werdenden Spannungsfeld zwischen den beiden Polen Freiheit und Sicherheit in modernen rechtsstaatlich-demokratischen Gesellschaften. Dabei geht die Autorin auch der insbesondere von namhaften Innenpolitikern jüngst immer wieder aufgestellten Behauptung nach, das Grundgesetz enthalte implizit ein „Grundrecht auf Sicherheit“, welches in praktisch konkordanter Auslegung weitreichende Eingriffe in subjektive Freiheitsrechte rechtfertige. Verstärkt werde diese Aussage zudem von einer in der Literatur mitunter beschriebenen Forderung, „Sicherheit sei ein Menschenrecht“ bzw. – sogar noch weitreichender – man dürfe jedenfalls in modernen rechtsstaatlichen Demokratien u. U. sogar von einem „Recht auf Freiheit von Furcht“ ausgehen, womit – in der Rechtswissenschaft jedoch höchst umstritten – das „subjektive Sicherheitsgefühl bzw. -empfinden“ de lege ferenda zum Gegenstand der „Normgenese“ werden würde.
Das Buch ist in zwei Abschnitte gegliedert. Im ersten Abschnitt, nach einer kurzen Einleitung (A), gegliedert in die Unterabschnitte
- „Sicherheitsverständnisse in ihrer historischen und staatstheoretischen Entwicklung“
- „Sicherheitsverständnisse im Wandel des 21. Jahrhunderts“ und
- „Sicherheitsbedürfnisse und Sicherheitserwartungen im Wandel als Folge neuer terroristischer Bedrohungslagen? Ein Überblick mit politischen und philosophischen Ansätzen“
wird zunächst der staatspolitische Bedeutungsgehalt der Sicherheit prägnant, dennoch sehr pointiert in seiner historischen und rechtsphilosophischen Entwicklung aufbereitet. Walter beginnt dabei mit linguistisch-etymologischen Anleihen hinsichtlich des lat. Wortstammes „securitas“ und seiner durchaus recht unterschiedlichen semantischen Aufladung über die Jahrtausende seit Epikur über Cicero und Lukrez bis hin zu Nero und der späteren Verankerung des Begriffs im zivilrechtlichen Kontext.
Sie folgt dem Begriff weiter über seine signifikante Bedeutung in mittelalterlichen „Schutzgemeinschaften“ bis hin zum „Ewigen Landfrieden“ des Jahres 1495, in dessen Folge sich die Auslegung von „Sicherheit“ allmählich über ein frühes Verständnis eines vorstaatlichen „Gewaltmonopols“ fortentwickelt. Schließlich legt die Autorin fortfolgend sehr ansprechend die staatstheoretische Genese eines Gewaltmonopols über Jean Bodin („Les six livres de la Répubique“ von 1576), Thomas Hobbes („De cive“, 1642 und „Leviathan“, 1651) staatsphilosophische Begründung der Legitimation souveräner Staatsgewalt und des bürgerlichen Gewaltverzichts zugunsten alleiniger staatlicher Sicherheitsgewährleistung hin zu John Lockes Fortentwicklung der Hobbe‘schen Ideen zu einer umfassenderen „Freiheitsphilosophie“ („Two Treatises of Government“, ab 1690) mit dem unserem liberalen Verfassungsverständnis bereits sehr ähnlichen Ziel einer „Gesamtordnung größtmöglicher und gleichberechtigter Freiheit des Einzelnen bei notwendiger Sicherheit aller“. Die staatstheoretische Philosophie von John Locke, so Walter, befruchtete in der Folge weitere namhafte staatsphilosophische Überlegungen von Jean-Jacques Rousseau über Immanuel Kant bis hin zu Max Weber in deren Ziel, rechtsinstitutionelle Vorkehrungen zum Schutz der Bürger vor dem Staat und zur Sicherung ihrer Freiheiten und letztlich auch soziale Sicherheit zu definieren.
In dieser Entwicklung bis in die Moderne sei Sicherheit ein „Begriffs-Chamäleon“ geblieben. Es werde auch im aktuellen Verständnis als „Gemeinwohlgut“ noch höchst unterschiedlich ausgelegt und in unterschiedlichsten Facetten (nicht nur in die Grundkategorien „subjektive“ und „objektive“ Sicherheit sondern viel weitreichender in „physische“, „soziale“, „ökonomische“, „ökologische“ und letztlich in die „Rechtssicherheit“) subjektiviert werde. Letztlich schaffen konturenarme Neologismen, wie der auf die IMK zurückgehende unscharfe Begriff „innere Sicherheit“, in diesem Zusammenhang eher Unsicherheit, sowohl hinsichtlich seiner allgemeinen Reichweite als auch in Bezug auf die diesbezüglichen impliziten Sicherheitserwartungen der Bevölkerung und die mutmaßlich darauf gründenden „Sicherheitsverheißungen“ der Politik.
Auf dieser sehr soliden Ausgangsbasis spürt Walter anschließend dem Verhältnis von Sicherheit und Freiheit im Kontext der Terrorismusbekämpfung nach. Hierzu zerlegt sie zunächst den wiederum unscharfen Begriff „Terrorismus“ in einige für die Arbeit relevante seiner zahlreichen und mitunter unscharfen Facetten. Ferner wird zutreffend dargelegt, dass diese Bedrohung, abseits des dogmatisch weitgehend unumstrittenen präventiven „Gefahrbegriffs“ und neben der „repressiven Straftatenverfolgung“ eine neue Kategorie staatlicher Aktivität, nämlich jene der „Risikoanalyse und -vorsorge“ evolviere und folglich eine staatliche Sicherheitsgewährleistung identifiziere, welche sich in dieser Logik immer weiter ins Vorfeld griffig konturierter Gefahrensituationen bewege und damit hinsichtlich derart überwiegend „amorpher Risiken“ Gefahr laufe, in unverhältnismäßiger Weise in bürgerliche Freiheiten einzugreifen und so letztlich das staatliche „Sicherheitsversprechen“ einseitig zu überdehnen.
Im zweiten Abschnitt der Arbeit, welcher in die Unterabschnitte
- „Die staatliche Verantwortung und die verfassungsrechtlichen Pflichten zur Gewährleistung ‚innerer Sicherheit‘ in der Gegenwart“ und
- „Die praktischen Auswirkungen des neuen Sicherheitsverständnisses am Beispiel von Anwaltschaft und Justiz“
gegliedert ist, geht Walter rechtsdogmatisch der Frage nach der verfassungsrechtlichen Legitimation des „Staates als Sicherheitsgarant“ in diesem Kontext nach und beschäftigt sich mit einigen signifikanten Auswirkungen eines derart evolvierten, vermeintlich „neuen“ Sicherheitsverständnisses für das im Rechtsstaat maßgebliche Verhältnis von Freiheit und Sicherheit zueinander.
Für die Lesbarkeit der stilistisch ansprechenden Arbeit zusätzlich hilfreich sind die die einzelnen Subkapitel abrundenden Fazite.
Die Arbeit endet mit dem Kapitel G und der hierin vorgenommenen Zusammenfassung der Forschungsergebnisse sowie einem abschließenden Ausblick.
Nach diesem kurzen Gliederungsüberblick nun eine kontextuelle Einordnung des Werkes: Die Autorin macht sowohl dogmatisch als auch anhand zahlreicher begleitender Beispiele deutlich, dass es spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 zu einer bedenklichen „Renaissance der Sicherheitsaufgabe im Rechtsstaat“ gekommen sei. Bei dieser Entwicklung, die gerade auch der Intention der „Terroristen“ entspreche, laufe der Rechtsstaat Gefahr, sich im Rahmen einer legislativen Aufrüstungsspirale unter dem Sicherheitsdiktat, einhergehend mit einer Grenzverschiebung an der Demarkationslinie zwischen einer hinreichend personalisierbaren Gefahren- und der amorphen Risikovorsorge zu einem verfassungsrechtlich nicht hinreichend legitimierbaren Präventionsstaat zu entwickeln.
Terrorismus spiele dabei mit dem „entscheidenden psychologischen Aspekt, (nämlich) mit der Angst in der Gesellschaft, welche auch als impulsgebende und einzig durchschlagende Waffe des Terrorismus bezeichnet werden könne.“ Dabei werde die „freiheitlich orientierte Gesellschaft auf einen Schlag gezwungen, sich mit ihrer (unausweichlichen) Verletzlichkeit auseinanderzusetzen.“ Insofern habe der Terror eine „doppelte Wirkung, unmittelbar nehme er Leben, überraschend und zufällig, indirekt verbreite er Angst, die die Gesellschaft lähme.“
Das hierbei relevante theoretische Denkmodell des „Staates als Sicherheitsgarant“ wird dabei von seinen Befürwortern auf drei sich ineinander verschränkenden Ebenen entwickelt:
- Zunächst werde (durchaus zutreffend) eine Veränderung der staatlichen Sicherheitsaufgabe „auf der Ebene ihres rechtlichen und faktischen Umfelds“ detektiert. Der liberale Rechtsstaat sehe sich „in einer verstärkten Konfrontation und Herausforderung hinsichtlich der Bewältigung von bis dato unbekannten Risiken und Gefahren.“
- Der damit verbundene Stellenwert der Sicherheit „reflektiere auf der Ebene des Verfassungsrechts eine Wiederentdeckung der – im liberalen Rechtsstaat verloren gegangenen – rechtlichen Qualität der staatlichen Sicherheitsaufgabe. Dabei soll in Anlehnung an Möstl[3] die „Erschließung der Dimension der grundrechtlichen Schutzpflichten als Basis für ein ‚Grundrecht auf Sicherheit‘ gediehen sein.“
- Durch diese beiden Tendenzen komme es schließlich auf der Ebene des einfachen Rechts zu einem tiefgreifenden Wandlungsprozess des überkommenen Rechts der Sicherheitsgewährleistung – an anderer Stelle spricht die Autorin auch von einem „Wandel der Sicherheitskultur“-, indem auf Gesetzesebene auf neue Gefahren (Risiken) reagiert werde und so die verfassungsrechtliche Qualität der staatlichen Sicherheitsaufgabe neu interpretiert und so der zunehmende Eingriff in die Freiheitsrechte mit einer klaren verfassungsrechtlichen Legitimation ausgestattet werde.
Die Autorin hingegen sieht dieses verfassungsrechtliche Konstrukt „grundrechtlicher Schutzpflichten“ grundsätzlich kritisch, mindestens im Grenzbereich, wenn hinreichend tatsächliche Anhaltspunkte auf eine gefahrenabwehrrechtlich unzweifelhaft anerkannte Gefahrenkategorie fehlen und „das Polizeirecht in ein Risikodenken verfalle“, sogar als unzulässig an. Es fehle dann nämlich außerhalb eines „objektiven Sicherheitsbegriffs“ an einer verfassungsrechtlich eindeutig statuierten Garantenpflicht des Staates zur Gewährleistung „innerer Sicherheit“. Das „Polizeirecht nehme so jedenfalls in Teilen immer mehr die Struktur eines ‚Risikoverwaltungsrechts“ an, in dem der Mensch als der entscheidende Risikofaktor im Fokus stehe.“
Hierzu untersucht die Autorin im zweiten Teil ihrer Arbeit akribisch und mit gut nachvollziehbarer Begründung sowie relativ eindeutigem Ergebnis das supranationale und verfassungsrechtliche Verständnis staatlicher „Gewährleistung innerer Sicherheit“. Hierbei identifiziert sie den bspw. in Art. 3 Abs. 2 EUV, in Art 5 Abs. 1 EMRK und auch in Art. 6 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verorteten institutionellen Sicherheitsbegriff teleologisch eher im Sinne „persönlicher Sicherheit des Menschen vor staatlicher Willkür“, also im Sinne des „Schutzes vor dem Staat“, denn als umfassende Sicherheitsgarantie im Rahmen eines „Schutzes durch den Staat“. Dies könne, hergeleitet aus der protokollierten Diskussion innerhalb des Parlamentarischen Rates (bspw. der 32. Sitzung am 11. Januar 1949), wohl so auch auf das „Sicherheitsverständnis“ des Grundgesetzes übertragen werden. Bis zu diesem Zeitpunkt enthielt das Grundgesetz auch ein positiv-rechtliches „Recht auf Sicherheit“. Das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 GG lautete in seiner ersten Fassung damals: „Jeder hat das Recht auf Leben, auf Freiheit und auf Sicherheit der Person.“ Der Begriff der Sicherheit, der im Rahmen der Diskussion im Parlamentarischen Rat aber einzig auf die grundrechtliche Freiheit reflektierte, wurde denn auch in diesem teleologischen Zusammenhang als nicht zwingend notwendig erachtet und folglich gestrichen.
Ein eigenständiges „Grundrecht auf Sicherheit“ ist also expressis verbis im Grundgesetz nicht statuiert. Es könne nach Inkrafttreten des Grundgesetzes auch nicht quasi vorkonstitutionell angenommen werden. Es sei im Übrigen aber auch nicht zwingend erforderlich. Ebenso wenig klar sei aufgrund der spärlichen expliziten Hinweise auf eine solche die Annahme einer „Staatsaufgabe Sicherheit“ im Grundgesetz. Aber, es bestehe insofern keine Lücke, denn, so der von Walter zitierte Staatsrechtler Christoph Gusy an anderer Stelle, „Sicherheit selbst sei kein Rechtsgut. Sie bezeichne lediglich einen Zustand, in welchem sich Rechtsgüter befinden können, nämlich den Zustand der relativen Abwesenheit von ‚Gefahren’. Ebenso wie das Vorhandensein von Gefahr noch kein Rechtsgut aufhebe, sondern nur bedrohe, vermag auch die Abwesenheit von ‚Gefahr’, also die Sicherheit, noch kein solches zu begründen.“ Eine schöne, weil eingängige Formel mit engem Rechtsgutbezug in diesem Zusammenhang! Schon deshalb, so die Autorin, weil sich „trotz des Schweigens des Grundgesetzes (natürlich) eine Pflicht des Staates, für die Sicherheit seiner Bürger*innen zu sorgen, schon aus dem Gesamtsinn der Verfassung ergebe, vornan aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“
Hingegen lasse sich aus der Verfassung kein allgemeiner und ausdrücklicher Leistungsanspruch der Bürger*innen gegenüber dem Staat, der diesen „verpflichten würde, seine Rechtsgüter tatsächlich und aktiv zu schützen, ableiten.“ Hierzu bedürfe es aber keines „Grundrechtes auf Sicherheit“, welches selbst sein Ideengeber, Josef Isensee (1982), während seines Vortrages vor der Berliner Juristischen Gesellschaft mit der Einschränkung „cum grano salis“ versah. Eine verfassungskonforme Auslegung setzt wiederum an der Bedeutung und der Abwägung zwischen den im Einzelfall betroffenen Rechtsgütern unter strenger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes an.
Ebenso kritisch sieht Walter den durchaus verschiedentlich beschriebenen und diskutierten Ansatz, der an dem rechtsstaatlich bedenklichen „Feindbegriff“ von Carl Schmitt ansetzt und Personen, die „die politische Existenzform der verfassten Gemeinschaft aktiv negieren und die Verfassung des Staates gewaltsam verändern wollen“ außerhalb des Rechts zu stellen gedenkt. Man darf in diesem Zusammenhang beispielhaft nur an die Diskussion rund um einen anlasslosen Präventivgewahrsam von „Gefährdern“ erinnern.
Bedenklich ist für die Autorin auch die Anwendung der Wirkmechanismen der von ihr im Rahmen der „Kopenhagener Schule“ konzeptualisiert eingeführten Theorie der „Securitization“. Hierdurch werde „Sicherheit nicht als objektiver Zustand, sondern als Ergebnis eines sozialen Prozesses“ definiert. Über diese Automatismen könne im titelgebenden Spannungsfeld zwischen wechselseitigem „Sicherheitsverständnis, bürgerlicher Sicherheitserwartung und staatlicher Sicherheitsverheißung“ tatsächliche oder vermeintliche „Verunsicherung und ein (unterstelltes) gesteigertes Bedürfnis nach Sicherheitsgewährleistung zur Grundlage politischen Handelns“ werden. Schon weil „die objektive Gewährleistung von Sicherheit niemals dem (heterogenen und damit unscharfen) subjektiven Sicherheitsbedürfnis nachkommen könne“ (und rechtsdogmatisch auch gar nicht dürfe!), seien unzureichend evidenzbasierte kriminalpolitische Reflexe nicht nur gefährlich, der Staat laufe dabei vielmehr Gefahr, im Kontext unüberlegter „securitizing speech acts (…) besondere Rechte zur Lösung des Problems einzufordern, die er derart meist selbst definiert“ habe.
Letztlich, so das Ergebnis der prägnanten, dennoch oder vielleicht schon deshalb sehr lesenswerten Studie, sei verfassungsrechtlich die „Sicherheit immer nur im Kontext der Freiheitsrechte“ angelegt. Insofern spiegele „das Grundgesetz selbst in Wortlaut und Struktur die Intention der Verfassungsgeber wider und verzichte als liberal orientierter demokratischer Rechtsstaat bewusst auf eine ausdrückliche exponierte Stellung des Staates als Sicherheitsgarant.“ Insofern müsse angesichts terroristischer Bedrohung Gesetzgebung rational und evidenzbasiert sehr genau abgewogen werden, schon um die Gefahr einer durch den Terrorismus indirekt intendierten „Erosion des Rechtsstaates durch die eigene Hand“ zu vermeiden.
Es handelt sich zwar um eine rechtsdogmatische Arbeit, der man aber schon wegen des (rechts-)philosophischen und gesellschaftspolitisch bedeutsamen Themas sowie des notwendigen, facetten- und konturenreichen Diskurses rund um die beiden Pole Freiheit und Sicherheit, zudem auch wegen der Interdisziplinarität des Ansatzes wie auch des ansprechenden Stils der Autorin eine breite Leserschaft über den juristischen und engeren Verwaltungskontext hinaus wünscht. Zudem kommt die Arbeit passenderweise unmittelbar vor dem 70ten Geburtstag des Inkrafttretens unseres Grundgesetzes auf dem Markt!
Fazit:
Das Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit wird in unterschiedlichen Kontexten nicht erst seit den Anschlägen in New York und Washington des Jahres 2001 zunehmend intensiver diskutiert. Das Verhältnis dieser beiden natürlichen Endpunkte des rechtsstaatlichen Kontinuums zueinander wird dabei je nach Anlass unterschiedlich ausdifferenziert. Der gesamtgesellschaftliche Kontext ist dabei der Impetus, der das Pendel unterschiedlich stark zu rechten Zeit in Richtung Freiheit, im Moment intensiver in Richtung Sicherheit beschleunigt. Der Autorin gelingt es überzeugend, dieses bedeutsame Thema in interdisziplinärer Anlage, präventiv wie auch repressiv, prägnant und stilistisch ansprechend zu entwickeln. Sie leitet, häufig mit eingängigen Metaphern geschmückt, sehr einprägsam verfassungsrechtliche Grundprinzipien her und räumt dabei geschickt mitunter zu einfache kriminalpolitische Rechtfertigungsformeln aus dem Weg. Anschließend konzeptualisiert sie diese Vorgehensweise kriminalpolitisch durchaus passend mit dem grds. einfachen theoretischen Ansatz der „securitization“, der „Kopenhagener Schule“ entstammend. Somit weist sie insgesamt recht überzeugend auf implizite Risiken für das gesamtgesellschaftliche Wohlergehen in Zeiten terroristischer Bedrohung hin. Sie definiert zudem mit dem simplen „tripolaren Modell“ (identifizierbarer Gefahrenverursacher vs. identifizierbares Rechtsgut und Rechtsgutträger – hier dürfe, je nach Bedeutung des Rechtsgut müsse der Staat sogar – als Dritter in diesem Modell – mit Blick auf diese Gefahrensituation tätig werden) zudem einen verfassungsrechtlich plausiblen Ansatz, das Dilemma einer legislativen Aufrüstungsspirale in „bipolarer Orientierung“ (Gefahr und Gefahrenverursacher noch gar nicht sicher identifizierbar – Rechtsgutverletzung dennoch grds. vorstellbar) theoretisch zu vermeiden und begrenzt damit evidenzbasiert den vollzugsbehördlichen Handlungsrahmen im „Gefahrenvorfeld“ und somit auch die Reichweite von im Ausnahmefall gerechtfertigten Informationserhebungseingriffen. Dies alles steht stets unter der einleitend von der Autorin herausgearbeiteten Prämisse, es gehe bei dem „Maß der Sicherheitsgewährleistung eigentlich nicht um eine ‚Balance‘ zwischen Freiheit und Sicherheit, weil eine solche nicht existiere. (Vielmehr) sei die Freiheit in einem liberalen Rechtsstaat absolut und dürfe nur im begründeten Ausnahmefall durch Eingriffe des Staates eingeschränkt werden, wobei die Beweislast hierfür immer alleine beim Staat liege.“
Diese Aussage ist für einen Rechtsstaat wie den unsrigen genauso bedeutsam wie richtig, bedarf jedoch angesichts der Auswirkungen der Digitalisierung und der inzwischen kolossalen Marktmacht großer Internetkonzerne auch noch einer datenschutzrechtlichen Ergänzung außerhalb des „hoheitlichen Spektrums“. Dieses im Rahmen der thematisch eng eingegrenzten Arbeit der Autorin nicht behandelte jüngere verfassungsrechtliche Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit hat der ehemalige Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) sehr treffend in einem Gastbeitrag mit dem Titel „Außer Kontrolle“ für die Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 10.04.2017 umrissen. Seine Kernaussagen sind hierbei, der „natürliche Gefährder informationeller Selbstbestimmung des Bürgers, nämlich der Staat, sei längst gebändigt“, wobei er andererseits aber nachvollziehbar akklamiert (!), „der Bürger müsse inzwischen durch den Staat stärker in seinen Datenschutzrechten gegenüber der Wirtschaft geschützt werden“. Dies könne durchaus, ja müsse sogar im Rahmen der Drittwirkung der Grundrechte und einer derart vorhandenen objektiven Wertordnung realisiert werden. Das wäre über die seitdem verbindlich in nationales Recht umgesetzte Europäische Datenschutzgrundverordnung hinaus wiederum eine sehr interessante eigenständige Untersuchung in Anknüpfung der hier besprochenen und sehr ansehnlichen Forschungsarbeit von Frau Walter.
[1] Dr. iur. Tasia Tamara Walter ist Leiterin der gemeinsam vom Caritasverband für die Diözese Limburg e. V. und der Diakonie in Hessen im Jahr 2012 eingerichteten Ombudsstelle für Kinder- und Jugendrechte in Hessen e. V. Vor dieser Tätigkeit war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Lehrstuhl von Prof. Dr. Franz Reimer am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Rechtstheorie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen.
[2] Vgl. Verlags-Website zum diesem Band. Inhaltsverzeichnis nicht über die Verlags-Website oder die DNB sondern leider nur über Google Books im Netz einsehbar.
[3] Vgl. Monographie I.2, S. 18, im Schriftenverzeichnis des Zitierten.
Rezensiert von: Holger Plank