Tasia Tamara Walter – Der Staat als Sicherheitsgarant? – Rezensiert von: Holger Plank

Walter, Tasia Tamara Dr. [1]; Der Staat als Sicherheitsgarant?; Sicherheitsverständnisse, Sicherheitserwartungen und Sicherheitsverheißungen des Staates im Umgang mit neuen terroristischen Bedrohungslagen des 21. Jahrhunderts[2]; (ISBN: 978-3-8288-4083-6, 134 Seiten, Nomos Verlag (in Gemeinschaft mit Brockhaus / Commission Tectum), Baden-Baden, 2019, 34.- €)

Das Buch, zugleich im Jahr 2017 von der Juristischen Fakultät der Universität Gießen angenommene Dissertation der Verfasserin, widmet sich in sehr inte­ressanter interdisziplinär historischer / soziologischer / rechts­wis­sen­schaftlich-dog­ma­tischer Anlage dem angesichts zunehmend amorpher gesell­schaftlicher Ri­si­ken / ter­roristischer Bedroh­ungen immer bedeutsamer wer­denden Spannungs­feld zwi­schen den beiden Polen Freiheit und Sicherheit in modernen rechts­staatlich-demo­kratischen Gesell­schaften. Dabei geht die Autorin auch der insbe­sondere von namhaften Innen­politikern jüngst immer wieder aufgestellten Be­haup­tung nach, das Grundgesetz enthalte implizit ein „Grundrecht auf Sicher­heit“, welches in praktisch kon­kordanter Auslegung weitreichende Eingriffe in subjektive Frei­heitsrechte rechtfertige. Verstärkt werde diese Aussage zudem von einer in der Literatur mitunter beschriebenen For­derung, „Sicherheit sei ein Menschenrecht“ bzw. – sogar noch weitreichender – man dürfe jedenfalls in mo­dernen rechtsstaatlichen Demokratien u. U. sogar von einem „Recht auf Freiheit von Furcht“ aus­gehen, womit – in der Rechtswissenschaft jedoch höchst um­stritten – das „subjektive Sicherheitsgefühl bzw. -empfinden“ de lege ferenda zum Gegenstand der „Normgenese“ werden würde.

Das Buch ist in zwei Abschnitte gegliedert. Im ersten Abschnitt, nach einer kurzen Einleitung (A), gegliedert in die Unterabschnitte

  1. „Sicherheitsverständnisse in ihrer historischen und staatstheoretischen Entwicklung“
  2. „Sicherheitsverständnisse im Wandel des 21. Jahrhunderts“ und
  3. „Sicherheitsbedürfnisse und Sicherheitserwartungen im Wandel als Folge neuer terroristischer Bedrohungslagen? Ein Überblick mit poli­tischen und philosophischen Ansätzen“

wird zunächst der staatspolitische Bedeutungsgehalt der Sicherheit prägnant, den­noch sehr pointiert in seiner historischen und rechtsphilosophischen Ent­wicklung aufbereitet. Walter beginnt dabei mit linguistisch-etymologischen Anleihen hin­sichtlich des lat. Wort­stammes „se­curitas“ und seiner durchaus recht unter­schiedlichen seman­tischen Aufladung über die Jahrtausende seit Epikur über Ci­cero und Lukrez bis hin zu Nero und der späteren Verankerung des Begriffs im zivilrechtlichen Kontext.

Sie folgt dem Begriff weiter über seine signifikante Bedeutung in mit­telalterlichen „Schutz­gemeinschaften“ bis hin zum „Ewigen Landfrieden“ des Jahres 1495, in dessen Folge sich die Auslegung von „Sicherheit“ allmählich über ein frühes Ver­ständnis eines vorstaatlichen „Gewaltmonopols“ fortentwickelt. Schließlich legt die Autorin fortfolgend sehr ansprechend die staatstheoretische Genese eines Ge­waltmonopols über Jean Bodin („Les six livres de la Répubique“ von 1576), Thomas Hobbes („De cive“, 1642 und „Leviathan“, 1651) staatsphilosophische Begründung der Legitimation souveräner Staatsgewalt und des bürgerlichen Gewaltverzichts zugunsten alleiniger staatlicher Sicherheits­gewährleistung hin zu John Lockes Fortentwicklung der Hobbe‘schen Ideen zu einer umfassenderen „Freiheits­phi­losophie“ („Two Treatises of Government“, ab 1690) mit dem un­serem liberalen Verfassungsverständnis bereits sehr ähnlichen Ziel einer „Ge­samt­­ordnung größtmöglicher und gleichberechtigter Freiheit des Einzelnen bei notwendiger Sicherheit aller“. Die staatstheoretische Philosophie von John Locke, so Walter, befruchtete in der Folge weitere namhafte staats­philosophische Überlegungen von Jean-Jacques Rousseau über Immanuel Kant bis hin zu Max Weber in deren Ziel, rechtsinstitutionelle Vorkehrungen zum Schutz der Bürger vor dem Staat und zur Sicherung ihrer Freiheiten und letztlich auch soziale Sicherheit zu definieren.

In dieser Entwicklung bis in die Moderne sei Sicherheit ein „Begriffs-Cha­mä­leon“ geblieben. Es werde auch im aktuellen Verständnis als „Gemeinwohlgut“ noch höchst unter­schiedlich ausgelegt und in unterschied­lichsten Facetten (nicht nur in die Grund­kategorien „subjektive“ und „objektive“ Sicherheit sondern viel weitreichender in „physische“, „soziale“, „ökonomische“, „ökologische“ und letzt­lich in die „Rechts­sicherheit“) subjek­tiviert werde. Letztlich schaffen kon­turenarme Neo­logismen, wie der auf die IMK zurück­gehende unscharfe Begriff „innere Sicherheit“, in diesem Zusammenhang eher Un­sicherheit, sowohl hin­sicht­lich seiner allgemeinen Reichweite als auch in Bezug auf die diesbezüglichen impliziten Sicherheitserwartungen der Bevölkerung und die mutmaßlich darauf gründenden „Sicher­heitsverheißungen“ der Politik.

Auf dieser sehr soliden Ausgangsbasis spürt Walter anschließend dem Verhältnis von Sicherheit und Freiheit im Kontext der Terrorismusbekämpfung nach. Hierzu zerlegt sie zunächst den wiederum unscharfen Begriff „Terrorismus“ in einige für die Arbeit relevante seiner zahlreichen und mitunter unscharfen Fa­cetten. Ferner wird zutreffend dargelegt, dass diese Bedrohung, abseits des dog­matisch weitgehend unum­strit­tenen präventiven „Gefahrbegriffs“ und neben der „repressiven Strafta­ten­verfolgung“ eine neue Kategorie staatlicher Aktivität, näm­lich jene der „Risi­koanalyse und -vorsorge“ evolviere und folglich eine staat­liche Sicherheits­ge­währ­leistung identifiziere, welche sich in dieser Logik immer weiter ins Vorfeld griffig konturierter Gefah­rensituationen bewege und damit hinsichtlich derart überwiegend „amorpher Risiken“ Gefahr laufe, in unverhältnismäßiger Weise in bürgerliche Freiheiten einzugreifen und so letztlich das staatliche „Sicher­heitsversprechen“ einseitig zu überdehnen.

Im zweiten Abschnitt der Arbeit, welcher in die Unterabschnitte

  1. „Die staatliche Verantwortung und die verfassungsrechtlichen Pflichten zur Gewährleistung ‚innerer Sicherheit‘ in der Gegenwart“ und
  2. „Die praktischen Auswirkungen des neuen Sicherheitsverständnisses am Beispiel von Anwaltschaft und Justiz“

gegliedert ist, geht Walter rechtsdogmatisch der Frage nach der verfas­sungs­rechtlichen Legitimation des „Staates als Sicherheitsgarant“ in diesem Kontext nach und beschäftigt sich mit einigen signifikanten Auswirkungen eines derart evolvierten, vermeintlich „neuen“ Sicherheitsverständnisses für das im Rechts­staat maß­gebliche Verhältnis von Freiheit und Sicherheit zueinander.

Für die Lesbarkeit der stilistisch ansprechenden Arbeit zusätzlich hilfreich sind die die einzelnen Subkapitel abrundenden Fazite.

Die Arbeit endet mit dem Kapitel G und der hierin vorgenommenen Zusammen­fassung der Forschungsergebnisse sowie einem abschließenden Ausblick.

Nach diesem kurzen Gliederungsüberblick nun eine kontextuelle Einordnung des Werkes: Die Autorin macht sowohl dogmatisch als auch anhand zahlreicher begleitender Beispiele deutlich, dass es spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 zu einer bedenklichen „Renaissance der Sicherheitsaufgabe im Rechts­staat“ ge­kommen sei. Bei dieser Entwicklung, die gerade auch der Intention der „Ter­roristen“ entspreche, laufe der Rechtsstaat Gefahr, sich im Rahmen einer legis­lativen Aufrüstungsspirale unter dem Sicherheitsdiktat, ein­hergehend mit einer Grenz­verschiebung an der Demarkationslinie zwischen einer hinreichend persona­lisierbaren Gefahren- und der amorphen Risikovorsorge zu einem verfas­sungsrechtlich nicht hinreichend legitimierbaren Präventionsstaat zu ent­wickeln.

Terrorismus spiele dabei mit dem „entscheidenden psychologischen Aspekt, (nämlich) mit der Angst in der Gesellschaft, welche auch als im­puls­gebende und einzig durchschlagende Waffe des Terrorismus bezeichnet werden könne.“ Dabei werde die „freiheitlich orientierte Gesellschaft auf einen Schlag gezwungen, sich mit ihrer (unausweichlichen) Verletzlichkeit aus­einander­zusetzen.“ Insofern habe der Terror eine „doppelte Wirkung, unmittelbar nehme er Leben, überraschend und zufällig, indirekt verbreite er Angst, die die Gesell­schaft lähme.“

Das hierbei relevante theoretische Denkmodell des „Staates als Sicher­heits­garant“ wird dabei von seinen Befürwortern auf drei sich ineinander ver­schränkenden Ebenen entwickelt:

  1. Zunächst werde (durchaus zutreffend) eine Veränderung der staatlichen Si­cherheitsaufgabe „auf der Ebene ihres rechtlichen und faktischen Umfelds“ detektiert. Der liberale Rechtsstaat sehe sich „in einer verstärkten Konfrontation und Herausforderung hinsichtlich der Bewältigung von bis dato unbekannten Ri­siken und Gefahren.“
  2. Der damit verbundene Stellenwert der Sicherheit „reflektiere auf der Ebene des Verfassungsrechts eine Wiederentdeckung der – im liberalen Rechts­staat verloren gegangenen – rechtlichen Qualität der staatlichen Sicher­heits­aufgabe. Dabei soll in Anlehnung an Möstl[3] die „Erschließung der Dimension der grundrechtlichen Schutzpflichten als Basis für ein ‚Grund­recht auf Sicherheit‘ gediehen sein.“
  3. Durch diese beiden Tendenzen komme es schließlich auf der Ebene des einfachen Rechts zu einem tiefgreifenden Wandlungsprozess des über­kommenen Rechts der Sicherheitsgewährleistung – an anderer Stelle spricht die Autorin auch von einem „Wandel der Sicherheitskultur“-, indem auf Gesetzesebene auf neue Gefahren (Risiken) reagiert werde und so die verfassungsrechtliche Qualität der staatlichen Sicherheitsaufgabe neu interpretiert und so der zunehmende Eingriff in die Freiheitsrechte mit einer klaren verfassungsrechtlichen Legitimation ausgestattet werde.

Die Autorin hingegen sieht dieses verfassungsrechtliche Konstrukt „grund­recht­licher Schutzpflichten“ grundsätzlich kritisch, mindestens im Grenz­bereich, wenn hinreichend tatsächliche Anhaltspunkte auf eine gefahren­abwehrrechtlich unzweifelhaft an­erkannte Gefahrenkategorie fehlen und „das Polizeirecht in ein Risikodenken verfalle“, sogar als unzulässig an. Es fehle dann nämlich außerhalb eines „objektiven Si­cherheits­begriffs“ an einer verfassungsrechtlich eindeutig statuierten Ga­ranten­pflicht des Staates zur Gewährleistung „innerer Sicherheit“. Das „Polizeirecht nehme so jedenfalls in Teilen immer mehr die Struktur eines ‚Risiko­verwaltungs­rechts“ an, in dem der Mensch als der entscheidende Risiko­faktor im Fokus stehe.“

Hierzu untersucht die Autorin im zweiten Teil ihrer Arbeit akribisch und mit gut nachvollziehbarer Begründung sowie relativ eindeutigem Ergebnis das supra­nationale und verfassungsrechtliche Verständnis staatlicher „Gewähr­leistung in­nerer Sicherheit“. Hierbei identifiziert sie den bspw. in Art. 3 Abs. 2 EUV, in Art 5 Abs. 1 EMRK und auch in Art. 6 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verorteten institutionellen Sicherheitsbegriff tele­ologisch eher im Sinne „persönlicher Sicherheit des Menschen vor staatlicher Willkür“, also im Sinne des „Schutzes vor dem Staat“, denn als umfassende Sicherheitsgarantie im Rahmen eines „Schutzes durch den Staat“. Dies könne, hergeleitet aus der protokollierten Diskussion innerhalb des Parlamentarischen Rates (bspw. der 32. Sitzung am 11. Januar 1949), wohl so auch auf das „Sicherheitsverständnis“ des Grundgesetzes übertragen werden. Bis zu diesem Zeitpunkt enthielt das Grundgesetz auch ein positiv-rechtliches „Recht auf Sicherheit“. Das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 GG lautete in seiner ersten Fassung damals: „Jeder hat das Recht auf Leben, auf Freiheit und auf Sicherheit der Person.“ Der Begriff der Sicherheit, der im Rahmen der Diskussion im Parlamentarischen Rat aber einzig auf die grund­rechtliche Freiheit reflektierte, wurde denn auch in diesem teleologischen Zusam­menhang als nicht zwingend not­wendig erachtet und folglich gestrichen.

Ein eigenständiges „Grundrecht auf Sicherheit“ ist also expressis verbis im Grundgesetz nicht statuiert. Es könne nach Inkrafttreten des Grundgesetzes auch nicht quasi vorkonstitutionell angenommen werden. Es sei im Übrigen aber auch nicht zwingend erforderlich. Ebenso wenig klar sei aufgrund der spärlichen ex­pliziten Hinweise auf eine solche die Annahme einer „Staatsaufgabe Sicherheit“ im Grundgesetz. Aber, es bestehe insofern keine Lücke, denn, so der von Walter zitierte Staats­rechtler Christoph Gusy an anderer Stelle, „Sicherheit selbst sei kein Rechtsgut. Sie bezeichne lediglich einen Zustand, in welchem sich Rechtsgüter befinden können, nämlich den Zustand der relativen Abwesenheit von ‚Gefah­ren’. Ebenso wie das Vorhandensein von Gefahr noch kein Rechtsgut aufhebe, sondern nur bedrohe, vermag auch die Abwesenheit von ‚Gefahr’, also die Si­cherheit, noch kein solches zu begründen.“ Eine schöne, weil eingängige Formel mit engem Rechtsgutbezug in diesem Zusammenhang! Schon deshalb, so die Autorin, weil sich „trotz des Schweigens des Grundgesetzes (natürlich) eine Pflicht des Staates, für die Sicherheit seiner Bürger*innen zu sorgen, schon aus dem Ge­samtsinn der Verfassung ergebe, vornan aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“

Hingegen lasse sich aus der Verfassung kein allgemeiner und ausdrücklicher Leistungsanspruch der Bürger*innen gegenüber dem Staat, der diesen „ver­pflichten würde, seine Rechtsgüter tatsächlich und aktiv zu schützen, ableiten.“ Hierzu bedürfe es aber keines „Grundrechtes auf Sicherheit“, welches selbst sein Ideengeber, Josef Isensee (1982), während seines Vortrages vor der Berliner Ju­ristischen Gesell­schaft mit der Einschränkung „cum grano salis“ versah. Eine ver­fassungs­konforme Auslegung setzt wiederum an der Bedeutung und der Ab­wägung zwischen den im Einzelfall betroffenen Rechtsgütern unter strenger Beachtung des Ver­hältnismäßigkeitsgrundsatzes an.

Ebenso kritisch sieht Walter den durchaus verschiedentlich beschriebenen und diskutierten Ansatz, der an dem rechtsstaatlich bedenklichen  „Feindbegriff“ von Carl Schmitt ansetzt und Personen, die „die politische Existenzform der ver­fassten Gemeinschaft aktiv negieren und die Verfassung des Staates ge­waltsam verändern wollen“ außerhalb des Rechts zu stellen gedenkt. Man darf in diesem Zusammenhang beispielhaft nur an die Diskussion rund um einen anlasslosen Präventivgewahrsam von „Gefährdern“ erinnern.

Bedenklich ist für die Autorin auch die Anwendung der Wirkmechanismen der von ihr im Rahmen der „Kopenhagener Schule“ konzeptualisiert eingeführten Theorie der „Securitization“. Hierdurch werde „Sicherheit nicht als objektiver Zustand, sondern als Ergebnis eines sozialen Prozesses“ definiert. Über diese Au­tomatismen könne im titelgebenden Spannungsfeld zwischen wechselseitigem „Si­cherheits­ver­ständnis, bürgerlicher Sicherheitserwartung und staatlicher Si­cherheitsverheißung“ tatsächliche oder vermeintliche „Verunsicherung und ein (unterstelltes) gesteigertes Bedürfnis nach Sicherheitsgewährleistung zur Grund­lage politischen Handelns“ werden. Schon weil „die objektive Gewährleistung von Sicherheit niemals dem (heterogenen und damit unscharfen) subjektiven Sicherheitsbedürfnis nachkommen könne“ (und rechtsdogmatisch auch gar nicht dürfe!), seien unzureichend evidenzbasierte kriminalpolitische Reflexe nicht nur gefährlich, der Staat laufe dabei vielmehr Gefahr, im Kontext unüberlegter „se­curitizing speech acts (…) besondere Rechte zur Lösung des Problems einzu­fordern, die er derart meist selbst definiert“ habe.

Letztlich, so das Ergebnis der prägnanten, dennoch oder vielleicht schon deshalb sehr lesenswerten Studie, sei verfassungsrechtlich die „Sicherheit immer nur im Kontext der Freiheitsrechte“ angelegt. Insofern spiegele „das Grundgesetz selbst in Wortlaut und Struktur die Intention der Verfassungsgeber wider und verzichte als liberal orientierter demokratischer Rechtsstaat bewusst auf eine ausdrückliche exponierte Stellung des Staates als Sicherheitsgarant.“ Insofern müsse angesichts terroristischer Bedrohung Gesetzgebung rational und evidenzbasiert sehr genau abgewogen werden, schon um die Gefahr einer durch den Terrorismus indirekt intendierten „Erosion des Rechtsstaates durch die eigene Hand“ zu vermeiden.

Es handelt sich zwar um eine rechtsdogmatische Arbeit, der man aber schon wegen des (rechts-)philosophischen und gesellschaftspolitisch bedeutsamen Themas sowie des notwendigen, facetten- und konturenreichen Diskurses rund um die beiden Pole Freiheit und Sicherheit, zudem auch wegen der Inter­disziplinarität des Ansatzes wie auch des ansprechenden Stils der Autorin eine breite Leserschaft über den juristischen und  engeren Verwaltungskontext hinaus wünscht. Zudem kommt die Arbeit passenderweise unmittelbar vor dem 70ten Geburtstag des Inkrafttretens unseres Grundgesetzes auf dem Markt!

Fazit:

Das Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit wird in unterschiedlichen Kontexten nicht erst seit den Anschlägen in New York und Washington des Jahres 2001 zunehmend intensiver diskutiert. Das Verhältnis dieser beiden natürlichen Endpunkte des rechtsstaatlichen Kontinuums zueinander wird dabei je nach Anlass unterschiedlich ausdifferenziert. Der gesamtgesellschaftliche Kontext ist dabei der Impetus, der das Pendel unterschiedlich stark zu rechten Zeit in Richtung Freiheit, im Moment intensiver in Richtung Sicherheit beschleunigt.  Der Autorin gelingt es überzeugend, dieses bedeutsame Thema in inter­diszi­plinärer Anlage, präventiv wie auch repressiv, prägnant und stilistisch an­sprechend zu entwickeln. Sie leitet, häufig mit eingängigen Metaphern ge­schmückt, sehr einprägsam verfas­sungsrechtliche Grundprinzipien her und räumt dabei geschickt mitunter zu einfache kriminalpolitische Recht­fertigungsformeln aus dem Weg. Anschließend konzep­tualisiert sie diese Vorgehensweise krimi­nalpolitisch durchaus pas­send mit dem grds. einfachen theoretischen Ansatz der „securitization“, der „Ko­pen­hagener Schule“ entstammend. Somit weist sie insgesamt recht überzeugend auf implizite Risiken für das gesamtge­sell­schaftliche Wohl­ergehen in Zeiten terroristischer Be­droh­ung hin. Sie definiert zudem mit dem simplen „tripolaren Modell“ (identifizierbarer Gefahren­ver­ursacher vs. identifizierbares Rechtsgut und Rechtsgutträger – hier dürfe, je nach Bedeutung des Rechtsgut müsse der Staat sogar – als Dritter in diesem Modell – mit Blick auf diese Gefahrensituation tätig werden) zudem einen ver­fassungs­rechtlich plausiblen Ansatz, das Dilemma einer legislativen Auf­rüs­tungsspirale in „bipolarer Orientierung“ (Gefahr und Gefahrenverursacher noch gar nicht sicher identifizierbar – Rechtsgutverletzung dennoch grds. vorstellbar) theoretisch zu vermeiden und begrenzt damit evidenzbasiert den voll­zugs­behördlichen Hand­lungs­rahmen im „Gefahren­vorfeld“ und somit auch die Reich­weite von im Ausnahmefall gerecht­fertigten Informations­erhebungs­eingriffen. Dies alles steht stets unter der einleitend von der Autorin heraus­gearbeiteten Prämisse, es gehe bei dem „Maß der Sicherheits­gewährleistung eigentlich nicht um eine ‚Balance‘ zwischen Freiheit und Sicherheit, weil eine solche nicht existiere. (Vielmehr) sei die Freiheit in einem liberalen Rechtsstaat absolut und dürfe nur im begründeten Ausnahmefall durch Eingriffe des Staates eingeschränkt werden, wobei die Beweislast hierfür immer alleine beim Staat liege.“

Diese Aussage ist für einen Rechtsstaat wie den unsrigen genauso bedeutsam wie richtig, bedarf jedoch angesichts der Auswirkungen der Digitalisierung und der inzwischen kolossalen Marktmacht großer Internetkonzerne auch noch einer daten­­schutzrechtlichen Ergänzung außerhalb des „hoheitlichen Spektrums“. Die­ses im Rahmen der thematisch eng eingegrenzten Arbeit der Autorin nicht behandelte jüngere verfassungsrechtliche Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit hat der ehemalige Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) sehr treffend in einem Gastbeitrag mit dem Titel „Außer Kontrolle“ für die Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 10.04.2017 umrissen. Seine Kernaussagen sind hierbei, der „natürliche Gefährder informationeller Selbstbestimmung des Bür­gers, nämlich der Staat, sei längst gebändigt“, wobei er andererseits aber nach­vollziehbar akklamiert (!), „der Bürger müsse inzwischen durch den Staat stärker in seinen Datenschutz­rechten gegenüber der Wirt­schaft ge­schützt werden“. Dies könne durchaus, ja müsse sogar im Rahmen der Drittwirkung der Grundrechte und einer derart vorhandenen objektiven Wertordnung realisiert werden. Das wäre über die seitdem verbindlich in nationales Recht umgesetzte Europäische Datenschutzgrundverordnung hinaus wiederum eine sehr interessante eigen­ständige Untersuchung in Anknüpfung der hier besprochenen und sehr an­sehnlichen Forschungsarbeit von Frau Walter.

[1] Dr. iur. Tasia Tamara Walter ist Leiterin der gemeinsam vom Caritasverband für die Diözese Limburg e. V. und der Diakonie in Hessen im Jahr 2012 einge­richteten Ombudsstelle für Kinder- und Ju­gendrechte in Hessen e. V. Vor dieser Tätigkeit war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Lehrstuhl von Prof. Dr.  Franz Reimer am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Rechtstheorie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen.

[2] Vgl. Verlags-Website zum diesem Band. Inhaltsverzeichnis nicht über die Verlags-Website oder die DNB sondern leider nur über Google Books im Netz einsehbar.

[3] Vgl. Monographie I.2, S. 18, im Schrif­tenverzeichnis des Zitierten.

Rezensiert von: Holger Plank