Kulhanek, Tobias Dr. ; Ortsfremdheit von Beschuldigten im Strafverfahren; (ISBN: 978-3-428-15721-1 , 385 Seiten, Duncker & Humblot Verlag, Berlin, 2019, 99,90.- €)
Das Buch, zugleich eine im Jahr 2018 von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg angenommene Dissertation des Verfassers, widmet sich dem deutschen Umgang mit sprach- und ortsfremden Beschuldigten im Lichte des unionsrechtlichen Diskriminierungsverbots (Art. 18 AEUV) und damit einem immer bedeutsamer werdenden Spannungsfeldes.
Die Aktualität des Themas zeigt sich nicht lediglich anhand der vermehrten obergerichtlichen Rechtsprechung zu dem Thema, sondern auch daran, dass der Gesetzgeber zumindest für internationale Handelssachen von dem Rechtssatz: „Die Gerichtssprache ist deutsch.“ (§ 184 GVG), Abstand nehmen möchte.[1]
Der Autor behandelt in seinem Werk den Umgang mit sprach- und ortsfremden Beschuldigten im Strafverfahren und beschäftigt sich hier mit dem gesamten strafprozessualen Verfahren. Beleuchtet werden von dem ersten Kontakt der Strafverfolgungsbehörden mit dem Tatverdächtigen, über den Abschluss des Ermittlungsverfahrens, die Durchführung der Hauptverhandlung, den Akt der Strafzumessung und Rechtsfolgenbestimmung, bis hin zur Vollstreckung, alle Verfahrensschritte. Besondere Bedeutung wird in der gesamten Arbeit der Ausstrahlungswirkung des Art. 18 AEUV geschenkt.
Das Werk ist in eine Einleitung und fünf Hauptkapitel untergliedert und trennt strickt die Ortsfremdheit von der Sprachfremdheit des Beschuldigten. Dies ergibt sich vor allem daraus, dass bei dem Umgang mit den ortsfremden Beschuldigten ein Schwerpunkt auf das Institut der strafprozessualen Zustellungsvollmacht gelegt wird.
Die Aktualität und die Bedeutung des Themas stellt der Verfasser bereits in der Einleitung, durch den vermehrten Einsatz von Dolmetschern an bayrischen Landgerichten, dar; so waren 2016 in 36,2 % der landgerichtlichen Strafverfahren Dolmetscher eingesetzt.
Im ersten Hauptkapitel geht der Verfasser auf § 184 GVG ein; stellt die Geschichte, Entwicklung und den Sinn und Zweck der deutschen Gerichtssprache dar und geht sodann auf die gesetzlich vorgeschriebene Kompensation sprachbedingter Nachteile ein. Es folgt eine umfassende und erschöpfende Auswertung der gesetzlichen Grundlagen nebst einer Vorstellung der nationalen und europäischen Rechtsprechung zu dem Thema. Schwerpunktmäßig wird vor allem der Einsatz eines Dolmetschers, sowie die Übersetzung von Akten und Schriftstücken thematisiert. Überdies wird die Qualität, sowie die Überprüfbarkeit der Übersetzung behandelt.
Im zweiten Kapitel behandelt der Autor die Ortsfremdheit des Beschuldigten. Hier wird – praxisnah – der Schwerpunkt auf die Zustellungen sowie auf die Anordnung von Untersuchungshaft gelegt. Auf das Institut der strafprozessualen Zustellungsvollmacht geht der Verfasser vertieft ein und erläutert hier neben den rechtlichen Grundlagen, die einzelnen Konstellationen, bei denen eine strafprozessualen Zustellungsvollmacht greift. Etwas kürzer fällt sodann die Zustellung im Ausland, sowie die öffentliche Zustellung aus. Die Anordnung der Untersuchungshaft wird ausführlich behandelt; hier legt der Autor einen Schwerpunkt auf die Fluchtgefahr und begründet schlüssig, dass über diese im Einzelfall zu entscheiden ist; die freiwillige Erteilung einer Zustellungs- und Ladungsvollmacht jedoch zum Ausdruck bringt, dass man sich dem Verfahren stellen möchte.
Im darauffolgenden Kapitel werden die Folgen der Tat für sprach- und ortsfremde Beschuldigte besprochen. Neben den Strafzumessungsgründen, die – wie der Autor belegt – ebenfalls durch die Sprach- und Ortsfremdheit beeinflusst werden können, wird zum anderen die Strafempfindlichkeit thematisiert. Überdies werden mögliche aufenthaltsrechtliche Konsequenzen dargestellt, sodann wird konträr diskutiert, ob und wie diese bei der Strafzumessung behandelt werden können. Im Ergebnis schließt sich hier der Autor der höchstrichterlichen Rechtsprechung an, die die aufenthaltsrechtliche Konsequenz zumindest nicht als bestimmendes Strafzumessungskriterium ansieht.[2] Das folgende Unterkapitel befasst sich sodann mit dem Strafvollzug als solchem und stellt hier vor allem die Schwierigkeiten, die sich aus der Sprach- und Ortsfremdheit, aber auch aus der damit teilweise zusammenhängenden kulturellen und religiösen Fremdheit ergeben, dar.
Im vorletzten und letzten Kapitel stellt der Autor zunächst die Regelung des Art. 18 AEUV dar und schließt sodann den Kreis, indem er die im gesamten Werk aufgeworfenen Fragestellungen einer Prüfung anhand von Art. 18 AEUV unterzieht. Insgesamt kann das gesamte Werk – insbesondere aber auch diese beiden Kapitel – durch die klare Strukturierung und den Tiefgang, mit dem die unterschiedlichen Probleme, sowie die nationale und europäische Rechtsprechung ausgewertet wurde, überzeugen. Hierdurch gelingt es dem Autor, in souveräner und verständlicher Weise darzulegen, dass die aktuelle Gesetzeslage und die gängige Gerichtspraxis in Deutschland das Antidiskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV nicht verletzt.
Das Buch kann jedem Strafjuristen, aber auch jedem Kriminologen ans Herz gelegt werden; trotz seiner starken dogmatischen Ausprägung, sensibilisiert das Werk in vielen – auch kriminologischen – Bereichen, die ansonsten in der Praxis teilweise übersehen werden könnten und somit unberücksichtigt bleiben würden.
[1] BR Drucks 53/18.
[2] BGH 26.10.2017 – 4 StR 259/17.
Rezensiert von: Leif Artkämper