Frank Nobis – Strafverteidigung vor dem Amtsgericht – mit Strafbefehlsverfahren, beschleunigtem Verfahren und Ordnungswidrigkeitenverfahren – Rezensiert von: Holger Plank

Nobis, Frank[1]; Strafverteidigung vor dem Amtsgericht – mit Strafbefehlsverfahren, beschleunigtem Verfahren und Ordnungswidrigkeitenverfahren. [2]; ISBN: 978-3-406-70033-0, 217 Seiten, C. H. Beck Verlag, München, 2. vollständig neu bearbeitete Auflage 2018, Reihe: NJW Praxis, Band 89, 49.- €

Das Werk ist natürlich nicht nur deshalb zur Besprechung für den PNL interessant, weil der Autor an der RUB Rechtswissenschaften studiert und ganz in der Nähe seiner Alma Mater in Hagen 1999 zur „Strafprozessgesetzgebung durch Notverordnungen in der späten Weimarer Republik“ promoviert[3] hat und sich in Aachen als Anwalt niedergelassen hat. Es besticht auch durch die ebenso prägnante wie ver­ständliche Darstellung des theoretisch notwendigen Wissens (vgl. Inhaltsverzeichnis) und auch des taktischen Vorgehens bei der Hauptverhandlung (inkl. des beschleunigten Verfahrens [§§ 417 – 420 StPO] einschließlich der Verfahrenserledigungen außerhalb des Rahmens der Hauptverhandlung, z. B. im Strafbefehls­verfahren [§§ 407 ff. StPO] – beide Verfahrenserledigungen fallen in die ausschließliche Zuständigkeit der Amtsgerichte) vor dem AG. Dort wird nach wie vor die weitaus größte Anzahl von straf- bzw. jugendgerichtlichen Verfahren erledigt. Die letzte öffentlich verfügbare Fachserie 10, Reihe 2.3, „Rechtspflege – Strafgerichte“ (2018) des Statistischen Bundesamtes zeigt hierzu sehr schön die beachtliche Anzahl der Verfahrenseingänge und Erledigungen beim AG in einem 15-Jahres-Vergleich (2003 – 2017) auf, wenngleich auch allgemein bei den Verfahrensneuzugängen in diesem Zeitraum eine signifikante Abnahme (Basisjahr 883.296 Fälle – 2017: 657.774 Fälle ohne die beinahe ebenso bedeutsame und zusätzliche Anzahl von Strafbefehlsverfahren) erkennbar ist. Auch wenn damit krimi­nal­statistisch betrachtet deutlich wird, dass die allermeisten der in dieser Zeit jährlich durchschnittlich polizeilich oder anderweitig zur Anzeige gebrachten im Schnitt rund sechs Millionen Straftaten (ohne Verkehrsdelikte, PMK etc.) „informell“ bereits auf Ebene der StA erledigt werden („Krimi­nalitäts­verfolgungstrichter“), kann man angesichts der zahl­reichen anderen Aufgaben der Amtsgerichte in strafrechtlichen Angelegenheiten nur den Hut ziehen. Wie der Autor selbst in seiner Einleitung bemerkt, wurden bspw. im Jahr 2016 rund 98% der Anklagen erstinstanzlich vor dem Amtsgericht verhandelt! Hinzu kamen in diesem Zeitraum bundesweit noch 141.895 Hauptverhandlungen nach Einspruch gegen einen Strafbefehl. Über 80% er amtsgerichtlichen Verfahren werden übrigens in dieser Instanz rechtskräftig, was nicht unerheblich zum Rechtsfrieden und damit zur Zufriedenheit aller Beteiligten beiträgt – und das trotz erheblicher „Strafgewalt“. Das Amtsgericht hat seit dem Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11.01.1993 in Strafsachen nach § 24 Abs. 2 GVG im Allgemeinen eine Zuständigkeit von bis zu vier Jahren Freiheitsstrafe („Schöffen­gericht“, § 28 GVG), der Strafrichter beim AG als Einzelrichter ist immerhin zuständig bis zu einer Straferwartung von zwei Jahren (§ 25 Nr. 2 GVG). Längst werden vor den Amtsgerichten also nicht mehr „nur“ Fälle leichter und mittlerer Kriminalität verhandelt!

Umso wichtiger sind deshalb die zahllosen Hinweise und praktischen (kom­munikativen, psychologischen und kreativen) Tipps, die Nobis in ansprechendem didaktischem Konzept und gut nachvollziehbarer Gliederung prä­sentiert, auch wenn durch die jüngsten bzw. bald anstehenden strafverfahrens­rechtlichen Änderungen[4] in Teilen bereits wieder dringender Überar­beitungsbedarf (z. B. aber nicht nur im 6. Teil, „Notwendige Verteidigung“) bestehen dürfte.

Das Werk ist nach wie vor in seiner Anlage als Monographie eigens zur Straf­verteidigung vor den Amtsgerichten auch erstaunlicherweise einmalig. Vergleichbare Werke betrachten die Hauptverhandlung vor dem AG nur „nebenbei“ als „erste Instanz“ vor den Landgerichten. Es ist ab dem Kapitel 2 zunächst chronologisch nach den einzelnen Stadien des Strafverfahrens (Ermittlungs-, Zwischen- und Hauptverfahren) gegliedert, leitet richtigerweise aber mit der essentiellen „informellen Verfah­rensgestaltung und zum Verhältnis und Umgang zwischen Verteidiger und Amtsrichter“ unter Hinweis auf den mitunter nötigen, wenngleich gefährlichen „favor judicis“[5] ein.

Der Hauptteil beginnt ab dem Kapitel 5 (S. 85 – 194) mit dem „Hauptverfahren“, der „notwendigen Verteidigung“ und den beiden titelgebenden Verfahrenserledigungen „Strafbefehls-„ und „beschleunigtes Verfahren“.

Das Werk endet, nicht zu vergessen in der amtsgerichtlichen Verfahrenszuständigkeit, mit einigen wichtigen Aussagen zum Gang und zur Verteidigung im Bußgeldverfahren (Teil 9, S. 195 – 211).

Sehr gelungen finde ich die durchgängigen, farblich abgesetzten „Praxistipps“, mitunter verbunden mit Formulierungshilfen, ebenso wie die eine oder andere „anwalts­ethische“, berufsständische Ausführung (z. B. zur Akteneinsicht des Beschuldigten in die Originalakten).

Das Buch behandelt m. E. alle wesentlichen Verfahrens- und Rechtsfragen in der notwendigen Tiefe und ohne unangemessene, die Verständlichkeit nachteilig beein­flussende Reichweite der Ausführungen. Dennoch lässt sich – sofern ggf. erforderlich – über die umfängliche Quellendokumentation jeder dieser Fragen mit diesem derart grds. erschlossenen „Zusatzmaterial“ vertiefen. Das Werk bedient daher gleichermaßen die Ansprüche von Lehrenden und Lernenden an polizeilichen Fachhochschulen / Jura-Studierenden wie auch von nur gelegentlich in diesem Raum auftretenden bzw. am Anfang der Strafverteidigerkarriere stehenden Juristen*innen und ist daher mindestens für den genannten Personenkreis uneingeschränkt empfehlenswert.

[1] Dr. iur. Frank Nobis, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht in Iserlohn, 2. Vorsitzender der Strafverteidigervereinigung NRW e. V.

[2] Beschreibung auf der Website des C. H. Beck Verlags.

[3] Vgl. Doktorandeninformationen des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Juristische Zeit­geschichte der FernUniversität Hagen, S. 9.

[4] Zu erwähnen sind z. B. nur die notwendige analoge Anwendung der mangels bisheriger Umsetzung in nationales Recht seit dem 25.05.2019 verbindlichen RiLi 2016/1919 (EU), „Prozesskostenhilfe-RiLi“. Inzwischen ist ein RegE eines „Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung“ (Stand 12.06.2019) im Kabinett verabschiedet. Bedeutsam ist hierbei auch die RiLi 2016/800 (EU), „Kinder-RiLi“, die seit 11.06.2019 ohne Umsetzung in nationales Recht analog angewandt werden muss. Auch hierzu hat das Gesetzgebungsverfahren mit einem RegE eines „Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Jugendstrafverfahren“ (Stand 12.06.2019) gerade erst begonnen. Zudem ist ein „Eckpunktepapier zur Modernisierung des Strafverfahrens“ des BMJV (Stand Mai 2019), welches ebenfalls bereits im Kabinett besprochen und gebilligt wurde und das bald einige sehr relevante verfahrensrechtliche Änderungen (z. B. zur „Bündelung der Nebenklagevertretung“, zur „Vereinfachung des Befangenheits- und des Beweisantragsrechts“ oder auch eine „Erweiterung der DNA-Analysemöglichkeiten“, „TKÜ-Maßnahmen bei Fällen des Einbruchsdiebstahls in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung“ und Vorschriften zur „Bild-Ton-Aufzeichnung einer richterlichen Vernehmung“ mit sich bringen wird. Zudem steht noch die Regelung der Standards der Datenschutz-RiLi 2016/680 (EU) in der StPO aus.

[5] Kritisch hierzu Bernsmann in seinem Vortrag „Verteidigung ist Kampf“ anl. des 37. Strafverteidi­gertages im Jahr 2013 in Freiburg.

Rezensiert von: Holger Plank