Victoria Hegner – Hexen der Großstadt. Urbanität und neureligiöse Praxis in Berlin – Rezensiert von: Thomas Feltes

Hegner, Victoria; Hexen der Großstadt. Urbanität und neureligiöse Praxis in Berlin; Transcript-Verlag Bielefeld 2019, 330 Seiten, ISBN: 978-3-8376-4369-5, 34,99 Euro

Die Hexenverfolgung in Europa hat die Kriminologie bislang wenig beschäftigt – von der Polizeiforschung ganz zu schweigen. Es gibt eine Bibliografie der Hexenforschung 2017[1], und Stefan Quensel hat 2017 in seinem zweiten Band der ‚Geschichte professioneller Kontrolle’ das frühneuzeitliche (16./17. Jahrhundert) „Hexen-Problem“ als „klerikal-juristische Konstruktion“ untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass in einer noch immer mental religiös geprägten Übergangszeit die Hexen-Problematik den ersten Schritten einer weltlichen, städtisch wie frühabsolutistischen Ordnungspolitik entsprach, in der sich die ‚Kultur’ einer entstehenden Elite von derjenigen des Volkes zu scheiden begann. Die Geschichte reiche vom klerikalen Beginn im 14. Jahrhundert über die beiden Formen der ‚normal ländlichen’ Hexerei sowie der inquisitorischen Massen-Verfolgungen bis hin zu deren Ende im 18. Jahrhundert.[2] Der Titel seiner Studie „Hexen, Satan, Inquisition. Die Erfindung des Hexen-Problems“ macht deutlich, dass „Hexen“ schon immer mit dem verschiedensten Bestrebungen in der Gesellschaft verbunden waren, man sie als etwas außerhalb der Gesellschaft stehendes ansah (obwohl die so definierten natürlich Teil dieser Gesellschaft waren), die man entweder auszurotten oder zumindest kontrollieren musste. Die Gründe dafür stellt Quensel in seinem Buch anschaulich dar. Einer der Rezensenten des Buches von Quensel schreibt dazu: „Hexen gehören im 19. Jahrhundert jedenfalls zum Inventar der sozialen Wirklichkeit:  … So darf man sich nicht wundern, wenn besonders im Jahrhundert der Hexenverfolgung schlechthin, dem fünfzehnten Jahrhundert, die Haltung gegenüber dem Aberglauben, namentlich gegenüber Hexen und Zauberei, sehr schwankend und wenig fest ist. Leichtgläubigkeit und der Mangel an Kritik liefern den mittelalterlichen Menschen dem Spuk und dem Wahn aus; doch es gibt in dieser Zeit auch vernünftige Ansätze und Erklärungen für die Hexerei und für den Zauber. … Hexerei und Geisterglaube verweisen auf die Ethnologie und die Religionswissenschaften. Hier können wir Auskünfte über den Geisterglauben, den Schamanismus und die Anfänge der Zauberei und Hexerei in prähistorischen und historischen Gesellschaften (u.a. Antike/ Germanen und andere alteuropäische Völker) erhalten. Jedenfalls gibt es eine lange Menschheitsgeschichte des Geisterglaubens, die von den Vorzeiten bis in gegenwärtige Gesellschaften reicht. Die zählebigen Hexen haben Ahnen und Herkünfte und fallen auch nicht im Mittelalter einfach vom Himmel“[3].

Der hier besprochene Band verfolgt einen gänzlich anderen Ansatz. Er sieht die „Hexen der Großstadt“ als neureligiöse Praxis, die im Kontext von Urbanität zu verstehen ist und durchaus als „Befreiungsbewegung“ zu sehen ist, auch wenn ihr das klandestine nach wie vor anhaftet. Heute soll, so der Verlag zu dem hier vorgestellten Buch von Victoria Hegner, die „Religion der Hexen“ Konjunktur haben, und dies vor allem in Großstädten. Den Fragen, wer diese Hexen sind, welche religiösen Vorstellungen sie vertreten und warum sich der urbane Kontext als entscheidend für die Tradierung ihrer Religion darstellt, geht Victoria Hegner am Beispiel des Ortes nach, der die größte Hexendichte Mitteleuropas für sich deklariert: Berlin.

Dabei wird deutlich, wie die Stadt zur diskurssetzenden Arena neuer Religionen avanciert und es ihnen ermöglicht, eine politische Öffentlichkeit für sich herzustellen und zugleich privatisiert zu bleiben. Die Hexenreligion ist für dieses Phänomen emblematisch – und gleichzeitig ein Sonderfall.

Ziel der Analyse ist es (so die Autorin), „sowohl allgemeine Charakteristika des Wechselspiels von Stadt und Religion offenzulegen, als auch … seine Einzigartigkeit herauszustellen, also zu zeigen, dass die Hexenreligion in Berlin eben ein Berlinisches Phänomen ist“ (S. 9).

Methodisch ist die Studie als teilnehmende Feldforschung angelegt: „So nahm ich während meiner Forschung an mehr als 50 Ritualen teil und organisierte sie teilweise mit. Dabei bewegte ich mich hauptsächlich in zwei Gruppen bzw. Zirkeln von Hexen in Berlin…“. Mit den meisten Frauen, die ich kennenlernte, habe ich mich auch privat getroffen… Mit einigen der Hexen führte ich narrative Interviews durch“ (S. 30). Das dabei möglicherweise entstehende „going native“ (im Deutschen auch „Verkafferung“ genannt, S. 32) wird von der Autorin – ebenso wie die Verwendung des letztgenannten Begriffs – durchaus problematisiert.

Die Studie ist nicht zuletzt deshalb auch aus methodischen Gründen für alle interessant, die Feldforschung unternehmen wollen, teilnehmend oder nicht teilnehmend. Die Ergebnisse, die ausführlich und teilweise auch mit Bildern versehen, dargestellt werden, sind auf den ersten Blick vielleicht nur für Ethnologen von Interesse. Wer sich aber für Subkulturen in größeren Städten Interessiert, kommt um diese Studie nicht herum.

[1] https://archivalia.hypotheses.org/70415

[2] https://www.springer.com/de/book/9783658151256

[3] https://www.socialnet.de/rezensionen/23325.php

Rezensiert von: Thomas Feltes