Wiacek, Martin[1]; Strafbarkeit rechts motivierter Cyberkriminalität in sozialen Netzwerken [2]; ISBN: 978-3-8487-5869-2, 382 Seiten, Nomos-Verlag, Baden-Baden, 2019, Reihe: Deutsches und Europäisches Strafprozessrecht und Polizeirecht, Band 11, hrsg. von Prof. Dr. Mark A. Zöller [vgl. Fn. 3], 99.- €
Das Werk, zugleich Diss. iur., von der Universität Trier im Wintersemester 2018/2019[3] angenommen, behandelt ein praktisch eminent bedeutsames Thema in sehr feingliedriger und tiefreichender Analyse. Wie der Autor einführend bemerkt, ist die Arbeit gliederungstechnisch bewusst als „Handbuch“ aufgebaut. Als Zielgruppe des Werkes benennt er gleichermaßen Rechtswissenschaftler, Sozial- und Politikwissenschaftler wie auch Praktiker aus Polizei-, Strafverfolgungs- und anderen Sicherheitsbehörden. Eine durchaus beachtliche Spannbreite für eine Dissertation!
Einführend in die Thematik und zur Einordnung zunächst einige wenige aktuelle Lagedaten. Derzeit überprüft z. B. alleine eine Arbeitsgruppe beim Hessischen Landeskriminalamt, die im Zusammenhang mit dem Tötungsdelikt am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 02. Juni 2019 eingerichtet wurde, nach Angaben ggü. der FAZ vom 06.08.2019 rund sieben Gigabyte (!) gesichertes Material aus sozialen Netzwerken (bspw. verdächtige Botschaften, Chat-Beiträge oder Videos, die im Zusammenhang mit dem Mord an Walter Lübcke stehen). Es seien in diesem Zusammenhang wohl einige tausende Ermittlungsverfahren ohne unmittelbaren tatrelevanten Bezug zu dem Tötungsdelikt zu erwarten. Angesichts dieser Erkenntnisse will sich gerade das Bundesland Hessen justiziell im Kampf gegen Hetze im Netz deutlich besser aufstellen, wie die Hessische Justizministerin gegenüber der FAZ vom 01.07.2019 ankündigte. In Kürze wolle man ein umfassendes Konzept hierzu vorstellen. Das BKA ist seit 2016 nach einer Entschließung der IMK koordinierend für sogenannte „Aktionstage gegen Hate-Speech“ (zuletzt hat am 06.06.2019 die insgesamt vierte derartige bundesweite Aktion mit Durchsuchungen in 13 Bundesländern stattgefunden).
Der Gesetzgeber hat zudem den dringenden Handlungsbedarf erkannt und nach durchaus kontroverser Diskussion zum 01. September 2017 das „Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken“ (Netzwerkdurchsetzungsgesetz[4] – NetzDG) mit zahlreichen, z. T. buß- bzw. zwangsgeldbewehrten Verpflichtungen für die zahlreichen Plattformbetreiber[5] ausgefertigt. Das Gesetz, bei der Einführung als „Zensurinstrument“ gegeißelt, bedarf, wie Kritiker fordern, allerdings schon wegen der verbesserungsbedürftigen und nutzerfreundlicher zu gestaltenden Meldeverfahren sowie wegen der offenkundig geringen Erfolgsquote wohl dringend einer Evaluation und Nachbesserung, wie u. a. der stv. Fraktionsvorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Thomae, angesichts der Antwort der Bundesregierung (Drs. 19/11348 vom 03.07.2019) auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag zur „Rechtsdurchsetzung in sozialen Medien“ (Drs. 19/10947 vom 17.06.2019) fordert. Angesichts der „mageren Bilanz“ bezeichnete er das NetzDG ggü. dem Handelsblatt Anfang August als „symbolische Gesetzgebung“. Hass und Hetze auf Online-Plattformen gehörten weiterhin zum Alltag.
Seit Inkrafttreten des NetzDG hat das Bundesamt für Justiz (BfJ) zwar rund 1.100 Prüfverfahren aufgrund eigener Feststellungen, Beschwerden von Nutzern bzw. auf der Grundlage der regelmäßig von den Betreibern zu erstellenden „Transparenzberichten“ eingeleitet, aber mit Stand vom 21. Juni 2019 noch keinen einzigen Bußgeldbescheid gegen Anbieter von Onlinenetzwerken erlassen (S. 3 ff. der Drs. 19/11348). Derzeit seien allerdings 31 Bußgeldverfahren anhängig. Der gesetzgeberische Umgang mit dem Effekt cybergestützter „Dynamisierung von Kommunikation“ wie auch die Strafverfolgung im Internet sei in einigen Bereichen nach wie vor defizitär, wie auch Ulf Buermeyer[6] und Martin Eifert[7] anl. eines lesenswerten Interviews vom 16.07.2019, veröffentlicht auf der Website der Humanistischen Union, fundiert darlegen.
Doch zurück zur Arbeit von Wiacek, in der das NetzDG, welches er als durchaus nützlich und nur mit geringem Änderungsbedarf (vgl. S. 365 – Ergänzung § 4 Abs. 1 Nr. 8 NetzDG) erachtet, nur einen von zahlreichen Aspekten darstellt. Sie gliedert sich in fünf Kapitel (vgl. Inhaltsverzeichnis Fn. 2). Nach einer kurzen Einleitung (Kap. A) folgt ein Grundlagenkapitel (Kap. B), in welchen die für die Arbeit wesentlichen Begrifflichkeiten und Phänomene (inklusive der Unterscheidung des Phänomenbereichs „Cybercrime“, sowohl „im engeren“ wie auch „im weiteren Sinne“ einschließlich des begleitenden statistischen Feldes „Tatmittel Internet“) definitorisch konturiert und zur fortfolgenden Nutzung aufbereitet werden. Sodann folgen die beiden Hauptkapitel C und D. Das Kapitel C stellt in sehr feingliedriger Untergliederung alle im Rahmen des Phänomens Verbreitungs- und Äußerungsdelikte relevanten Vorschriften des Allgemeinen und Besonderen Teils (allein hierbei werden 25 Tatbestände in der Unterscheidung „straftatfördernde Delikte“, Delikte gegen Persönlichkeitsrechte“ und Delikte gegen den Staat und seine Organe“ behandelt!) materiellen Straf- und Nebenstrafrechts dar und kommentiert die jeweiligen Problembereiche bei deren Anwendung. Das Kapitel D behandelt wichtige Aspekte der Providerhaftung auf der Grundlage der einschlägigen Bestimmungen des Telemediengesetzes (TMG). Schließlich erfolgt im Schlusskapitel E über die Gewinn bringenden Zwischenfazite hinaus eine dezidierte Zusammenstellung der wesentlichen Erkenntnisse der Arbeit, vom Autor angereichert mit zusätzlichen eigenen, für notwendig erachteten Definitions-, Gesetzes- und Auslegungshinweisen.
Wesentliche Erkenntnisse Wiaceks sind hierbei zusammenfassend bspw., dass es bereits an einer EU-weit und damit auch supranational verbindlichen begrifflichen Eingrenzung / Definition „Rechts motivierter Cyberkriminalität“ mangele. Schon deshalb versucht er sich in Anlehnung an den Definitionsentwurf des EU-Ministerrates an einer solchen (S. 357). Demzufolge fehle es darüber hinaus – nicht nur in Deutschland – notwendigerweise auch an verlässlichen, öffentlich zugänglichen Statistiken zu diesem Phänomen.
Ferner stellt er fest, dass es mit Ausnahme der abstrakten Gefährdungsdelikte, die eben keines tatbestandsmäßigen Erfolgs in Form einer Verletzung oder konkreten Gefährdung eines Angriffsobjektes bedürfen, in der Regel bei rechts motivierten Kommunikationsdelikten keine signifikanten Schwierigkeiten bei der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts beim „Tatort Internet“ gebe. Zumeist ließen sich entweder der Handlungs- oder Erfolgsort Deutschland oder die Prinzipien der §§ 5, 7 StGB herleiten. Dadurch komme es allerdings gerade bei den Propagandadelikten (§§ 86, 86a StGB – Verbreitungsdelikte) zu („gefühlt“) unerträglichen Verfolgungslücken, dann nämlich, wenn diese über ausländische Server gehostet würden. Eine mögliche Lösung sieht der Autor in einer derzeit in der rechtspolitischen Beratung befindlichen Ergänzung des § 5 StGB um derartige „Auslandstaten mit besonderem Inlandsbezug“, jedenfalls dann, wenn sich der Lebensmittelpunkt des Verursachers im räumlichen Geltungsbereich des StGB befinde.
Im Allgemeinen Teil macht der Autor zudem ein Problem mit der unterschiedlichen Auslegung des „Verbreitensbegriffs“ aus. Zwar habe der BGH bereits im Jahr 2001 einen „spezifischen Verbreitensbegriff“ für Datenübertragungen im Internet am Beispiel der Kinderpornographie konkretisiert[8], dieser sei für Kommunikationsinhalte innerhalb sozialer Medien jedoch nur bedingt geeignet und bedürfe einer zeitgemäßeren Definition. Diese liefert Wiacek dann auch unmittelbar als „SNS-Verbreitensbegriff“ (S. 360) in Ergänzung des § 11 Abs. 3 StGB um einen internetspezifischen „Datei-Begriff“.
Durch Auslegung der §§ 7 – 10 des TMG ermittelt er fortfolgend, dass es sich hierbei lediglich um „haftungsbegrenzende“ Regelungen handele, die eine strafrechtliche Verantwortlichkeit grds. nicht zu begründen vermögen. Insbesondere für Host[9]-Provider (im Unterschied zu Content[10]– oder Access[11]-Providern) entwickelt er eine die bisherige Privilegierung derselben berücksichtigende Verantwortlichkeit durch den Entwurf einer Neufassung des § 10 TMG-E (S. 363). Er äußert sich in diesem Abschnitt darüber hinaus auch zu den für Netzwerke typischen Funktionen der „Verlinkung“ („Liken“, „Teilen“, „Retweeten“ etc.). Hierbei müsse man im Rahmen strafrechtlicher Verantwortlichkeit alerdings zwischen „Äußerungsdelikten“ (wie z. B. § 185 StGB), die „geteilt“ oder „retweetet“ werden und „Verbreitungsdelikten“ (wie z. B. § 86a StGB) unterscheiden. Bei ersteren bedürfe es zur Begründung strafrechtlicher Relevanz bei den Funktionen des „Teilens“ und „Retweetens“ zusätzlich eines „äußerungsrechtlichen Zu-Eigen-Machens“ (also einer „Sympathiekundgabe“!). Dies gelte für beide Phänomene, also Äußerung und Verbreiten, aber nicht im Rahmen der Nutzung des „Like-Buttons“, die in der Regel eine Strafbarkeit begründe! Für die Kommentare von Nutzern auf dem eigenen Profil komme hingegen nur eine Verantwortlichkeit im Rahmen des „Host-Providers“ in Frage, welche derzeit ohne eine eigenständige, jedoch von vielen namhaften Strafrechtswissenschaftlern geforderte eigenständige „Kuratierungspflicht“ des Profilinhabers für derartige Einträge ohne dessen „aktives Tätigwerden“ in der Regel ins Leere laufe (vgl. oben zu § 10 TMG). Grds. schütze in besonderen Grenzfällen die Aufnahme eines haftungsausschließenden Disclaimers auf dem Profil nicht vor einer Haftung.
Abschließend entwickelt Wiacek für die wenigen großen SNS-Plattformen, die er grds. als Host-Provider einstuft, über das NetzDG eine „Unterlassungsstrafbarkeit“ (jedenfalls für rechtswidrige Inhalte, die vom Straftatenkatalog des § 1 Abs. 3 NetzDG erfasst sind und die in aller Regel nur für die mit der Hinweisbearbeitung direkt befassten Mitarbeiter der Plattformen und nicht für die Führungsebene gelte), die allerdings – jedenfalls nach meiner Beobachtung – in der aktuellen Rechtsprechung noch keinen Niederschlag gefunden hat.
Auch wenn der eigens ausgewählte kleinteilige Gegenstand der Arbeit anderweitig bereits vielfach öffentlich kommentiert ist, Anlass für zahlreiche Diskurse bot, ist die Arbeit trotz dieser Anlage nutzbringend und in Form, Anlage und Inhalt gut gelungen. Sie überzeugt mit klarer Sprache, ist weitreichend und ungemein facettenreich angelegt, behandelt alle wesentlichen Facetten des Themas tiefgreifend, folgerichtig und gut konturiert. Dennoch ist sie sehr übersichtlich aufgebaut und wird den selbst gesteckten Zielen daher gerecht. In dieser gegenständlichen Breite und inhaltlichen Tiefe existiert nach meiner Beobachtung derzeit kein anderes Werk.
[1] Promotion mit der vorliegenden Arbeit zum Dr. iur., LL. M., Kriminaloberkommissar beim BKA; Verfasser einiger fach- und polizeiwissenschaftlicher Bücher (vgl. z. B. nur jüngst „Bild- und Tonaufnahmen von Polizeieinsätzen“, Kriminalistik-Verlag, Heidelberg, 2018) und Aufsätzen (vgl. z. B. nur jüngst „Extremismus und Waffenrecht – Waffenrechtliche Unzuverlässigkeit bei (Rechts-) Extremisten“, in: Kriminalistik (72) 2018, Heft 10, S. 598 ff.).
[2] Siehe Website des Verlags und sehr feingliedriges Inhaltsverzeichnis.
[3] Verantwortlich betreut von Prof. Dr. Mark A. Zöller, Lehrstuhl für Deutsches, Europäisches und Internationales Strafrecht und Strafprozessrecht sowie Wirtschaftsrecht an der Universität Trier; Direktor des „Instituts für Deutsches und Europäisches Strafprozessrecht und Polizeirecht (ISP)“. Zwischen der Universität Trier und dem BKA, dem der Autor beruflich angehört, besteht eine mehrjährige Vorlesungspartnerschaft
[4] BGBl. 2017, I S. 3352.
[5] Zentrale Aufsichts- und Bußgeldbehörde hierfür ist das Bundesamt für Justiz (BfJ).
[6] Dr. Ulf Buermeyer, LL. M., RiLG Berlin, derzeit abgeordnet zur Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung des Landes Berlin. Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrecht e. V. (GFF).
[7] Prof. Dr. Martin Eifert, LL. M., Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Verwaltungsrecht an der Humboldt Universität Berlin.
[8] Vgl. BGHSt 47, 55, 59 (1 StR 66/01 vom 27. Juni 2001 [LG Würzburg].
[9] Dieser stellt fremde Informationen und Inhalte auf seinem eigenen Webserver und den eigenen Seiten ein. Entscheidend ist insofern, dass nach den Gesamtumständen nicht der Eindruck entsteht, es handele sich um ein eigenen Angebot des Anbieters.
[10] Dieser bietet eigene Inhalte auf einer Internetseite an.
[11] Access-P. ist derjenige, der fremde Informationen im Internet oder anderen Netzen lediglich vermittelt bzw. durchleitet oder den Zugang zum Internet ermöglicht. Diese Vermittlung des Internetzugangs ist rein technischer Art.
Rezensiert von: Holger Plank