Anja Mensching, Astrid Jacobsen (Hrsg.) – Polizei im Spannungsfeld von Autorität, Legitimität und Kompetenz – Rezensiert von: Rüdiger Schilling

Mensching, Anja, Jacobsen, Astrid (Hrsg.); Polizei im Spannungsfeld von Autorität, Legitimität und Kompetenz Schriften zur Empirischen Polizeiforschung von Hans-Joachim Asmus / Rafael Behr / Bernhard Frevel / Herman Groß / Astrid Jacobsen / Karlhans Liebl / Anja Mensching / Thomas Ohlemacher † / Peter
Schmidt; Empirische Polizeiforschung XXI, Band 24 Verlag für Polizeiwissenschaft, Frankfurt 2018, ISBN 978-3-86676-545-0. € 22,90. 191 Seiten
Übersicht: Der Tagungsband zur einundzwanzigsten Jahrestagung der Empirischen Polizeifor- schung widmet sich unterschiedlichster aktueller Aspekte polizeilicher Arbeit. Dabei werden präventive wie repressive, kriminalpolitische ebenso wie Überlegungen zur Selbstdarstellung diskutiert. Die Autoren fokussieren auf innerdeutsche Problemstel- lungen, beziehen aber auch Erkenntnisse aus der Schweiz oder aus Venezuela mit ein.

Inhalt: Ein Editorial der beiden Herausgeberinnen Anja Mensching und Astrid Jacobsen ist den Beiträgen vorweggestellt. Die beiden Autorinnen beschreiben dort treffend den Gegenstand dieses Taschenbuches: „politischer Extremismus, Terrorlagen, hohes Einsatzaufkommen bei Fußballspielen und Demonstrationen, zunehmende Respekt- losigkeit gegenüber Polizeibeamt*innen, Aufgaben im Kontext der Aufnahme von Flüchtlingen, Kriminalität mit hohen Fallzahlen, Umgang mit neuen Medien – und all das flankiert vom Selbstverständnis einer Bürgerpolizei“ (S. 3). Es wird über Autorität und Autorisierung diskutiert (S. 4) und der Ruf nach einer „starken Polizei“ problematisiert (S. 5).   Dem Editorial folgt ein Beitrag von Thomas Scheffer, der sich den „Kapazitäten und Ansprüche[n] polizeilicher Kriminalprävention“ widmet und darin „[e]in Plädoyer für die mitlaufende Bearbeitung prekärer Autorität und Legitimation“ hält. Sein Beitrag basiert auf „mehrmonatigen, auf verschiedene Polizeieinheiten verteilten, durch wöchentliche Teammeetings koordinierten Feldforschungen“ (S. 11). Die Notwendigkeit von Kooperations- und Bündnispartnern im Rahmen polizeilicher Kriminalprävention wird herausgestellt (S. 12), nicht ohne auf Gefahren dieser Tätigkeit und „rechtliche Grauzonen“ hinzuweisen (S. 13). Auf die innerpolizeilichen Besonderheiten und schwierigen Einordnungen in die Organisation wird abgehoben (aaO), sowie vor re- pressiver Unterwanderung gewarnt (S. 22). Besonders herauszuheben ist die Struk- turierung der Arbeitsformen der Prävention (S. 16f.), ist doch gerade die polizeiliche Präventionsarbeit eine sehr heterogene bis höchst unterschiedliche Arbeit, die sich kaum kategorisieren lässt und die polizeiintern kaum Anerkennung erfährt (S.21). Marlene Tietz und Anja Mensching widmen sich der „Legitimität und Authentizität – Wertschätzung als organisationskultureller Aspekt des ,Doing Authority‘ in der Polizei. Der Beitrag basiert auf den Erkenntnissen zu „Wertschätzung im polizeilichen Kontext“ aus dem Jahr 2017 der beiden Autorinnen. Es wird deutlich, welche große Rolle Wertschätzung für Polizeibeamte hat und wie schwierig es ist, authentische

Wertschätzung in das Konstrukt „Lob, Beurteilung und Beförderung“ einzubinden (S. 38).   „Wir sind die Polizei. Das Schlusswort haben wir.“ (Un)doing authority in einem Schweizer Polizeidienst“ ist der Titel des Beitrags von Nathalie Pasche, Esteban Piñeiro und Martina Koch. Die Autor*innen sehen die Gefahr der Kaschierung des polizeilichen Eingriffs, „sei es durch den freundlichen Auftritt als (polizeiliche) Dienst- leistungsorganisation (Schalter) oder durch die Pflege kollegialer Beziehungen und durch pädagogische Handlungen (die Gruppe)“ (S. 54).   Susanna Ehrensberger, Annelie Molapisi und Rainer Prätorius stellen sich die Frage: „Polizei als Status. Polizeipolitik als Statuspolitik?“ Bedeutung erhält hier der Polizist, der „sein Objekt nach polizeilichen Kriterien (Verdacht, Gefahr) von seinen sonstigen Lebensvollzügen [isoliert], [was wiederum] auch den Status als Polizist [bestätigt], der nicht nur formale Autorität, sondern auch die kulturelle Zugehörigkeit erlebt, in der er diese Leistung erbringt“ (S. 61). Es geht um „Prestige und formale Autorität […] [und] die getroffenen Maßnahmen [, die] kaum eine Nachweispflicht über die Wirksamkeit erzeugen können“ (S.67).   Das „Nachwuchsforschungsprojekt PluS-i: Interdisziplinäre Analysen für ein kontext- adäquates, legitimes, effizientes und effektives plurales Polizieren im urbanen Raum“ wird von Nathalie Hirschmann und Tobias John vorgestellt. Die beiden Autoren kon- kretisieren hierzu zunächst, was unter „Policing“ zu verstehen ist (S. 72f). Dabei grenzen sie dies von „anderen Aktivitäten der Sicherheitsproduktion wie Kriminalprävention und Verbrechensbekämpfung“ ab (S. 73). „Plurales Polizieren“ wird anschlie- ßend definiert und im Rahmen des Forschungsprojektes beschrieben.   Christian Hamm und Markus Sander sehen „Neue Wege der Darstellung der Rolle der Polizei“. Vor dem Hintergrund eines labilen und störanfälligen Vertrauens in die Polizei (S. 85) begründen und entwickeln die Autoren Möglichkeiten eines „Digital Community Policing“ (S. 94) und erhoffen sich eine Normalisierung und Versachli- chung (u.a.) des Themas Gewalt und Polizei (S. 99).   „Racial-“, „Social-“ und „Criminal-Profiling“ im Zusammenhang mit der „Legitimation polizeilicher Kontrolle“ werden von Rafael Behr diskutiert. Er geht dabei Fragen „poli- zeilicher Diskriminierung“ deren Etablierung in Kultur und Selbstbilder der Polizei so- wie dem Umgang damit nach (S. 107). Welche Rolle „polizeiliches Erfahrungswissen“ und auch welchen Anteil Gesetze spielen, die Diskriminierungshandlungen legitimie- ren können (S. 109f.), ist Gegenstand dieses Textes. Die Aus- und Fortbildung und deren positiven wie negativen Einflussmöglichkeiten nehmen bedeutenden Raum ein.   „Subtile Autorität und prekäre Legitimität der Videoüberwachung von Demonstratio- nen – Praxen und Wissensformen von Polizei und Protestierenden“ ist der Titel des Beitrags von Peter Ullrich. Dieser fußt auf dem Forschungsprojekt „ViDemo“ und thematisiert Fragestellungen und Ergebnisse des mehrjährigen Projekts (S. 121).   Elena Isabel Zum-Bruch berichtet in „Im Namen der Gerechtigkeit?“ über „Rechtferti- gungsmuster polizeilicher Kompetenzüberschreitungen“. In ihrer eigenen „Erforschung von polizeilicher pro-organisationaler Devianz“ (S. 137) weitet sie den Blick über „einzelne schwarze Schafe“ hinaus auf institutionelle Hintergründe bis hin zu „‘gute‘[n] Abweichungen, die von ‚guten‘ Polizisten aus ‚ehrenwerten‘ Gründen be- gangen werden“ (S. 135).

In „Polizei und Staatsbildung in Venezuelas Bolivarischer Revolution: Polizeibefug- nisse und ordnungspolitische Kontrolle in einem Hybridregime“ berichtet Stiven Tremaria über „ein Forschungsvorhaben, das sich mit der Entwicklung des Polizeiappa- rates sowie den ordnungspolitischen Kontrollmechanismen in Venezuela und deren Zusammenhang mit den Prozessen der Staatsbildung und den Reformen des politi- schen Systems beschäftigt“ (S. 153).

Christian Wickerts Beitrag „Ich hab‘ Polizei“ – Die Darstellung der Polizei in deutsch- sprachigen Rapliedern“ beschließt das Taschenbuch. Anlass für eine Forschung zu deutschsprachigen Rapliedern ist die Parodie von Jan Böhmermann „Ich hab‘ Polizei“, in dem die „genrespezifische Rollenzuschreibung verkehrt“ (S. 163) wird. Beforscht wurden Alben-Charts im Bereich Hip-Hop, die quantitativ und qualitativ hin- sichtlich der Wahrnehmung von Polizei und ihrer Rolle bzw. Verhaltens analysiert wurden.

Den Artikeln ist eine Kurzbeschreibung der Autorinnen und Autoren angehängt. Diskussion und Fazit:

Band 24 der Schriften Empirischer Polizeiforschung ist wiederum ein hochinformativer Beitrag für alle, die sich für einen sachlichen Umgang mit Alltagsphänomen im Umfeld polizeilicher Arbeit interessieren. Kritiker könnten zur Auffassung gelangen, hier würde über längst bekannte Erkenntnisse berichtet. Allerdings gefallen die dargestellten theoretischen Hintergründe, die der Versachlichung von Diskussionen über polizeiliches (Fehl-)Verhalten (beispielhaft Behr oder Zum-Bruch) dienen. Spannend ist auch der Blick auf heikle innerpolizeiliche Abläufe, wie sie im Zusammenhang mit Beurteilungs- und daraus resultierenden Beförderungssystem von Bedeutung sind und mit einer positiv wirkenden Wertschätzung im Sinne des Artikels von Tietz und Mensching wenig zu tun haben.

Das Taschenbuch ist ein sehr aktueller Beitrag auf der Suche nach einer modernen Polizei. In der Vielfalt der Beiträge und eben der fortdauernden Aktualität liegt die Stärke dieses Werkes. Alle Artikel haben dabei eines gemeinsam: Sie thematisieren die Polizei in ihrer machtvollen Rolle mit all ihren Gefahren. Die Texte können als konstruktive Kritik aufgefasst werden, eine Kritik deren sich die Polizei ergebnisoffen stellen sollte.

Rezensiert von: Rüdiger Schilling