Ulrich Eisenberg, Ulrich Prof. Dr. em. [1]; Beweisrecht der StPO – Spezialkommentar[2]; ISBN: 978-3-406-70263-1, 1269 Seiten, C. H. Beck Verlag, München, 10. Auflage 2017, 209.- €)
Prof. Dr. em. (2007) Ulrich Eisenberg gehört zu den wenigen Forschern, dessen ehemalige Schüler und wissenschaftliche Mitarbeiter, inzwischen allesamt selbst namhafte Wissenschaftler, ihm inzwischen zwei sehr umfangreiche Festschriften zum 70ten Geburtstag im Jahr 2009[3] und zum 80ten Geburtstag im Jahr 2019[4] gewidmet haben. Diese besondere akademische Ehre und persönliche Wertschätzung ist mehr als nachvollziehbar, gehören doch z. B. seine Grundlagenwerke und Kommentare zur Kriminologie[5], zum Jugendgerichtsgesetz (JGG)[6] und eben zum Beweisrecht der StPO zum „Standardinventar der Professionen“ und setz(t)en auf diesen Gebieten beachtliche Standards. Eisenberg, als Rechtswissenschaftler – nicht selbstverständlich – der Kriminologie besonders verbunden, legt(e) in seinen Werken und Lehrbüchern[7] immer besonderen Wert auf die „Verbindung von geltendem Recht mit empirischen Erkenntnissen“, also auf interdisziplinär befruchtete kritische Reflexivität. Er „bleibt dabei (auch in seinem beeindruckenden Werk zum Beweisrecht) nicht in theoretischen Erörterungen stecken, sondern betrachtet die Fragestellungen von der ganz praktischen Seite, etwa wenn es um die Spurenuntersuchung (Rn. 1895 ff., S. 913 ff) geht. Dafür bedient er sich (auch) der Erfahrung zweier Polizeibeamter, die ihre Fachkunde zur Verfügung stellten.“[8] Wenn man so will, kann man seine Werke und sein Wirken deshalb auch disziplin- und professionsübergreifend in die Tradition einer „Gesamten Strafrechtswissenschaft“ i. S. Franz von Liszts stellen.
Das Ziel des Strafverfahrens ist es letztlich, die dem zu beurteilenden inkriminierten Lebenssachverhalt zugrundeliegende „materielle Wahrheit“ zu erforschen. Diesem Ideal dient die „Aufklärungspflicht“ im Rahmen des „Ermittlungsgrundsatzes“, wenn auch in den verschiedenen Verfahrensabschnitten mit unterschiedlich hohen Voraussetzungen. So ist z. B. die behördliche „Amtsaufklärungspflicht“ notwendiges „Gegenstück“ zu den weitaus umfänglicheren Kriterien (richterlicher) Beweiswürdigung, „die nur auf der Grundlage einer umfassenden Aufklärung und im Rahmen freier richterlicher Beweiswürdigung möglich ist“, welche abschließend zur manifesten richterlichen Überzeugung führt (§ 261 StPO). Aufklärung und damit Beweiserhebung darf sich nur innerhalb rechtsstaatlich zulässiger Grenzen bewegen. Das macht das Beweisrecht in allen seinen Komponenten[9], die im ersten Teil des beeindruckenden Kommentars explizit dargelegt werden, inzwischen zu einer außerordentlich komplizierten Materie. Trotzdem lässt sich diese mithilfe – v. a. aber auch trotz der zahllosen jedoch notwendigen Erläuterungen und Verweise, die das umfängliche Werk auszeichnen – der übersichtlichen Darstellung aber durchaus für alle Verfahrensbeteiligten gut nachvollziehen und damit tiefgreifend beleuchten.
Der zweite[10] und der dritte[11] Teil des Kommentars widmet sich wiederum tiefgreifend den verschiedenen strafprozessualen Verfahrensstadien und den Rechten und Pflichten der Verfahrensbeteiligten. Dabei kommen die Justiz (Gericht) und die Strafverfolgungsbehörden (StA und Polizei) aufgrund der Dichte und Komplexität der zur Beurteilung des Gesamtgeschehens notwendigen wissenschaftlichen Expertise kaum noch ohne „Sachverständige“ aus, mit denen sich der aus- und ergiebige vierte Teil[12] des Kommentars beschäftigt.
Der letzte und zur Beweisführung inzwischen immer wichtiger gewordene fünfte[13] Teil des Kommentars kommentiert die Einführung, Verwendung und Verwertung „sachlicher Beweismittel“.
Eisenberg stellt die komplizierte Materie des Beweisrechts erschöpfend und vor allem erfreulicherweise und damit zusätzlich Gewinn bringend interdisziplinär dar. Somit wird dieser außerordentlich praxisgerechte „Spezialkommentar“ neben den durchaus vorhandenen „Standardkommentaren“ nicht nur für diejenigen unverzichtbar, die sich mitunter in den Tiefen und mitunter abseits gängiger Fragestellungen des Beweisrechts bewegen müssen. Es gehört, auch wenn es nicht ganz billig ist, m. E. in jeden Bücherschrank der genannten Professionen. Allerdings bedarf die 10. Auflage des Werks angesichts zahlreicher unmittelbar bevorstehender und umfänglicher strafprozessualer Modifikationen (nicht zuletzt der nationalen Umsetzung der europäischen „Prozesskosten-RiLi“ [„notwendige Verteidigung“; Richtlinie (EU) 2016/1919], der europäischen „Richtlinie über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder“ [Richtlinie (EU) 2016/800] und den vorgesehenen Änderungen der StPO [vgl. „Eckpunktepapier zur Modernisierung des Strafverfahrens“ vom 15.05.2019] – RefE zu denselben liegen bereits vor) schon wieder der Bearbeitung.
[1] Prof. Dr. iur., Emeritus, Lehrstuhl für Strafrecht, Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug an der Freien Universität Berlin.
[2] Vgl. Website des Verlags nebst Inhaltsverzeichnis des Werks. Die 11. Auflage befindet sich bereits in der Planung, voraussichtlich fortgeführt von den Prof. Puschke und Singelnstein (vgl. Fn. 4).
[3] Hrsg. von Prof. Dr. Ernst Müller, Prof. Dr. Günther M. Sander und Helena Válková im C. H. Beck Verlag, München, vgl. Inhaltsverzeichnis.
[4] „Für die Sache – Kriminalwissenschaften aus unabhängiger Perspektive“, hrsg. von Prof. Dr. Ingke Goeckenjan, Prof. Dr. Jens Puschke, LL. M. (King’s College London) und Prof. Dr. Tobias Singelnstein bei Duncker & Humblot, Berlin, vgl. Inhaltsverzeichnis und kurze Besprechung des Werks im PNL.
[5] Inzwischen in der 7., völlig neu bearbeiteten Auflage 2017 fortgeführt von Prof. Dr. Ralf Kölbel, hrsg. im Verlag Mohr Siebeck, Tübingen (bis zur 6. Auflage, 2005, hrsg. bei C. H. Beck, München).
[6] Inzwischen in der 20. (!) Auflage 2018 bei C. H. Beck, München erschienen, vgl. Website des Verlags.
[7] Gerade erschien, beispielhaft für die nachfolgende Feststellung, die 10. Auflage des von ihm begründeten Lehrbuchs „Fälle zum Schwerpunkt Strafrecht“ (vgl. Inhaltsverzeichnis) bei C. H. Beck, München, ab der 9. Auflage fortgeführt von Prof. Dr. Jochen Bung, in der aktuellen 10. Auflage von Prof. Dr. Ralf Kölbel.
[8] Vgl. hierzu auch die Besprechung des Werks auf der Website „Strafakte.de“, zuletzt aufgerufen am 12.08.2019.
[9] Beginnend mit den „Beweisgrundsätzen“ (Kap. I), dem „Beweisantragsrecht“ (Kap. II), den „Beweisverboten“ (Kap. III, untergliedert in die Unterkapitel „Beweiserhebungsverbote“ mit seinen Unterthemen „Beweisthema-, Beweismethoden- und Beweismittelverbot“ und „Beweisverwertungsverbote“), fortgeführt mit dem „Beweis bei Wiederaufnahme eines rechtskräftig durch Urteil abgeschlossenen Verfahrens“ (Kap. IV) und der immer bedeutsameren Problematik des „Beweistransfers zwischen EU-Staaten“ (Kap. V).
[10] Insbesondere dem „Beschuldigten“ (Kap. 1), der im Zwischenverfahren zum „Angeschuldigten“ (Kap. II) und im Hauptverfahren zum „Angeklagten“ (Kap. III) wird und Fragen der strafprozessualen Verfahrensweisen in den Fällen, in denen es „Mitbeschuldigte“ bzw. „Mitangeklagte“ gibt (Kap. IV)
[11] Hierin wird der „Zeuge“ behandelt und Fragen zu den „Voraussetzungen und zur Gestaltung der Vernehmung des Zeugen“ (Kap. I) sowie zur „Aussagewürdigung“ (Kap. II – Aussagefähigkeit und Glaubhaftigkeit im Erst- und im Revisionsverfahren) besprochen.
[12] Der sich in die Kapitel „Voraussetzung und Gestaltung der Tätigkeit“ des Sachverständigen in Abgrenzung zum „sachkundigen Zeugen“, zum „Augenscheinsgehilfen“ und zum „Dolmetscher / Übersetzer“ (Kap. I), „“überwiegend“ personenbezogene Untersuchungen“ (Kap. II) und „Untersuchungen (überwiegend) sachbezogener Art“ (Kap. III) gliedert.
[13] Gegliedert in die Kapitel „Urkunden“ (Kap. 1), sonstige „Augenscheinsobjekte“ (Kap. II – wie z. B. Tonträger, Filme, Lichtbilder etc., Pläne / Modelle, Personen und technische Aufzeichnungen), verbunden mit Fragen einer rechtsstaatlich beanstandungsfreien „Beschaffung“ derselben (Kap. III), dort gegliedert in offene strafprozessuale Verfahren der „Beschlagnahme“, der „Durchsuchung“ sowie einiger weniger „verdeckter Maßnahmen“ (z. B. der Telekommunikationsüberwachung und dem Einsatz technischer Mittel) und den damit zusammenhängenden Folgeerfordernissen der „Benachrichtigung“, daraus entstehenden „Rechtsbehelfen“ und gesetzlichen „Löschungserfordernissen“.
Rezensiert von: Holger Plank