Frank Niechziol – Vernetzte Sicherheit als Strategie der föderalen Sicherheitsarchitektur – Rezensiert von: Reinhard Scholzen

Niechziol, Frank; Vernetzte Sicherheit als Strategie der föderalen Sicherheitsarchitektur. Eine Analyse am Beispiel der Bundespolizei (Bochumer Schriften zur Rechtsdogmatik und Kriminalpolitik, Bd. 50); Felix-Verlag, Holzkirchen, 2019, ISBN 978-3-86293-550-5, 49,00 €

Frank Niechziol wurde mit der vorliegenden Arbeit im Wintersemester 2018 an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum promoviert. Juristische Qualifikationsarbeiten zeichnen sich oft durch eine klare Struktur aus, die dem Leser das Finden der markanten Punkte der Darstellung sehr erleichtert. Auch Niechziol hat seinen Gedankengang klar strukturiert, jedoch legt er seine Untersuchung ganz bewusst interdisziplinär an. Manches spricht dafür, dass der Grund dafür in seinem beruflichen Werdegang zu suchen ist: Der Verfasser ist Bundespolizist, der sich seine ersten akademischen Lorbeeren im Jahr 2016 mit einer ebenfalls an der Ruhr-Universität in Bochum verfassten Masterarbeit über „Irreguläre Migration und Schleusungskriminalität“ verdiente. Seit einiger Zeit ist er als Stabsbereichsleiter Einsatz in der Bundespolizeidirektion Pirna tätig und damit für die Koordination der polizeilichen Tätigkeiten in den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zuständig. Somit verbinden sich in seinem beruflichen und akademischen Leben Theorie und Praxis einer polizeilichen Zusammenarbeit zu einer Einheit. Aus dem Spiegeln der Theorie an der polizeilichen Praxis ergibt sich eine vergleichende Tiefe, die an vielen Stellen zu ungewöhnlichen Erkenntnissen führt.

Jedwede wissenschaftliche Arbeit braucht – möglichst zu einem sehr frühen Zeitpunkt – eine klare Umschreibung des Forschungsgegenstandes. Das klingt einfacher als es in der praktischen Umsetzung ist. Hilfreich sind dabei markante thematische oder zeitliche Einschnitte. Für Niechziol veränderten die Terroranschläge auf die USA am 11. September 2001 das Sicherheitsszenario. In der Folgezeit verstärkten weitere schwere Straftaten – unter anderem führt der Autor die Mordserie des NSU und mehrere terroristische Anschläge in Deutschland und Europa auf – die Forderung nach einer besseren Abstimmung zwischen den Polizeien des Bundes und der Länder. Dies fand kurze Zeit später seinen Niederschlag in neuen Gesetzen, wie dem Antiterrordateigesetz oder dem novellierten BKA-Gesetz. Als weiteren markanten Punkt auf dem Weg zu einer föderalen Sicherheitsarchitektur sieht Niechziol die Aufarbeitung des Anschlags vom Breitscheidplatz. Eine sich daraus ergebende Forderung war die engere Zusammenarbeit der Polizeien und auch der Sicherheitsdienste. Zu Recht kritisiert er, dass sich aus den vielfältigen Ansätzen, die mit einer inflationären Forderung nach vernetzter Sicherheit einhergingen, einerseits keine praktischen Veränderungen ergaben und sich andererseits in die wissenschaftliche Diskussion mehr und mehr eine „inhaltliche Unschärfe“ einschlich. Dabei geriet, auch das kritisiert der Autor, mehr und mehr die Frage in den Hintergrund, „ob der Ansatz der ‚vernetzten Sicherheit‘ bei der Kooperation der Sicherheitsbehörden tatsächlich eine Organisationsform der Zukunft ist.“ Anschließend beschreibt er die einzelnen Akteure im Bereich der Sicherheit, wobei er den deutlichen Schwerpunkt auf die Bundespolizei und in einem historischen Überblick auf deren Vorgängerorganisation, den Bundesgrenzschutz, legt.

Während in der Darstellung die thematische Breite abgearbeitet wird, geht der Verfasser auch immer wieder in gedanklichen Exkursen ins Detail. Dies sei am Beispiel des Trennungsgebotes näher erläutert. Nicht als erster weist er nach, dass die klare Trennung zwischen polizeilichen und geheimdienstlichen Tätigkeiten nie bestand und sie auch nie bestehen musste, was das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur strategischen Telekommunikationsüberwachung im Jahr 1999 herausstellte. Das Erheben des mahnenden Zeigefingers ist Niechziols Sache nicht, aber es wird deutlich, dass er von den deutschen Entscheidern deutlich mehr erwartet. So zitiert er aus dem Weißbuch der Europäischen Kommission zur Zukunft Europas, in dem lakonisch über die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Geheimdiensten geschrieben wird: „Wer mehr will, tut mehr.“

Die Lösung vieler anstehender Probleme hält der Autor für möglich, wenn man „bestimmte Maßnahmen der Gefahrenabwehr zur Gemeinschaftsaufgabe“ umwidmen würde. Noch vor einigen Jahren hätte man einen solchen Vorschlag abtun können, da doch die Länder unisono darauf pochten, dass Polizei Ländersache ist. Dieser Grundsatz ist aber – sollte er angesichts permanenter Unterstützung durch den Bund tatsächlich einmal gegolten haben – zumindest in Bewegung geraten. Manches deutet darauf hin, dass auch in diesem Bereich ein Aufweichen begonnen hat, wie es im Bereich der Bildung, die ja ebenfalls die Sache der Länder ist, bereits in vollem Gange ist.

Wie weit die Vernetzung im Bereich der Sicherheit – ein Begriff, der sich übrigens einer Definition entzieht – bereits vorangeschritten ist, macht der Verfasser detailliert am Beispiel der Bundesebene deutlich. Hier werden dann auch Institutionen wie das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum, das Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum Illegale Migration, das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum dargestellt. Dass der Autor seine Deskription dieser neuen Gremien mitunter auf nur wenige Zeilen beschränkt, mag man als Hinweis auf die operative Bedeutung werten, die er ihnen beimisst.

Nichts anderes als ein Paukenschlag ist das Kapitel „Ausblick und Handlungserfordernisse“. Dort fordert er für „das zwingend erforderliche ganzheitliche Krisenmanagement“ die Schaffung „ressort- und behördenübergreifender Sicherheitsstrategien“. Dieser Ansatz scheitert bisher, so weiß der Autor, „an dem politischen Willen, insbesondere an der zwangsläufig damit verbundenen Verfassungsänderung.“ Er glaubt den Fachkollegen nicht, die im Bereich der deutschen Sicherheitsarchitektur an eine Wende zum Besseren glauben. So sieht er auf absehbare Zeit keine Chance, dass eine dringend erforderliche Bundesbereitschaftspolizei geschaffen wird. Dies wäre ein schönes Schlusswort, denn dies war die Institution, die die Politiker im Jahr 1950 im Auge hatten, woraus dann ein Jahr später als Kompromiss der Bundesgrenzschutz entstand. Niechziol jedoch beendet sein Werk mit einem skeptischen Blick in die Zukunft, indem er Thomas Wandinger zitiert, der darlegt, „dass etwa bis zum Jahre 2050 keine signifikante Verbesserung der angespannten sicherheitspolitischen Gesamtlage zu erwarten ist.“

Rezensiert von: Reinhard Scholzen