Judith Eckert – Gesellschaf in Angst? Zur theoretisch-empirischen Kritik einer populären Zeitdiagnose – Rezensiert von: Thomas Feltes

Eckert, Judith; Gesellschaf in Angst? Zur theoretisch-empirischen Kritik einer populären Zeitdiagnose; 436 Seiten, ISBN: 978-3-8376-4847-8, Transcript-Verlag Bielefeld, 39.99 Euro

Innere Sicherheit wird zunehmend als „gefühlte Sicherheit“ gehandelt: Die Angst vor Straftaten erscheint für den einzelnen Bürger wichtiger als die tatsächliche Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden. Von Politikern wird diese Angst bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit instrumentalisiert. Im Ausland wird „German Angst“ als typisch deutscher Charakterzug verstanden, Bode (2006) hat sie als „Deutsche Krankheit“ bezeichnet. Deutsche leiden unter Existenzängsten und der Sorge vor negativer Veränderung – und unter der Angst vor Kriminalität. Dabei haben statistische Angaben zur Kriminalität (auch wenn sie nur eine bedingt verlässliche Quelle darstellen) ebenso wenig Einfluss auf die Verbrechensfurcht wie die Entwicklung der durch Befragungen erhobenen eigenen Viktimisierung. Die Angst davor, Opfer zu werden, spiegelt – so die These[1] – weniger konkrete Bedrohungen, sondern eher allgemeine gesellschaftliche Ängste und Verunsicherungen wider, die hervorgerufen werden durch Segmentierungen, Marginalisierungen sowie zunehmende gesellschaftliche Herabstufungen von Bevölkerungsgruppen. Hinzu kommen zunehmender ökonomischer Druck und eine generelle Zukunftsangst: Angst vor Krankheit, Armut im Alter, vor den Auswirkungen der Globalisierung, vor Flüchtlingen. Diese Ängste fokussieren sich – auch bedingt durch mediale Berichterstattung und die damit einhergehende politische Stimmungsmache – auf Kriminalität und damit auf „die Kriminellen“, die zunehmend als Ausländer und Migranten „identifiziert“ werden.

Dieses Buch von Eckert stellt der Annahme, dass die Ängste der Deutschen groß sind und in den vergangenen Jahren zugenommen haben, die These gegenüber, dass die These, dass sich die Angst zur „zentralen Befindlichkeit entwickelt hat, … auf vielen fragwürdigen Annahmen beruht“ (S. 14). Welche das sind, stellt Eckert in der Studie, die auf der Analyse von 39 Interviews aus einem Projekt zu subjektiven Wahrnehmungen und Einschätzungen von Unsicherheit[2] beruhen, ausführlich dar.

Eckert geht der Frage nach, welche Bedeutung Angst im Alltag der Menschen wirklich zukommt und welche Ängste konkret eine Rolle spielen. Sie hinterfragt die Annahme von Angst als zentraler zeitgenössischer Befindlichkeit und trägt zur Differenzierung der Debatte bei. Neben empirischen Analysen bietet sie Bausteine für eine theoretisch, konzeptuell und methodologisch fundierte Soziologie der Angst sowie Anregungen für eine reflexive, lebensweltlich orientierte Sicherheitsforschung.

So werde angenommen, dass Angst zum allgemeinen »Lebensgefühl« (Beck) wurde, das alle betrifft. Angst kenne kaum soziale Schranken und habe nun auch die bislang als sicher geltende Mittelschicht erreicht. Zweitens beziehe sich Angst auf verschiedenste Thematiken: von der Abstiegsangst hin zur Terrorangst. Die Ängste erscheinen damit als zahllos und werden als Erklärung für unzählige Sachverhalte herangezogen. Besonders prominent unter den zahlreichen Ängsten seien Status- und Abstiegsängste, die sich unterschiedlich äußern, etwa in Bildungspanik oder der Angst, falsche Entscheidungen zu treffen, z.B. in Bezug auf Bildung, Beruf und Partnerschaft.

Dabei geht sie durchaus davon aus, dass sich das Thema Kriminalität gut als Stellvertreter für andere und die „eigentlichen Ängste, etwa hinsichtlich sozialer Sicherheit“ eignet (S. 16). Letztlich aber glaubt sie nachweisen zu können, dass Kriminalitätsfurcht weder mit Kriminalität, noch mit Furcht etwas zu tun hat. Man mag dieser Analyse durchaus auch und gerade vor dem Hintergrund des oben gesagten folgen; richtig ist, dass es sich nicht immer um Kriminalität handelt, worum die Angst kreist (sondern oftmals um sog. „incivilities“, also alltägliche Unordentlichkeiten), noch es sich immer um Angst als emotionale Reaktion handelt, da sie medial überhöht und thematisiert wird (S. 366 f.).

Letztlich aber bleibt die Annahme bestehen, dass, wie Helga Cremer-Schäfer und Heinz Steinert dies bereits Anfang der 1990er Jahre formuliert haben, Kriminalität sich für die mikropolitische Ökonomie der Angst bzw. Unsicherheit anbietet – womit wir wieder bei der Ausgangsannahme wäre, dass Kriminalität als Chimäre sich bestens dazu eignet, allgemeine gesellschaftliche Ängste zu bündeln und Sündenböcke (seien es nun die Straftäter oder die Migranten) zu kreieren.

Insgesamt ein Buch, dass zum Nachdenken über den Begriff Angst und seine Verwendung anregt, nicht zuletzt aber vor dem Hintergrund des doch recht eingeschränkten methodischen Ansatzes leider nicht mehr zu leisten in der Lage ist. Denn auf (auch und besonders) empirisch gestützte Analysen der Verbrechensfurch zu verzichten, nur, weil damit möglicherweise diese Ängste erst geweckt werden, kann keine Lösung sein.

[1] Vgl. ausführlich dazu Feltes, Thomas: Die „German Angst“. Woher kommt sie, wohin führt sie? Innere vs. gefühlte Sicherheit. Der Verlust an Vertrauen in Staat und Demokratie. In: Neue Kriminalpolitik 1, 2019, S. 3 – 12.

[2] Das Projekt war Teil von BaSiD, https://basid.mpicc.de/de/startseite.html

Rezensiert von: Thomas Feltes