Britta Rutert: Contested Properties. Peoples, Plants, and Politics in Post-Apartheid South Africa. Rezensiert von Thomas Feltes

Britta Rutert: Contested Properties. Peoples, Plants, and Politics in Post-Apartheid South Africa. Bielefeld, transcript-Verlag 2020, 354 Seiten, ISBN: 978-3-8376-4794-5, 39.99 Euro

„Contested Properties“ – „Umstrittenes Eigentum“. In dem Buch geht es um Menschen, Pflanzen und Politik in Südafrika, aber auch um dem Kampf um natürliche medizinische Ressourcen und Versuche, den Menschen, die diese Ressourcen entdeckt haben, zu deren Geschichte sie gehören und die sie anwenden, wegzunehmen. Diese Form von „Kriminalität“ ist nicht oder nur teilweise im nationalen und schon gar nicht im internationalen Strafrecht geregelt – aus verschiedenen Gründen, auf die noch einzugehen sein wird. Sie hat aber massiven Einfluss auf das Leben der indigenen Bevölkerung in Südafrika. Da diese Kriminalität (auch) von Deutschland ausgeht (Stichwort „Biopiraterie“), ist dieses Buch auch hierzulande von kriminologischem Interesse.

Das Buch befasst sich mit der Ausbeutung von Heilpflanzen und den damit verbundenen Kenntnissen auf dem Gebiet der Bioprospektion in Südafrika nach der Apartheid. Unter Bioprospektion wird die Nutzung genetischer oder biologischer Ressourcen für kommerzielle Zwecke verstanden. Dabei geht es auch um Forderungen nach politischer Beteiligung indigener Gemeinschaften sowie um nationale und lokale kulturelle Identität und das daraus entstandene Erbe.  Als Bioprospektion wird aber auch die Erkundung des kommerziellen Potenzials biologischer Ressourcen bezeichnet, insbesondere für Zwecke der Pharmazie. Sie betrifft vor allem wissenschaftliche Untersuchungen von Pflanzen, um deren wirtschaftliche Nutzbarmachung abzuschätzen oder um neue Wirkstoffe zu finden und erfolgt auch durch Forschungen bei indigenen Völkern und Analysen der Pflanzen und Wirkstoffe, die dort verwendet werden.

Die Studie von Rutert beschäftigt sich mit der Bioprospektion traditioneller Heilpflanzen oder „Muti“. Der Begriff Muti wird von traditionellen Heilern oder Heilpraktikern – aber auch von anderen südafrikanischen Bürgern – verwendet und ist mit indigenem Wissen verbunden[1]. Heilpflanzen sind neben den Technologien, mit denen sie hergestellt werden, im Fokus des Buches.

Neben der Bioprospektion geht es in dem Buch auch um Biodiversität. Darunter werden biologische Vielfalt und Artenreichtum verstanden; beides ist ebenfalls durch Maßnahmen westlicher Pharmakonzerne gefährdet. Bereits 2008 hatte sich eine Publikation der Gesellschaft für bedrohte Völker unter dem Titel: „Ausverkauf von biologischen Biodiversität und indigene Völker. Ressourcen und traditionellem Wissen“ beschäftigt[2]. Der Autor, Markus Nitsch, schreibt darin: „Dabei stellt inzwischen nicht mehr nur die rasch schwindende natürliche Artenvielfalt ein potenzielles Problem dar. Es spricht vieles dafür, dass dieser Verlust an Biodiversität uns früher oder später alle betreffen wird. Heute und unmittelbar betroffen sind aber vor allem indigene Völker und lokale Gemeinschaften, deren Wertvorstellungen auf ein Leben im Einklang mit der Natur ausgerichtet sind. … Bevor indigene Kulturen möglicherweise ganz verschwinden, bemühen sich allerdings insbesondere Pharma-konzerne im großen Stil, das traditionelle und medizinisch verwertbare Wissen indigener Kulturen für sich inForm von Patenten nutzbar zu machen. …  eine immer größere Zahl indigener Völker und Entwicklungsländer sehen nicht ein, warum seit Generationen überliefertes Wissen nur von Fremden genutzt werden darf und betrachten ein derartiges Verhalten als Biopiraterie oder Biokolonialismus“.

Durch den Schutz der Biodiversität werden auch die Bedeutung und die Verdienste der indigenen Völker für die Entwicklung und Bewahrung der Artenvielfalt anerkannt. Denn das Vorgehen westlicher Pharmakonzerne widerspricht dem indigenen Verständnis vom Verhältnis Mensch-Natur. Die Privatisierung ihrer Ressourcen und ihres Wissens durch Pharma- und Agrarkonzerne aus den Industrienationen ist für sie eine moderne Form des Kolonialismus. Daher hat sich in den vergangenen Jahren unter indigenen Völkern Widerstand gegen den Raub ihres Wissens und ihrer Ressourcen entwickelt. So ist es den San des südlichen Afrika mit Hilfe massiven öffentlichen Drucks gelungen, vor Gericht eine Gewinnbeteiligung im Zusammenhang mit der Nutzung des Wirkstoffes P57 in der Hoodia-Pflanze zu erstreiten. Laut eines 2003geschlossenen Vertrags sollen die San sechs Prozent der Lizenzeinnahmen, die der Council for Scientific and Industrial Research (CSIR) für Produkte mit dem Wirkstoff P57 von Phytopharm erhält, bekommen. Allerdings wird ihnen in dem Vertrag untersagt, ihr Wissen in irgendeiner anderen Weise kommerziell zu nutzen.[3]

Das von den Vereinten Nationen ausgerufene Jahrzehnt der Biodiversität[4] wurde auch in Deutschland benutzt, um auf dieses Thema aufmerksam zu machen[5].

In ihrer Studie beschreibt Rutert das seit Ende der 1980er-Jahre verstärkte Interesse pharmazeutischer Unternehmen und Forschungsinstitute an Pflanzen und indigenem Wissen darüber. Dies ist, so hat man erkannt, nutzbar, um neue Wirkstoffe zu finden bzw. Medikamente herzustellen. Die Unternehmen kommen meist aus Industrieländern, die Pflanzen hingegen aus Entwicklungsländern. Daraus folgt ein politisches und wirtschaftlich-soziales Gefälle, das zum Nord-Süd-Konflikt beiträgt. Die Arbeit beschäftigt sich auch mit den Akteuren, die sich gegenseitig beeinflussen und daher nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können, das Feld der biopro-Spektren. Für die auf diesem Gebiet beteiligten menschlichen (d.h. traditionellen Heiler, Biochemiker oder Pharmakologen) und nichtmenschlichen (d.h. Heilpflanzen) Akteure verwendet sie die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) als methodischen Rahmen für die Untersuchung. Dabei geht es um ein Konzept zur Erklärung wissenschaftlicher und technischer Innovationen, das seit Mitte der 1980er Jahre entwickelt und ausgearbeitet worden ist. Die Akteur-Netzwerk-Theorie zielt darauf, eine in ihrem Untersuchungsfeld geläufige Unterscheidung mit Hilfe des Netzwerk- Begriffs aufzubrechen: „die Unterscheidung zwischen Gesellschaft und Natur bzw. zwischen Gesellschaft und Technik. Soziale, technische und natürliche Entitäten und Faktoren werden in der Akteur-Netzwerk-Theorie nicht als Explanans, sondern als Explananda behandelt“.[6]

Konkret hat Rutert insgesamt 20 Monate in Südafrika und dort an verschiedenen Stellen mit indigenen Heilern verbracht, an entsprechenden Treffen und Tagungen dazu vor Ort teilgenommen und durch eine Mischung aus explorativen Interviews und teilnehmender Beobachtung eine überaus spannende ethnologische Studie zu diesem Thema vorgelegt. Dabei geht es auch um eher allgemeine Fragen, was zum Beispiel in diesem Kontext als „property“ (also Eigentum) zu verstehen ist, und welche Rolle dabei der kulturelle, spirituelle und emotionale Wert (emotional capital, Bourdieu) dieses Eigentums spielt. Dabei geht es dann auch um Patentfragen und die legale und illegale Nutzung entsprechenden Wissens um Pflanzen und deren Heilkräfte. Schätzungsweise 25% aller auf dem Markt befindlichen Arzneimittel basieren auf Pflanzen, so z.B. das bekannte Umckaloabo®, das als ein pflanzliches „Wundermittel” gegen Erkältungskrankheiten gilt und im Jahre 2010 unter den pflanzlichen Mitteln gegen Erkältungskrankheiten einen Spitzenplatz hatte. Damals verkauften sich von dem Arzneimittel etwa 4,1 Millionen Packungen pro Jahr in Deutschland mit einem Gesamtwert von etwa 55 Millionen Euro. Das Präparat wird aus den Wurzeln der Afrikanischen Geranie (Pelargonium sidoides) hergestellt. Das Wort Umcka(o)loabo bedeutet „schwerer Husten” in der Sprache der Zulu. Rutert geht in ihrer Studie ausführlich auf diese Entstehungsgeschichte und die Übernahme des Mittels durch den Pharma-Konzern Schwabe ein – die Werbung für dieses Produkt mit dem Löwenkopf dürfte jedem bekannt sein. Weniger bekannt ist der Streit um die Entwicklung. Der das Mittel vertreibende Konzern behauptet auf seiner Website: „Dort (in Südafrika, TF) trieb der Mut der Verzweiflung einen an einer schweren Atemwegserkrankung leidenden Engländer zum therapeutischen Selbstversuch mit der Kapland-Pelargonie. Diese letztendlich glückliche Fügung führte dazu, dass deutsche Forscher ab Mitte des 20. Jahrhunderts das Potenzial der Heilpflanze erforschen und das pflanzliche Arzneimittel Umckaloabo® entwickeln konnten“.[7] Verschwiegen wird dabei, dass Schwabe zuerst zwei Patente auf dieses Mittel anmeldete, diese aber später zurückzog um den Vorwurf der Biopiraterie zu vermeiden (S. 234 f.).

Das Buch beschreibt auch die Entwicklung von „Natural Justice“, die sich seit der Gründung im Jahr 2007 in Kapstadt für die Rechte indigener Gruppen einsetzen.[8] Dabei geht um den auch hierzulange bekannten Rooibos-Tee: “The San and Khoi people are the original knowledge holders to the uses of rooibos. Known scientifically as aspalathus linearis but called “rooibos” by the locals, the plant has been used by the San and Khoi for generations as a remedy for a wide range of ailments. The fine, needle-like rooibos leaves are high in antioxidants and caffeine-free. It can relieve allergic symptoms, provide an energy boost and help heal damaged skin. This was confirmed by a traditional knowledge study the South African government commissioned during 2014”[9]. Auch das Abnehmprodukt „SlimFast“ von Pfizer hat eine ähnliche Herkunft (S. 209), und auch die damit in Zusammenhang stehende Hoodia-Pflanze[10] (S. 240) – die einzige, bei der bislang ein sog. ABS Agreement[11] getroffen wurde (S. 242)[12]. Auch Produkte aus der „Teufelskralle“[13] sind in diesem Kontext zu nennen.

Sehr interessant und hervorzuheben ist die Tatsache, dass die Autorin dabei immer wieder ihre besondere „Außenseiter“-Rolle als weiße Person aus dem Globalen Norden betont. Die Lektüre des Buches ist daher auch eine Reise durch ein Land, das nach wie vor für viele Westeuropäer ein Geheimnis ist und eher mit Mord und Totschlag in Verbindung gebracht wird, als mit dem natürlichen Kapital, das dieses Land besitzt. Rutert[14] unterzieht sich selbst einer entsprechenden Behandlung durch einen lokalen Heiler, nachdem sie unter mehreren Missgeschicken zu leiden hatte. Aus der teilnehmenden Beobachterin wurde eine aktive Teilnehmerin, auch im weiteren Verlauf ihres Aufenthaltes, als sie selbst zur Heilerin „gerufen“ wird (S. 105 ff.). Wichtig dabei auch ihre Betonung, dass das „going native“ dabei auch Gefahren birgt – nicht nur individuelle, sondern auch forschungsethische.

Insgesamt ein Buch, das zwar nur am Rande kriminologische Bedeutung hat, aber aufgrund seiner anschaulich dargestellten Methodik und des aktuellen Bezuges zur Biopiraterie nicht nur in diesem Kontext gelesen werden sollte.

Thomas Feltes, März 2020

 

[1]Muti (Zulu uMuthi, „Baum, Strauch“) ist die traditionelle Pflanzenmedizin im südlichen Afrika, die von meist männlichen Pflanzenheilern, Inyanga, und von meist weiblichen Geistheilern, Sangoma, zur Krankenbehandlung angewandt wird. … Als Heilmittel kommen hauptsächlich alle Arten von Kräutern und Pflanzen zum Einsatz“, https://de.wikipedia.org/wiki/Muti_(Zulu)

[2] Verfügbar unter https://www.gfbv.de/fileadmin/redaktion/Reporte_Memoranden/2008/0508reportBiodiversitaet.pdf

[3] S. FN 2, S. 22

[4] https://www.cbd.int/2011-2020/

[5] https://www.undekade-biologischevielfalt.de/un-dekade/die-un-dekade-biologische-vielfalt/

[6] Vgl. I. Schulz-Schaeffer, Akteur-Netzwerk-Theorie: zur Koevolution von Gesellschaft, Natur und Technik. In: SSOAR 2000, https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/12215#

[7] https://www.umckaloabo.de/

[8] https://naturaljustice.org/ … is a young and fast-paced non-profit organisation specialising in environmental and human rights law in Africa – in pursuit of social and environmental justice. As a team of pioneering lawyers and legal experts we offer direct support to communities impacted by the ever-increasing demand for land and resources, conduct comprehensive research on environmental and human rights laws and engage in key national and international processes”.

[9] https://naturaljustice.org/publication/san-khoi-rooibos-factsheet/

[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Hoodia

[11] “An ABS agreement is essentially an agreement between parties regarding the terms of access and utilisation of genetic resources and associated traditional knowledge, including the sharing of benefits arising from utilization, subsequent applications and commercialization. An ABS agreement while unique to ABS shares some characteristics with ordinary contracts” http://www.abs-initiative.info/fileadmin/media/Events/2014/5-8_August_2014__Nadi__Fiji/The_ABS_Agreement_-_Key_Elements_and_Commentary.pdf

[12] Die Gattung Hoodia wurde im Jahr 2004 unter internationalen Artenschutz gestellt. Damit dürfen sowohl ganze Pflanzen als auch Teile und Erzeugnisse daraus (z. B. pharmazeutische Produkte/Nahrungsergänzungsmittel) nur gehandelt werden, wenn eine naturverträgliche Herkunft nachgewiesen wird.

[13] https://www.afrikanische-teufelskralle.net/

[14] Die Autorin ist 1974 geboren und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Charité Universitätsmedizin Berlin. Sie promovierte 2016 an der Freien Universität Berlin mit der hier besprochenen Arbeit. Sie ist außerdem ethnografische Forscherin beim Open African Innovation Research (openAIR) –Netzwerk und koordiniert heute die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe (IAG) „Zukunft der Medizin: Gesundheit für alle” an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.