Ulrich Eisenberg: Jugendgerichtsgesetz, bearbeitet von Ralf Kölbel. Rezensiert von Holger Plank

Ulrich Eisenberg[1]: Jugendgerichtsgesetz[2], bearbeitet von Ralf Kölbel[3]

ISBN: 978-3-406-73878-4, 1661 Seiten, C. H. Beck Verlag, München, Reihe „Beck‘ sche Kurzkommentare“, Band 48, 21. Auflage 2020, 109.- €)

Seit der ersten Auflage 1982 hat Ulrich Eisenberg den Beck‘ schen Kurz-Kommentar zum Jugendgerichtsgesetz bis zur 20. Auflage 2018 in alleiniger Bearbeitung zu einem über alle jugendstrafrechtlichen Professionen hinweg ge­schätzten und vielzitierten Standardwerk gemacht. Mit der 21. Auflage geht nun die Bearbeitung des Werkes auf Ralf Kölbel über, der auch schon die Bearbeitung des großen Lehrbuchs der „Kriminologie“ im Jahr 2017 von Hr. Eisenberg über­nommen hatte. Das ist schon einmal eine gute Nachricht, bleibt doch das beachtliche Werk somit sehr wahrscheinlich über viele weitere Auflagen erhalten. Nun harrt nur noch das letzte von Hr. Eisenberg mit unablässiger Akribie allein verantwortete große Werk, der Spezialkommentar zum „Beweisrecht der StPO“ (vgl. Fn. 1) der Übernahme der „Neu“-Bearbeitung, dann in der 11. Auflage.

Kölbel war auch sogleich gefordert. Neben einzuarbeitender neuerer Judikatur und Literatur waren u. a. die Veränderung von gerichtlichen Zuständigkeiten im Rahmen des „Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Betroffenen bei Fixierungen im Rahmen von Freiheitsentziehungen“ (BGBl. 2019 Teil I Nr. 23 vom 27. Juni 2019, S. 840 ff., dort Art. 7 in Bezug auf § 93 JGG), das „Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens“ (BGBl. 2019 Teil I Nr. 46 vom 12. Dezember 2019, S. 2121 ff., dort Art. 5 mit Bezug auf § 80 Abs. 3 JGG zur Nebenklage), vor allem aber die Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/800 über „Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige oder besschuldigte Personen im Strafverfahren sind“ vom 11. Mai 2016, verspätet umgesetzt durch das „Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschul­digten im Jugendstrafverfahren“ (BGBl. Teil I Nr. 47 vom 19. Dezember 2019, S. 2146 ff.) zu berücksichtigen. In jedem Fall eine „Kärrnerarbeit“, die – ein­hergehend mit dem Bearbeiterwechsel und der methodischen Dringlichkeit – eine umfassendere Neubearbeitung noch nicht erkennen lassen. Diese ist aber auch, wen wundert es angesichts des bewährten Aufbaus und der Qualität des arri­vierten Grundlagenwerks, von Hr. Kölbel offensichtlich auch nicht beabsichtigt. Er will den Charakter des Werkes nicht verändern, so sein Vorwort zur Neu­auflage, die „Handschrift“ des Kommentars wird sich in der Folge da und dort aber sicher individuell gestalten. Mit Hr. Kölbel ist sicher auch die inter­disziplinäre Kontinuität mit der Berücksichtigung bedeutsamer kriminologischer, psychologischer, sozialwissenschaftlicher und sozialpädagogischer Literatur zu erwarten, die den Eisenberg‘ schen Kommentar bisher für die heterogene Zielgruppe so wertvoll machte. Das lässt sich schon an den – legislativ bedingt – teilweise neu kommentierten Vorschriften erkennen, jedenfalls soweit hierzu schon tiefergehende empirische Daten verfügbar waren.

Die jüngste JGG-Reform betraf insbesondere

  • die Klarstellung der Anwendbarkeit des JGG bei unklarem Alter (§ 1 Abs. 3 JGG neu),
  • den Ausbau der Rechte und Pflichten der Jugendgerichtshilfe (v. a. in den §§ 38, 50 Abs. 3 JGG),
  • Klarstellungen zum notwendigen „Umfang der Ermittlungen“ (§ 43 Abs. 1 S. 4 [neu] unter Verweis auf §§ 38 Abs. 6 [neu] und 70 Abs. 2),
  • die obligatorische Vernehmung des Beschuldigten durch Staatsan­waltschaft oder den Vorsitzenden des Jugendgerichts bei zu erwartender Jugendstrafe (§ 44),
  • 46a neu zum Zeitpunkt der Anklage im Zusammenhang mit der notwendigen Berichterstattung der Jugendgerichtshilfe unter „Kindes­wohlgesichtspunkten“,
  • 51 Abs. 6 und 7 zur ersatzweisen Vertretung des Jugendlichen nach zeitweiligem Ausschluss der Erziehungsberchtigten aus der Haupt­verhandlung,
  • 51a neu iVm § 68 Nr. 5 zum „Neubeginn der Hauptverhandlung“ nach Feststellung der noch nicht erfolgten aber notwendigen Mitwirkung eines Verteidigers,
  • § 67, 67a neu zu Mitwirkungs- und Beteiligungsrechten von Erziehungs­berechtigten und deren gesetzlichen Vertretern sowie deren Entziehung durch das Jugendgericht,
  • Fallgestaltungen der „notwendigen Verteidigung“ (§§ 68, 68a, 68b, 70a, 70b JGG iVm §§ 140 ff. StPO) sowie ggf. der „audiovisuellen Aufzeichnung der Vernehmung“ (§ 70c JGG),
  • Modifizierung der Verfahrensvorschriften zum „vereinfachten Jugend­verfahren“, § 78 Abs. 3 JGG,
  • 89c – Anpassung der Vorschriften zur Vollstreckung der Untersuchungs­haft,
  • § 92, 93 – Anpassung der Vorschriften über „Rechtsbehelfe im Vollzug“ und „gerichtliche Zuständigkeiten“,
  • 104 – Anpassung der Verfahrensvorschriften im jugendgerichtlichen Verfahren,
  • § 109, 110 – Anpassung der Verfahrensvorschriften zur Anwendbarkeit des JGG und hinsichtlich der Vollstreckung von Untersuchungshaft bei Heranwachsenden.

Die z. T. weitreichenden Neuregelungen und Beteiligungspflichten / Mitwir­kungsrechte von Erziehungsberechtigten, gesetzlichen Vertretern, Jugendhilfe und der Ausbau der Vorschriften zur notwendigen Verteidigung und zur Vernehmung (inkl. deren audiovisueller Dokumentation) – jeweils unter besonderer Berücksichtigung des Wohls des betroffenen Jugendlichen – werden auch künftig in der jugendgerichtlichen / justiziellen / polizeilichen An­wendungspraxis zahlreiche Fragen aufwerfen, für die der „Eisenberg / Kölbel“ ein „schnörkelloses“, damit ebenso griffiges wie auch praxisgerecht aufgebautes und gestaltetes Nachschlagewerk ist und bleibt.

Holger Plank, im April 2020

[1] Prof. em. Dr. iur. Ulrich Eisenberg, bis zum Jahr 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug an der Freien Universität Berlin; neben dem „Standardkommentar“ zum JGG Verfasser zahlreicher Lehrbücher und Studienkommentare, u. a. des großen Lehrbuchs Kriminologie, in der 7. Auflage 2017 ebenfalls fortgeführt von Prof. Dr. Ralf Kölbel, allerdings nun hrsg. bei Mohr Siebeck oder dem Spezialkommentar zum Beweisrecht der StPO, 10. Auflage 2017, hrsg. bei C. H. Beck (in der 11. Auflage geplant und wahrscheinlich bearbeitet von Prof. Dr. Puschke und Dr. Ute Hohoff).

[2] Vgl. Inhaltsverzeichnis auf der Verlags-Website des C. H. Beck Verlags,  zuletzt abgerufen am 15.04.2020.

[3] Prof. Dr. iur. Ralf Kölbel, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Kriminologie an der LMU München.