Elektrokonvulsionstherapie kompakt. Für Zuweiser und Anwender. Hrsg. von M. Grözinger u.a.. Rezensiert von Thomas Feltes

Elektrokonvulsionstherapie kompakt. Für Zuweiser und Anwender. Herausgeber: Grözinger, M., Conca, A., Nickl-Jockschat, Th., Di Pauli, J.. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 2013. ISBN 978-3-642-25629-5, e-book 35,96 Euro, Softcover 54,99 Euro.

Die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) (besser umgangssprachlich wohl bekannt als „Elektroschock-Therapie“) soll das älteste Hirnstimulationsverfahren und heutzutage relativ weit verbreitet sein – was allerdings in der Öffentlichkeit eher weniger bekannt ist. Die EKT soll zu den „am besten wirksamsten Standardverfahren der Behandlung der therapie-resistenten Depression (TRD) und anderen schweren psychiatrischen Krankheitsbildern“ gehören[1]. Die EKT hat demnach ein sehr breites Wirkungsspektrum und zeichnet sich – so die Uniklinik Mainz – durch raschen und zuverlässigen Wirkungseintritt aus. Die EKT (ist) bis heute das wirksamste antidepressive Behandlungsverfahren mit Wirkungsraten von 50-70%. Bei zusätzlichem Vorliegen von Wahnideen, Halluzinationen oder depressivem Stupor hat die EKT eine Erfolgsrate von 82%. Eine Vielzahl nationaler und internationaler wissenschaftlicher Untersuchungen weist die EKT als Methode aus, die nach den Kriterien der evidence based medicine abgesichert, wirksam und anwendbar ist“ (aaO.).

Diese Aussagen überraschen, weil der genaue Wirkmechanismus der EKT trotz der „eindeutigen Beweise für ihre gute Wirksamkeit“ noch nicht ausreichend geklärt ist. Als entscheidend für die Wirkung wird ein sog. „Heilkrampf“ angesehen. Der im Rahmen einer EKT ausgelöster Anfall soll zahlreiche „funktionelle“ Veränderungen im Gehirn hervorrufen, die denen einer dauerhaften Antidepressiva-Medikation ähneln. So sollen z.B. die Konzentrationen von Hormonen und Botenstoffen im Gehirn günstig beeinflusst und regenerative Prozesse im Zentralnervensystem angeregt werden. Man löst also einen massiven Elektroschock aus, um dadurch „etwas“ zu beeinflussen, ohne genau zu wissen, wie dies funktioniert. Immerhin wird darauf hingewiesen, dass unter EKT bestimmte Beeinträchtigungen des Gedächtnisses auftreten können. „Diese sind in aller Regel vorübergehend und betreffen ganz überwiegend Ereignisse, die in engem zeitlichen Bezug zu der Behandlung stehen. Ein kleiner Teil der Patienten klagt allerdings glaubhaft über längerdauernde Gedächtnislücken, die bisher jedoch nicht ausreichend belegt und auch nicht sicher mit der Behandlung in Zusammenhang gebracht werden konnten“ (S. 55). Wohl nicht nur den Außenstehenden wundert es dann doch, dass ein solch massiver Eingriff in das Gehirn nach wie vor durchgeführt wird, obwohl man so wenig darüber weiß.

Die Auslösung von Krampfanfällen zur Behandlung seelischer Störungen war schon im 18.Jahrhundert praktiziert worden. In Einzelfällen wurden Aale eingesetzt, die sich mit Stromstößen gegen Patienten wehrten, die man in Bade-Bottichen mit ihnen zusammenbrachte. 1938 führten dann zwei Psychiater, die bei einem Strom-Unfall darauf aufmerksam wurden, in Italien den Elektroschock systematisch zur Behandlung von Psychosen ein. Interessanterweise ist es gerade Italien, das wohl weltweit die wenigsten dieser Behandlungen heute aufweist (s.u.).

Um es vorweg zu nehmen: Kritik an dieser Therapieform taucht im Buch leider nicht auf. Zwar werden „Komplikationen und Nebenwirkungen“ behandelt, aber auf gerade einmal zehn Seiten (S. 83 ff.). Deutlich ausführlicher werden diese Nebenwirkungen bspw. in anderen, der Therapie gegenüber grundsätzlich positiv eingestellten Beiträgen behandelt[2]. Auf knapp 1 ½ Seiten wird die so bezeichnete „Stigmatisierung“ der EKT behandelt (S. 12 f.) – ohne dabei wirklich auf die Tatsache einzugehen, dass führende Psychiater diese Therapie mit durchaus guten Gründen ablehnen.

Unter dem Titel „Die Wiederkehr des elektrisch ausgelösten Krampfanfalls: Legitime Therapie oder verantwortungslose Schädigung?“ gab es bspw. auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V. (DGSP) 2018 eine Vorveranstaltung, bei der man sich kritisch mit dieser Therapie auseinandersetzte[3]. Hier wurde darauf hingewiesen, dass Befürworter den konsequenten, vorbeugenden und dauerhaften Einsatz des Elektroschocks mit dessen Überlegenheit über Psychopharmaka, kaum vorhandenen „Nebenwirkungen“ und überlegener Ansprechrate begründen – so auch in dem hier besprochenen Buch. Kritiker verweisen auf die nur kurzfristigen positiven Effekte, teilweise erheblichen und chronischen Gedächtnisstörungen sowie das Risiko von Hirnschädigungen und andere körperliche Folgen. Es wird dann die Frage aufgeworfen, ob es sich um eine legitime Therapie handelt oder es verantwortungslos ist, Menschen überhaupt zu dieser Maßnahme zu raten und sie an ihnen vorzunehmen. Hier wird auch an einem konkreten Fall über mangelhafte Aufklärung, fragwürdige Diagnostik und „knallharten Vollzug einer Elektroschockserie aus nichtigem Anlass“ berichtet, der zu massiven gesundheitlichen Folgeschäden führte.

Die Patientenraten variieren weltweit und europaweit mindestens um einen Faktor 20. Hierfür sollen nicht allein ökonomische, sondern auch ethnische (?) oder medizinische Faktoren verantwortlich sein (S. 20). Welche „ethnischen“ Faktoren dies sind, wird nicht gesagt. Oder handelt es sich hier um einen Druckfehler und es sind „ethische“ Faktoren gemeint? Jedenfalls wäre auch vor dem Hintergrund (hier dann tatsächlich ethnischer) Diskriminierungen hier eine Aufklärung durch die Autoren und Herausgeber mehr als wünschenswert, ja sogar wissenschaftsethisch (kein Druckfehler) erforderlich.

Die große Bedeutung historischer Entwicklungen kommt – so die Autoren des Buches – am Gegensatz zwischen Dänemark und Italien deutlich zum Ausdruck. Während die antipsychiatrische Bewegung in Dänemark eine geringe Rolle spielte, habe sie sich in Italien (und ansatzweise wohl auch in Deutschland[4]) mit Vehemenz gegen die EKT gewandt. Es liegt (hier ist den Autoren zu folgen) nahe, dies mit den Behandlungszahlen in Verbindung zu bringen.

Wie die dem Buch entnommene Tabelle (S. 17) zeigt, liegt Deutschland im internationalen Vergleich eher im unteren Bereich – mit ca. 30.000 Behandlungen pro Jahr. Das sind knapp zehnmal so viele Behandlungen wie in Italien, aber (anteilmäßig) nur ein Bruchteil dessen, was Dänemark meldet.

Das Buch behandelt im ersten, allgemeinen Teil in insgesamt fünf Kapiteln die Geschichte der Elektrokonvulsionstherapie, EKT im internationalen Vergleich, in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien, Informationen für Patienten und Angehörige und behandelt die „besondere Stellung der EKT in Psychiatrie und Gesellschaft“. Im zweiten, speziellen Teil (11 Kapitel) geht es um Indikationen und Wirksamkeit, Sicherheits- und Nebenwirkungsprofil, technische Grundlagen, praktische Durchführung und Anwendung bei besonderen Patientengruppen, anästhesiologische Aspekte, Komedikation und begleitende Therapien, Weiterbehandlung nach erfolgreicher EKT sowie um Wirkungsmechanismen. Schließlich werden rechtliche Aspekte in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie rechtsmedizinische Aspekte der EKT in Italien (warum nur dort?) dargestellt.

Jeder ärztliche Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten stellt eine tatbestandliche Körperverletzung dar, die durch die Einwilligung des Patienten gerechtfertigt sein kann. Hier geht der Text intensiv auf die Voraussetzungen einer solchen Einwilligung ein. Allerdings ist die Formulierung, dass die „Grenzen der Aufklärungspflicht …. erreicht (sind), wenn besondere Umstände wie z. B. eine eilbedürftige Maßnahme oder ein ausdrücklicher Aufklärungsverzicht des Patienten vorliegen (§ 630e Abs. 3 BGB)“ ebenso oberflächlich wie die anschließende Aussage, wonach die Vorschrift keinen abschließenden Charakter haben, (…) „die Aufklärung aus »erheblichen therapeutischen Gründen« entbehrlich sein (kann), soweit sie das Leben oder die Gesundheit des Patienten ernstlich gefährden würde“. Hier wird auf eine Bundestagsdrucksache (BT-Drucks. 17/10488, S. 25) verwiesen, die allerdings deutlich klaren und ausführlicher ist als das Buch an dieser Stelle. Schade. Gerade dies wäre aber im Sinne der Patientenrechte und vor dem Hintergrund, dass die Anti-Folter-Kommission des Europarates[5] auch solche Aspekte bei ihren Besuchen (2020 auch in Deutschland, sofern möglich) untersucht.

Zusammenfassend kann man Faust folgen (s.o. FN 2), der schreibt, dass nicht nachzuvollziehen ist, wenn „beispielsweise schwer erkrankten und vor allem langfristig bis chronisch leidvoll belasteten Depressiven eine Behandlungsform vorenthalten wird, die ihr Los bisweilen erstaunlich bis spektakulär erleichtern könnte“. Allerdings sollte diese Therapieform auf genau diese Fälle beschränkt bleiben. Wir müssen also nicht versuchen, mit anderen Ländern in einen Konkurrenzkampf einzutreten, wer die meisten Anwendungsfälle hat.

Thomas Feltes, Mai 2020

[1] https://www.unimedizin-mainz.de/psychiatrie/patienten/weitere-behandlungsangebote/elektrokonvulsionstherapie-ekt.html

[2] Faust http://www.psychosoziale-gesundheit.net/pdf/Int.1-Elektrokonvulsionstherapie-EKT.pdf

[3] https://www.dgsp-ev.de/fileadmin/user_files/dgsp/pdfs/VA_Flyer/2018/ESchock_Symposium_DGSP_2018.pdf

[4] S. dazu meine Besprechung des Buches von Dörner u.a., „Irren ist menschlich“ im Polizei-Newsletter https://polizei-newsletter.de/wordpress/?p=840

[5] Der Rezensent ist seit 2018 der deutsche Vertreter in dieser Kommission, s. https://www.coe.int/en/web/cpt