Schmidbauer, Wilhelm; Steiner, Udo: Polizeiaufgabengesetz / Polizeiorganisationsgesetz. Kommentar. Rezensiert von Holger Plank

Schmidbauer, Wilhelm[1] / Steiner, Udo[2]: Polizeiaufgabengesetz /Polizeiorganisationsgesetz. Kommentar[3] ISBN: 978-3-406-71253-1, 1213 Seiten, C. H. Beck Verlag, München, 5. Auflage 2020, 65.– €

Seit geraumer Zeit erfährt polizeiliches Gefahrenabwehrrecht landauf landab signifikante Veränderungen, die – neben datenschutzrechtlich erforderlichen Anpassungen und der notwendigen Reaktion auf die nahezu vollständige Digitalisierung unserer Umwelt – mit einer veränderten gesamtgesellschaftlichen Risiko- und Gefahrenbewertung begründet werden. Das gilt im Besonderen für das bayerische Polizeiaufgabengesetz (BayPAG).

Die mehrfachen Novel­lierungen, die letztlich einen grundlegenden Umbau bayerischen Polizeirechts bedeuteten, erforderten eine Neukommentierung, die nun (nach der 4. Auflage aus dem Jahr 2014 nun endlich) von Schmidbauer und Steiner (Kommentierung der Art. 7 und 8 BayPAG, „Handlungs- und Zustandsstörer“) in der 5., völlig neu bearbeiteten Auflage vorliegt. Zunächst aber zur Chronologie der legislativen Ereignisse, welche die umfassende Neukommentierung notwendig machten:

Ausgangspunkt der ersten größeren Novelle des BayPAG war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20.04.2016 (BVerfGE 141, 220 – 378, „BKAG-Entscheidung“). Der bayerische Landesgesetzgeber nahm die Feststellungen des Gerichts sowie zwei schwere religiös-islamistisch geprägte Attentate in Würzburg und Ansbach zum Anlass, im Rahmen des „Sofortprogramms Innere Sicherheit vom 24. Januar 2017“ unter anderem mit dem „Gesetz zur effektiven Über­wachung gefährlicher Personen“ vom 24. Juli 2017 (GVBl. 2017, S. 388) bay­erisches Polizeirecht im Vorgriff auf die ohnehin geplante umfassende Novelle an „diese neue Lebenswirklichkeit“ anzupassen. Mit Wirkung vom 01.08.2017 nahm der Landesgesetzgeber insbesondere in Anlehnung an die Rn. 112 der Urteilsbegründung des o. g. BVerfGE u. a. die neue Gefahrenkategorie der „drohenden Gefahr“ (Art. 11 Abs. 3 BayPAG) in das Gesetz auf und knüpfte deren Anwendung in der Generalklausel und verschiedenen typischen Eingriffs­befugnissen an eine abschließende Aufzählung „bedeutender Rechtsgüter“. Zudem hob er die bisher geltende absolute Höchstdauer der präventiven Gewahrsamnahme, die bislang zwei Wochen betrug, auf und verlangte nun durch Feststellung in Art. 20 Nr. 3 BayPAG und durch Verweis auf das 7. Buch des FamFG – Verfahren in Freiheitsentziehungssachen  (§§ 415 – 432) bereits bei der richterlichen Anordnung des Gewahrsams nicht nur wie bisher eine Feststellung der Dauer, sondern verband damit auch das Erfordernis, dass ein Richter nach spätestens drei Monaten eine neue Entscheidung über die Fortdauer des Gewahrsams treffen müsse. Ferner führte er parallel zum BKAG in Verknpüpfung mit verschiedenen Aufenthaltsge- und -verboten als eines der ersten Bundesländer eine Befugnisnorm zur „Elektronischen Aufenthaltsüber­wachung“ von Gefährdern ein, nahm die „Quellen-TKÜ“ wieder in das BayPAG auf und verlängerte die Speicherfrist für Maßnahmen der offenen Videografie von drei Wochen auf zwei Monate.

Parallel zu diesem Gesetzgebungsverfahren liefen die Planungen für eine umfassende Novelle des BayPAG weiter. Sie mündeten in das „Gesetz zur Neu­ordnung des bayerischen Polizeirechts“ (PAG-Neuordnungsgesetz, GVBl. 2018, S. 301, ber. S. 434), welches unter Integration o. g. Befugnisse und der not­wendigen Umsetzung des „Europäischen Datenschutzpakets“ (VO [EU] 2016 / 679 – EU-DSGVO und der RiLi [EU] 2016/680) in nationales Recht einen kompletten Umbau der Struktur des Gesetzes und wiederum zahlreiche neue bzw. modifizierte Befugnisnormen mit sich brachte und am 25.05.2018 in Kraft trat.

Einige Zeit vor den oben genannten grundlegenden Änderungen wurden im Rah­men der Gesetzgebungsverfahren zum „Bayerischen Integrationsgesetz“ (GVBl. 2016, S. 335, Lt.-Drs. 17/11362 vom 10.05.2016, dort Art. 17a zur PAG-Änderung) und zum bayerischen „Gesetz über Verbote der Gesichtsverhüllung in Bayern“ (GVBl. 2017, S. 362, dort § 5) Anpassungen der Betretungs- und Identitätsfeststellungsbefugnisse im BayPAG wirksam.

Zuletzt erforderte ein Beschluss des Ersten Senats des BVerfG vom 18.12.2018, 1 BvR 142/15 zu Art. 33 Abs. 2 S. 2 i. V. m. Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 BayPAG zur „automatisierten Kraftfahrzeugkennzeichenkontrolle“ eine Anpassung des BayPAG, welche mit dem „Gesetz zur Änderung der Bestimmungen zu auto­matisierten Kennzeichenerkennungssystemen“ (GVBl. 2019, S. 691, „AKE-Änderungsgesetz“) erfolgte.

Nicht zuletzt war auch die Neugründung der im Jahr 1998 aufgelösten Bay­erischen Grenzpolizei mit Wirkung vom 01.08.2018 zu berücksichtigen.

Die dargestellten Änderungen des BayPAG führten zu zahlreichen, aktuell noch nicht entschiedenen Verfassungsbeschwerden, Normenkontrollanträgen und Mei­nungsverschiedenheiten zum Landesverfassungsgerichtshof in Bayern und zum Bundesverfassungsgericht. Unter anderem diese Entwicklung veranlasste den Ministerrat am 12. Juni 2018 eine Kommission zur Begleitung des neuen Polizeiaufgabengesetzes („PAG-Kommission“) unter Vorsitz des Präsidenten des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs a. D. zu berufen. Deren Auftrag besteht in der „unabhängigen Begleitung und Prüfung der Anwendung des Polizei­aufgabengesetzes“. Diese umfangreichen „Vollzugserfahrungen“, in einem aufwändigen Verfahren in unzähligen Anhörungen der Kommission erhoben, mündeten in einen detaillierten Abschlussbericht, der dem Bayerischen Staats­minister des Innern für Sport und Integration am 30.08.2019 übergeben worden ist. Der Bericht soll die Grundlage zu einer erneuten (größeren) Novellierung des PAG bilden, die derzeit vorbereitet wird[4] und voraussichtlich im Herbst des Jahres 2020 in das parlamentarische Verfahren mündet und voraussichtlich im Frühjahr 2021 in Kraft treten wird. Man darf also schon auf die notwendige 6. Auflage des gefahrenabwehrrechtlichen Standardwerks gespannt sein!

Das ist die Folie, vor deren Hintergrund die umfassende Neukommentierung des BayPAG, auf die nicht nur die Vollzugspraxis ungeduldig gewartet hat, einzu­ordnen ist. Den Kommentatoren ist wiederum ein beeindruckendes Werk in ganzheitlicher Betrachtung gelungen, die kaum eine Frage offen lässt. Zusammen mit dem bereits 2019 ebenfalls bei C. H. Beck von Schmidbauer und Holzner[5] hrsg. Lehrbuch „Bayerisches Polizei- und Sicherheitsrecht[6] ist eine umfas­sende kritisch-reflexive Betrachtung und Einordnung der komplizierten Ge­setzesmaterie in Lehre, Studium und Praxis möglich. Praxisgerecht ist das Werk schon deshalb, weil es neben der umfassenden, gut lesbaren Kommentierung des PAG auch eine vollständige kommentierte Darlegung des Polizeiorganisations­gesetzes (BayPOG) sowie in einem Anhang ausschnittweise begleitende Texte des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz (§§ 23-29 EG GVG), des Gesetzes zu dem Schengener Übereinkommen vom 19. Juni 1990 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen sowie des Übereinkommens vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Re­publik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (Schengener Durchführungsübereinkommen – SDÜ) enthält. In Kombination mit den in Studium und Lehre gebräuchlichen jüngeren, nach dem o. g. Urteil des BVerfG zum BKAG hrsg. Standard-Lehrbüchern zum Polizei- und Ordnungsrecht[7] und dem nach wie vor grundlegenden, weiterhin sehr empfeh­lenswerten polizeirechtlichen Grundlagenwerk von Drews et. al.[8] gelesen und ausgewertet, ist der polizeirechtliche (Groß-)Kommentar von Schmidbauer / Steiner ein unverzichtbares Nachschlage- und Orientierungswerk zu allen we­sentlichen gefahrenabwehrrechtlichen Fragen für Polizeibehörden, nicht nur für das bayerische Polizeirecht alleine.

Holger Plank, im Juli 2020

[1] Prof. Dr. iur. Wilhelm Schmidbauer, Landespolizeipräsident Bayern, Universität Regensburg.

[2] Prof. em. Dr. iur. Udo Steiner, Lehrstuhl für öffentliches Recht, insbesondere deutsches und europäisches Verwaltungsrecht, Universität Regensburg; Bundesverfassungsrichter a. D.

[3] Vgl. Inhaltsverzeichnis auf der Verlags-Website des C. H. Beck Verlags München, zuletzt abgerufen am 10.07.2020.

[4] Vgl. Pressemitteilung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 30.08. 2019, https://www.stmi.bayern.de/med/aktuell/archiv/2019/190830-ubergabe-des-abschlussberichts-der-pag-kommission/, zuletzt abgerufen am 10.07.2020.

[5] PD Dr. iur. habil. Thomas Holzner, Dipl. sc. pol. (Univ.), Universität Augsburg.

[6] Vgl. u. a. die Besprechung von Reber in: Die Polizei 111 (2020), H. 6, S. 244.

[7] Vgl. z. B. nur Thiel (Nomos-Verlag), 4. Auflage 2020 (der bei der DHPol den IMK-Auftrag hat, einen einheitlichen Musterentwurf eines Polizeigesetzes (MEPolG) zu erstellen); Schoch (C. H. Beck, „Besonderes Verwaltungsrecht“, Kap. 1), 2018; Schenke (C. F. Müller), 10. Auflage 2018; Kingreen / Poscher, 10. Auflage 2018; Gusy (Mohr Siebeck), 10. Auflage 2017 u. a.

[8] Drews, Bill / Wacke, Gerhard / Vogel, Klaus / Martens, Wolfgang, “Gefahrenabwehr“, 9. Auflage, 1986.