Burke, Hendrik : Die Polizeiverordnung. Rezensiert von Holger Plank

Burke, Hendrik[1]: „Die Polizeiverordnung“[2] ISBN: 978-3-428-15792-1, 281 Seiten, Verlag Duncker & Humblot, Berlin, 2019, Reihe Schriften zum öffentlichen Recht (SÖR), Band 1409, 79,90 € [E-Book als .pdf für 71,90 €])

Tiefgreifende ökonomische, politische und soziokulturelle Transformationspro­zesse, die gegenwärtig noch deutlich an Intensität und Geschwindigkeit zuneh­men, verändern die Risikoperzeption der Menschen und des Gesetzgebers. Ganz allgemein stehen traditionelle Gewissheiten zur Disposition, der gewohnten Er­wartbarkeit und Berechenbarkeit wird zunehmend das Fundament entzogen. Die Dynamik der Veränderung findet ihre individuelle Entsprechung in abnehmender Überschaubarkeit und sinkender Erwartungssicherheit.[3] Eine derartige Risikoper­zeption ist immer schwieriger in den klassischen polizeirechtlichen Gefahrenbe­griff einzubetten. Besonders terroristische Gewalttaten haben dazu beigetragen, dass Sicherheitsfragen im aktuellen politischen Diskurs einen anhaltend hohen Stellenwert haben.[4] 

So kommt es, dass das polizeiliche Gefahrenabwehrrecht seit geraumer Zeit im Umbruch ist. Insbesondere seit dem Urteil des BVerfG zum BKA-Gesetz[5] und der Notwendigkeit der Umsetzung des „Europäischen Daten­schutzpakets“ (VO [EU] 2016 / 679 – EU-DSGVO und der RiLi [EU] 2016/680) in nationales Recht verändern sich die Gefahrenabwehrgesetze der Polizeien des Bundes und der Länder signifikant und auch sehr dynamisch. Vor diesem Hin­tergrund wird nicht nur vereinzelt ein sicherheitspolitischer „Paradigmen­wechsel“[6] kritisiert. Zudem wird kritisiert, es werde hiermit deutlich ein „Präven­tionsparadoxon“[7] offenbar. Es bestehe darin, dass „Freiheitsinteressen (…) gerade dadurch stabilisiert werden sollen, dass das immer mögliche Gefahren- und Ver­unsicherungsszenario im Bewusstsein gehalten, gleichzeitig aber dessen Beherr­schbarkeit in Aussicht gestellt“ werde. Derart argumentiert werde der Staat als Gewaltmonopolist fortlaufend mit neuen Gewährleistungskompetenzen ausge­stattet.

In dieser legislativen Umgebung setzt Burke mit seiner sehr gut gegliederten, ge­lungenen Dissertation einen instruktiven polizeirechtlichen Impuls. Er erinnert an allgemeine polizeiverwaltungsrechtliche Dogmen, traditionelle Grundbegriffe, wie die das staatliche Polizeiaufgabenrecht ergänzende Polizeiverordnung und den damit fest verbundenen abstrakten Gefahrenbegriff als Erlassschwelle und fasst seine Ergebnisse in einem umfänglichen, 33 wesentliche Feststellungen umfassenden Fazit (S. 248 – 255) sehr schön und chronologisch zusammen.

Burke leitet den Begriff und das Wesen der Polizeiverordnung, deren Grundlagen und die in Deutschland unterschiedlich verlaufenden Traditionslinien bis in die Gegenwart instruktiv und eingängig her. Die Landkarte der Ermächtigungs­grundlagen auf Landes- und auf kommunaler Ebene, so der Autor, ist heterogen. Manche Bundesländer bilden diese innerhalb eines einheitlichen rechtlichen Re­gelungsbereiches[8] ab, andere haben hierfür mehrere Gesetze[9] geschaffen. Unverzichtbare Merkmale im Rahmen dieser überwiegend kommunalen (nicht allgemein polizeilichen) Ermächtigungen sind jedoch das Mindesterfordernis der „abstrakten Gefahr“ und die besondere Beachtung der Verhältnismäßigkeit bei der Ausgestaltung sowie vor allem die eng begrenzte Geltungsdauer derartiger Verordnungen. Zur Erforschung eines potentiellen „Gefahrenvorfeldes“ besteht kaum legislativer Spielraum im kommunalen Polizeiverordnungsrecht. Hierzu ist durchgängig alleine der jeweilige Landesgesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren berufen.

Die engen legislativen Spielräume und die Gründe hierfür werden von Burke sehr gut hergeleitet und sind daher grds. gedanklich auch auf das Allgemeine Polizeiverwaltungsrecht, speziell auf die immer weitreichenderen Polizeiaufga­bengesetze übertragbar. Der Autor setzt damit einen beachtlichen Mosaikstein im inzwischen weit verzweigten und immer komplizierten Polizeiverwaltungsrecht, diskutiert eingängig Abgrenzungsfragen und grenzt die Handlungsspielräume der Verantwortlichen insbesondere auf kommunaler Ebene ein. Sehr schön entwickelt er dies am Beispiel der eng gefassten Verordnungsermächtigung hinsichtlich sogenannter „Alkoholverbotszonen“ und der restriktiven Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte in diesem Kontext. Kann der Nachweis der erforderlichen abstrakten Gefahr hierbei weder durch fachwissenschaftliche Erkenntnisse noch durch von der zuständigen kommunalen Behörde gesammeltem statistischen Material geführt werden, endet die „Satzungsermächtigung“ unmittelbar. Dann sind ggf. spezielle landesrechtliche Ermächtigungsgrundlagen erforderlich (vgl. z. B. Art. 30 Abs. 1 LStVG, unten Fn. 9), die dann ggf. „nur“ auf das Vorliegen „tatsächlicher Anhaltspunkte“ abstellen, wonach an bestimmten Orten „auf Grund übermäßigen Alkoholkonsums regelmäßig Straftaten oder auch Ordnungswi­drigkeiten begangen“ werden, was unterhalb der Schwelle der „abstrakten Ge­fahr“ anzusiedeln wäre. In derartigen Fällen wächst jedoch die besondere Betonung der Verhältnismäßigkeit nochmals auf.

Im Gesamtkontext der lesenswerten Arbeit wird zudem deutlich, dass aus guten Gründen inzwischen kaum mehr Raum für die Nutzung polizeilicher Ge­neralermächtigungen – obwohl flächendeckend vorhanden – besteht, jedenfalls nicht für qualitativ wertige Eingriffe. Insofern ist die Arbeit sowohl für die Landespolizei wie auch für kommunale Ordnungsbehörden ein gelungenes rechtstheoretisches Kompendium, und zwar bundesweit. Gleichzeitig schärft sie den Blick für die feingliedrige Konturierung des Gefahrenbegriffs, gerade aktuell scheint mir das ein beachtlicher Mehrwert zu sein.

Holger Plank

im Juli 2020

[1] Dr. iur. Hendrik Burke, Promotion 2019 an der Universität Osnabrück mit der vorliegenden Arbeit bei Prof. Dr. Thomas Groß.

[2] Vgl. Website des Verlags Duncker & Humblot, zuletzt abgerufen am 25.07.2020, vgl. hierzu auch das Inhaltsverzeichnis des Werks.

[3] Vgl. nur Hirtenlehner, KZfSS 2006, S. 307.

[4] Aden, in: Puschke / Singelnstein, Der Staat und die Sicherheitsgesellschaft, 2018, S. 153.

[5] BVerfGE 141, 220 – 387, dort vor allem Rn. 112 zur „drohenden Gefahr“.

[6] Zuletzt am Beispiel des PolG NRW Arzt, Die Polizei 110 (2019), S. 353 ff.; am Beispiel des bayerischen PAG Löffelmann, KJ 51 (2018), Heft 3, S. 355, der sogar von einem „gewaltsamen Paradigmenwechsel im bayerischen Polizeirecht“ spricht; allgemeiner Masing, JZ (66) 2011, S. 753 (757).

[7] Zabel, in: Puschke / Singelnstein (Fn. 4), S. 55 f.

[8] Vgl. z. B. nur PolG BW, §§ 10 ff. (Polizeiverordnungen).

[9] Vgl. z. B. Bayern, wo die Sicherheitsverordnungsermächtigung in eng umgrenztem Umfang in verschiedenen Ermächtigungsgrundlagen des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG) verankert ist, z. B. Art. 16 Abs. 1 (Bekämpfung verwilderter Tauben), Art. 18 Abs. 1 (für große / gefährliche Hunde), Art. 30 Abs. 1 (Alkoholverzehr / Alkoholverbotszone) etc. und das Verfahren hinsichtlich des Erlasses von (Polizei-)Verordnungen in einem eigenen Abschnitt des LStVG (Art. 42 – 53) regeln. Daneben gibt es noch das sogenannte „kommunale Satzungsrecht“ im eigenen Wirkungskreis, vgl. Art. 23 ff. Gemeindeordnung.