Kargl, Walter: Strafrecht. Einführung in die Grundlagen von Gesetz und Gesetzlichkeit. Rezensiert von Holger Plank

Kargl, Walter[1]: „Strafrecht. Einführung in die Grundlagen von Gesetz und Gesetzlichkeit“[2] ISBN: 978-3-8487-5162-4, 360 Seiten, Nomos Verlag, Baden-Baden, 2019, 79.- €

„Kargl (…) hat sich seit Mitte der siebziger Jahre mit (strafrechtswissenschaft­lichen) Themen (im Kontext von) Jurisprudenz und Psychologie (interdisziplinär) auseinandergesetzt. Fragen wie „Was ist Sozialtherapie?“, „Jurisprudenz der Geisteskrankheit“, „Kriminalität und Psychoanalyse“, „Kritik des Schuldprin­zips“ prägten seine Arbeiten. Bald folgte eine Ausrichtung an Rechtssoziologie und Rechtstheorie (mit Arbeiten zur) „Instrumentalität und Symbolik der posi­tiven Generalprävention“ oder zur „Funktion des Strafrechts in rechtstheo­retischer Sicht. (…) Seine (auch in dem zugrundeliegenden Werk durchgängig erkennbare fundierte und mitunter) originelle Sicht eines inter- und intradis­ziplinär gedeuteten Strafrechts, die sich zugleich durch Begriffsschärfe und an Grundrechten orientierte Zugriffsbegrenzung auszeichnet, ist für sein ebenso umfassendes wie konsequentes Werk prägend.“[3] Man darf ihn schon deshalb als einen wichtigen Vertreter einer umfassend angelegten „Gesamten Strafrechtswissenschaft“ einordnen und muss schon unter diesem Gesichtspunkt einen umfassenden Blick in sein wirklich beeindruckendes (Lehr-)Buch werfen.

Kargl beschäftigt sich in dem grundlegenden und vielschichtigen straf­rechts­wissenschaftlichen Werk ausgehend von der lateinischen Formel „nullum crimen, nulla poena sine lege scripta, praevia, certa et stricta“ sowohl ideengeschichtlich als auch beispielhaft praxisnah mit dem Gesetzlich­keitsprinzip des Strafrechts. Diese im deutschsprachigen Raum auf Paul Johann Anselm von Feuerbach[4] zurückzuführende, erstmals 1801 in dessen „Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts“ (dort § 24, S. 20 ff., „Höchste Principien des peinlichen Rechts“, sic.) niedergelegte und entfaltete Formel beschreibt unverzichtbare dogmatische Notwendigkeiten für das schärfste Schwert des Staates bei der Gewährleistung der sozialen Ordnung, das Strafrecht, nämlich u. a. die

  1. Notwendigkeit der schriftlichen Fixierung der Strafbarkeit einer Handlung und damit das Verbot strafbegründenden Gewohnheitsrechts („nulla poena sine lege scripta“),
  2. Notwendigkeit einer solchen Fixierung vor Begehung der Tat und somit die Begründung eines materiell-strafrechtlichen „Rückwirkungsverbots“ („nulla poena sine lege praevia“),
  3. Notwendigkeit hinreichender Bestimmtheit des Gesetzes – „strafrecht­licher Bestimmtheitsgrundsatz“ („nulla poena sine lege certa“) und schließlich
  4. das Verbot der Analogie zu Lasten des Angeklagten über den Wortlaut des Gesetzes hinaus („nulla poena sine lege stricta“).

Die „Feuerbach‘sche Formel“ wird in Kargls (straf-) rechtsphilosophischer Grundlegung mustergültig und in beeindruckender Tiefe, interdisziplinär im Sinne einer „Gesamten Strafrechtswissenschaft“ entfaltet. In acht ausführlichen Kapiteln (vgl. Fn. 2, Link zum Inhaltsverzeichnis) nähert er sich zunächst sowohl naturrechtlich als auch tiefgreifend rechtspositivistisch – mit zahllosen außerdis­ziplinären Entlehnungen – philosophisch, verfassungs- und strafrechtlich dem unbedingten Gesetzlichkeitserfordernis des Strafrechts unter der Prämisse der „ultima ratio“ in einem demokratischen Rechtsstaat an. Dann beleuchtet er dessen konkrete Ausformungen und dessen Reichweite am Beispiel ausgewählter Probleme und geht hierbei vor allem auf dessen dogmatische und methodische Sicherung umfassend ein. Dabei wird auch die immer wieder in der Literatur kritisierte Entwicklung hin zu einem tendenziellen Präventionsstrafrecht thema­tisiert und aktuell eingeordnet. In Anlehnung an das instruktive Zitat von Matthias Jahn

„Nachrichtendienste, Polizei- und Strafverfolgungsbehörden sind die drei zentralen Säulen der deutschen Sicherheitsarchitektur. Sie erfüllen als Wachturm, Schild und Schwert unterschiedliche aber doch auf dasselbe Ziel ausgelegte Aufgaben“[5]

könnte man die bei Kargl erkennbare Formel auch analog in die inhaltlich in das Zitat eingepasste und abgeänderte Reihenfolge „Gefahrenabwehrrecht, Straf­prozess- und Strafrecht“ als „Wachturm, Schild und Schwert“ des Rechtsstaats übersetzen.

Wenngleich große Teile des Dargelegten für einen demokratischen Rechtsstaat, in welchem die Würde jedes einzelnen Menschen zentraler Ankerpunkt der gesellschaftlichen und damit auch der rechtlich verfassten Werteordnung ist, selbstverständlich erscheint, die hervorragend gegliederte, facettenreiche inter­disziplinäre und durchgängig lesenswerte (straf-) rechtswissenschaftliche Grund­legung enthält zahlreiche hochinteressante Anker- und Anknüpfungspunkte. Kargl wägt sehr gelungen philosophische Theorien gegeneinander ab und setzt sie in Beziehung zum geschriebenen (Verfassungs-, Straf- und Strafprozess-) Recht. So eröffnet er mitunter auch nachdenkenswerte neue Perspektiven auf bestehende Interpretationsmuster.

Das (Lehr-)Buch macht nicht nur beim ersten Lesen Freude. Dessen hervor­ragende Gliederung und die schlüssige Wegweisung über zahlreiche innere Verweise sowie viele wertvolle Hinweise auf begleitende Primär- und Sekundär­lite­ratur machen es auch zu einem sehr gehaltvollen strafrechtswissenschaftlichen Kompendium, das in keiner (privaten / akademischen) Fachbibliothek fehlen sollte.

Holger Plank

im August 2020

[1] Prof. em. Dr. iur. Walter Kargl, bis 2014 Lehrstuhl für Rechtstheorie, Rechtsphilosophie und Strafrecht an der Goethe-Universität Frankfurt.

[2] Vgl. Website des Nomos Verlags, zum Inhaltsverzeichnis, zuletzt abgerufen am 25.07.2020

[3] Zitat aus der von P. A. Albrecht et al. 2014 in 1. Auflage (2. Auflage 2020) im Berliner Wissenschaftsverlag hrsg. Festschrift für Walter Kargl zum 70. Geburtstag.

[4] Vgl. Beitrag von Wolfgang Naucke in der Enzyklopädie zur Rechtsphilosophie, zuletzt abgerufen am 08.08.2020.

[5] Zitat Prof. Dr. Matthias Jahn, GoetheUniversität Frankfurt, anl. eines Vortrags bei der 1. Münchner Fachtagung zum Sicherheitsrecht der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag (YouTube: https://youtu.be/k9NbfSfVi1E, zuletzt aufgerufen am 08.08.2020),