Cornelia Koppetsch: Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter. Rezensiert von Thomas Feltes

Cornelia Koppetsch: Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter. Zweite, durchgesehene und korrigierte Auflage, Transcript-Verlag Bielefeld, 2019, 288 Seiten, ISBN: 978-3-8376-4838-6, 19.99 Euro (derzeit vergriffen)

Bis ein Buch erscheint, ist die Realität oftmals eine andere geworden. Dann ist der Inhalt zwar nicht obsolet geworden, aber nicht mehr unbedingt aktuell. Dieses Buch hat leider (zu) lange beim Rezensenten gelegen; aber vielleicht gerade deshalb hat es jetzt eine ganz besondere Bedeutung, denn vieles, was sich seit dem Erscheinen des Buches ereignet hat, bestätigt, ja intensiviert nur die Ausführungen, Thesen und Annahmen der Verfasserin. Und um es gleich vorwegzunehmen: Die Plagiatsvorwürfe, die anlässlich der Verleihung des bayerischen Buchpreises 2019 gegen die Verfasserin und das Buch aufkamen[1], sollen nicht unterschlagen werden. Die TU Darmstadt hat inzwischen ein Verfahren eingeleitet[2], und der Verlag das Buch zurückgezogen. Warum soll es dann dennoch hier besprochen werden? Ganz einfach deshalb, weil die Plagiatsvorwürfe nichts an dem Inhalt und der Richtigkeit der Analyse ändern, sondern sich (wie meist) darauf beziehen, dass Zitate nicht angemessen kenntlich gemacht wurden (angeblich 111 Stellen[3]). Die/derjenige/n, der sich der überaus luziden Analyse, die das Buch liefert, nicht entziehen will, kann und sollte es also dennoch lesen.

Denn (so der Klappentext) was noch in den 1990er Jahren undenkbar war, ist mittlerweile Alltag: Ganze Bevölkerungsgruppen verlassen den Boden der gemeinsamen Wirklichkeit, kehren etablierten politischen Narrativen (und Parteien) zornig den Rücken oder bestreiten gar die Gültigkeit wissenschaftlichen Wissens. Der Aufstieg des Rechtspopulismus markiert nach Dekaden der Konsenskultur eine erneute Politisierung der Gesellschaft.

Die Autorin will sich einen „soziologischen Reim auf den Aufstieg der neuen populistischen Rechtsparteien“ machen (S. 9). Sie beginnt das Buch mit einem Satz, der die Ergebnisse der Analyse auf den Punkt bringt: „Jeder soziale Wandel bedeutet die Vertreibung aus einem Paradies, einem Ort, der im Rückblick als Hort von Frieden, Ruhe, Ordnung und Wohlstand erscheint“ (aaO.). Wie wahr, denn viele erleben und erlebten in den vergangenen Jahren Globalisierung angesichts der Explosion von Ungleichheiten (nicht nur weltweit, sondern auch bei uns) und der Erosion des gesellschaftlichen Zusammenhalts als „kollektiven Kontrollverlust“. Kontrollverlust aber macht Angst, und so ist die Erklärung der Veränderungen in den vergangenen Jahren, welche die Verfasserin pointiert, aber immer theoretisch fundiert, liefert, auch eine Erklärung der „Ängste der Deutschen“, die sich auch und besonders im Bereich der Kriminalitätsfurcht verankern[4].

Die Studie von Koppetsch enthält, so der Rezensent im Portal für Politikwissenschaft[5], „im Wesentlichen zwei Provokationen, die für die weitere Befassung mit Phänomenen des Rechtspopulismus fruchtbar sind. Zum einen zeigt der methodische Ansatz des „kontrollierten Fremdverstehens“, dass hinter dem Aufstieg von rechten Bewegungen nicht nur (strukturelle) Ursachen stehen, die sich aus einer Beobachterperspektive erschließen lassen, sondern auch Gründe von Akteuren, denen ein Erleben von Deklassierung zugrunde liegt. Zum anderen sind diese Gründe nur zu verstehen, wenn die akademische Analyse ihren eigenen gesellschaftlichen Standort reflexiv vergegenwärtigt. Das betrifft den blinden Fleck akademischer Mittelklassen nicht zu sehen, in welcher Weise in ein kosmopolitisches Selbstverständnis ökonomische Privilegien eingelassen sind, die immer auch ein wirkungsvolles Grenzregime gegenüber unteren Schichten und Migranten praktizieren“.

Während übliche Erklärungen für die Entstehung des Rechtspopulismus vor allem die Ereignisse der Fluchtmigration 2015 oder Persönlichkeitsdefizite seiner Anhänger heranziehen, sieht Koppetsch die Gründe in dem bislang unbewältigten Epochenbruch der Globalisierung. Ihre Analyse geht damit viel tiefer, und vor allem macht sie deutlich, dass wir es uns mit den anderen Erklärungsversuchen zu einfach machen: 2015 wird sich nicht wiederholen, das betonen bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit Politiker jeglicher Couleur, und angebliche Persönlichkeitsdefizite bei Rechtsextremen lenken nur von der Frage ab, ob und in wie weit wir selbst nicht auch daran beteiligt sind, dass sich unsere Gesellschaft derzeit spaltet.

Koppetsch verdeutlicht in ihrem Buch, dass wirtschaftliche, politische oder kulturelle Grenzöffnungen als Kontrollverlust erlebt werden und ein unrealistisches Verlangen nach der Wiederherstellung der alten nationalgesellschaftlichen Ordnung wecken. „Konservative Wirtschafts- und Kultureliten sowie Gruppen aus Mittel- und Unterschicht, die auf unterschiedliche Weise durch Globalisierung deklassiert werden, bilden dabei eine klassenübergreifende Protestbewegung gegen die globale Öffnung der Gesellschaft“ (Klappentext).

Tatsächlich ist der epochale Umbruch, den wir erleben, nicht aufgearbeitet, und er entwickelt sich praktisch täglich weiter. Die Corona-Pandemie unterstützt diese Entwicklung sogar noch, obwohl eigentlich angesichts einer weltweiten Gesundheitsgefahr gemeinsames Handeln angesagt wäre.

Die „neuen Verlierer“ dieser Entwicklung bilden eine „Koalition der Deklassierten“ (S. 28), wobei sich „deklassiert“ nicht unbedingt nur auf finanzielle Aspekte beziehen muss, denn diese spielen für viele Menschen nicht mehr die primäre Rolle. Es hat sich auch und gerade bei uns eine „neue Struktur sozialer Ungleichheiten herausgebildet“ (S. 29), die eine Verschiebung von äußeren zu inneren Ängsten (S. 249) bewirkt.

Auch und gerade die kriminologische Forschung sollte dies intensiver berücksichtigen, statt nach den Ursachen für Kriminalitätsfurcht im Bereich von (eigener oder medial berichteter) Viktimisierung zu suchen.

Thomas Feltes, September 2020

[1] https://www.zeit.de/2019/47/plagiatsvorwuerfe-cornelia-koppetsch-gesellschaft-des-zorns

[2] https://www.br.de/nachrichten/kultur/disziplinarverfahren-gegen-cornelia-koppetsch-wird-eingeleitet,S7L926n

[3]Insgesamt 117 problematische Stellen hat die Kommission geprüft und davon 111 als Plagiate eingestuft. „Zahlreiche der problematischen Stellen sind als Plagiate, etliche als markante Textübernahmen zu bewerten. Hinzu kommen Verschleierungsbefunde und Stellen, die dem Muster des ‚Bauernopfer‘-Belegs entsprechen. Wiederholt werden bei Stellenübernahmen Literaturhinweise, die in der genutzten Quelle enthalten sind, weggelassen oder plagiierte Referate nicht gekennzeichnet, was die ‚eigentlich‘ zu nennende Quelle unsichtbar macht. In drei Fällen werden plagiierte – historisch-deskriptive – Aussagen umdatiert und dadurch sachlich verfälscht“, so heißt es in der Pressemitteilung der TU Darmstadt“, s. FN 2.

[4] Vgl. Feltes, Die „German Angst“. Woher kommt sie, wohin führt sie? Innere vs. gefühlte Sicherheit. Der Verlust an Vertrauen in Staat und Demokratie. In: Neue Kriminalpolitik 1, 2019, S. 3-12. Verfügbar hier: https://thomasfeltes.de/pdf/veroeffentlichungen/2019_01_Magazin_Feltes_bran.pdf

[5] https://www.pw-portal.de/schlaglichter/40956-die-gesellschaft-des-zorns