Marius Krudewig, Sportwettbetrug und Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben. Rezensiert von Thomas Feltes

Marius Krudewig, Sportwettbetrug und Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben. Eine verfassungsrechtliche und kriminalpolitische Betrachtung der §§ 265c, 265d StGB. 2020, 309 Seiten, ISBN 978-3-8487-6748-9. Nomos-Verlag Baden-Baden, 82.- Euro

Ein Strafrecht ohne Rechtsbedarf? So etwas gibt es nicht, und so etwas darf es nicht geben – denkt man. Gibt es aber, wie zu zeigen sein wird, und zwar in einem Bereich, der nicht erst seit dem Bundesligaskandal und dem „Fall Hoyer“ ein wichtiges Thema in Deutschland ist: dem Sportwettbetrug. Zum 01.01.2016 hat der Gesetzgeber die Vorschriften der §§ 265c und 265 d StGB geschaffen, mit denen sich die vorliegende Arbeit beschäftigt. Bestraft werden sollen demnach Spitzensportler*innen des organisierten Sports und diejenigen, die aus der sportlichen Betätigung unmittelbar oder mittelbar Einnahmen von erheblichem Umfang erzielen. Dabei ist schon hier unklar, was Spitzensportler sind, was „organisierter Sport“ und was „Einnahmen in erheblichem Umfang“ sein sollen, oder „was auch immer dies ist im diffusen Entlohnungssystem unterhalb des Berufssports heißen mag“. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo Steiner, von dem diese Aussage stammt, hat diese Formel als „eher geeignet für den Gesetzesvollzug durch Sozial- und Steuerbehörden und weniger durch die Organe der Strafverfolgung“ bezeichnet[1].

Der politisch forcierte und medial bejubelte, selbstverständlich „alternativlose“ Gesetzentwurf war nicht mehr aufzuhalten“ – so Steiner. Und weiter: „Das Gesetz bewirkt den tiefsten Eingriff in die Autonomie des Sports in der Nachkriegsgeschichte nach dem Boykottbeschluss Deutschlands im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen in Moskau 1980. Der Gesetzgeber (teil-)verstaatlicht ein Sportgut – die Integrität des Sports. Es wird zum Rechtsgut in staatlicher Obhut. Damit weist er die Selbstlösungskompetenz des Sports als insuffizient zurück[2].

Nun wird sich der Leser/die Leserin dieser Rezension fragen, warum zu Beginn dieser Besprechung Zitate aus einem anderen, zudem sehr kurzen Aufsatz stehen und nicht das Buch, das immerhin über 300 Seiten umfasst, im Mittelpunkt steht. Die Antwort soll am Ende gegeben werden. Vorab aber noch einmal der Sachstand[3]: Bei der Einführung eines neuen Straftatbestandes stellt sich immer die Frage, ob es einen legitimen Zweck für die gesetzgeberische Maßnahme gibt – denn nur dann darf diese ergriffen werden. Dies beinhaltet vor allem die Frage nach der Strafwürdigkeit eines Verhaltens. Das Strafrecht ist und bleibt (hoffentlich) die „ultima ratio“, wenn sozial schädliches oder unerwünschtes Verhalten verhindert werden soll. Die Manipulation von Sportwettbewerben erscheint auf den ersten Blick zwar verwerflich, aber möglicherweise nicht zwingend strafwürdig, auch wenn die Liste der Match Fixing Ereignisse lang und der wirtschaftliche Umfang dieser Maßnahmen beträchtlich sind. Dabei kann die konkrete Ausgestaltung im Einzelfall durchaus skurril sein, wenn bspw. bei einem Fußballspiel in Irland drei Zuschauer anwesend sind, davon zwei, die das Spiel für einen Wettanbieter beobachten.

Daher ist zunächst zu prüfen, ob durch die Manipulation sportlicher Wettbewerbe ein Rechtsgut gefährdet ist, dessen Schutz den Eingriff des Strafrechts rechtfertigt, denn zentrale Aufgabe des Strafrechts ist nach h.M. der Schutz von Rechtsgütern. Die Frage nach der Strafwürdigkeit kann also ohne die Frage nach dem geschützten Rechtsgut nicht beantwortet werden.

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die Auffassung vertreten, dass der Gesetzgeber das Rechtsgut selbst bestimmen kann.  Er müsse bei der Normschaffung lediglich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbots beachten. Im Grunde setzt die Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Rechtsgutslehre aber bereits voraus, denn man braucht einen Bezugspunkt für die Beurteilung eines Eingriffs als geeignet, erforderlich und angemessen.  Letztlich wird auch nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts dem Rechtsgut als wesentliches Element eines Straftatbestandes keine komplette Absage erteilt, sondern das Strafrecht wird und muss weiterhin als ultima ratio des Rechtsgüterschutzes angesehen werden. Eng hiermit zusammen hängt die rechtspolitische Bedeutung des Rechtsgüterschutzgedankens. Wird deutlich, dass für ein – vielleicht neu entstandenes oder neu entdecktes – Rechtsgut noch keine oder keine den veränderten Bedrohungsmöglichkeiten adäquaten Schutzmechanismen bestehen, dann muss sich der Gesetzgeber die Frage stellen, ob die entsprechenden Güter gegen die jeweiligen Bedrohungen auch strafrechtlich geschützt werden müssen.

Jetzt aber endlich zu dem hier besprochenen Buch. Zwar beschäftigt ich der Autor auf S. 126 ff. mit der Kritik am Rechtsgut der Integrität des Sports, allerdings mit mehr Fußnotennachweisen als eigenem Text. Generell gibt sich die Arbeit durchgängig sehr referierend, und eine eigene (kritische) Stellungnahme bleibt dann (wie hier zu dem Rechtsgut auf S. 139 ff.) doch sehr oberflächlich, ja unverbindlich und zudem vor allem unvollständig. Wenn dann gar zur Begründung der Notwendigkeit eines entsprechenden Rechtsgutes auf die Tatsache verwiesen wird, dass Interpol ein eigenes Referat zur Integrität des Sports „unterhalte“, dann fragt man sich schon, wie tiefgehend denn die eigentlich für eine juristische Dissertation notwendige Argumentation tatsächlich geht.

Auch fehlen im Übrigen einschlägige Publikationen wie die Beiträge in dem von Maki Haberfeld und Dale Sheehan herausgegebenen Band „Match-Fixing in International Sports. Existing Processes, Law Enforcement, and Prevention Strategies”, der bereits 2013 erschienen war und der auf eine INTERPOL-Tagung zurückging[5]. So fehlt in dem hier besprochenen Buch vollkommen der Aspekt, dass sich die Problematik des Sportwettbetruges vorrangig im Ausland abspielt und dort derzeit boomt. Man nehme nur die sog. „Geisterspiele“, mit denen nicht die Spiele, die Corona-bedingt ohne Zuschauer stattfinden gemeint sind, sondern solche, die gar nicht stattfinden, auf die aber gewettet werden kann[7]. Auch eine Einrichtung wie „Sportradar“ und deren Veröffentlichungen wären auszuwerten gewesen.

Kann eine Dissertation, die in Zeiten der Globalisierung auch und gerade von strafrechtlich möglicherweise relevanten Problemen erscheint, auf den internationalen Bezug verzichten? Wohl kaum. Zumindest hätte man den internationalen Aspekt und seine Relevanz für Deutschland behandeln und kritisch hinterfragen müssen, ob in diesem Bereich ein deutsches Gesetz überhaupt wirken kann, wo die Wettanbieter zum Großteil in Asien sitzen – und dementsprechend auch diejenigen, die manipulieren. So aber stellt das Gesetz die Dinge auf den Kopf: „Der deutsche Gesetzgeber schützt die sportliche Konkurrenz aus anderen Ländern vor dopenden deutschen Sportlern![8] Eine Arbeit, die praktisch vollkommen auf internationale Literatur zu dem Thema verzichtet, ist doch sehr zu hinterfragen und wird der Bedeutung dieses Thema leider nicht gerecht.

Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo Steiner hat zurecht auch darauf hingewiesen, dass die Politik in Deutschland offensichtlich meine, sie habe mit dem Vorhaben die Zustimmung der Öffentlichkeit. „Diese Öffentlichkeit weiß aber möglicherweise nicht, dass sich die Strafdrohung im Ergebnis allein gegen deutsche Athleten richtet und nicht „Auslandssachverhalte“ betrifft, und damit nicht zur Lösung des Kernproblems des deutschen Spitzensports beiträgt[9]. Im „Weltmaßstab“ liege ein „untauglicher Versuch des Gesetzgebers“ vor. Als „Strafrecht ohne Rechtsbedarf“ bezeichnet Steiner dieses Gesetz[10], und man fragt sich daher schon warum der Verfasser des hier besprochenen Buches ausgerechnet diesen, bereits 2016 erschienenen Beitrag eines ehemaligen Bundesverfassungsrichters nicht zur Kenntnis nimmt – ebenso übrigens wie die vielen anderen Beiträge von diesem renommierten Kollegen, die vor 2016 erschienen sind[11]. Am (vorzeitigen) Abschluss seines Manuskriptes kann es nicht liegen, denn es ist durchgängig Literatur zumindest bis zum Jahr 2018 verarbeitet. Von Udo Steiner findet sich lediglich ein (!) Beitrag in der Literaturliste, der von 1991 datiert. Da fragt man sich schon: Absicht oder Unvermögen?

Thomas Feltes, November 2020

[1] Steiner, Udo, Die Bekämpfung von Sportmanipulation mit den Mitteln des Strafrechts aus verfassungsrechtlicher Sicht. In: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), 40 Jahre wfv-Sportrechtsseminare: 1975-2015 – Nationales und internationales Sportrecht im Überblick. Baden-Baden 2016, S. 17 ff., S. 18.

[2] Steiner aaO., S. 28.

[3] Vgl. dazu Feltes/Kabuth, Die Politik schützt den Sport vor Wettmanipulation. Warum? Eine kritische Betrachtung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zur Strafbarkeit von Sportwettbetrug und der Manipulation berufssportlicher Wettbewerbe. In: Neue Kriminalpolitik 2017, S. 91 – 101, verfügbar hier.

[5] Darin u.a. der Beitrag von Feltes, Match Fixing in Western Europe. In: M.R. Haberfeld, D. Sheehan (Ed.), Match-Fixing in International Sports. Existing Processes, Law Enforcement, and Preventive Strategies. Heidelberg, New York u.a. (Springer), 2013, S. 15 – 30

[7] Dazu zuletzt Brodkin, Ghost Games: An explanation. Sportsradar 06.04.2020, verfügbar hier.

[8] Steiner aaO., S. 20.

[9] Steiner aaO., S. 19.

[10] Steiner aaO., S. 24.

[11] Zum Nachweis s. die Angaben in dem Beitrag in FN 1.