Anina Schwarzenbach, Youth-Police Relations in Multi-Ethnic Cities. Rezensiert von Thomas Feltes

Anina Schwarzenbach, Youth-Police Relations in Multi-Ethnic Cities: A study of police encounters and attitudes toward the police in Germany and France. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Kriminologische Forschungsberichte. Berlin: Duncker & Humblot. 2020. 340 S., ISBN 978-3-86113-283-7, 40.- Euro

Die Studie von Schwarzenbach untersucht das Verhältnis junger Menschen zur Polizei und geht der Frage nach, warum es in manchen Ländern (hier Frankreich) zu Spannungen und gewaltsamen Revolten kommt und in anderen (noch) nicht. Im Besonderen interessiert die Autorin dabei, ob gewisse polizeiliche Handlungspraktiken, beispielsweise routinemäßig durchgeführte Identitätskontrollen, von jungen Menschen mit Migrationshintergrund als diskriminierend empfunden werden und Konsequenzen für deren Einstellung und Kooperation mit der Polizei haben.

Beruhend auf den Ergebnissen einer großangelegten Schülerbefragung[1] untersucht dieses Dissertationsprojekt das Verhältnis zwischen Jugendlichen und der Polizei in zwei vergleichbar gepaarten Städten, jeweils in Deutschland (Köln und Mannheim) und in Frankreich (Lyon und Grenoble). Allerdings wurden die Befragungen bereits vor rund 10 Jahren durchgeführt. Das entsprechende Projekt „POLIS“ umfasste sowohl umfangreiche qualitative Erhebungen (teilnehmende Beobachtungen, Leitfaden-Interviews) als auch eine standardisierte Schulbefragung mit mehr als 7000 befragten Jugendlichen. Die Projektergebnisse wurden schon früher ausgewertet und veröffentlicht. Im Mai 2014 erschien in einer MPI- Reihe ein Bericht über die zentralen Ergebnisse der Schulbefragung, an der auch die Autorin beteiligt war.

Für die hier nun vorgelegte Dissertation hat Schwarzenbach die Daten noch einmal ausgewertet, vor allem in Bezug auf das Verhältnis zwischen Jugendlichen und der Polizei. Neben weitgehender Übereinstimmung zeigen sich auch bedeutende Unterschiede im Verhältnis zwischen Polizei und Jugendlichen in Deutschland und Frankreich. Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland spielen der soziale und der kulturelle Hintergrund der Jugendlichen, ihre religiösen Wert- und NormvorsteIIungen sowie die Identifizierung mit der Gesellschaft, in der sie leben, eine wichtige Rolle. Jedoch wird ihre Wirkung auf die Wahrscheinlichkeit eines Polizeikontaktes, auf die Einstellung zur Polizei und die Bereitschaft, mit ihr zu kooperieren, in vielen Analysen durch andere Variablen vermittelt (zum Beispiel: persönliche Einstellung und Erfahrung mit der Begehung von Straftaten; Einstellung zur Delinquenz).

Wenig verwundern dürfte das Ergebnis, dass delinquente Jugendliche oder solche, die in ihrem Umfeld eine hohe Bereitschaft zur Begehung von Straftaten aufweisen und einen „risikoreichen“ Lebensstil pflegen, häufiger Kontakt zur Polizei haben. Ihre Einstellung zur Polizei ist jeweils negativer im Vergleich zu Jugendlichen, die sich „normkonform“ verhalten.

Die Ergebnisse der Studie bestätigen zudem, dass sich ein wiederholter Polizei-initiierter Kontakt negativ auf die Einstellung Jugendlicher zur Polizei auswirkt. Jugendliche, welche besonders häufig verdachtsabhängigen wie auch –unabhängigen Kontrollen der Polizei ausgesetzt sind, zu denen auch die „Stop-and-search“-Polizeikontakte gehören, sind der Polizei gegenüber kritisch eingestellt. Ebenso bestätigt wurde die naheliegende Annahme, dass zwischen Einstellung zur Polizei und entsprechender Kooperationsbereitschaft ein Zusammenhang besteht: Je positiver man die Polizei sieht, umso eher ist man bereit, mit ihr zusammenzuarbeiten. Diese (eigentlich banale) Einsicht ist vor allem auch vor dem Hintergrund der im vergangenen Jahr geführten Diskussionen um die Ereignisse in Stuttgart und Frankfurt wichtig: Nur, wenn Jugendliche das Gefühl haben, von der Polizei gerecht und angemessen behandelt zu werden, sind sie bereit, mit ihr zu kooperieren.

In Frankreich deuten die Ergebnisse der Studie auf eine systematische Diskriminierung Jugendlicher nordafrikanischen Ursprungs seitens der Polizei hin – ein Ergebnis, das viele andere Studien (z.B. von F. Jobard u.a.) für Frankreich ebenfalls bestätigen. Im Vergleich zu jungen Menschen französischer Herkunft liegen die Chancen eines „Stop-and-search“-Polizeikontakts bei männlichen Jugendlichen maghrebinischen Ursprungs mehr als doppelt so hoch. Und: Deren Einstellung gegenüber der Polizei ist in Frankreich signifikant schlechter als diejenige der übrigen jungen Menschen (französischer sowie anderer ausländischer Herkunft).

Für Deutschland kommt die Autorin allerdings zu einem doch sehr überraschenden Ergebnis: Hier werden – der Studie zufolge – Jugendliche mit Migrationshintergrund unter Berücksichtigung relevanter Prädiktoren im Durchschnitt ebenso oft von der Polizei kontrolliert wie Jugendliche deutscher Herkunft. Die Einstellung zur Polizei ist, so die Autorin, von wenigen Ausnahmen abgesehen, bei Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund durchweg positiv. Und genau hier hätte man sich eine aktualisierte Einordnung der Ergebnisse durch die Autorin gewünscht. Denn seit der ursprünglichen Befragung vor rund 10 Jahren haben sich die Dinge in Deutschland doch erheblich gewandelt, wie nicht zuletzt die Ereignisse in Stuttgart und Frankfurt vor einigen Monaten zeigten.

Medial vermittelte Bedrohungsszenarien wie zuletzt in Stuttgart erwecken den Eindruck, dass wir generell eine aggressiver werdende Situation in unserer Gesellschaft haben. Verbale Attacken werden intensiver, das gesellschaftliche Klima wird rauer, und ist zunehmend von Gewalt, Aggression und der Durchsetzung populistischer Einstellungen geprägt. Viele Jugendliche fühlen sich – nicht nur während der Corona-Krise – an den Rand gedrängt, machtlos. Gerade bei ihnen schwindet das Vertrauen in die Polizei. Andreas Zick u. a.[4] konnten in ihrer Langzeitstudie zeigen, dass sich Teile der gesellschaftlichen Mitte erst polarisiert, dann radikalisiert haben. Es ist zu vermuten, dass die Einstellung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Deutschland sich deutlich von den Einstellungen „biodeutscher“ Jugendlicher unterscheidet. Insofern kann es sein, „dass Menschen mit scheinbarem Migrationshintergrund schneller erwischt werden, dass sie sich eher aufheizen lassen von anderen, dass hinter dem Migrationshintergrund beengtere und instabilere Lebensverhältnisse liegen. Wir müssen unterschiedliche Thesen im Blick haben und sie an den Fakten klären“ – so Andreas Zick.

Auch daher dürfte die folgende Schlagzeile des MPI von 2014 inzwischen überholt sein: „Jugendliche haben großes Vertrauen in die Polizei. Studie ergibt kaum Hinweise auf ethnische Diskriminierungen“. Das ziemlich genaue Gegenteil hat die Studie von Abdul-Rahman u.a. im Rahmen des Bochumer Projektes gerade gezeigt[6].

Thomas Feltes, November 2020

 

[1] Die von der Autorin verwendeten Daten gehen zurück auf das deutsch- französische Forschungsprojekt POLIS („Police and Adolescents in MultiEthnic Societies“), in dem das Verhältnis zwischen Polizei und Jugendlichen in deutschen und französischen Großstädten untersucht wurde. „Die zentralen Ergebnisse einer Schülerbefragung mit mehr als 20.000 Befragten weisen auf einen Kontrast zwischen Deutschland und Frankreich in Bezug auf Einstellungen Jugendlicher zur und Erfahrungen mit der Polizei hin. Für Jugendliche in deutschen und französischen Großstädten sind teils auch mehrfache Kontakte zur Polizei nichts Ungewöhnliches. In Deutschland werden Jugendliche mit Migrationshintergrund jedoch nicht häufiger von der Polizei angesprochen oder kontrolliert als einheimische Jugendliche, und die überwiegende Mehrheit der Befragten empfindet die Behandlung durch die Polizei als fair und hat großes Vertrauen in die Polizei. In Frankreich unterscheiden sich die Erfahrungen einheimischer und insbesondere afrikanischstämmiger Jugendlicher drastisch. Die Befragungsergebnisse deuten auf eine diskriminierende und unfaire Behandlung dieser Minderheit durch die Polizei hin, was mit einem gestörten Vertrauen seitens der betroffenen Jugendlichen einhergeht.“ Oberwirrler/Schwarzenbach: Polizei und Jugendliche in multiethnischen Gesellschaften. Ergebnisse einer vergleichenden Jugendbefragung in deutschen und französischen Großstädten. In: SIAK Journal 4, 2014, S. 54 ff.; verfügbar hier: https://www.bmi.gv.at/104/Wissenschaft_und_Forschung/SIAK-Journal/SIAK-Journal-Ausgaben/Jahrgang_2014/files/Oberwittler_4_2014.pdf

[4] Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.) – Zick, Andreas / Küpper, Beate / Berghan, Wilhelm: Verlorene Mitte. Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland, 2019, https://www.fes.de/forum-berlin/gegen-rechtsextremismus/mitte-studie zuletzt aufgerufen am 20.11.2020.

[6] Abdul-Rahman, Laila / Grau, Hannah Espín / Singelnstein, Tobias: Zweiter Zwischenbericht zum Forschungsprojekt „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen“ (KviAPol): Rassismus und Diskriminierungserfahrungen im Kontext polizeilicher Gewaltausübung,  2020, zuletzt abgerufen am 20.11.2020 unter https://kviapol.rub.de/index.php/inhalte/veroeffentlichungen .