Lena Posch, Polizeirelevante psychische Störungen. Rezensiert von Thomas Feltes

Lena Posch, Polizeirelevante psychische Störungen. Kompaktwissen für Polizeistudium und –praxis. Boorberg-Verlag Stuttgart u.a. 2021, ISBN 978-3-415-06928-2, 144 S., 19,90 Euro

In den vergangenen Jahren häufen sich Fälle, in denen die Polizei im Einsatz Menschen tötet oder schwer verletzt, die psychische Störungen aufweisen oder sich in psychischen Ausnahmesituationen befinden. Polizeibeamt*innen sollten für die Konfrontation mit psychisch gestörten Menschen sensibilisiert sein. Das Buch von Lena Posch[1] versucht, polizeirelevante psychische Störungen kompakt zu vermitteln[2] und richtet sich dazu primär an Polizeistudierende – aber nicht nur.

Geeignete Materialien, um das Thema Polizei und psychisch Gestörte angemessen (!) zu vermitteln[3], sind rar[4]. Dabei mangelt es leider immer noch in der polizeilichen Praxis an der grundlegenden Einsicht, dass psychisch gestörte Menschen die Dinge (und eben auch polizeiliches Handeln und polizeiliche Anweisungen oft anders sehen als andere und daher auch andere polizeiliche Maßnahmen und Reaktionen notwendig und erforderlich sind[5].

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist jeder vierte Mensch im Verlauf seines Lebens von psychischen oder neurologischen Beeinträchtigungen betroffen, wobei dieser Anteil bei Straftätern noch höher ist[6]. In den vergangenen Jahren sind auch in Deutschland Polizeibeamt*innen bei polizeilichen Einsätzen zunehmend mit Situationen konfrontiert worden, in denen psychisch gestörte/kranke Personen eine Rolle spielten, wie beispielsweise bei dem Vorfall am „Neptunbrunnen“ in Berlin, als eine nackte Person mit einem Messer von einem Polizeibeamten erschossen wurde[7].

Einsätze in Verbindung mit psychisch gestörten Personen sind in vielfacher Hinsicht besonders, weil sie von den üblichen Situationen abweichen und häufig mit dem Einsatz von unmittelbarem Zwang oder Schusswaffengebrauch einhergehen. Gleichzeitig sind die Auswirkungen polizeilichen Handelns für die Betroffenen erheblich[8]. Von den jedes Jahr von der Polizei im Einsatz getöteten Personen sind mindestens die Hälfte, wahrscheinlich sogar deutlich mehr, psychisch gestört oder verwirrt[9] und damit in einem Zustand, in dem sie polizeiliche Anweisungen nicht angemessen wahrnehmen oder darauf reagieren können.

Psychisch auffällige Personen haben häufiger Kontakt mit der Polizei und sie nehmen dabei die Dinge anders wahr als andere Menschen, weil sie sich eher bedroht oder verfolgt fühlen. Deshalb ist es wichtig, dass man ihnen durch sein Verhalten und seine Worte signalisiert, dass sie keine Angst zu haben brauchen, dass man ihnen helfen wird, ihr Problem zu lösen usw.[10]). Psychologische Faktoren spielen bei Konflikten im Polizeialltag eine wichtige, vielleicht sogar die entscheidende Rolle[11]. Bei gestörten Interaktionsverläufen gibt es häufig schon frühe Warnzeichen. Werden diese erkannt, kann rechtzeitig gegengesteuert werden. Ein verfrühtes Einsetzen von Gewalt kann die körperliche Auseinandersetzung im weiteren Verlauf jedoch verschärfen.

Das vorliegende „Lehr- und Lernbuch“ (mit dieser Bezeichnung wollen Verlag und Verfasserin wohl deutlich machen, dass das Buch sowohl im Unterricht, aber auch zum Selbststudium verwendet werden kann) basiert auf dem Vorlesungsskript der Autorin für die Veranstaltung »Psychische Störungen« im Psychologie-Modul der Hochschule in der Akademie der Polizei Hamburg. Wie die Autorin schreibt, „steigt die Relevanz des Themas psychische Störungen und die Problematik findet verstärkt Eingang in die Polizeiausbildung“ – was zu hoffen ist. Das Buch macht dieses Thema in kompakter Form und didaktisch durchdacht den Studierenden an den Hochschulen der Polizeien, aber auch Polizeibeamtinnen und -beamten in der Praxis zugänglich. Daher richtet sich das Buch vor allem an Studierende in den Bachelorstudiengängen Polizei bzw. Polizeivollzugsdienst und bietet durch die Fallbeispiele und Übungsfragen die Möglichkeit zum Selbststudium und zur Vorbereitung auf die eigene (spätere) Berufstätigkeit. Der auf die Praxis ausgerichtete Teil zeigt auf, woran man im Kontakt erkennt, ob eine psychische Erkrankung oder Auffälligkeit beim Gegenüber vorliegen könnte und welche psychischen Störungen mit einem erhöhten Gefährlichkeitspotenzial im Sinne möglicher aggressiver Reaktionen einhergehen können. Die Verfasserin erläutert im Einzelnen, welche spezifischen Risikokonstellationen es gibt (im Sinne der Verknüpfung bestimmter Merkmale der Person und der Situation), wie Polizeibeamtinnen und -beamte die Situation deeskalieren können und welches Verhalten sich sehr wahrscheinlich eher eskalierend auswirkt.

Das Buch überzeugt insgesamt einerseits durch seine Kompaktheit, andererseits durch die Fallbeispiele und die klaren Aussagen zu bestimmten Problemen; andererseits werden aber auch Hinweise zur vertiefenden Lektüre gegeben. Insgesamt also ein Werk, das vor dem Hintergrund des Umfangs (143 Seiten) zwar überteuert ist, aber dennoch im Rahmen der polizeilichen Aus- und Fortbildung Verwendung finden sollte.

Allerdings: Fortbildung der Polizeibeamten zum Umgang mit psychischen Problemen durch Fachleute sollte ständig angeboten werden und alle Dienstposten einschließlich der Leitungsebene einbeziehen. Die Fortbildung (und eben nicht nur die Ausbildung) sollte die verschiedenen Formen psychischer Störungen, ihre Ursachen und Symptome sowie die frühzeitige Wahrnehmung und Interventionsmöglichkeiten umfassen. Die Beamten sollten im Hinblick auf die psychosozialen Bedürfnisse der betroffenen Personen und zu Kommunikationsformen fortgebildet werden wobei ein Fokus auf die Ermutigung zur Förderung der psychischen Gesundheit und das Durchbrechen von Stigmata und Diskriminierung im Zusammenhang mit psychischen Störungen gelegt werden sollte.

Vor allem muss das Training mit praktischen Übungen (Rollenspiele, themenzentrierte Gruppengespräche, Verhaltenstraining) verknüpft sein, weil theoretisches Wissen für die Bewältigung derart schwieriger Einsätze nicht ausreicht. Nur wer deeskalierende Kommunikationsformen dank häufiger Übung beherrscht, kann in schwierigen Situationen sicher auftreten. Daher wäre zu wünschen, dass dieses Buch im Kontext von interdisziplinären Einsatztrainings in der Aus- vor allem aber Fortbildung genutzt wird.

Thomas Feltes, Dezember 2020

[1] Details zur Autorin finden sich hier: https://akademie-der-polizei.hamburg.de/profs/9829000/prof-dr-phil-lena-posch/

[2]Das Inhaltsverzeichnis und eine Leseprobe finden sich hier: https://www.boorberg.de/9783415069282

[3] Im Zusammenhang mit polizeilichen Todesschüssen wird das Thema aus US-amerikanischer Sicht intensiv behandelt von Miller, The Psychology of Deadly Force Encounters; s. dazu meine Besprechung des Buches im Polizei-Newsletter unter https://polizei-newsletter.de/wordpress/?p=1600

[4] Noch immer sind hier die Beiträge von Hermanutz und Litzcke aus dem Jahr 2004 in Heft 3 der Zeitschrift „Polizei & Wissenschaft“ eine wesentliche Quelle, an der sich auch die Autorin dieses Buches orientiert hat.

[5] S. dazu ausführlich Feltes/Alex: Polizeilicher Umgang mit psychisch gestörten Personen. In: Hunold/Ruch (Hrsg.), Polizeiarbeit zwischen Praxishandeln und Rechtsordnung. Empirische Polizeiforschungen zur polizeipraktischen Ausgestaltung des Rechts. Wiesbaden 2020, S. 279-299. Sowie Feltes/Alex (2021): Polizeieinsätze in Verbindung mit psychisch kranken Menschen. In: Handbuch Einsatztraining: Professionelles Konfliktmanagement für Polizist*innen. Hrsg. von Mario S. Staller und Swen Körner, Springer-Verlag (erscheint 2021).

[6] Fazel, S. et al. (2011): The health of prisoners, In: The Lancelot, Vol. 377, No. 9769, S. 956-965

[7] Diederichs, O. (2015): Der Mythos vom gefährlichen Irren. In: Deutsche Polizei 1, S. 10 ff. Das Beispiel wird auch in dem hier besprochenen Buch auf S. 126 behandelt. Weitere Beispiele bei Feltes/Alex 2021 (s.o. FN 4).

[8] Wood, J.D., Watson, A.C., Fulambarker, A.J. (2017): The „Gray Zone“ of Police Work During Mental Health Encounters: Findings From an Observational Study in Chicago, Police Quarterly, Vol. 20, 1 https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/1098611116658875

[9] Peter, E., Bednarczyk, S. (o.J.): Tödliche Polizeischüsse. Alle fünfeinhalb Wochen wird in Deutschland ein Mensch von Polizisten erschossen. Ein Dossier. https://taz.atavist.com/polizeitote#chapter-1957584

[10] Füllgrabe, U. (2019): Psychologie der Eigensicherung, 8. Aufl., Stuttgart, S. 62.

[11] Luff, J., Schuster, V., Röhm, C. (Kriminologischen Forschungsgruppe der Bayerischen Polizei) (2018): Konflikte im Polizeialltag. Eine Analyse von Beschwerden gegen Polizeibeamte und Körperverletzungen im Amt in Bayern. München https://www.polizei.bayern.de/content/4/3/7/konflikte_im_polizeialltag.pdf , S. 262.