Kai Müller, Polizeibeamte als Zeugen im Strafverfahren. 2. Auflage 2021. Rezensiert von Thomas Feltes

Kai Müller, Polizeibeamte als Zeugen im Strafverfahren. Vom Ermittler zum Beweismittel. 2., aktualisierte Auflage 2021, 174 S., Boorberg-Verlag, ISBN 978-3-415-06913-8, 19,80 Euro.

Polizeibeamt*innen treten häufiger vor Gericht als Zeug*innen auf. Das Buch hat zum Ziel, sie darauf (besser) vorzubereiten. Der Autor, Kai Müller, war Rechtsanwalt und Strafverteidiger und ist jetzt Dozent in der polizeilichen Fort- und Ausbildung an der Polizeihochschule in Villingen-Schwenningen. Er schreibt in seinem Vorwort, dass er den Eindruck habe, dass „auf diesem „polizeilichen Arbeitsfeld“ bei vielen Beamten immer noch Wissenslücken und teilweise auch ein gewisses Maß an Unsicherheit herrschen“. Hieraus erkläre sich das weiterhin ungebrochen große und gerade in den letzten Jahren eher noch gewachsene Interesse von Polizeibeamt*innen an diesem Thema. Dies wirft natürlich die Frage auf, wieso diese „Wissenslücken“ und diese Unsicherheit (nur) bei Polizeibeamt*innen bestehen sollten und (noch wichtiger) wieso dem gerade dort abgeholfen werden muss – und nicht generell bei alle Zeug*innen vor Gericht? Das dadurch ggf. entstehende oder sogar noch vergrößerte Ungleichgewicht zwischen „Alltags“- und „Polizeizeug*innen“ wird leider, und dies muss man gleich zu Beginn betonen, in dem Buch weder behandelt noch auch nur angesprochen, obwohl es für den Ablauf einer strafgerichtlichen Hauptverhandlung von besonderer Bedeutung ist.

Ziel der Darstellung sei es, so der Autor, „eine größere Handlungssicherheit und damit eine gewisse Professionalität im Auftreten vor Gericht sowie im Umgang mit den Verfahrensbeteiligten für den polizeilichen Zeugen zu schaffen“. Auch hier fragt man sich, ob diese „Professionalität“ der Aufgabe und der Rolle eines Zeugen bei Gericht entspricht, so wie die Strafprozessordnung dies vorsieht.

Der/die Polizeibeamt*in soll dieser sich „gewissenhaft auf die eigene Vernehmung als Zeuge vorbereiten. Hierzu gehört das sorgfältige Studium des vorhandenen Aktenmaterials“ (S. 136). Dabei muss – so Müller – „der Polizeibeamte sich vergegenwärtigen, woran er sich aufgrund des Aktenstudiums wieder (!, TF) erinnert und was bloß angelesenes Wissen ist“. Wie er dies machen soll, sagt Müller nicht. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass der/die Polizeizeug*in vor Gericht die Verpflichtung haben sollte, diese Vorbereitung deutlich zu machen, ebenso wie er/sie mögliche Ermittlungsmängel, die ihr/ihm dabei aufgefallen sind, dem Gericht mitzuteilen sind. Letzteres dürfte wohl kaum geschehen, obwohl es der Rolle einer/s Polizeizeug*in eigentlich angemessen wäre. Er/sie soll „seine gesamte Ermittlungsarbeit in dieser Sache noch einmal kritisch überprüfen, um sich auf entsprechende Fragen vor Gericht bereits vorab einstellen zu können. Hingegen sollten (erstaunlich, dass der Verfasser hier das Wort „dürfen“ nicht verwendet, obwohl es wohl richtiger wäre, von müssen zu sprechen) Gespräche mit Kollegen oder anderen Zeugen über den Verfahrensgegenstand nicht geführt werden“ (S. 136).

Was die Darstellung der Verteidigung in dem Buch anbetrifft, wo nach den Erfahrungen des Autors bei Polizeibeamten „viele Fehlvorstellungen oder aber einfach Unkenntnis über die „Figur“ des Strafverteidigers herrschen“, so kann man dem durchaus folgen. Zum Glück spricht er nicht, wie die Ankündigung des Buches im Beck-Shop, die zudem ein falsches Buchcover verwendet) von den „Tricks“ der Strafverteidiger. Richtig ist sicherlich der Hinweis, dass eine mangelhafte Akzeptanz der eigenen Zeugenrolle Probleme im Umgang mit dem Verteidiger auslösen kann.

Das Buch von Müller gliedert sich in insgesamt fünf Teile[2]:

  • Hauptverhandlung und Verfahrensbeteiligte
  • Vernehmung der Polizeibeamtinnen und -beamten vor Gericht
  • Strafverteidigung und polizeilicher Zeuge
  • Vernehmungsfehler im Ermittlungsverfahren
  • Verhaltensempfehlungen für Polizeizeugen

Ein Anhang mit Auszügen der wesentlichen Gesetze sowie ein umfangreiches Literatur- und Stichwortverzeichnis runden das Werk ab.

Wenn Müller von der „Aus- und Fortbildung als … wichtiger Faktor zur Qualitätssteigerung der polizeilichen Zeugenaussage vor Gericht“ spricht (S. 135), dann wirft dies wieder die anfangs gestellte Frage auf: Was versteht er unter „Qualitätssicherung“? In Verbindung mit der Aufforderung und Anleitung, sich auf die Vernehmung vorzubereiten (u.a. durch erneute Durchsicht der Akten), entsteht hier der Eindruck, dass eine „gute“ Qualität identisch ist mit der Zeugenaussage und der Übernahme der Ermittlungsergebnisse durch das Gericht – was natürlich nicht richtig ist.

Richtig ist, wenn Müller darauf hinweist, dass „umfangreiche, exakte und inhaltlich überzeugende Ermittlungen sowie das detaillierte Protokollieren derselben“ wichtig sind – aber nicht, um bei der Zeugenvernehmung vor Gericht mögliche Angriffspunkte der Verfahrensbeteiligten zu minimieren, wie er meint (S. 135), sondern um eine vollumfängliche Sachverhaltsaufklärung zu gewährleisten.

Wenn er schreibt, dass „qualitativ gute Vernehmungsprotokolle die Vorbereitungsmöglichkeit des polizeilichen Zeugen“ verbessern (aaO.), dann macht er mehr oder weniger unverblümt deutlich, worum es geht: Die Wahrnehmung des strittigen Geschehens auch vor Gericht so darzustellen, dass die „polizeiliche Wahrheit“ überzeugt. Es findet sich wenig Kritisches hier und an anderen Stellen des Buches, und eigentlich hätte der Autor, wenn er intensiv als Strafverteidiger gearbeitet hat, wissen müssen, wie unvollständig, falsch bis verfälscht polizeiliche Wahrnehmungen und Ermittlungen in der Praxis sind. Zumindest meine eigene Erfahrung hat mir bisher gezeigt, dass es einem guten Strafverteidiger gelingt, in tatsächlich jedem Verfahren polizeiliche Ermittlungsfehler zu finden.

Sieht man einmal von kleineren sprachlichen Verirrungen ab (so ist vom „Verhör“ die Rede, wenn es um die Befragung des Polizeizeugen vor Gericht geht, S. 77), liest sich das Buch gut und der Inhalt ist verständlich.

Letztlich sind die hier aufgeführten Kritikpunkte zwar berechtigt; insgesamt muss man dem Autor aber zugestehen, dass er sich um Ausgewogenheit bemüht und auch darum, die Rolle des/der Polizeibeamt*in vor Gericht rechtlich und tatsächlich deutlich zu machen, ebenso wie die der Strafverteidiger*innen (S. 91 ff.). Vor allem seine Ausführungen zur eigenen Aussage des/der Polizeibeamt*in (S. 136 f.) sind hier hervorzuheben. So ist das Buch nicht nur für die Ausbildung geeignet, sondern kann durchaus auch von praxiserfahrenen Beamt*innen konsultiert werden.

Man hätte sich aber eine klare und deutliche Aussage dazu gewünscht, was der eigentliche Auftrag der gerichtlichen Hauptverhandlung ist: Zweifelsfrei die Schuld des Angeklagten festzustellen – oder eben nicht. Es geht gerade nicht darum, eine durch polizeiliche Ermittlungen vorbereitete Anklage „durchzuziehen“ oder vor Gericht „zu gewinnen“, wenn der von der Polizei als tatverdächtig Benannte am Ende verurteilt wird. Und es sollte sogar so sein, dass Polizeibeamt*innen besonderen Wert auf eine umfassende, objektive Sachverhaltsaufklärung vor Gericht legen – einschließlich der Möglichkeit des Freispruchs des Tatverdächtigen, wenn die Beweismittel nicht ausreichen oder Gegenbeweise vorgelegt werden, deren Beschaffung im Rahmen des (möglicherweise einseitig geführten) Ermittlungsverfahrens nicht erfolgte. Das kann ggf. sogar soweit gehen, dass der/die polizeiliche Zeug*in, wenn er/sie aufgrund der Befragung in der Hauptverhandlung erkennt, dass es Ermittlungsmängel gibt, diese umgehend abstellt oder abstellen lässt – natürlich in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft.

Richtig ist, dass „die Qualität der Zeugenaussage des Polizeibeamten entscheidend auf der Qualität seiner Ermittlungen“ (S. 17) basiert. Allerdings haben Konflikte, die während der Vernehmung der/des Polizeibeamt*in durch kritische Fragen der Verfahrensbeteiligten entstehen, nicht nur ihren Ursprung in der polizeilichen Ermittlungstätigkeit, sondern können auch durch „schlampige“ Ermittlungen verursacht werden.

Letztlich (und dies ist ein tatsächlicher Mangel in der Darstellung) geht Müller nicht auf Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Qualitätssicherung von Vernehmungsprotokollen und Ermittlungsberichten ein, bevor diese an die Staatsanwaltschaft gehen. Hier liegt tatsächliches Optimierungspotential, auch im Sinne eines konstruktiven Lernens in der Praxis für die Praxis.

Thomas Feltes, Januar 2021

[2] Das komplette Inhaltsverzeichnis findet sich hier: https://shop.boorberg.de/rbv-content/Inhaltsverzeichnis/MUELLER_Polizeibeamte_IVZ.pdf