Kursbuch Religion Elementar 2, Arbeitsbuch für den Religionsunterricht im 7./8. Schuljahr. Rezensiert von Thomas Feltes

Kursbuch Religion Elementar 2 – Ausgabe 2016, Arbeitsbuch für den Religionsunterricht im 7./8. Schuljahr, Herausgegeben von Wolfram Eilerts, Heinz-Günter Kübler. 23,95 Euro, 208 Seiten, 1. Auflage 2018, Calwer Verlag, ISBN 978-3-7668-4332-6

Der Polizei-Newsletter rezensiert ein Schulbuch? Warum? Die Antwort auf diese berechtigte Frage ist relativ einfach: Nach einem Hinweis auf diskriminierende Inhalte wollte ich es genauer wissen und habe mir ein Rezensionsexemplar bestellt, das mir der Verlag dann auch überlies.

Das „Kursbuch Religion Elementar“ ist, so der Verlag bzw. die Verlage, geeignet „für alle Bundesländer außer Bayern“. Im welchem Umfang das Buch tatsächlich genutzt wird, lässt sich nicht abschätzen. Bestimmt ist es für Schüler*innen der 7. und 8. Klassen. Laut Verlag verbindet das Kursbuch Religion Elementar „für grundlegendes und mittleres Lernniveau … eine große Praxisnähe mit den Erfordernissen eines modernen, an Kompetenzen, differenzierten Lernniveaus und eigenständigem Lernen orientierten Unterrichts“. Es “orientiert sich an den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler, ist konsequent an dem Erwerb von fachspezifischen und übergreifenden Kompetenzen orientiert, nimmt die Fragen nach Identität und Sinnfindung ernst und knüpft bei diesen an, unterstützt individuelles und gemeinschaftliches sowie selbstorganisiertes und projektorientiertes Lernen“ (aaO.).

Eher am Rande fällt auf, dass gleich sechs verschiedene Verlage für die Herausgabe dieses Buches verantwortlich sind. Neben Diesterweg, Westermann und Calwer, die auf dem Cover erscheinen, sind im Impressum noch Schroedel, Schöningh und Winklers genannt. Offensichtlich hat hier ein Zusammenschluss (kann man das schon Kartell nennen?) stattgefunden, um sich den durchaus lukrativen Schulbuchmarkt angemessen aufzuteilen. Denn mit fast 24.- Euro ist das Buch, das sicherlich in erheblicher Auflage erscheinen wird, nicht gerade billig. Hinzu kommen noch die Lehrermaterialien, die 35.- Euro kosten – das Kombipaket immerhin „nur“ 39.- Euro.

Wie sieht es nun mit den „fachspezifischen und übergreifenden Kompetenzen“ aus, die vermittelt werden sollen und mit den Fragen „nach Identität und Sinnfindung“? Generell handelt es sich eher um eine Mischung aus „Bilder- bzw. ComicBuch“ und Arbeitsanweisungen bzw. Reflektionsfragen zu verschiedenen Themenbereichen. Wer unter dem Stichwort „Religion“ primär Glaubensthemen erwartet, wird erst einmal enttäuscht. Es geht erst einmal um Verantwortung für sich und andere, um Liebe und Konflikte, um Gewissen(entscheidungen) – bevor dann doch ab S. 60 das Thema „Gott und Glauben“ dominiert. Immerhin beschäftigen sich 11 Seiten mit dem Islam (S. 166 – 177), und auch das Judentum wird im gleichen Umfang behandelt (S. 154 – 165) – beides jedoch leider, ohne dass auf (aktuelle oder historische) Konflikte oder Probleme wie Antisemitismus oder Fremdenfeindlichkeit) eingegangen wird.

Stattdessen gibt es ein eigenes Kapitel „Konflikte“ (S. 36 – 47), das mit „„Jetzt gibt´s Krach“ – Muss das sein?“ betitelt ist. Die erste Seite dieses Kapitels sieht so aus:

Was hier noch offen und mit einem eher aussagelosen Bild dargestellt wird, wird auf den folgenden Seiten anhand von Beispielen vertieft. Da geht es dann um typische Alltagskonflikte in Schule und Familie, aber auch um gesellschaftliche Konflikte („Eine Chemiefabrik lässt heimlich vergiftete Abwässer in einen Fluss laufen“ oder „Die Briefzusteller fordern eine Lohnerhöhung von 7 Prozent. Die Post will höchstens 2 Prozent gaben. Die Briefzusteller streiken“ (S. 38) und ähnliches. Lösungen oder gar Hinweise auf wichtige rechtliche Rahmenbedingungen (Umweltrecht, Streikrecht) werden nicht gegeben. Unter der Seitenüberschrift „Überall Konflikte“ werden dann die folgenden Beispiele gebracht:

Und hier setzt nun die Kritik ein – wobei man sich natürlich fragen kann, ob es sich lohnt, ein Schulbuch, das insgesamt eher bieder und altbacken daherkommt, wegen eines misslungenen Beispiels zu kritisieren. Geht man jedoch davon aus, dass die Inhalte des Buches tatsächlich gelesen und bearbeitet werden, und berücksichtigt man, dass besonders der Religionsunterricht, für den dieses Buch bestimmt ist, zu moralischem Handeln erziehen soll, dann muss die Frage erlaubt sein, wieso neben Länderstreitigkeiten (zwischen Thailand und Kambodscha oder Israel und dem Libanon) und Bildern von Raketenwerfern und Pyrotechnik im Fußballstadion ausgerechnet „Rockergruppen“ als konfliktträchtiges Beispiel herangezogen werden und dabei dann auch noch konkrete Gruppen benannt werden.

Das Beispiel lautet: „Die Rockergruppe Bandidos macht immer mehr Geschäfte in einem Gebiet, in dem eigentlich die Hells Angels das Sagen haben. Die Hells Angels wollen sich das nicht gefallen lassen und überfallen das Vereinhaus der Bandidos“.

Enthalten sind dort gleich mehrere nicht belegte Annahmen und Diskriminierungen. Es wird implizit unterstellt, dass die Mitglieder von Rockergruppen und hier speziell die genannten Bandidos und Hells Angels kriminell sind. Betrachtet man dieses Thema wissenschaftlich-kriminologisch, dann stellt man fest, dass es solche „Gebietsstreitigkeiten“, auf die das Beispiel abstellt, zwar durchaus gibt; sie sind aber eher selten und mit Sicherheit weniger weit verbreitet als der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in der Kirche – worauf verständlicherweise in diesem Schulbuch nicht eingegangen wird.

Um dies konkret am Beispiel der Hells Angels (HAMC) zu verdeutlichen: Von ca. 1.000 HAMC-Mitgliedern in Deutschland sind (Stand 03.12.2020) gerade einmal 29 in Justizvollzugsanstalten inhaftiert, und zwar verteilt auf Untersuchungshaft, geschlossener und offener Vollzug. Das sind 2,9 % der bundesweiten Mitglieder, die entweder straffällig und zu einer Haftstrafe verurteilt wurden, oder gegen die Ermittlungsverfahren laufen (Untersuchungshaft). Diese Zahlen sind seit Jahren stabil. Das scheint bei der seitens der Behörden immer wieder publizierten angeblich hohen und schweren Kriminalität der Mitglieder und dem daraus von den Behörden ausgeübten Verfolgungsdruck jedoch eine eher geringe Zahl.

Jedenfalls rechtfertigen diese Zahlen keinen Rückschluss darauf, dass es sich bei den Hells Angels Deutschland oder bei einzelnen Chartern um „kriminelle Vereinigungen“ oder „organisierte Kriminalität“ handelt[1]. Würde man auf Einzelfälle abstellen, dann müsste man auch die Vorstände von großen Automobilfirmen entsprechend zuordnen, oder auch die Vertuschung von kriminellen Aktivitäten wie sexuellem Missbrauch in bestimmten Bereichen.

Einem Religionsbuch, das sich der Erziehung von jungen Menschen widmet, hätte es gut zu Gesicht gestanden, wenn man hier deutlich gemacht hätte, dass der einzelne Mensch im Mittelpunkt zu stehen hat, und man immer konkret jemanden danach beurteilen sollte, was er tut, getan oder nicht getan hat – statt (zumindest indirekt) pauschalisierende Urteile abzugeben. Wie wird sich bspw. eine Schulklasse verhalten, wenn der Vater einer/eines ihrer Schüler*innen Mitglied in einem Rockerclub ist? Oder wenn ein/e Schüler*in Opfer von Polizeigewalt anlässlich einer Razzia gegen Clubmitglieder wurde, wie dies in der jüngsten Vergangenheit leider mehrmals der Fall war?

Die angesprochenen „Gebietsstreitigkeiten“ werden übrigens immer wieder dominant in den Medien aufgegriffen, ohne dass dabei auf Details eingegangen wird. Wahrscheinlich hat dies die Autor*innen des Schulbuchs entsprechend „inspiriert“. Vergleichbare Streitigkeiten zwischen Gruppierungen der (tatsächlichen) organisierten Kriminalität (wie Mafia oder Cosa Nostra) werden eher weniger thematisiert – wohl auch, weil die Polizei hier wesentlich weniger intensiv agiert.

Nur neben bei bemerkt: Die immer wieder von Polizei und Politik aufgestellte Behauptung, Rockergruppen würden zum „Phänomenbereich der Organisierten Kriminalität“ gehören, ist nicht belegbar (s. dazu von Lampe 2020). Dies geht auch aus dem Lagebild des LKA NRW hervorgeht, wonach Gewaltkriminalität als Hauptbestandteil kriminellen Handelns lediglich in 5,4 % aller dort registrierten OK‐Verfahren in direktem Zusammenhang mit dem „Rockermilieu“ steht. Zudem besagen diese Zahlen nichts darüber, ob Rockerclubs eine tragende Rolle bei der Begehung von Straftaten spielen und inwieweit sich die relativ ausgeprägte Strukturierung und Formalisierung der Rockerclubs auf die Art und Weise der Straftatbegehung auswirkt. Allein aus der Tatsache, dass ein verurteilter Straftäter einer Rockergruppe angehörte, sagt nichts darüber aus, ob die von ihm begangene Tat im Zusammenhang mit dieser Mitgliedschaft stand. Hier würde also eine Differenzierung angebracht, auch, um den 13-14-jährigen Schüler*innen zu verdeutlichen, dass Pauschalisierungen weder sinnvoll noch angebracht sind und auch einzelne Personen diffamieren und stigmatisieren können.

Bei allem Verständnis dafür, dass der Lebensstil von Rockern von der Mehrheitsgesellschaft schwer nachzuvollziehen ist: Inhalte in einem Schulbuch, mit denen Gruppen stigmatisiert und diffamiert werden, sind nicht akzeptabel. Der Verlag sollte dies ebenso bei einer Neuauflage bedenken, wie er die Kapitel über „Judentum“ und „Islam“ aktualisieren sollte.

 

Thomas Feltes, Februar 2021

[1] Vgl. ausführlich dazu Feltes/Schelhorn, Delinquente Alt-Rocker – Ergebnis von Lebensstil oder Stigmatisierung? In: Alter und Devianz, hsrg. von S. Pohlmann (Kohlhammer-Verlag), erscheint 2021 (vorab-Version ist hier verfügbar)