Tobias Friedrich Fleißner: Fernhaltemaßnahmen. Eine Untersuchung zur polizeilichen Gefahrenabwehr bei Fußballspielen. Rezensiert von Thomas Feltes

Tobias Friedrich Fleißner: Fernhaltemaßnahmen. Eine Untersuchung zur polizeilichen Gefahrenabwehr bei Fußballspielen. Das Recht der inneren und äußeren Sicherheit (RS), Band 12, Duncker und Humblot Berlin, 2021. 299 S., 89,90 Euro, ISBN 978-3-428-18193-3

Auch wenn polizeiliche Maßnahmen gegen Fußballfans Corona-bedingt derzeit eher selten sind (sieht man von den jüngsten Ereignissen in Berlin ab), so ist doch damit zu rechnen, dass die Diskussion um Stadionverbote und andere Maßnahmen, mit denen Fans vom Besuch eines Fußballspiels durch Verein, DFB oder Polizei abgehalten werden sollen, alsbald wieder beginnen wird. Daher ist die hier vorgestellte Arbeit für Verfahren im Kontext sogenannter „Fernhaltemaßnahmen“ von Bedeutung. Sie befasst sich mit einem Bündel unterschiedlicher polizei- und ordnungsbehördlicher Maßnahmen der sog. „personenbezogenen Gefahrenabwehr“, wozu Gefährderansprache, Meldeauflage, Aufenthaltsverbot, pass- und ausweisrechtliche Maßnahmen gehören, mit denen Personen vom Aufsuchen bestimmter Örtlichkeiten abgehalten werden sollen – daher der etwas sperrige und sprachlich wenig sensible Begriff der „Fernhaltemaßnahmen“.

Die Untersuchung will diese Maßnahmen in ihren rechtlichen Kontext einordnen und sich mit der Grundrechtsrelevanz, insbesondere in Bezug auf das Recht auf Freizügigkeit, auseinandersetzen. Darüber hinaus werden die tatbestandlichen Voraussetzungen der einzelnen Maßnahmen analysiert und typische Indizien, die im Rahmen der mit diesen Maßnahmen immer verbundenen Gefahrenprognose eine erhöhte Praxisrelevanz aufweisen, dargestellt und hinsichtlich ihrer Belastbarkeit überprüft.

Die Arbeit gliedert sich in vier Teile: 1. Der Anwendungsbereich von Fernhaltemaßnahmen als Teil eines vielschichtigen Systems zur Abwehr von Gefahren im Rahmen von Fußballspielen, 2. Grundrechtlicher Schutz des Besuchs von Fußballspielen, 3. Fernhaltemaßnahmen der Polizei- und Ordnungsbehörden, 4. Die Negativprognose als Ausgangspunkt für den Erlass von Fernhaltemaßnahmen in der Praxis. In einem Schlussteil erfolgt die Zusammenfassung der Ergebnisse.

Der Erlass von Fernhaltemaßnahmen ist stets grundrechtsrelevant – diese Grunderkenntnis sollte eigentlich selbstverständlich sein; wie die Studie in ihrem Verlauf jedoch zeigt, ist dies bei weitem nicht der Fall. Natürlich werden Art und Intensität des Eingriffs jeweils durch die Umstände des Einzelfalls bestimmt – schließlich bewegen wir uns im Bereich der Straf-, Verwaltungs- oder Ordnungsrechts, wo es immer auf den Einzelfall ankommt. Aber auch diese banale Einsicht wird im Alltag der Verhängung oder Anordnung entsprechender Maßnahmen gerne einmal übersehen.

„Fernhaltemaßnahmen“ sind, so der Autor, dadurch gekennzeichnet, „dass sie den Betroffenen daran hindern, eine Örtlichkeit aufzusuchen, an der nach der Einschätzung der Behörde mit einem störenden Verhalten der Person zu rechnen ist“ (S. 276). Die Maßnahmen, die eine Person davon abhalten, ein Fußballspiel besuchen zu können, greifen – wie die Arbeit zeigt – stets in die Informationsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG ein, da das Fußballspiel eine durch die Informationsfreiheit geschützte Quelle ist – auch wenn die Information (worüber eigentlich?) wohl nicht das primäre Ziel eines Stadionbesuches ist. Ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG liegt hingegen nur in denjenigen Fällen vor, in denen der Betroffene an einer im Zusammenhang mit einem Fußballspiel stattfindenden Versammlung teilnehmen möchte und aufgrund der „Fernhaltemaßnahme“ davon abgehalten wird. In Betracht kommen, so der Autor, hier insbesondere Protestbekundungen oder sonstige Versammlungen, die anlässlich des Fußballspiels in der Umgebung des Stadions stattfinden. Schon dieses Beispiel macht deutlich, dass die Interpretation dessen, was sich warum vor, während oder nach Fußballspielen ereignet, eine wesentliche Rolle für die Rechtmäßigkeit (oder Rechtswidrigkeit) (ordnungs-)polizeilicher Maßnahme darstellt. Wenn der Autor schreibt, dass „in seltenen Einzelfällen … eine kollektive Meinungskundgabe innerhalb des Stadions als Versammlung i. S. d. Art. 8 Abs. 1 GG geschützt sein“ kann (aaO.), so ist zu vermuten, dass er sich nicht allzu intensiv mit der Diskussion innerhalb der Gemeinde der Fußballfans, z.B. um die Rolle und Funktion des DFB oder der Kommerzialisierung des Fußballs (auch am Beispiel der „Hopp-Prozesse“) beschäftigt hat – was man vielleicht von jemandem, der sich mit den juristischen Aspekten der „Fernhaltemaßnahmen“ beschäftigt, nicht erwarten darf, aber vielleicht erhoffen kann.

Vor allem aber greifen die „Fernhaltemaßnahmen“ in das Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 11 Abs. 1 GG ein, wobei der Autor betont, dass die Bedeutung des Art. 11 GG und seine Relevanz im Zusammenhang mit Fernhaltemaßnahmen in der Praxis oftmals verkannt wird, was zu erheblichen Problemen hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung dieser Maßnahmen führe, da ein Eingriff in das Freizügigkeitsrecht aufgrund des qualifizierten Gesetzesvorbehalts in Art. 11 Abs. 2 GG den Erlass von Fernhaltemaßnahmen faktisch darauf beschränke, einer strafbaren Handlung durch den Betroffenen vorzubeugen. „Diese Befürchtung muss jedoch bereits hinreichend konkretisiert sein und darf sich nicht auf bloße Vermutungen beschränken. Die unzureichende Auseinandersetzung mit Art. 11 GG wird insbesondere in den polizeirechtlichen Regelungen zum Erlass von Aufenthaltsverboten deutlich, die den Schranken des Art. 11 Abs. 2 GG zum Teil nicht gerecht werden“ (S. 276). Dieser Teil der Arbeit, der sich mit Art. 11 beschäftigt (S. 77-106) ist dann auch der wichtigste. Hier geht der Verfasser sowohl rechtshistorisch, als auch rechtsdogmatisch vor, wenn auch an manchen Stellen etwas breit und weg vom eigentlichen Thema.

Bei allen Maßnahmen ist eine auf Tatsachen (!) gestützte Prognose eines schädigenden, überwiegend sogar die Prognose eines strafbaren Verhaltens durch den Betroffenen Voraussetzung, was auch der Autor herausstellt. Dabei stehen, was er ebenfalls betont, die zur Verfügung stehenden Maßnahmen in einem Stufenverhältnis zueinander, das im Rahmen des behördlichen Ermessens zu berücksichtigen ist. „Gefährderansprachen weisen im Vergleich zu den übrigen Maßnahmen die geringste Eingriffsintensität auf. Bei den übrigen Maßnahmen kommt es hinsichtlich ihrer Eingriffsintensität maßgeblich auf ihre inhaltliche Ausgestaltung an, wobei beachtet werden muss, dass bei Meldeauflagen häufig ein Eingriff in Art. 11 GG vorliegen wird, bei Aufenthaltsverboten hingegen nur unter bestimmten Bedingungen und bei pass- und ausweisrechtlichen Maßnahmen in keinem Fall“ (S. 277).

Wichtig ist folgendes Ergebnis der Arbeit zu Meldeauflagen: Sie können, so der Autor, aufgrund der Eingriffsintensität der Maßnahme nicht auf die Generalklausel gestützt werden, wodurch sich in Bezug auf den Erlass von Meldeauflagen erhebliche rechtliche Bedenken ergeben, da nur in Rheinland-Pfalz die erforderliche Standardermächtigung existiere (S. 277) (§ 12 a POG). Für NRW wird hier darauf verweisen, dass Meldeauflagen auf der Grundlage der Generalklausel zulässig seien. Interessant ist hier, dass die Fraktion der NRW-CDU hat mit Antrag vom 06.02.2014 die Einführung eines § 10 a in das Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NRW) gefordert hat, also einer eigenen Regelung der Meldeauflage. Die damals von der SPD geführte Landesregierung hat auf eine dementsprechende kleine Anfrage des (damaligen) Abgeordneten und jetzigen Justizministers Biesenbach darauf geantwortet, dass das Bundesverwaltungsgericht die Notwendigkeit der Schaffung einer speziellen Befugnisnorm ausdrücklich verneint habe (BVerwGE 129, 142, 147) und die Generalklausel der Polizei ist eine zulässige Rechtsgrundlage gebe. Dennoch hat die CDU die damals von ihr selbst geforderte Ergänzung der Polizeigesetzes NRW unter eigener Führung nicht umgesetzt.

Das Kapitel in der Arbeit von Fleißner, das sich mit dem Thema Prognosen beschäftigt (S. 218 ff.) ist zwar ebenfalls juristisch sauber aufgebaut; allerdings ist es, wie die Arbeit insgesamt, deskriptiv und wenig analytisch oder gar kritisch angelegt. Gerade hier, wo es um die Begründung von Prognoseentscheidungen geht, wäre ein kritische Ansatz aber dringend notwendig gewesen, auch mit Bezug auf einschlägige Literatur zur Prognosestellung generell – was leider fehlt.

Von besonderer Bedeutung ist auch die Feststellung des Autors, dass eine lediglich auf Indizien gestützte Negativprognose nur in wenigen Fällen genügen kann, um den Erlass von Fernhaltemaßnahmen rechtfertigen zu können. „Der Erlass entsprechender Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren im Rahmen einer Veranstaltung setzt die Prognose eines störenden, in einer Vielzahl der Fälle sogar die Prognose eines strafbaren Verhaltens der Person im Rahmen dieser Veranstaltung voraus“ (S. 278). Dabei hat der Autor in seiner Arbeit gezeigt, dass sich die Behörden im Rahmen der Gefahrenprognose oftmals schematisch gewisser Indizien bedienen, von denen auf das Vorliegen der erforderlichen Voraussetzungen zum Erlass von Fernhaltemaßnahmen geschlossen wird. Diese Praxis sein, so Fleißner, „per se nicht verwerflich, zumal die Behörden in aller Regel schon aufgrund knapper personeller Ressourcen einerseits und einer Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle andererseits nur schwer in der Lage sind, auf anderem Wege ein möglichst effizientes und effektives Verwaltungsverfahren sicherzustellen“ (S. 278). Hier muss man allerdings die Frage stellen, ob Ressourcenknappheit ein rechtlich relevantes Kriterium sein kann, wenn schematisch und ohne konkrete Einzelfallprüfung vorgegangen wird. Immerhin stellt der Autor fest, dass „die Indizien … sich allerdings als nicht belastbar genug erwiesen (haben), um in jedem (der von ihm untersuchen Fälle, TF) eine Negativprognose in ausreichendem Maße tragen zu können. Dies gilt sowohl für die Zugehörigkeit einer Person zu einer Szene oder Gruppe als auch für die Eintragung in einer polizeilichen Datensammlung wie der Datei Gewalttäter Sport oder für den Umstand, dass gegen die Person ein Stadionverbot erlassen wurde“ (S. 278).

Auch die Aussagen, wonach im Hinblick auf Stadionverbote der Prognosemaßstab weniger streng sei und damit von denjenigen beim Erlass von Fernhaltemaßnahmen abweiche, verwundert. Immerhin: Selbst einschlägige Vorstrafen oder sonstige gegen die Person geführte Strafverfahren genügen, so der Autor, jeweils isoliert betrachtet nicht, um auf ein bevorstehendes störendes oder strafbares Verhalten im Rahmen einer Sportveranstaltung schließen zu können (aaO.).

Der Autor schließt seine Überlegungen mit folgender Feststellung: „Soweit eine Negativprognose ausschließlich auf die hier genannten Indizien gestützt wird, kann diese Prognose nur in denjenigen Fallen genügen, in denen eine Maßnahme von lediglich geringer Eingriffsintensität ergriffen wird oder aber der Erlass von kurzfristigen oder vorübergehenden Maßnahmen zur Abwehr einer erheblichen Gefahr erforderlich ist. Dies schließt den Erlass von Fernhaltemaßnahmen mit mehrmonatiger Wirkung aus. In den übrigen Fällen, also insbesondere bei Ergreifen länger andauernder Fernhaltemaßnahmen, die zu schwereren Eingriffen in die Rechte des Betroffenen führen, kann eine ausschließlich auf Indizien gestützte Prognose nicht genügen. Bei derartigen Fernhaltemaßnahmen wird regelmäßig eine umfangreiche Sachverhaltsermittlung und eine sorgfältig durchgeführte Prognose auf Grundlage aller zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten erforderlich sein, um ihren Erlass rechtfertigen zu können“ (S. 279).

Leider ist die Arbeit von Fleißner, die als Dissertation an der Universität München eingereicht wurde, immer dort unkritisch, wo es um die Auseinandersetzung mit der Fußballrealität und damit um die rechtstatsächliche Situation geht. So wird die Feststellung, dass der BGH Hooligangruppen als „kriminelle Vereinigung“ einstuft, kommentarlos wiedergegeben (S. 35). Hier wie an anderen Stellen zeigt sich die typisch juristische Vorgehensweise: Es wird eng am Gesetz argumentiert, und die Beschäftigung mit kriminologischer und rechtstatsächlicher Literatur, die an mehreren Stellen notwendig wäre, findet nicht oder nur sehr oberflächlich statt. Zahlen (z.B. der ZIS, S. 57 f.) werden unkritisch übernommen, obwohl sich dazu entsprechende kritische Bewertungen finden lassen. Und die Aussage, dass sich das bundesweite Stadionverbot als ein „relativ effektives Instrument in der Praxis etabliert“ habe (S. 57 f.), wird mit einem Verweis auf eine Arbeit aus dem Bereich des Verwaltungsrechts „belegt“, was zumindest oberflächlich ist, denn die kritische Studie von Blumberg zum Stadionverbot wird zwar zitiert, aber inhaltlich nicht wirklich verarbeitet. Unsere eigene empirische Studie zu Stadionverboten und registrierter Delinquenz, die immerhin an hervorragender Stelle in der MSchrKrim erschienen ist, hat der Autor wohl übersehen, ebenso wie einige andere Veröffentlichungen zu diesem Thema.

Und nur am Rande: Fanprojekte dienen nicht „in erster Linie dazu, die Ursachen für störendes Verhalten im Rahmen von Fußballspielen zu bekämpfen“ (S. 61), sondern sie sind ein sozialpädagogisches Instrument zur Stärkung eines positiven Selbstbildes junger Menschen und einer kreativen, vielfältigen Fankultur – so die KOS, die der Verfasser wohl leider auch übersehen hat, obwohl sie sich mit vielen der in diesem Buch abgesprochenen Fragen beschäftigt. Und: Peinlich ist in diesem Zusammenhang der als Beleg für die Aussage zur Bekämpfung „störenden Verhaltens“ gedachte Verweis auf Steinat, Die Speicherung personenbezogener Daten gewalttätiger Fußballfans (Hamburg 2012), der sich mit der „Gewalttäter Sport-Datei“ beschäftigt, nicht aber mit Fanprojekten.

Alles in allem ein Buch, das kriminologisch betrachtet oft an der Oberfläche bleibt, aber durchaus relevante Hinweise auf juristische Argumentationen rund um die „Fernhaltemaßnahmen“ enthält.

Thomas Feltes, April 2021