Joachim Wagner, Rechte Richter. Rezensiert von Thomas Feltes

Joachim Wagner, Rechte Richter. AfD-Richter, -Staatsanwälte und -Schöffen: eine Gefahr für den Rechtsstaat? Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2021, 194 S., ISBN 978-3-8305-5111-9, 29.- Euro

Wenn der Verlag in der Ankündigung dieses Buches auf seiner Website schreibt, dass die Justiz seit die AfD im Bundestag und in allen Landtagen vertreten sei, „vor einer neuen Herausforderung (stehe), auf die sie nicht vorbereitet“ sei und dann betont, dass AfD-nahe Richter und Staatsanwälte durch rechtslastige Ermittlungen und Entscheidungen auffallen, dann greift dies in mehrfacher Hinsicht zu kurz. Zum einen beschäftigt sich Wagner in seinem Buch (dankenswerterweise) gerade nicht nur mit solchen (nicht immer) offensichtlichen Fällen, sondern er geht auch auf die eher subtilen Probleme ein, die sich durch eine in der Struktur konservative Institution wie die Justiz ergeben.

Allerdings hätte man sich hier gewünscht, dass sich das Buch etwas mehr mit diesen strukturellen Problemen und Voraussetzungen beschäftigt, die bis hin (oder besser: zurück) zur Ausbildung der zukünftigen Richter*innen und Staatsanwält*innen reichen. Oder ist es ein Zufall, dass progressive Juristen eher unter Anwält*innen als in der Justiz zu finden sind? Wagner weiß sicherlich um dieses Defizit und diese Tendenz, war er doch eine Zeitlang als Assistenzprofessor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der FU Berlin tätig.

Richtig ist daher, wenn darauf hingewiesen wird, dass dem Ansehen der Justiz auch Robenträger*innen schaden, die in positivistischer Tradition den rechtsextremistischen und antisemitischen Hintergrund von Straftaten ignorieren und Täter*innen zu milde oder gar nicht bestrafen. Beispiele dafür finden sich in dem Buch. Was leider fehlt (wobei dies in dem Buch nicht zu leisten war) ist eine empirische Bestandsaufnahme in diesem Bereich, zumal die Arbeit der Richter*innen und Staatsanwält*innen ohnehin in der neueren Zeit zu selten wissenschaftlich hinterfragt wird – hier wurde eine Tradition, die in den 1970 und 1980er Jahren noch ansatzweise verbreitet war[1], aufgegeben. Auch die (regionalen und lokalen) Unterschiede in der Strafzumessung werden zwar immer wieder einmal aufgezeigt, ihre tatsächlichen Hintergründe aber nur selten hinterfragt.

Wagner betont, dass Teile der Dritten Gewalt ihrer Verantwortung im Kampf gegen den Rechtsextremismus nicht gerecht geworden sind und nicht gerecht werden. Warum dies so ist, wäre intensiver zu beleuchten. Heute sei die Unabhängigkeit der Justiz stärker von innen als von außen bedroht: durch eine verhängnisvolle Politisierung bzw. Entpolitisierung von Entscheidungen und eine schwache interne Dienstaufsicht. Gerade letzteres zeigt sich immer wieder auch in „alltäglichen“ Verfahren, in denen sich Amtsrichter*innen und auch Kammervorsitzende wie kleine König*innen aufführen und den Gerichtssaal als ihren „Beritt“ ansehen, in dem (nur) sie das Sagen haben und nur sie bestimmen, wo und wie es langgeht.

Auch die Tatsache, dass politische Entscheidungen zunehmend von Gerichten korrigiert werden, gehört hierher, ebenso wie die Frage, warum dies (wie im Fall des Überflugs einer Bundeswehr-Maschine über die Demonstranten des G-8-Gopfels in Heiligendamm) so spät (hier nach 14 Jahren) geschieht oder (wie im Fall der Entscheidung, nach der die Räumung der Baumhäuser im Hambacher Forst rechtswidrig war) von der Politik nicht akzeptiert wird.

Weil Justiz und Politik die neue Gefahr von rechts bisher unterschätzt haben, sei, so Wagner, der Schutz vor der Einstellung rechter Juristen bisher lückenhaft. Er fordert daher die Justiz auf, sich auf die Prinzipien eines wehrhaften Rechtsstaates zu besinnen.

Nur am Rande und eher als persönliche Anmerkung: Eine in diesem Kontext nicht unwesentliche Institution wird in dem Buch nicht behandelt: die Polizei. Auch hier spielt dieses Thema eine ganz erhebliche Rolle, wie die Ereignisse der letzten Jahre zeigen (s. zum Thema Rassismus und  Rechtsextremismus in der Polizei unseren Beitrag hier).

Der Autor, Dr. Joachim Wagner ist Volljurist. Nach vier Jahren als Assistenzprofessor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der FU Berlin übernahm er 1979 das Ressort Rechtspolitik beim NDR Hörfunk. 1987–2008 war er Leiter und Moderator des Magazins Panorama, Leiter des ARD-Studios London und zum Schluss als stellvertretender Chefredakteur im ARD-Hauptstadtstudio. Seitdem ist er als freier Journalist und Autor aktiv.

Thomas Feltes, September 2021

[1] Vgl. Hubert Treiber, Juristische Lebensläufe. Image und Imagepflege von Juristen in Laudationes und Nekrologen in: KJ Kritische Justiz, Seite 22 – 44; s.a. Raimund Kusserow, Richter in Deutschland: der längst fällige Report über die Halbgötter in Schwarz, Hamburg 1982 sowie Rottleuthner, Hubert, Der Einzelrichter: eine rechtstatsächliche Untersuchung, Deutsche Richterzeitung 1989, S. 164-174.