Ulrich Eisenberg, Jugendgerichtsgesetz, bearbeitet von Ralf Kölbel, rezensiert von Holger Plank

Ulrich Eisenberg[1]: „Jugendgerichtsgesetz“[2], bearbeitet von Ralf Kölbel[3] ISBN 978-3-406-76758-6, 1634 Seiten, C. H. Beck Verlag, München, Reihe „Beck‘ sche Kurzkommentare“, Band 48, 22. Auflage 2021, 115.- €

Seit der ersten Auflage 1982 hat Ulrich Eisenberg bis zur 20. Auflage 2018 den Beck‘ schen Kurz-Kommentar zum Jugendgerichtsgesetz in alleiniger Bear­beitung zu einem über alle jugendstrafrechtlichen Professionen hinweg ge­schätzten und vielzitierten Standardwerk gemacht. Mit der 21. Auflage (2020) ging die Bearbeitung des Werkes auf Ralf Kölbel über, der auch schon die Bearbeitung des großen Lehrbuchs der „Kriminologie“ im Jahr 2017 (in der 7. Auflage) von Hr. Eisenberg über­nommen hatte.

Ende März legt Hr. Kölbl schon nach einem Jahr die 22. Auflage (2021) des JGG-Kommentars vor, die die Judikatur / Literatur mit Stand Anfang Januar 2021 enthält. Seit der 21. Auflage 2020 (abgelaufene 19. Legislaturperiode) erfuhr das JGG keine substanziellen legislativen Änderungen mehr. Der Regierungsentwurf eines „Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften“ vom 20.01.2021, umgesetzt in Art. 21 des Gesetzes (BGBl. 2021 I Nr. 37, S. 2099ff. (2112), brachte nur einige wenige „kosmetische“ bzw. semantische Veränderungen (§§ 35, 81 und 109 JGG) mit sich.

Der Schwerpunkt der Neuauflage liegt daher einerseits in der weiter konturierten Kommentierung der durch Judikatur erkennbaren sigifikanten Auswirkungen des „Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Jugendstrafverfahren“  (BGBl. Teil I Nr. 47 vom 19. Dezember 2019, S. 2146 ff.), das kurz nach Inkrafttreten im Januar 2020 bereits umfänglich in der 21. Auflage berücksichtigt worden war und in der aktuellsten Auflage nun fortgeschrieben wird. Diese mit sehr weitreichenden Veränderungen des JGG verbundene Reform betraf insbesondere

  • die Klarstellung der Anwendbarkeit des JGG bei unklarem Alter (§ 1 Abs. 3 JGG neu),
  • den Ausbau der Rechte und Pflichten der Jugendgerichtshilfe (v. a. in den §§ 38, 50 Abs. 3 JGG),
  • Klarstellungen zum notwendigen „Umfang der Ermittlungen“ (§ 43 Abs. 1 S. 4 [neu] unter Verweis auf §§ 38 Abs. 6 [neu] und 70 Abs. 2),
  • die obligatorische Vernehmung des Beschuldigten durch Staatsan­waltschaft oder den Vorsitzenden des Jugendgerichts bei zu erwartender Jugendstrafe (§ 44),
  • 46a neu zum Zeitpunkt der Anklage im Zusammenhang mit der notwendigen Berichterstattung der Jugendgerichtshilfe unter „Kindes­wohlgesichtspunkten“,
  • 51 Abs. 6 und 7 zur ersatzweisen Vertretung des Jugendlichen nach zeitweiligem Ausschluss der Erziehungsberchtigten aus der Haupt­verhandlung,
  • 51a neu iVm § 68 Nr. 5 zum „Neubeginn der Hauptverhandlung“ nach Feststellung der noch nicht erfolgten aber notwendigen Mitwirkung eines Verteidigers,
  • § 67, 67a neu zu Mitwirkungs- und Beteiligungsrechten von Erziehungs­berechtigten und deren gesetzlichen Vertretern sowie deren Entziehung durch das Jugendgericht,
  • Fallgestaltungen der „notwendigen Verteidigung“ (§§ 68, 68a, 68b, 70a, 70b JGG iVm §§ 140 ff. StPO) sowie ggf. der „audiovisuellen Aufzeichnung der Vernehmung“ (§ 70c JGG),
  • Modifizierung der Verfahrensvorschriften zum „vereinfachten Jugend­verfahren“, § 78 Abs. 3 JGG,
  • 89c – Anpassung der Vorschriften zur Vollstreckung der Untersuchungs­haft,
  • § 92, 93 – Anpassung der Vorschriften über „Rechtsbehelfe im Vollzug“ und „gerichtliche Zuständigkeiten“,
  • 104 – Anpassung der Verfahrensvorschriften im jugendgerichtlichen Verfahren,
  • § 109, 110 – Anpassung der Verfahrensvorschriften zur Anwendbarkeit des JGG und hinsichtlich der Vollstreckung von Untersuchungshaft bei Heranwachsenden.

Hierzu wird der Nutzer auf den „neuesten Stand“ gebracht, denn die „erheblichen jugendstrafprozessrechtlichen Veränderungen betreffen (zwar auch das Hauptverfahren) in erster Linie (jedoch) das Ermittlungsverfahren“ und erfordern teilweise eine praktische Handhabung, „die sich von den bisherigen Vorgehensweisen klar unterscheidet und zugleich die partielle Eigenständigkeit des Jugendstrafverfahrens gegenüber dem allgemeinen Strafprozess stärkt.“[4] Kölbl will mit der Neukommentierung auch der „Gefahr begegnen, dass die neue Rechtslage in der Ermittlungspraxis eine geräuschlose alltagstaugliche Zurichtung erfährt“ (ebd.), weshalb er die wesentlichen Passagen auch nochmals in einer eigenständigen Veröffentlichung (Fn. 4) komprimiert herausstellt und abschließend eigenständig kurz bilanziert:

  • Ergänzung bei den „Aufklärungsansprüchen“ und „Unterrichtungs­adres­saten“, „-modalitäten“ und „-inhalten“ (§§ 67 Abs. 5 S. 3; § 67a Abs. 2; 70a [für Heranwachsene siehe § 109 Abs. 1 S. 2] in Umsetzung von Art. 4 der RL (EU) 2016/800),
  • Notwendige Verteidigung (§§ 68, 68a JGG, § 140 StPO),
  • Frühzeitige und umfassende Einbindung der Jugendgerichtshilfe (§§ 38, 46a, 70, 72a JGG),
  • Durchführung der Vernehmung (§§ 44, 67, 67a, 68, 68b, 70, 70c JGG).

Kölbl folgert daher, dass die veränderte Regelungsstruktur des JGG gerade im Ermittlungsverfahren „auch in den Massenverfahren anlässlich geringfügiger, alterstypischer Deliktsformen (signifikante) Veränderungen notwendig macht.“[5] Dem kann man mit Blick auf die anwaltliche und sicherheitsbehördliche Praxis nur zustimmen.

Andererseits schreitet auch die individuelle bedingte Anpassung des Kommentars nach dem Bearbeiterwechsel zu Hr. Kölbl zügig voran. Es ist gut, dass mit Hr. Kölbel die inter­disziplinäre Kontinuität mit der in praxi wertvollen Berücksichtigung krimi­no­logischer, psychologischer, sozialwissenschaftlicher und sozialpädagogischer Literatur gewahrt bleibt, die den „Eisenberg‘ schen Kommentar des JGG“ schon bisher für die heterogene Zielgruppe besonders wertvoll machte. Die hier und da erkennbare neue „Handschrift“ des Kommentars (abgeschlossen sind die Neubearbeitungen des 1. Teils und des 2. Hauptstücks des 2. Teils) ist jedenfalls ebenso instruktiv, wie das bisher der Fall war. Angesichts des bewährten Aufbaus und der Qualität des arri­vierten Grundlagenwerks ist dadurch jedenfalls keine Veränderung des Charakter des Werkes erkennbar und von Hr. Kölbel offensichtlich auch nicht beabsichtigt.

Der „Eisenberg / Kölbel“ ist und bleibt ein „schnörkelloses“, damit ebenso griffiges wie auch praxisgerecht aufgebautes und gestaltetes Nachschlagewerk.

Holger Plank, im Oktober 2021

[1] Prof. em. Dr. iur. Ulrich Eisenberg, bis zum Jahr 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug an der Freien Universität Berlin; neben dem „Standardkommentar“ zum JGG Verfasser zahlreicher Lehrbücher und Studienkommentare, u. a. des großen Lehrbuchs Kriminologie, in der 7. Auflage 2017 ebenfalls fortgeführt von Prof. Dr. Ralf Kölbel, allerdings nun hrsg. bei Mohr Siebeck oder dem Spezialkommentar zum Beweisrecht der StPO, 10. Auflage 2017, hrsg. bei C. H. Beck (in der 11. Auflage geplant und bearbeitet von Prof. Dr. Puschke und Dr. Ute Hohoff).

[2] Vgl. Verlags-Website des C. H. Beck Verlags,  zuletzt abgerufen am 19.04.2021.

[3] Prof. Dr. iur. Ralf Kölbel, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Kriminologie an der LMU München.

[4] Kölbl, NStZ (41) 2021, H. 9, S. 524

[5] A. a. O., S. 530 f.