Denise Mina, Klare Sache, resensiert von Thomas Feltes

Denise Mina, Klare Sache, aus dem Englischen von Zoë Beck. Argument Verlag, Hamburg 2019, ISBN 9783867542425, gebunden, 346 Seiten, 21,00 EUR

Wenn jemand Jura studiert und danach in Kriminologie und Strafrecht promovieren will, stattdessen aber beginnt, Krimis zu schreiben, dann wird man genauer hinsehen müssen, vor allem wenn das hier besprochene Buch auf dem 3. Platz des Deutschen Krimipreises 2019 landet[1] und die Autorin im Jahr 2020 mit ihrem Buch „Götter und Tiere“ sogar auf Platz 1 international.

Tatsächlich brach die Denise Mina, geb. 1966, nach einer rastlosen Kindheit in Glasgow, Paris, London, Invergordon, Bergen und Perth die Schule ab, jobbte in einer Fleischfabrik, in Bars, als Köchin und als Krankenpflegehelferin, und qualifizierte sich dann per Abendschule fürs Jurastudium an der Universität Glasgow. Statt danach aber wie geplant in Kriminologie und Strafrecht zu promovieren, begann sie Kriminalliteratur zu schreiben.

Dem Buch ist ein Text von Steven Pinker, Experimentalpsychologe an der Harvard-Universität vorausgestellt, der deutlich macht, dass die Autorin nach wie vor eine gewisse Affinität zur Kriminologie hat.

„(Ein Dogma) besagt, Gewalt werde durch einen Mangel an Moral- und Gerechtigkeitsgefühl verursacht. Im Gegenteil: Sehr oft ist ein übertriebenes Moral- und Gerechtigkeitsgefühl die Ursache, oder zumindest wird es vom Täter so wahrgenommen“.

Das Buch selbst ist nicht nur ein Krimi, sondern, worauf die Verlegerin Else Laudan hinweist, auch ein Schauerroman, ein Roadmovie, ein Märchen, ein hochmoderner Überwachungsthriller. Die schottische Erzählerin „greift tief in die Schatzkiste populärer Narrative, lässt es funkeln und blitzen. Aus traditionsreichen Zutaten, Fantasie und scharf geschliffenem Realismus kreiert sie einen wilden Ritt durch die historische und aktuelle Literaturküche, lässt Porzellan gegen Stahl scheppern, kombiniert Petits Fours mit dampfendem Haggis und ­Nouvelle Cuisine, tischt ein gewagt unterhaltsames Menu Surprise auf[2].

Anna McDonald, die Protagonistin des Krimis, führt in Glasgow ein unauffälliges Leben. Ihre Leidenschaft sind True-Crime-Podcasts. Eintauchen in eine Parallelwelt voller Rätsel und ungelöster Verbrechen. Ihr neuer Podcast klingt besonders verheißungsvoll: ›Der Tod und die Dana‹. Ein versunkenes Schiff, ein uralter Fluch, Explosion und Mord. Was will man mehr? Aber auf Anna wartet eine böse Überraschung, denn so langsam verschwimmen Fiktion und Realität.

„Der Tag, an dem mir mein Leben um die Ohren flog, fing gut an“ – so beginnt die Geschichte, nachdem ein Prolog vorangestellt wer, der die Spannung aufbaut und die Erwartung an den Text fördert:

„Sagt einfach die Wahrheit. Das habe ich auch meinen Kindern eingetrichtert. Wie lächerlich, Kindern so etwas beizubringen. Niemand will sie hören. Es muss einen Grund dafür geben, die Wahrheit zu sagen. Ich habe vor einiger Zeit damit aufgehört, und ich muss sagen, es war großartig. Die beste Entscheidung meines Lebens. Immer wieder lügen, sich einen Namen ausdenken eine Vorgeschichte, eigene Vorlieben und Abneigungen einfach ein Lügenmärchen stricken. Das ist so viel vernünftiger. Aber ich verrate Ihnen die Wahrheit, hier in diesem Buch. Dafür gibt es einen sehr guten Grund.“

Der Roman erscheint bei Ariadne, und das hat seinen Grund: Hinter dem Kleinen scheint in dem Buch stets das Große durch, hinter dem Privaten das Gesellschaftliche: „Privilegien, Dünkel, Vorurteile, Imponiergehabe, alltägliche Gewalt, Siegerrecht. Die oft sarkastische, hyperpräzise Beobachterin erfasst ganz nebenbei mit knappen Chiffres, wie und wo wir alle wider besseres Wissen Spiele mitspielen, Kompromisse eingehen, den Blick abwenden auch von dem, was uns angeht. Aber Denise Mina belehrt uns niemals, sie erzählt »nur« eine Geschichte“. Jede der ineinandergreifenden Storys ist so „süffig wie subtil aufgeladen mit Wahrheiten über unsere Welt“, so Else Laudan, für die das Erzählen die wahre Heldin dieses Romans ist. „Das Erzählen wird bedroht, entführt, missbraucht, verunglimpft, glorifiziert, vereinnahmt, totgesagt, neu erfunden, angeprangert, rehabilitiert. Das Erzählen wechselt die Gestalt, die Ebene, entzieht sich und taucht wieder auf. Das Erzählen überlebt – und triumphiert“.

Ach ja, und dass das Büchlein im handlichen Format (18,5 x 13 cm) erscheint, fest gebunden und mit Lesebändchen versehen, dürfte auch der Lektorin Else Laudan zu verdanken sein. So macht das Lesen einfach noch mehr Spaß.

Thomas Feltes, Dezember 2021

[1] http://www.deutscher-krimipreis.de/2019/12/

[2] https://argument.de/produkt/klare-sache/