Matthias Bäcker u.a. (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts. Rezensiert von Holger Plank

Matthias Bäcker[1] / Erhard Denninger[2] / Kurt Graulich[3] (Hrsg.): „Handbuch des Polizeirechts. Gefahrenabwehr – Strafverfolgung – Rechtsschutz“ [4]

(7., vollständig neu überarbeitete Auflage des von Hans Lisken [+] mitbegründeten Werks; ISBN: 978-3-406-74370-2, 1956 Seiten C. H. Beck Verlag, München, 2021, 199.– €

Das Handbuch des Polizeirechts[5] ist wegen der seit einigen Jahren sehr dy­namischen Fortentwicklung dieser Rechtsmaterie im Bund und den Ländern „aus der Landschaft der deutschen Literatur zum Sicherheitsrecht nicht mehr wegzudenken.“[6] Tiefgreifende ökonomische, politische und soziokulturelle Transformationspro­zesse, die gegenwärtig noch deutlich an Intensität und Geschwindigkeit zuneh­men, verändern die Risikoperzeption der Menschen und des Gesetzgebers. Ganz allgemein stehen traditionelle Gewissheiten zur Disposition, der gewohnten Er­wartbarkeit und Berechenbarkeit wird zunehmend das Fundament entzogen. Die Dynamik der Veränderung findet ihre individuelle Entsprechung in abnehmender Überschaubarkeit und sinkender Erwartungssicherheit.[7]

Eine derartige Risikoper­zeption ist immer schwieriger in den klassischen polizeirechtlichen Gefahrenbe­griff einzubetten. Besonders terroristische Gewalttaten haben dazu beigetragen, dass Sicherheitsfragen im aktuellen politischen Diskurs einen anhaltend hohen Stellenwert haben.[8] So kommt es, dass das polizeiliche Gefahrenabwehrrecht seit einiger Zeit im Umbruch ist. Insbesondere seit dem Urteil des BVerfG zum BKA-Gesetz[9] und der Notwendigkeit der Umsetzung des „Europäischen Daten­schutzpakets“ (VO [EU] 2016 / 679 – EU-DSGVO und der RiLi [EU] 2016/680) in nationales Recht (hierzu instruktiv das umfangreich veränderte und erheblich ergänzte Kap. G „Informationsverarbeitung im Polizei- und Strafverfahrensrecht“ des Bandes) verändern sich die Gefahrenabwehrgesetze der Polizeien des Bundes und der Länder signifikant und auch sehr dynamisch.

Vor diesem Hin­tergrund wird nicht nur vereinzelt ein sicherheitspolitischer „Paradigmen­wechsel“[10] kritisiert. Zudem wird bemängelt, es werde hiermit deutlich ein „Präven­tionsparadoxon“[11] offenbar. Es bestehe darin, dass „Freiheitsinteressen (…) gerade dadurch stabilisiert werden sollen, dass das immer mögliche Gefahren- und Ver­unsicherungsszenario im Bewusstsein gehalten, gleichzeitig aber dessen Beherr­schbarkeit in Aussicht gestellt“ werde. Derart argumentiert werde der Staat als Gewaltmonopolist fortlaufend mit neuen Gewährleistungskompetenzen ausge­stattet.

Diese legislative Dynamik und zahlreiche kritisch diskutierte dogmatische Fragen[12], die Neubearbeitung umfasst alle Polizeirechts­reformen auf Bundes- und Länderebene bis Februar 2021[13], erfordert inzwischen wohl auch eine deutliche Verkürzung der Erscheinungsfrequenz des Werks, das seit der 6. Auflage neben Erhard Denninger von Matthias Bäcker und Kurt Graulich herausgegeben wird. Lagen zwischen den Auflagen 5 (2012) und 6 (2018) noch sechs Jahre, erscheint die 7., vollständig überarbeitete und nochmals um rund 200 Seiten erweiterte Auflage nun schon drei Jahre nach der Vorauflage. Das ist gut so!

Wie gewohnt behält das Werk seine übersichtliche, kompakte Gliederung auch in der Neuauflage bei. Die 22 namhaften Bearbeiter[14] sorgen für eine ausgewogene   dennoch notwendig reflexiv-kritische Einordnung / Kommentierung der Themenstellungen in insgesamt dreizehn Kapiteln (vgl. Fn. 4). Reihenfolge und Denomination der Kapitel sind mit geringen Abweichungen[15] identisch geblieben, die Unterkapitel sind in Teilen signifikant verändert und der angesprochenen Dynamik angepasst worden.

Jedem Kapitel ist ein umfangreiches, im Vergleich zur Neuauflage deutlich fortgeschriebenes themenspezifisches Literaturverzeichnis vorangestellt. Mit diesen zahllosen Anknüpfungspunkten sorgt das Handbuch für eine gut gegliedert dargebotene Informationsfülle, die für Wissenschaft und Praxis eine umfassende Bewertung der allermeisten dogmatisch und praktisch wesentlichen polizeirechtlichen Fragestellungen sowie der grundlegenden Problematik der zunehmenden Verschränkung des Polizei- mit dem Strafverfahrensrecht ermöglicht.

Als polizeirechtlicher Klassiker gehört es daher in jede gut sortierte wissenschaftliche Bibliothek, sollte aber auch für die Praktiker der Anwaltschaft und der Sicherheitsbehörden als Standardwerk[16] gut und einfach zugänglich sein.

 

Holger Plank, im Oktober 2021

[1] Prof. Dr. jur., Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Informationsrecht, Datenschutzrecht, zuletzt abge­rufen am 21.10.2021.

[2] Prof. em. (1999), Dr. jur., Lehrstuhl für Öffentliches Recht II und Rechtsphilosophie an der Goethe- Universität Frankfurt, zuletzt abgerufen am 21.10.2021.

[3] Hon.-Prof., Dr. jur., Humboldt-Universität Berlin, Richter am Bundesverwaltungsgericht a. D., zuletzt abgerufen am 21.10.2021.

[4] Vgl. Inhaltsverzeichnis auf der Website des C. H. Beck-Verlags, zuletzt abgerufen am 21.10.2021.

[5] Vgl. auch die umfangreichen Besprechungen der 6. Auflage 2018 von Karsten Lauber für den Polizei-Newsletter oder der 5. Auflage 2012 von Dr. Frank Braun für ZVR-Online, Ausgabe 14/2012.

[6] Wolff, DÖV, Heft 8, 2019, S. 320

[7] Vgl. nur Hirtenlehner, KZfSS 2006, S. 307.

[8] Aden, in: Puschke / Singelnstein, Der Staat und die Sicherheitsgesellschaft, 2018, S. 153.

[9] BVerfGE 141, 220 – 387, dort vor allem Rn. 112 zur „drohenden Gefahr“.

[10] Am Beispiel des PolG NRW Arzt, Die Polizei 110 (2019), S. 353 ff.; am Beispiel des bayerischen PAG Löffelmann, KJ 51 (2018), Heft 3, S. 355, der sogar von einem „gewaltsamen Paradigmenwechsel im bayerischen Polizeirecht“ spricht; allgemeiner Masing, JZ (66) 2011, S. 753 (757).

[11] Zabel, in: Puschke / Singelnstein (Fn. 4), S. 55 f.

[12] Derzeit sind noch zahlreiche Rechtsbehelfe gegen verschiedene Länderpolizeigesetze zu den Länderver­fassungs- und zum Bundesverfassungsgericht anhängig.

[13] Wodurch schon wieder wesentliche Fortentwicklungen in einzelnen Bundesländern (z. B. Bayern, Bremen etc.), die seither in Kraft getreten sind, sowie die Fortentwicklung des Musterpolizeigesetzes, die am Lehrstuhl von Prof. Dr. Thiel an der Deutschen Hochschule der Polizei mit eigener Geschäftsstelle bearbeitet wird, zeitnah einzuarbeiten sind.

[14] Im Vergleich zur Vorauflage sind neu hinzugekommen: a. Prof. Dr. Clemens Arzt (HWR Berlin), b. Prof. Dr. Carsten Krämer (Universität Rostock) und c. PD Dr. Andrea Kießling (RUB), Dr. Michael Müller (LMU München) sowie d. Dr. Dieter Weingärtner (Ministerialdirektor a. D., Berlin); ausgeschieden als Bearbeiter sind: a. Reinhard Mokros (FHöVR NRW), b. Dr. Thomas Petri (Landesbeauftragter für den Datenschutz in Bayern – was angesichts der zahlreichen Rechtsbehelfe gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz vor dem Landes- und dem Bundesverfassungsgericht verwundert) und c. Wolfgang Sailer (VRi. Am Bundesverwaltungsgericht a. D.)

[15] Der Titel des Kap. D wurde erweitert um den Zusatz „Regelungsmuster des polizeilichen Eingriffsrechts“; das Kap. G „Informationsverarbeitung im Polizei- und Strafverfahrensrecht“ ist aufgrund der datenschutzrechtlichen Neuregelungen erheblich erweitert worden und nun in fünf Unterkapitel untergliedert.

[16] Muckel, Die Verwaltung, 10/2001