Christian Barthel (Hrsg.): Proaktive Polizeiarbeit als Führungs- und Managementaufgabe. Rezensiert von Thomas Feltes

Christian Barthel (Hrsg.): Proaktive Polizeiarbeit als Führungs- und Managementaufgabe. Grundlagen – Praxis – Perspektiven. Springer Gabler, Wiesbaden 2021, Softcover ISBN: 978-3-658-34200-5, 54,99 Euro, e-book ISBN: 978-3-658-34201-2, 42,99 Euro.

„Bürgerorientierung, eine präventive und proaktive Polizeiarbeit gehört heute zum Selbstverständnis der Polizei. Auf allen Führungsebenen der Polizeiorganisation bis hinauf zu den Funktionsspitzen der Sicherheitspolitik in Bund und Ländern wird dieses Credo kommuniziert. Neben dem objektiven Kriminalitätsaufkommen und der repressiven Bekämpfung von Straftaten gilt die präventive Gefahrenabwehr und die Orientierung am subjektiven Sicherheitsempfinden der Bürger als ein zentrales Handlungsfeld der Polizei.“ Mit diesen Sätzen beginnt das Vorwort von Barthel in dem von ihm herausgegebenen Sammelband. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um Polizeigewalt und rechte Netzwerke in der Polizei mutet der Band etwas aus der Zeit gefallen an – bei den oftmals heute leider üblichen Vorläufen von zwei bis drei Jahren für solche Sammelbände kein Wunder. Dennoch lohnt die Lektüre des Bandes, auch und weil die Beiträge interdisziplinär angelegt sind und Theorie und Praxis miteinander verbunden werden – zumindest in den meisten der Beiträge.

Barthel schränkt seine eigene Aussage dann auch gleich wieder ein, wenn er wenig später schreibt: „Die gepflegte Semantik der Bürgerorientierung und der Prävention spielt im Alltag polizeilicher Dienststellen oft genug eine Nebenrolle. In unfreundlicher Zuspitzung könnte man sagen: Die Rede von der Bürgerorientierung dient zur Dekoration der Außen- und Schauseite der Organisation, und die operative Beschäftigung mit der konkreten Präventionsarbeit, dem Dialog mit Bürgern und Sicherheitspartnern, wird an die stellenmäßig gering ausgestatteten Kontaktbereichsbeamten delegiert“. Jeder, der sich (wie der Rezensent) in den 1990er und 2000er Jahren mit dem Thema „Kommunale Kriminalprävention“[1] beschäftigt hat, wird dieser Aussage zustimmen. Wenn man so will, dann hat es 30 Jahre gedauert, bis erkannt wurde, dass die Polizei ohne eine stringente Bürgerorientierung nicht erfolgreich Straftaten ermitteln und vor allem nicht die demokratische Verortung erreichen kann, die für sie als Gewaltmonopolisten des Staates notwendig ist.

Das zentrale Anliegen des Herausgeberwerkes, so Barthel, sei es, die besondere Führungs- und Managementleistung der verantwortlichen Dienststellenleitung, die für die Gewährleistung einer dauerhaften, proaktiv-bürgerorientierten Polizeiarbeit notwendig ist, herausstellen. Ausgegangen werde von den „grundsätzlichen Veränderungen im Politikfeld der Inneren Sicherheit, die unter der Überschrift „Neue Sicherheit“ skizziert werden. Die Neue Sicherheit erweist sich als Ausgangs- und Bezugspunkt für polizeiliche Konzepte seit den 1990er-Jahren, die innerhalb der Polizeiorganisation gleichsam in Konkurrenz zu den klassischen, d. h. eher staatsorientierten, reaktiv-repressiven Policing-Strategien treten“ (S. 4). Diese Konzepte einer bürgerorientierten, proaktiv-präventiven Polizeiarbeit finden „ihren operativen Ausdruck in einer konsequenten Sozialraumorientierung – der polizeipraktischen Ausgestaltung des „Community Policing“ oder der gemeinwesenorientierten Polizeiarbeit. Als Bedingung der Möglichkeit und Verankerung eines solchen Community Policing erweist sich schließlich eine Dienststellenentwicklung, die als Schwerpunkt des Führungs- und Managementhandelns des höheren Dienstes beschrieben wird“ (aaO.).

Das Inhaltsverzeichnis zum Buch findet sich hier. Die Beiträge werden in drei Themenfelder gruppiert. Themenfeld 1 („Konzeptionelle Grundlagen proaktiver Polizeiarbeit“) behandelt die organisationstheoretischen, rechtlichen, polizei- und politikwissenschaftlichen Fundamente der bürgerorientierten, proaktiven Polizeiarbeit. Themenfeld 2 („Die Praxis proaktiver Polizeiarbeit und die Relevanz der Dienststellenentwicklung“) ist der Schwerpunkt des vorgelegten Bandes; hier berichten reflektierte Praktiker aus ihrer spartenspezifischen Perspektive, was Bürgerorientierung ganz praktisch hinsichtlich der Ausrichtung der Dienststellen bzw. Basisorganisationseinheiten bedeutet. Themenfeld 3 („Polizeiwissenschaftliche Perspektiven“) sollen die Erfahrungen aus der praktischen Arbeit proaktiver Polizeiarbeit abrunden.

Insgesamt sollen die Beiträge deutlich machen, „welchen entscheidenden Stellenwert Führung und Management für den Erfolg bürgerorientierter Polizeiarbeit haben. Führung und Management, insbesondere auf der Leitungsebene von Polizeiinspektionen, Revieren, Kommissariaten – also den Basisorganisationseinheiten der Polizei in der Fläche – sind gleichsam die Bedingungen der Möglichkeit einer bürgerorientierten, präventiven und proaktiven Polizeiarbeit. Die Führungskräfte des höheren Dienstes müssen hier die treibende Kraft für eine strategische Ausrichtung und Entwicklung der Dienststelle sein, die erst die Bürgerorientierung als klugen Mix des gesamten polizeilichen Interventionsrepertoires operativ gewährleistet“ (S. VII). Tatsächlich finden sich solche Beiträge vor allem im zweiten Teil des Bandes, während eher allgemeine Beiträge vorangestellt werden. Aber auch diese sind, teilweise zur Hinführung zum Thema, teilweise zur Vertiefung, sinnvoll und notwendig. Die „polizeiwissenschaftlichen Perspektiven“, abgebildet mit drei Beiträgen im dritten Teil des Bandes, kommen 8wieder einmal?) zu kurz und zudem weiß man nicht so genau, wie man diese Beiträge einordnen soll.

Die Praxisorientierung mag als Ziel angestrebt worden zu sein; zumindest in einigen Beiträgen hat man aber das Gefühl, dass die Autoren sich doch etwas unkritisch und abseits der gesellschaftlichen Realität bewegen. Wenn bspw. Bürger in seinem Beitrag zur „Bürgerorientierung bei Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten“ (S. 233 ff.) zeigen will, „wie sich die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten über die letzten Jahrzehnte weiterentwickelt haben und wie die Bürgerorientierung zum Organisationsziel und somit auch zum fundamentalen Baustein für Personalauswahl, Personalentwicklung, aber auch der Einsatztaktik dieser Einheiten geworden ist“, dann spricht dies den vielfältig-anderen Erfahrungen von Bürgerinnen und Bürgern eher Hohn, die im Demonstrations- oder Fußballalltag mit solchen Einheiten konfrontiert wurden. Generell hätte hier und da eine etwas kritischer Sicht auf die Dinge gut getan, so wie es Barthel selbst gelingt in seinem Beitrag „Was heißt bürgerorientierte Polizeiarbeit in einem linksalternativen Stadtteil? Das Beispiel Leipzig- Connewitz“ (S. 253 ff.). Ebenso wäre eine stringentere Auswahl der Beiträge an dem selbstgesteckten Ziel – das allerdings, und dies ist positiv anzumerken – von den meisten Autor*innen verfolgt und auch erreicht wird, hilfreich gewesen.

Insgesamt aber ein Band, den zu lesen sich lohnt – wobei zu hoffen bleibt, dass die Inhalte nicht nur an den Polizeihochschulen gelehrt werden, sondern auch im Alltag praktiziert werden. Eine entsprechende empirische Bestandsaufnahme steh leider noch immer aus, so wie sich Polizei generell schwer tut, ihre eigene Arbeit unabhängig und wissenschaftlich evaluieren zu lassen.

Nur am Rande (und am Ende) ein kleiner Hinweis: Das als „Autorenverzeichnis“ deklarierte Übersicht am Anfang des Buches (S. XVII f.) ist nicht nur redundant („Frevel“ wird zweimal aufgeführt, der Herausgeber Barthel sogar dreimal), sondern auch unterschiedlich aussagekräftig. Mal wird der Tätigkeitsbereich der Autoren genannt, mal nicht, dabei ist die Tatsache, ob ein Autor aus Hamburg oder München stammt, sicherlich weniger interessant als sein praktisches oder theoretisches Arbeitsgebiet, das leider bei den meisten Autor*innen verschwiegen wird.

 

Thomas Feltes, Februar 2022

[1] Einige Veröffentlichungen aus dieser Zeit stehen kostenlos auf dieser Website zur Verfügung: http://www.felix-verlag.de/index.php/empirische-polizeiforschung