Lukas Theune, Polizeibeamte als Berufszeugen in Strafverfahren. Rezensiert von Leif-Gerrit Artkämper

Lukas Theune, Polizeibeamte als Berufszeugen in Strafverfahren, Nomos-Verlag Baden-Baden 2020, 281 Seiten, 74,00 Euro, ISBN print: 978-3-8487-6420-4, ISBN online. 978-3-7489-0511-0

Polizeibeamte sind – wie andere Personen auch – in die staatsbürgerlichen Zeugenpflichten eingebunden, werden allerdings aufgrund ihrer beruflich bedingten Tätigkeiten, Erlebnisse und Beobachtungen in weitaus häufigerem Maße von den Gerichten in Anspruch genommen als der Normalbürger. Die Wahrnehmung von Zeugenterminen in Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren ist für den Polizeibeamten ein weitgehend selbstverständlicher Teil der Berufsausübung und des Berufsalltags. Dieser Rollenwechsel ist allerdings insbesondere deswegen problematisch, weil der Beamte im Ermittlungsverfahren bei der Ausermittlung des Sachverhalts selbst Vernehmender ist, dann aber im weiteren Verfahrensablauf im Rahmen der strafrechtlichen Hauptverhandlung zum Vernommenen wird.

Das Verhalten eines Polizeibeamten als Zeuge vor Gericht nimmt in der Aus- und Fortbildung einen eher geringen Stellenwert ein. Darum sind sich viele Beamte der Bedeutung ihrer Zeugenaussage nicht bewusst. Zeugenladungen werden als lästiges Übel empfunden, insbesondere wenn der Termin in die Freizeit fällt. Entspricht der Ausgang eines Strafverfahrens nicht den Erwartungen, wird dies gerne als Versagen der Justiz deklariert und man zeigt mit dem nackten Finger auf sie. Doch Vorsicht: Wer den gestreckten Zeigefinger auf einen anderen richtet, auf den zeigen drei Finger der eigenen Hand zurück und der Gedanke, dass man doch ein besonders belastbarer – guter – Zeugen gewesen sei, stimmt in diesem Selbstverständnis nicht.

Die Veröffentlichung von Theune – Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht in Berlin – hinterfragt die Besonderheiten von Polizeibeamten, die als Zeugen in Strafverfahren auftreten. Hier gab und gibt es einen Vertrauensvorschuss seitens Staatsanwaltschaft und Gericht, sie seien besonders gute Zeugen, der nicht gerechtfertigt ist. Dass sie ein Interesse am Ausgang des Verfahrens haben, ist offensichtlich, steht doch ihr Ermittlungsergebnis auf dem Prüfstand und der Gedanke, der Angeklagte muss von der Straße, spielt teilweise eine (mit-)entscheidende Rolle bei der Aussage. Es gibt soweit ersichtlich keine belastbaren Forschungsergebnisse zu der Frage, ob Polizeibeamte oder Private die besseren Zeugen sind, mit der Folge, dass stets die Grundsätze der Aussagepsychologie anzuwenden und ausgehend von der Nullhypothese Realkennzeichen und Warnsignale zu prüfen sind: Wie haben Zeugen bestimmte Ergebnisse wahrgenommen, unter welchen Bedingungen wurden diese Erinnerungen abgespeichert … und darauf die Belastbarkeit der Bekundungen stützen. Jedenfalls der in Gerichtssälen oft verwendete Satz, „ich habe keine Zweifel an den Angaben des Zeugen, da er Polizeibeamter ist“, ist aussagepsychologisch und tatsächlich nicht tragfähig.

Die Veröffentlichung stellt zunächst rechtstatsächlich die Besonderheiten dieser Zeugengruppe dar und untersucht diese aus dieser aussagepsychologischen Perspektive im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf ihre Glaubhaftigkeit. In einem empirischen Teil erfolgt eine Expertise von Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern und abschließend werden mögliche Alternativen zu einer polizeilichen Aussage erörtert.

Es wird betont, dass Polizeibeamte bei Richtern und Staatsanwaltschaft einen Sonderstatus genießen, der aus aussagepsychologischer Sicht angesichts der sich negativ auf die Glaubhaftigkeit auswirkenden Besonderheiten nicht gerechtfertigt ist, sondern – nicht nur aus der Sicht des Verteidigers – in der Praxis ihre Aussagen vielmehr einer besonders kritischen Würdigung unterzogen werden sollten.

Theune bezweifelt, dass das der Strafjustiz gelingt, zumal in der juristischen Ausbildung die Aussagepsychologie nicht nur zu kurz kommt, sondern ein absolutes Schattendasein fristet – sowohl im Studium als auch im Referendariat. Der empirische Teil der Untersuchung bestätigt dies: Von vier interviewten Amtsrichtern verfügte nur einer über entsprechende wissenschaftliche Kenntnisse. Der Vorschlag, stärker auf Alternativen zur Vernehmung von Berufszeugen zu setzen wie vor allem Videoaufnahmen vom Tatgeschehen – etwa Aufzeichnungen von Überwachungskameras, Dashcams oder auch Bodycams von Polizisten Videoaufnahmen von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren – würden den Gerichten helfen, sich ein besseres Bild der jeweiligen (Vernehmungs-)Situation zu machen, fehlen nur im gerichtlichen Alltag in nahezu jedem Strafverfahren.

Die Veröffentlichung ist thematisch und auch sprachlich äußerst ansprechend und animiert zum Lesen und zu einer kritischen Selbstreflektion; eine Lektüre ist nicht nur Strafjuristen, sondern auch Polizeibeamten zu empfehlen.

Dr. Leif-Gerrit Artkämper, Dortmund