Ackermann, Rolf, Clages, Horst, Roll, Holger; Handbuch der Kriminalistik. Rezensiert von Thomas Feltes

Ackermann, Rolf, Clages, Horst, Roll, Holger; Handbuch der Kriminalistik, Kriminaltaktik für Praxis und Ausbildung; Boorberg Verlag, 6. Auflage, Berlin 2022, 753 Seiten, € 49,00; ISBN 978-3-415-06991-6

Ein „Handbuch der Kriminalistik“ will zweierlei sein: Ein Nachschlagewerk (die praktischen Schwierigkeiten beim „Nachschlagen“ werden am Ende thematisiert) und ein Lehrbuch, das sämtliche Bereich der (wissenschaftlichen) Kriminalistik abdeckt. Geht sowas? Der Rezensent der 5. Auflage des Werkes, Patrick Rohde, hatte 2019 angemerkt, dass der Spagat, den das Buch zu leisten versucht, nicht unproblematisch ist. „Dem Praktiker wird es an manchen Stellen zu theoretisch für einen schnellen Überblick/Hilfestellung werden (bspw. Hinführung zur Fallanalyse). Demjenigen, der an der theoretischen Grundlage interessiert ist (Aus- und Fortbildung), an anderer Stelle aber ggf. zu handlungsleitend und nicht erklärend genug“. Genauso ist es (leider) geblieben.

Das Handbuch liefert einen Überblick über Bereiche und Probleme der Kriminalistik; es ist aber (auch aus lesetechnischen Gründen) nicht als Lehrbuch in der Form geeignet, dass man auf S. 1 beginnt und auf S. 741 endet, und selbst das Durcharbeiten einzelner Kapitel ist schwierig, weil sich Informationen zu gleichen Themen an mehreren Stellen im Buch finden. Die Diskrepanz, die sich aus dieser nach Auffassung des Rezensenten misslungenen Konzeption ergibt, wird an folgenden Beispielen deutlich:

1) Das Werk arbeitet immer wieder mit Beispielen aus der Praxis. Das ist hilfreich, wenn man sich eine Materie erst einmal aneignen will. Für ein eher lexikalisches Nachschlagewerk ist das nicht nur unüblich, sondern sogar störend.

2) Immer wieder werden Passagen bzw. Kästen eingeschoben, die mit „Beachte“ überschrieben sind. Auch dies erweckt eher den Eindruck, dass das Buch für einen Anfänger in der Kriminalistik verfasst wurde – den es jedoch nicht nur wegen seines Umfangs überfordert.

3) Der Text enthält nur sehr wenige (wissenschaftliche) Verweise. Zwar ist dem Buch ein Literaturverzeichnis vorangestellt; die dort aufgeführten Quellen werden im Text selbst aber (mit Ausnahme des Kap. 1, das sich mit dem „Ursprung der Kriminalistik“ befasst), eher selten zitiert oder (nachweislich) verwendet. Meistens findet sich in der Fußnote ein „Vgl.“, was alles (und nichts) bedeuten kann. Zudem werden teilweise mehr als 40 Jahre alte Quellen verwendet – auch dort, wo es neuere Literatur gibt.

4) Auch als Konsequenz dieser Vorgehensweise werden wissenschaftlich notwendige Auseinandersetzungen zu bestimmten Problemen in der und mit der Kriminalistik in dem Werk leider nicht geführt. Damit wird der (falsche) Eindruck einer Kriminalistik vermittelt, die weder kritische Inhalte hat, noch unterschiedliche wissenschaftliche Meinungen. Genau dies macht aber eine Wissenschaft aus. Die Autoren des Werkes tun damit der Kriminalistik keinen Gefallen. Wenn die Kriminalistik eine Wissenschaft ist (so die Auffassung des Rezensenten) oder sein will, dann gehört dazu auch der kritisch-analytische Diskurs. Dies ist zugegebenermaßen in Deutschland schwierig, wo es das Fach „Kriminalistik“ an Universitäten nicht gibt. Gerade aber von einem „Handbuch“ hätte man erwarten müssen, dass es der Tatsache gerecht wird, dass die Kriminalistik mit sehr unterschiedlichen anderen Wissenschaftsbereichen zusammenarbeitet und die Kriminalisten sich mit entsprechenden Ergebnissen anderer Wissenschaftsbereiche auseinandersetzen müssen. Das Handwerkszeug hierfür muss ein „Handbuch“ bereitstellen.

Konkret soll dies an einigen Beispielen deutlich gemacht werden.

  • Auf S. 395 wird gesagt: „Die Wahllichtbildvorlage ist sequentiell durchzuführen“. Diese Aussage wird mit einer Fußnote versehen, die auf zwei BGH-Urteile verweist. Was diese Urteile aussagen, und warum es überhaupt zu diesen höchstrichterlichen Entscheidungen gekommen ist, wird nicht gesagt.
  • Auf S. 494 ff. beschäftigt sich der Band mit (so die Überschrift) „Reihengentest Massenscreening“. In der Folge werden (kritiklos) angebliche Anforderungen an solche Reihentests aufgeführt und dabei wird auf den StPO-Kommentar von Ostendorf verweisen. Dass dieser sich durchaus kritisch mit diesem Thema beschäftigt, wird verschwiegen.
  • Auf S. 561 wird das Thema „Beschlagnahme/Sicherstellung/Einziehung“ behandelt, und zwar auch hier wieder in der leider schon gewohnt apodiktischen Herangehensweise. Es wird der Eindruck einer monolithischen Vorgehensweise erweckt, obwohl es gerade hier (auch aktuelle) Praxisprobleme gibt, die leider nicht angesprochen werden (z.B. die Beschlagnahme von Mobiltelefonen).
  • Das Thema „Festnahme“ wird an mehreren Stellen des Bandes aufgegriffen und behandelt. Auf S. 120 f. werden Zeugen und Tatverdächtige gegeneinander angegrenzt. Dabei wird (zur Vertiefung?) auf ein 25 Jahre altes Werk des Autors dieses Kapitels verwiesen, wo sich Praxisbeispiele fänden. Die Thematik ist seit dem Erscheinen dieses Werkes zu intensiv in Rechtsprechung und Literatur behandelt worden, als dass man es mit einem solchen lapidaren Hinweis bewenden lassen kann.
  • Das gleiche gilt für die Belehrungspflicht (S. 122). Auf welchem Niveau sich die Ausführungen teilweise bewegen, macht folgendes Zitat deutlich: „Bei Antreffen von Tatverdächtigen am Tatort sind diese bei Vorliegen der strafprozessualen Voraussetzungen vorläufig festzunehmen. Eigensicherung beachten!“ (S. 135). Die Rechtsgrundlage selbst werden dann an anderer Stelle des Buches und von einem anderen Autor (S. 582 ff.) behandelt. Hier wäre eine zusammenfassende Behandlung nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig gewesen.

Auch wenn der Verlag betont, dass das Autorenteam „wie gewohnt alle Herausforderungen, die sich der kriminalistischen Wissenschaft und der Praxis der Kriminalitätsbekämpfung täglich stellen“, berücksichtigt, so bleibt der Zweifel, ob dies wirklich gelungen ist. Neue Kriminalitätsphänomene erfordern neue Ermittlungsansätze – so der Verlag, und „dementsprechend verändern sich die Mittel, Methoden und Verfahrensweisen der Straftatenaufdeckung, Straftatenuntersuchung und Straftatenvorbeugung – vor allem hinsichtlich der kriminalistischen Taktik und Methodik und insbesondere unter Berücksichtigung der zunehmenden digitalen Vernetzung und Bearbeitung des einzelnen Strafverfahrens“. „Von der Wissenschaft zur Praxis“ führe das Werk und die „Autoren beschreiben den gegenwärtigen Stand der Entwicklung der Kriminalistik als Wissenschaft und ordnen deren Erkenntnisse systematisch sowie entsprechend den Bedürfnissen der polizeilichen Straftatenbekämpfung“. Da ist viel Wunschdenken dabei und man fragt sich, ob der Lektor des Verlages oder gar der Werbetexter dieses Buch tatsächlich einmal in den Händen hielten.

Kritisiert hatte Patrick Rohde 2019 schließlich auch die Tatsache, dass sich bei intensivem Gebrauch des Buches einzelne Seiten schnell lösen. Seiner Aufforderung, bei Folgeauflagen dem Werk einen stabileren Einband zu gönnen, wurde leider nicht gefolgt. Um Gegenteil: Das Taschenbuch ist derart steif und starr, dass jeder Versuch, ein Kapitel oder eine bestimmte Seite aufzuschlagen, damit verbunden ist, dass man das Buch quasi „durchbricht“. Schade, denn bei einem Preis von fast 50.- Euro hätte man eine angemessene Bindung (und damit Lesefreundlichkeit und Nachhaltigkeit) erwarten können.

Und noch ein Nachtrag: Während fast alle anderen Verlage ihre (Lehr)Bücher inzwischen als e-book anbieten, gibt es das „Handbuch der Kriminalistik“ nur in Papierform. Dabei würde gerade die elektronische Form das Suchen (und Blättern) erleichtern.

Thomas Feltes, Februar 2022