Matthias Jahn, Michael Tsambikakis, Zeugen der Verteidigung. Rezensiert von Leif Artkämper

Matthias Jahn, Michael Tsambikakis, Zeugen der Verteidigung, Wolters Kluwer, Hürth 2022, 302 S., 79,00 Euro,  ISBN 978-3-452-29888-1

„Strafverteidigung ist Kampf. Kampf um die Rechte des Beschuldigten im Widerstreit mit den Organen des Staates, die dem Auftrag zur Verfolgung von Straftaten zu genügen haben.“ Diese – jedenfalls partiell – häufig zitierten Worte von Hans Dahs sen. nimmt die Veröffentlichung auf und gibt anhand von alphabetisch geordneten Interviews die Entwicklung der modernen Strafverteidigung Deutschlands – aus der Sicht von 25 höchst unterschiedlichen, aber sicherlich renommierten Strafverteidigern aus den vergangenen fünf Dekaden – wieder. Dass deren Auswahl weder willkürlich noch abschließend, aber zwingend beschränkt ist, versteht sich von selbst. Es handelt sich um eine Festschrift zum 40. Geburtstag der Zeitschrift Strafverteidiger im Jahre 2021, die die beiden Herausgeber in Interviewform gestaltet haben.

Die Fragenkataloge decken beginnend mit der strafrechtlichen Vita über berufliche Entwicklung, individuelle Vorbilder, persönliche (Miss)Erfolge, die Berufszufriedenheit und die Änderungen der StPO die meisten Facetten eines Verteidigerlebens ab; teilweise finden sich ergänzende Fragen zu spezifischen, in der Person des Befragten liegenden Umständen. Die grundsätzlich transparente Struktur macht es möglich, höchst unterschiedliche Verteidigertypen miteinander vergleichen zu können und verhindert zugleich – was bei dem Titel hätte befürchtet werden können – eine Selbstbeweihräucherung prominenter Rechtsanwälte. Dies macht den besonderen Reiz der Veröffentlichung aus.

Die interviewten Strafverteidiger berichten von ihrem persönlichen „Kampf“ – mithin dem aus ihrer Sicht optimalen Einsatz vor Gericht und ihrer Bereitschaft, für die Wahrung der Rechte der Beschuldigten auch in Konflikt mit Gericht und Staatsanwaltschaft zu treten: Teilweise eine Verteidigung an den Grenzen des Rechtsstaates – aber diesseits und nicht jenseits dieser.

Der Wandel im Auftreten und des Selbstverständnisses der Strafverteidigung von einem Nebentätigkeitsbereich über schmückendes Beiwerk und/oder einem Feigenblatt des rechtsstaatlichen Strafverfahrens zu einem etablierten fachanwaltlichen Berufszweig mit weitergehenden Spezialisierungen (Jugend-, Politik-, Betäubungsmittel-, Clan-, Cyber- oder Wirtschafts-kriminalität p.p.) ist Rechtsrealität und zu einem großen Teil (auch) den Interviewten zu verdanken. Dass es daneben auch Verteidiger gibt, die unprofessionell vorgehen, Person und Sache nicht voneinander trennen können und völlig unsinnige Anträge stellen – man mag insoweit von Chaos- oder Klamaukverteidigung sprechen – oder willfährig Mandanten ohne Aktenkenntnis zu einem Geständnis nötigen, bleibt unbestritten.

Der Rezensent sieht davon ob, das eine oder andere Interview besonders hervorzuheben und näher zu beschreiben – ginge damit doch unwillkürlich eine keinesfalls zu rechtfertigende Abwertung anderer einher; allerdings wird der Leser sicherlich manche Statements eher goutieren und für sich persönlich als zielführender empfinden als andere. Diese Bewertung entzieht sich jedoch bei fairer Betrachtung einer Rezension.

Die hochwertig ausgestattete und mit tiefgründigen Zitaten weiterer „grauer Eminenzen“ des (Straf)Rechts vor jedem Interview versehene Veröffentlichung ist thematisch und sprachlich äußerst ansprechend, animiert zum (Weiter-)Lesen und führt zu einer kritischen Selbstreflexion aller Strafjuristen bezüglich der Beantwortung der Frage, warum es einer (engagierten) einseitigen Interessenvertretung der Beschuldigten bedarf. Ob allerdings der Kampf um das Recht eine Bezeichnung des erkennenden Gerichts als „noch viel perfider, noch viel abgründiger, noch viel hinterhältiger als das Unrecht, das Roland Freisler begangen hat“ oder die Titulierung eines Staatsanwaltes als „selten dämlicher Staatsanwalt, der nicht lesen und schreiben kann“, unter dem  Aspekt des „Kampfs ums Recht“ oder unter dem Gesichtspunkt der „Machtkritik“ rechtfertigt (zum Ersten vgl. Artkämper, Die gestörte Hauptverhandlung, 6. Aufl. 2022, Rn. 546 zu OLG München StRR 8/2017, 20 f.; zum Zweiten BVerfG 2 BvR 2588/20 vom 9.2.2022, StRR 4/2022, 34), mag der Leser für sich entscheiden. Die obergerichtliche Rechtsprechung jedenfalls bejaht dies tendenziell in immer größerem Maße.

Leif Gerrit Artkämper, Juni 2022