Oliver von Dobrowolski: »Ich kämpfe für eine bessere Polizei«. Rezensiert von Thomas Feltes

Oliver von Dobrowolski, »Ich kämpfe für eine bessere Polizei« – #Better Police. S. Fischer-Verlage Frankfurt 2022, ISBN: 978-3-10-397140-8, 240 S., 18.- EUR

Mit dem Hashtag #BetterPolice, der sich auch auf dem Buchcover findet, will Oliver von Dobrowolski, der seit 23 Jahren bei der Polizei in Berlin arbeitet, „ein leidenschaftliches Plädoyer für eine bessere Polizei“ vorlegen. Er beobachte, so der Verlag in seiner Ankündigung des Buches, „mit Sorge die Entwicklungen innerhalb der Polizei, rechtsextreme Chatgruppen, rassistisches Verhalten, Gewalt und Diskriminierungen“. Dies kenne er nur zu gut aus seinem Berufsalltag. Ist hier ein Nestbeschmutzer, ein „Gutmensch“ oder ein Sisyphus unterwegs, der nicht müde wird, den Stein, der immer wieder nach unten rollt, wieder hinaufzubefördern? Denn dass es (auch massive) Probleme in und mit der Polizei gibt, kann man nicht (mehr) leugnen.

Das Buch von Dobrowolski erscheint nur wenige Tage nach dem Werk von Derin und Singelnstein, „Die Polizei. Helfer, Gegner, Staatsgewalt“, das hier im PNL besprochen wurde. Braucht man dann noch dieses Buch? Die Antwort ist ein klares „Ja“. Das Buch ist wichtig, richtig und notwendig, weil es deutlich macht, dass das, was Derin und Singelnstein in einen größeren wissenschaftlichen Zusammenhang stellen (auch dort finden sich konkrete Beispiele), sich in der polizeilichen Praxis tatsächlich ereignet. Und ja, man darf gespannt sein, ob angesichts der teilweise drastischen Beispiele polizeilichen (Führungs-)Fehlverhaltens in dem Buch von Oliver von Dobrowolski sich jemand aus der Polizei berufen fühlt, gegen das Buch oder einzelne Passagen daraus zu klagen. Ich gehe einmal davon aus, dass Autor und Verlag dieses Risiko bewusst war und der Text entsprechend geprüft wurde. Vielleicht wurde das eine oder andere auch herausredigiert; es sind aber genügend drastische Beispiele enthalten, die nicht nur deutlich machen, dass Fehlerkultur und Kritikverständnis in der deutschen Polizei nach wie vor desaströs sind. Es wundere daher nicht, so der Autor, „wenn sich diese Überzeugung, unfehlbar zu sein, von der Spitze eines Präsidiums aus bis hinunter zum frischesten Polizeimeisteranwärter durchsetzt“ (S. 24). Das Wort „Unfehlbarkeit“ war bislang eigentlich für eine andere Institution (und deren Führung) reserviert und ist dort in den vergangenen Jahren zerbröselt wie ein trockener Keks. Bei der Polizei bröselt es (noch) nicht, obwohl es auch hier Grund genug dafür gäbe.

Die Bereiche, in denen diese „Unfehlbarkeit“ üppige Blüten treibt, arbeitet von Dobrowolski in seinem Buch nacheinander ab. Da geht es dann um Kommunikationskultur nach innen und nach außen, um diskriminierenden Sprachgebrauch, Menschenfeindlichkeit, Homophobie, Antifeminismus, Racial Profiling, Rassismus, Rechtsextremismus und andere „Baustellen“, die immer noch und immer wieder von vielen, die in der Polizei tätig oder für sie verantwortlich sind, negiert werden. Und genau deshalb braucht es dieses Buch: Um den Finger weiter in die Wunden der deutschen Polizei zu legen, die nur heilen können, wenn man sich damit beschäftigt – wegsehen oder vertuschen führt nur dazu, dass die Infektion um sich greift und die Polizei weiter an Vertrauen verliert.

Und ja, das tut sie, auch wenn immer wieder behauptet wird, dass die „Mehrheit der Deutschen“ ein hohes Vertrauen in „ihre“ Polizei hat. Dass dies so nicht stimmt, habe ich bereits in der Besprechung des Buches von Derin und Singelnstein deutlich gemacht: Das Vertrauen in die Polizei ist in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen: Während 2017 noch 89 % angaben, dass sie der Polizei „sehr“ vertrauen, waren es 2021 nur noch 78 %. Und diese Zahlen sind methodisch mit großer Vorsicht zu interpretieren: Gerade die Bevölkerungsgruppen, die besonders häufig Opfer von Polizeigewalt und Rassismus werden (die auf der anderen Seite aber auch häufig genug den Schutz durch die Polizei benötigen), dürften bei diesen Befragungen entweder nicht vertreten sein (auch aus sprachlichen Gründen), oder zumindest sind sie deutlich unterrepräsentiert.

Die Polizei und ihre (politische) Führung sind daher gut beraten, diesen Abwärtstrend zu stoppen. Unsere Gesellschaft kann es sich, ebenso wie die Politik, nicht erlauben, dass die deutsche Polizei nicht die Polizei aller Menschen ist, die in Deutschland leben. „Wir brauchen eine Polizei, der alle vertrauen können!“ So der Autor auf der Rückseite seines Buches. Zu oft führe die Polizei unbeobachtet ihr Eigenleben und könne der Gesellschaft großen Schaden zufügen. Alle sollen aber der Polizei vertrauen können – unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht oder ihrer Religion. Rechtstaatlichkeit, Toleranz und Transparenz seien dabei eine Notwendigkeit.

Warum muss man dies betonen, so könnte man fragen, denn eigentlich ist dies doch selbstverständlich und im Grundgesetz, auf das alle staatliche Macht (und auch ihre Ausübung) fußt, geregelt. Offensichtlich ist es notwendig, und dies haben auch die Ereignisse der vergangenen Monate und Jahre gezeigt. Und etwas ist noch wichtig, worauf Oliver von Dobrowolski hinweist: Den meisten Polizist*innen ist klar, dass viele Mythen über die Polizei nicht zutreffen, dass bspw. weitaus mehr Kolleg*innen bei „lapidaren“ Einsätzen verletzt werden oder gar sterben und nicht durch Terroristen oder gar „Clanmitglieder“ (S. 29). Und man muss hinzufügen, dass sie auch wissen oder zumindest ahnen, dass die überhöhten Suizidraten (mindestens dreimal höher als der Durchschnitt, s. S.194), die deutlich über dem Bevölkerungsdurchschnitt liegenden Scheidungsraten und die psychischen und alkoholbedingten „Ausfälle“ etwas mit der Art und Weise zu tun haben, wie Polizei „geführt“ oder eben nicht geführt wird. Es sind weniger die durchaus vorhandenen polizeilichen Alltagsprobleme, die solche Auswirkungen auf Polizist*innen haben, als der falsche Umgang mit diesen Belastungen, die fehlende Empathie der Vorgesetzten, das mangelhafte Angebot an Supervision und Coaching – und vor allem, der noch immer vermittelte Eindruck, ein Indianer (=Polizist) kenne keinen Schmerz[1].

Ja, es ist, wie der Verlag schreibt, „mutig“ die Probleme der Polizei so konkret anzusprechen, wie der Autor dies tut. Er tut dies aber, wie er in seinem Buch immer wieder an konkreten Beispielen deutlich macht, nicht nur in seinem Buch, sondern auch in der Polizei selbst, die er nicht verlassen will, obwohl er dazu mehrfach aufgefordert wurde. Dies ist ihm besonders hoch anzurechnen, da dies, wie die Beispiele im Buch zeigen, viel Mut erfordert. Oliver von Dobrowolski wird aus eigenen Reihen (auch bspw. auf Twitter) immer wieder beschimpft und bedroht, was ihn aber nicht davon abhält, die Probleme konkret zu benennen. Und er muss eine sehr stabile Persönlichkeit haben, dass er dies aushält – wobei: auch die Nebenwirkungen dieses Engagements (eine depressive Phase) benennt er mit einer Offenheit (s. 209 f.), die man ebenfalls mutig nennen muss, die aber auch beispielhaft für viele Kolleg*innen sein könnte.

Aber er macht auch deutlich, warum er noch immer bei der Polizei ist: „Dass ich in Berlin bei der Polizei arbeiten darf, empfinde ich in vielen Punkten als großes Glück. Dass sich dies auch darauf bezieht, meinen Dienst in einer bunten und verhältnismäßig diversen Polizei in einer bunten und enorm vielfältigen Stadt auszuführen, ist wohl der entscheidendste Faktor für dieses Gefühl“ (S. 176). Also kann doch alles nicht so dramatisch sein, wie Dobrowolski es beschreibt? Doch, das kann es, und wer sich bspw. eine Studie ansieht, in der untersucht wird, warum Polizeibeamt*innen die Polizei verlassen[2], der ahnt, dass es viel mehr Menschen gibt, die aufgrund der gleichen Erfahrungen, die Oliver von Dobrowolski gemacht hat und machen musste, der Polizei offiziell oder inoffiziell den Rücken kehren. Zumindest ebenso problematisch sind die sog. „inneren Kündigungen“, auch eine der Folgen der Problemnegation in der Polizei. Ihre individuellen und institutionellen Folgen sind bislang kaum untersucht, aber intern bekannt.

Letztlich macht das Buch aber auch Hoffnung, weil Oliver von Dobrowolski auch positive Beispiele für gute innere Führung in seinem Buch beschreibt – auch wenn es deutlich weniger sind, als die negativen. „Sowohl in dienstlichen Belangen, aber auch und insbesondere in zwischenmenschlichen Dingen war dieser Vorgesetzte mit Lichtjahren Abstand das Großartigste, was ich bislang in meiner Laufbahn erlebt habe“ (S. 184).

Zum Schluss muss die Frage gestellt werden, wer dieses Buch lesen sollte und wer es wahrscheinlich tatsächlich liest. Tatsächlich lesen werden es wohl zum einen diejenigen, die Angst davon haben, direkt oder indirekt in diesem Buch vorzukommen – als Führungskraft, die versagt hat, als Kolleg*in, der/die sich falsch verhalten hat. Ob dies dann positive Auswirkungen hat? Man weiß es nicht, zumal erfahrungsgemäß die Kritikbereitschaft bei den „Problembeamt*innen“ ebenso wie bei den immer wieder beschriebenen und intern bekannten „Widerstandsbeamt*innen“ (hier sollte man das Gendern eigentlich weglassen) eher gering ist.

Lesen sollten es aber vor allem diejenigen, die erst kürzlich in Führungsverantwortung gekommen sind (und das beginnt ja bereits beim Wach- oder Einsatzgruppenleiter) oder die für diese Aufgabe vorgesehen sind.

Wäre es nicht eine gute Idee, wenn an der Deutschen Hochschule der Polizei im Fachgebiet I.1 („Führung in der Polizei“) einmal im Rahmen eines Lektürekurses die Bücher von Derin/Singelnstein und von Dobrowolski parallel gelesen und besprochen würden? Oder wenn sich der Blog zur Führungslehre mit diesen Büchern beschäftigen würde?

Thomas Feltes, April 2022

[1] Vgl. Feltes/Alex: Polizeilicher Umgang mit psychisch gestörten Personen. In: D. Hunold, A. Ruch (Hrsg.), Polizeiarbeit zwischen Praxishandeln und Rechtsordnung. Empirische Polizeiforschungen zur polizeipraktischen Ausgestaltung des Rechts. Wiesbaden 2020, S. 279-299.

[2] In einer Masterarbeit im Bochumer Studiengang „Kriminologie, Kriminalistik und Polizeiwissenschaft“ wurden solche „Aussteiger“ befragt. Die Arbeit wird nach Abschluss des Prüfungsverfahrens ab Mitte 2022 zugänglich sein.