Bert Lingnau, Singende Barsche. Lustige und bewegende Kriminalfälle aus Mecklenburg und Vorpommern. Rezensiert von Thomas Feltes

Bert Lingnau, Singende Barsche. Lustige und bewegende Kriminalfälle aus Mecklenburg und Vorpommern. Klatschmohn Verlag Bentwisch, ISBN 978-3-941064-89-8, Taschenbuch, 212 Seiten, 11,80 Euro

Das Buch mit dem für das Thema „Kriminalfälle“ ungewöhnlichen Titel beschreibt 62 authentische Kriminalfälle aus Mecklenburg und Vorpommern. Der Verlag wirbt dafür mit der Aussage: „Sie werden Tränen lachen über die Kreativität der Ganoven, ihre Zechgelage und den originellen Charme des Bösen. Einige Übeltäter schließen Sie vielleicht sogar in Ihr Herz“ – letzteres wäre dann nicht unbedingt politisch korrekt…

In dem Buch geht es um „listige Schafdiebe in Rostock, dreiste Kunsträuber in Schwerin, gelbe Schweine in Demmin und Wollüstige, die in Stralsund in Wallung geraten. Polizeihunde schnüffeln nach Weihnachtsbaumdieben, schlitzohrige Fischer verkaufen falsche Lachse, betrügerische Forstmeister und störrische Droschkenkutscher gaunern umher“. Aber auch Morde und Hinrichtungen geschehen in diesem „kriminellen Reiseführer durch MV“.

Tatsächlich ist der Band auch so aufgebaut: Die 62 Fälle sind nach Kapiteln gegliedert, die der regionalen Aufteilung Mecklenburg-Vorpommers entsprechen, und dort wiederum nach Städten und Gemeinden. Es werden aktuellere Fälle dargestellt, wie „Der Fall Grabowski 1979“ aus Grevensmühlen (S. 18 ff.). Hier wird der Bezug zur ehemaligen DDR thematisiert, wenn beschrieben wird, wer warum die Ermittlungen in einem Mordfall behindert hat und wie ein Volkspolizist als dringend Tatverdächtiger von seinem IM- und Jagdfreund geschützt wird. Als 1997 die Kripo Schwerin den Fall wieder aufnimmt, weil man erkannt hatte, dass die Ermittlungen aus politischen Gründen unterdrückt worden waren und eine falsche Person nach 350 Std. Verhör mit körperlichen Misshandlungen verurteilt worden war, wird der eigentliche Tatverdächtige anhand von DNA-Spuren überführt. Er stirbt jedoch 1999.

Das Beispiel zeigt, dass der Band nicht nur lustige Geschichten enthält, sondern (und dies muss man in Anbetracht der etwas irreführenden Werbung des Verlags hervorheben) klar und präzise, knapp und deutlich, zeitgenössische gesellschaftliche und kriminalpolitische Probleme anhand von kleinen Geschichten behandelt.

Dies trifft z.B. auf den Beitrag „Hostien“ zu, der sich mit dem Pogrom gegen mecklenburgische Juden 1492 beschäftigt (S. 48 ff.), oder auf den Beitrag „Die abgerissenen Knöpfe“, der einen antisemitischen Skandal um einen Professor an der Medizinischen Klinik in Rostock 1922 behandelt. Dabei wird es den Leser überraschen, wie aktuell das Thema (angeblich anzügliche Bemerkungen gegen eine Studentin) damals schon war, allerdings mit anderer, judenfeindlicher Konnotation.

Mit „Wortwitz und Nachdenkliches von der Ostsee“ wirbt der Verlag, und dass das Buch Leselust und gute Laune verschaffe. „Singende Barsche“ sei der perfekte Band „für Leselustige, Krimifreunde, Ostseefans, Heimatverbundene, Geschichts- und Plattdeutsch-Interessierte und alle, die Mecklenburg-Vorpommern und den Norden lieben. Das ultimative Buch für den Urlaub, das besondere Geschenk für Freunde, eine gute Lektüre abends vor dem Einschlafen“.

Das mag zutreffen; der Rezensent setzt einen anderen Schwerpunkt: Die Kurzgeschichten (meistens zwei bis vier Seiten) sind nicht nur exzellent geschrieben und recherchiert; sie vermitteln dem Leser auf leichte Art einen Einblick in das Leben und „Treiben“ in Mecklenburg-Vorpommern in den letzten Jahrhunderten. Bei der (durchaus spannenden) Lektüre werden die Entwicklungen im gesellschaftlichen Umgang mit Klein- und Großkriminellen über die Zeit hinweg ebenso deutlich wie die Rolle und Funktion der Strafverfolgung(sbehörden). Dennoch wird man so manche Parallele zu heute erkennen.

Insgesamt hat Bert Lingnau, der in Vorpommern geboren ist und als Kulturjournalist und Krimiautor arbeitete, bevor er 2016 Direktor der Medienanstalt Mecklenburg-Vorpommern wurde, ein überaus lesenswertes Büchlein vorgelegt. Die Lektüre lohnt sich, zumal bei dem günstigen Preis und der dennoch schönen Aufmachung, auch, wenn man nicht in Mecklenburg-Vorpommern wohnt oder Urlaub macht. Ob der Band ein „Reiseführer zu den Tatorten“ ist, wie der Verlag meint?

Thomas Feltes, Juni 2022