Indo Lenßen, Robert Scheel: Der Knast-Guide für Verurteilte, Angehörige und Interessierte. Rezensiert von Hoger Plank

Lenßen, Ingo[1] / Scheel, Robert: „Der Knast-Guide für Verurteilte, Angehörige und Interessierte“[2] ISBN: 978-3-406-78140-7, 134 Seiten, C. H. Beck im dtv, München, 2022, 19,90 €).

Ingo Lenßen, u. a. bekannt als TV-Anwalt (Fn. 1), hat zusammen mit seinem Kanzleipartner Robert Scheel ein lesenswertes (kriminologisches) Vademecum herausgegeben. Als Zielgruppe für den 134-seitigen „kleinen“ Ratgeber benennen sie primär „den Gefangenen und seine Familie“, für die das Büchlein „ein Ratgeber für die schwierige Zeit der Inhaftierung“ sein soll, daneben „Studierende, junge Strafverteidiger“ ebenso wie „Interessierte“ (S. 5). Das Büchlein enthält jedoch auch für die Allgemeinheit viele das Nachdenkens werte Informationen über Strafe und deren (geschlossenen) Vollzug, insbesondere hinsichtlich der seit der Föderalismusreform 2006, mit der die Regelung des Strafvollzugs in die Gesetzgebungskompetenz der Länder übergegangen ist, unterschiedlichen Vollzugspraxis in den Bundesländern[3].

Die beiden Autoren schließen mit Blick auf die Situation in Deutschland ihre prägnante, facettenreiche und insgesamt informative Handreichung durchaus optimistisch mit Verweis auf Fjodor Dostojewski (*1821, +1881), man könne „den Grad der Zivilisation einer Gesellschaft am Zustand ihrer Gefangenen ablesen“ (S. 125). Hierzu „betreten“ sie mit kritischem Blick diese den allermeisten persönlich unbekannte Welt von (deutschlandweit 186, S. 5) Justizvollzugsanstalten (JVA), in welchen laut Statistischem Bundesamt (Stand 10/2021) 72.398 Personen[4] lebten und verlassen diesen Mikrokosmos trotz einiger Kritik mit einem vorsichtig optimistischen Resümee: „Deutschland befinde sich mit der Priorisierung des Resozialisierungsgedankens auf einem guten Weg“ und sollte diesen „mutig und entschlossen weitergehen und die (in dem Ratgeber angesprochenen) Reformen in Angriff nehmen“ (S. 125f.).

Mit einigen der – dem Format geschuldet – kurz angesprochenen Reform­vorschlägen bzw. Kritiken befinden sie sich in guter Gesellschaft.[5] Die beiden Autoren können sich abschließend eine „Generalüberholung des Strafrechts­systems“ vorstellen. Insbesondere sollten „Freiheitsstrafen nur für Straftäter in Betracht kommen, die wirklich gefährlich“ sind. Eben diesen könnte dann mit den „frei gewordenen Ressourcen besser und gezielter geholfen werden“ und gerade deren „Resozialisierung hätte (so) weit mehr Aussicht auf Erfolg, als unter den bestehenden Bedingungen“ (S. 126). Insofern fügt sich das Büchlein auch in den aktuellen rechtspolitischen Diskurs ein, der zuletzt mit dem „Entwurf eines Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechts“ vom 19.07.2022 aus dem Bundesministerium der Justiz legislativ Fahrt aufgenommen hat.

Das Büchlein will kein Lehrbuch sein. Dennoch hält es in seinen sechs inhaltlich und optisch weitgehend sehr ansprechend gestalteten Kapiteln[6], rechtlich jeweils unter Bezugnahme auf die einschlägigen Bestimmungen des Strafvollzugs­gesetzes des Bundes (als Referenzvorschrift für das Büchlein) und hiervon z. T. erheblich abweichende, mitunter kontraproduktive Länderregelungen einge­ordnet, zahlreiche interessante, z. T. sogar dem beruflich interessierten Leser bis­lang bislang unbekannte Informationen bereit. Diese reichen von „Vollzugsplan“ über die einzelnen „Vollzugsmodelle“[7] und das Leben in diesem nicht immer leichten Vollzugsalltag weitgehend ohne Privatsphäre mit all seinen individuellen und sozialen Facetten, von der Arbeitsleistung inkl. spärlicher Entlohnung hierfür, der Hygiene, Freizeitgestaltung, Sicherheit und Ordnung, Vollzugslockerungen und deren Bedingungen bis hin zur Kommunikation mit Familie / Freunden und Anwälten.

Alles in allem legen die beiden Autoren ein gut recherchiertes, sehr lesenswertes, informatives und daher uneingeschränkt (auch) für Interessierte außerhalb des Strafvollzugssystems empfehlenswertes Büchlein vor, dass aus der kritisch-reflexiven Perspektive erfahrener Strafverteidiger, die im Vorwort betonen, sie würden es „keine 24 Stunden dort aushalten“, viele Einblicke in den von „Hackordnung, Hierarchien und Abhängigkeiten“ geprägten deutschen Knastalltag bietet und dadurch einige beachtenswerte Fakten und Argumente für den anhaltenden rechtspolitischen Diskurs zur Modernisierung des Sanktionen­rechts beinhaltet, ohne dabei das Format eines wissenschaftlichen Lehrbuchs zu benötigen.

Holger Plank (im August 2022)

[1] Fachanwalt für Strafrecht, Sozietät Lenßen & Partner (Bodman-Ludwigshafen), bekannt aus dem TV-Format Lenßen und Partner bei SAT 1 (seit 2003).

[2] Siehe Verlags-Website von C. H. Beck.

[3] Vgl. hierzu bspw. Köhne, „Konsequenzen der Föderalismusreform für die Strafzumessung“, in: NK, Heft 1, 2008, S. 9 – 11; Dünkel spricht in diesem Kontext sogar von „ideologisch gefärbten Akzentverschiebungen in einigen Bundesländern“, APuZ, Ausgabe 07/2010.

[4] Darunter 4.416 Frauen und 11.804 Untersuchungshäftlinge.

[5] Vgl. z. B. nur den Anwalt und ehemaligen Gefängnisdirektor Thomas Galli in seiner Streit­schrift „Weggesperrt“ bzw. in seinen Büchern „Knastleben“, „Endstation Knast“ etc. oder Bernd Maelicke in seiner Streitschrift „Das Knast-Dilemma – Wegsperren oder re­sozialisieren“, „Das Gefängnis auf dem Prüfstand“ oder in zahlreichen anderen Büchern aus seiner Feder.

[6] 1. „Haft in Deutschland“; 2. „Der Knastalltag“ (von der Auswahl, Ankunft, der individuellen Vollzugsplanung über Lockerungen im Vollzug bis hin zur Vorbereitung der Freilassung und wiedereingliedernden Begleitmaßnahmen); 3. „Besonderheiten“; eine kurze 4. „Knastschau“ mit „einzelnen JVA im Kurzüberblick“; 5. „Die Berechnung der Haftzeit im Einzelnen; 6. „Schluss“.

[7] Wovon nach Feststellung der Autoren der „offene Vollzug“, der nicht automatisch mit „Freigang“ gleichzusetzen ist, mit Blick auf die Rückfallwahrscheinlichkeit für die allermeisten Probanden am Erfolg versprechendsten ist, S. 23.