Körber/Schmalzl/Hermanutz (Hrsg.), Moderne Polizeipsychologie in Schlüsselbegriffen. 4. Aufl., 2022. Rezensiert von Thomas Feltes

Körber/Schmalzl/Hermanutz (Hrsg.), Moderne Polizeipsychologie in Schlüsselbegriffen. Ein Handbuch für die professionelle Konflikt- und Krisenbewältigung. Richard Boorberg Verlag, Stuttgart 2022, 4., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, 544 S., ISBN 978-3-415-07224-4, 68.- Euro.

Die vierte, überarbeitete Auflage[1] des Handbuchs behandelt, wie auch die Vorauflagen, polizeirelevante psychologische Themen. Die insgesamt mehr als 40 Autorinnen und Autoren erläutern insgesamt 35 Schlüsselbegriffe, von A wie Amok bis Z wie Zivilcourage. Die neuesten empirischen Erkenntnisse und neue polizeirelevante Fälle wurden eingearbeitet. Die Herausgeber, alle als Psychologen im Bereich der Polizei tätig, haben das Werk aktualisiert, erweitert und auch inhaltliche Änderungen vorgenommen.

Einige Beiträge wurden wieder aktualisiert, da neue empirische Erkenntnisse oder neue polizeirelevante Fälle einzuarbeiten waren. Andere Beiträge stehen heute weniger im Blickpunkt des Interesses, während aktuell viel diskutierte Themen oder Phänomene, die vor zehn Jahren noch unbekannt waren oder für das Buch unbeachtet blieben, jetzt aufgenommen wurden“ (S. 7). Welche das sind, wird leider nicht gesagt.

Moderne Polizeipsychologie versucht, so die Herausgeber, „Antworten auf Fragen zu geben, die sich der einzelnen Polizeibeamtin und dem einzelnen Polizeibeamten in der Ausübung dieses anspruchsvollen Berufes stellen, sei es im Einsatz, bei Ermittlungen oder bei innerbetrieblichen Problemen, sei es gegenüber bestimmten Personengruppen oder in besonders kritischen Situationen. Auch den Beschäftigten in polizeinahen Berufen werden diese praxisorientierten Hilfestellungen von Nutzen sein. Das Buch will dabei gerade den neuen und drängenden Herausforderungen einer professionellen Polizei- und Sicherheitsarbeit Rechnung tragen“ (aaO.).

Wer das Buch liest soll den „unbedingten Eindruck gewinnen, dass psychologisches Wissen hilft, den eigenen beruflichen Alltag und – vielleicht noch mehr – die besonderen Schwierigkeiten seines Berufs zu bewältigen. Diesem Ziel fühlen wir uns als Polizeipsychologen verpflichtet, nicht nur mit diesem Buch“ (S. 8).

Jede der 35 Beiträge („Begriffserklärungen“ genannt; 2012 waren es 33) beginnt mit einem kurzen Überblick („Das Wichtigste vorweg“). Dieser soll den Leser*innen einen raschen Einstieg ins Thema ermöglichen. „Weiterführende Literaturhinweise“ sollen jedes Kapitel abschließen, wobei dieser Anspruch nicht immer wirklich umgesetzt wird.

Die Verlagsankündigung spricht von „Appetitlichen Wissenshäppchen“: „Die Form des Glossars ermöglicht es den Leserinnen und Lesern, sich von Beitrag zu Beitrag mehr wissenschaftlich fundierte psychologische Kenntnisse anzueignen. Dieses Wissen verschafft ihnen mehr Sicherheit für das eigene Handeln und bei der Entscheidungsfindung.“

Mal abgesehen davon, was an Wissen „appetitlich“ sein kann: Um „Häppchen“ handelt es sich bei den Beiträgen jedenfalls nicht, sondern um (qualitativ unterschiedliche) Einzelbeiträge; und auch der Begriff „Glossar“ geht an der Sache vorbei, denn ein Verlag sollte eigentlich wissen, dass man unter einem Glossar eine Liste von Wörtern mit beigefügten Bedeutungserklärungen oder Übersetzungen versteht. „Als Anhang (Addendum) eines Werkes wird ein Glossar auch als Wörterverzeichnis bezeichnet, ein eigenständiges Glossar als Wörterbuch“ (Wikipedia). Hier haben wir es aber mit einem Handbuch zu tun, das Problembereiche behandelt und nicht Begrifflichkeiten erläutert.

Das Fachbuch erhebt den Anspruch (so der Verlag) Antworten auf „die Fragen zur Polizeipsychologie, die sich den Polizeibeamtinnen und -beamten bei der Ausübung dieses anspruchsvollen Berufes stellen“, zu geben, und zwar „im Einsatz, bei Ermittlungen, bei innerbetrieblichen Problemen, gegenüber bestimmten Personengruppen, in besonders kritischen Situationen“. Es richte sich daher neben den Beschäftigten in Polizeibehörden auch an Mitarbeitende in sozialen Einrichtungen, bei der Feuerwehr, bei Rettungsdiensten und im privaten Sicherheitssektor. Die Fallbeispiele sollen außerdem übertragbar sein auf Situationen in Behörden und Ämtern sowie vor Gericht.

Die Frage ist, ob dieser doch sehr umfassende Anspruch eingehalten wird bzw. eingehalten werden kann. Hier hat der Rezensent erhebliche Bedenken, nicht nur aufgrund des beschränkten Umfangs des Werkes. Auf 545 Seiten für 35 Beiträge (also im Schnitt 15 Seiten pro Beitrag) kann man nicht wissenschaftlich umfassend dem oben formulierten Anspruch gerecht werden. Auch und besonders für ein „Handbuch“ wäre eine intensivere Beschäftigung mit den einzelnen Themenkomplexen, eine zwischen den Themenbereichen vermittelnde Darstellung (was ist der polizeipsychologische Kern, der sich durch diese Themen zieht) und vor allem auch eine thematisch breiter aufgestellte Herangehensweise notwendig.

So fragt man sich bei einigen Beiträgen (wie bspw. „Cybercrime“, S. 128 ff., aber auch „Evaluation“, S. 219 ff. und „Zivilcourage“, S.519 ff.), wo genau der Bezug zur Polizeipsychologie zu finden ist und ob sich hier die Beiträge nicht eher in den Bereich der allgemeinen Kriminologie oder der Kriminalpsychologie verirren. Andere Beiträge (wie „Auslandseinsätze – Psychologische Grundlagen internationaler Polizeimissionen“, S. 93) wären in Spezialveröffentlichungen zu diesem Thema besser aufgehoben, da sie eine eher begrenzte Leserschaft ansprechen.

In anderen Beiträgen (wie bspw. „Prävention“, S.388 ff.) finden sich durchaus auch polizeipsychologisch relevante Inhalte, aber auch eher allgemeine Passagen, die hier eigentlich nicht hingehören. Dafür fehlt bspw. eine Beschäftigung mit dem im polizeilichen Alltag überaus relevanten Problem der häuslichen Gewalt, wo es ebenfalls wichtige psychologische Aspekte auf der Seite der Einsatzbeamt*innen, ebenso wie auf der Seite der Familienangehörigen (einschl. der Kinder) gibt. Auch den Umgang mit dem Thema „Tod“ (z.B. bei Verkehrsunfällen oder bei der Übermittlung von Todesnachrichten) und mit dem Thema „Suizid“ (auch und besonders unter Polizeibeamt*innen) hätte sich der Rezensent behandelt gewünscht, weil hier originär psychologische Fragen im Polizeieinsatz eine Rolle spielen.

Die Indifferenz der Beitragsauswahl und auch teilweise der Beiträge selbst wird an dem Beitrag zu „Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung“ (S. 233 ff.) deutlich. Der Beitrag soll dem Leser helfen, „Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in Begegnungen mit Bürger*innen zu erkennen, sich über unterschiedliche Sorten (sic!) von Rassismus zu informieren, individuelle Beweggründe zu verstehen und Diskriminierung vorzubeugen“ (S. 233). Ungeachtet der Frage, was der Autor unter „Sorten“ von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus versteht, macht der Beitrag deutlich, dass die Beschränkung des Umfangs leider oftmals zu einer Knappheit in der Argumentation führt. Wenn der Autor dieses Beitrages schreibt, dass es „relevant sei“, „die Organisation „Polizei“ kurz (!, TF) anzusprechen“ (S. 245), dann aber nicht einmal ansatzweise auf die aktuelle Diskussion zu diesem Thema eingegangen wird (Stichwort „struktureller Rassismus“ in der Polizei) und sich lediglich ein Verweis auf ein 20 Jahre altes und zudem englischsprachiges Werk  in diesem Abschnitt findet, dann würde man einen solchen Aufsatz am besten mit „Thema verfehlt“ bewerten.

Vielleicht eher eine Marginalie, aber sie macht deutlich, dass Autor*innen und Herausgeber*innen gut beraten wären, auch die Literaturverzeichnisse zu aktualisieren und zu überprüfen: In dem gerade genannten Beitrag zur Fremdenfeindlichkeit wird zu Beginn auf die Unterscheidung Kahneman´s zwischen schnellem und langsamem Denken eingegangen. Verwiesen wird dazu auf englischsprachige Veröffentlichungen von Kahneman aus den Jahren 2011 und 2012 – wobei eine deutschsprachige Version des Werkes von 2011 bereits 2012 erschienen ist und man sich fragt, warum nicht auf diese Version verwiesen wird. Und wirklich weiterführende Literatur findet sich (auch) hier nicht.

Neben diesen eher negativen Beispielen überwiegen die positiven. In vielen Beiträgen wird auf aktuelle, relevante und für die Institution wie für die Mitarbeitenden bedeutsame psychologische Probleme in der Polizei eingegangen. Zu nennen ist hier bspw. der Beitrag zu „Bedrohungsmanagement und Früherkennung“ (S. 110 ff.), der vom Titel her nicht unbedingt psychologisch daherkommt, aber inhaltlich wichtige Aspekte enthält, wie man Einsätze bei zu erwartende Gefahrensituationen angemessen vorbereitet und mit welchen psychologischen Problemen man dabei konfrontiert wird – oder werden kann.

Besonders hervorzuheben ist – auch vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion über Polizeigewalt – der Beitrag „Emotionsregulation im Polizeiberuf“ (S. 197 ff.), in dem es darum geht, wie Einsatzbeamte Situationen bewältigen können, die besondere Anforderungen mit sich bringen. Der Beitrag beginnt mit Fallbeispielen und ist dann klar und gut strukturiert aufgebaut und endet mit Aussagen dazu, wie Polizist*innen ihre Emotionen regulieren können (S. 211 ff.).

Auch der Beitrag „Jagdfieber“ (S. 305 ff.), der sich mit der Verfolgung von Flüchtenden (zu Fuß oder mit dem Streifenwagen) beschäftigt, folgt diesem Aufbau und bietet so eine gute Orientierung, welche Folgen polizeiliches Verhalten in diesem Kontext haben und wie man diesem „Jagdfieber“ entgegenwirken kann.

Vor allem aber sind die Beiträge „Angst“ (S. 26 ff.), „Psychologische Begleitung“ (S. 403) und „Umgang mit psychisch auffälligen Personen“ (S. 475 ff.) zu nennen. Der erste Beitrag thematisiert Ängste, ihre Herkunft und wie man damit umgehen kann – eine für Polizeibeamt*innen besonders relevantes Thema sowohl in Bezug auf sie selbst, als auch in Bezug auf Menschen, denen sie im Einsatz gegenüberstehen. Der zweite Beitrag beschäftigt sich mit der psychologischen Gesundheit von Polizeibeamt*innen und geht dabei erfreulicherweise auch und besonders auf polizeiliche Strukturen ein (was leider nur wenige der Beiträge in dem Buch machen). Der dritte Beitrag behandelt die Risiken im Umgang mit psychisch auffälligen Personen und stellt „Basiskompetenzen“ dar, die ein/e Polizeibeamt*in in solchen Einsatzsituationen haben sollte. Zudem werden wichtige Handlungsempfehlungen gegeben. Leider ist der Beitrag ganz offensichtlich nicht auf aktuellem Stand, denn die Mehrzahl der Literaturnachweise ist deutlich älter als 10 Jahren, wodurch die aktuelle Diskussion vor allem, aber nicht nur in den USA zu diesem Thema leider nicht abgebildet wird[2].

Bei diesen Beiträgen hätte man sich gewünscht, dass den Autoren etwas mehr Raum für die Bearbeitung der komplexen Themen zur Verfügung gestanden hätte – was ein weiteres Grundproblem des „Handbuches“ deutlich macht: Die Umfangsnivellierung bei den Beiträgen wird nicht der unterschiedlichen qualitativen und quantitativen Bedeutung der behandelten Themen gerecht. Hier sollte nachjustiert werden.

Insgesamt muss man also ein durchwachsenes Fazit ziehen. Es ist schade, dass die Chance vergeben wurde, tatsächlich einmal alle psychologisch relevanten Themen des Polizeialltags in einem Sammelwerk abzubilden und mit jeweils aktuellen Quellenverweisen zu versehen. Auf der anderen Seite finden sich viele wichtige und gute Beiträge in dem Band, so dass zu hoffen bleibt, dass das Handbuch tatsächlich in die Hände genommen wird, und möglichst nicht nur von Studierenden, die eine Seminararbeit schreiben (müssen), sondern vor allem von Beamt*innen, die in der Praxis mit den in dem Buch behandelten Problemen konfrontiert werden.

Thomas Feltes, November 2022

[1] Die Besprechung der 3., 2012 erschienenen Auflage durch den Rezensenten finden sich hier.

[2] S. dazu den Vortrag des Rezensenten bei der Mental Health Awareness Week 2022, verfügbar hier sowie Feltes/Alex: Polizeilicher Umgang mit psychisch gestörten Personen. In: Hunold/Ruch (Hrsg.), Polizeiarbeit zwischen Praxishandeln und Rechtsordnung. Empirische Polizeiforschungen zur polizeipraktischen Ausgestaltung des Rechts. Wiesbaden 2020, S. 279-299 sowie Feltes/Alex: Polizeieinsätze in Verbindung mit psychisch kranken Menschen, Ms. 2022, verfügbar hier.