Krause, Benjamin, Hate Speech. Strafbarkeit und Strafverfolgung von Hasspostings. Rezensiert von Holger Plank

Krause, Benjamin[1] „Hate Speech. Strafbarkeit und Strafverfolgung von Hasspostings“[2], ISBN: 978-3-406-79430-8, 114 Seiten, C. H. Beck, München, 1. Auflage 2022, 39.- €.

Benjamin Krause zählt zu den erfahrensten Strafverfolgern im digitalen Raum in Deutschland. Seit mehr als zehn Jahren ist er bei der ZIT (Fn. 1) tätig. Er vermittelt außerdem das Thema Cyberkriminalität, -kriminologie und -kriminalistik als Lehrbeauftragter an der Philipps-Universität in Marburg und ist u. a. Mitglied des Rats für Digitalethik der hessischen Landesregierung. In letztgenannter Funktion hat er sich 2022 u. a. auch mit den „Herausforderungen der digitalen Transformation für die Stabilität von Demo­kratie“ beschäftigt. Im gleichnamigen Thesenpapier des Rates nimmt das Thema „Hate Speech“ breiten Raum ein.

Dabei ist der Begriff „Hate Speech“, obwohl ihn bspw. der Europarat bereits seit 1997, also fast zeitgleich mit dem Start der ersten „sozialen Netzwerke“ nutzt, nicht legal jedoch vielfach und z. T. unterschiedlich konnotiert institutionell bzw. zivilgesellschaftlich definiert. Hierauf weist Krause im ersten Kapitel – Phäno­menologie seines kurzen, dennoch sehr gehaltvollen Handbuchs für die Strafverfolgung / Prävention und Rechtsanwendungspraxis zurecht hin und arbeitet erste Implikationen dieses Umstands heraus. Obwohl die kriminal­statistischen Zahlen dieses vielschichtigen Phänomens unter Erfassung des PMK-Tatmittels „Hassposting“[3] (eine eigene Kategorie „Hate-Speech“ ist in der in der Polizeilichen Kriminalstatistik [PKS] noch nicht ausgewiesen) bei der Po­litisch Motivierten Kriminalität (PMK) in den letzten Jahren prozentual signi­fikant zugenommen haben, sind die Fallzahlen angesichts des phänotypischen Ausmaßes empirischer Sozial­forschungsdaten (s. u.) kriminalstatistisch noch erstaunlich gering! Die Anzeigebereitschaft der Opfer scheint demnach nicht sehr ausgeprägt zu sein. Hierfür dürfte es einige Gründe geben, u. a. die Aufklärungswahrscheinlichkeit im digitalen Raum mit all seinen Anonymisierungsmöglichkeiten. Mitunter schwingt aber durchaus auch einge­schränktes Vertrauen in die digitale Leistungsfähigkeit der Sicherheitsbehörden mit.[4] Die Auseinandersetzung mit diesem wichtigen gesellschafts- und kriminal­politischen Thema ist schon deshalb dringend geboten. Außerdem bemerkenswert sind folgende Umstände:

Fast 80% der deutschen Internet­nutzer*innen ab 14 Jahren geben an, schon einmal Hass­kommentaren im Internet begegnet zu sein, die Prävalenz ist in der Altersgruppe der 14 – 24jährigen besonders hoch.[5] Der Anteil der direkt von Hassrede Be­troffenen steigt stetig, innerhalb der beiden letzten Jahre sogar signifikant von 18% auf 24%, wie eine Replikationsstudie der Universität Leipzig ergab.[6]

Sehr bedenklich ist zudem, dass fast drei Fünftel der Bürgermeister*innen, Gemeinde- und Stadträte angeben, dass sie oder Personen aus ihrem privaten Umfeld schon einmal (digital) beleidigt, bedroht oder sogar tätlich angegriffen wurden.[7] Die Wirkung innerhalb der Kommunalpolitik als der „Herzkammer der unmittelbaren Demokratie“ ist verheerend, z. T. so massiv, dass nicht wenige kommunal­politische Verantwortungsträger überlegen, ihr (Ehren-)Amt aufzu­geben oder künftig nicht mehr zur Wahl anzutreten.

Die Nutzer des digitalen Raums werden aus Sorge vor Hassrede außerdem offenbar vorsichtiger (konative Komponente subjektiven Sicherheitsempfindens). Fast die Hälfte der Befragten der jüngsten Leipziger Studie (Fn. 6) hat z. B. aufgrund der allgemeinen Wahrnehmung des Phänomens schon einmal darauf verzichtet, einen Beitrag in einem sozialen Netzwerk zu posten oder Beiträge bewusst vorsichtiger formuliert. Bei den direkt von Hassrede Betrof­fenen stieg dieser Anteil auf fast drei Viertel (ebd.)! Z. T. reagieren Betroffene sogar mit totalem Rückzug aus sozialen Medien[8] Mit Blick auf die bereits erwähnte Gruppe der Jugendlichen und Heranwachsenden (zwischen zwölf und 19 Jahren) zeigt sich diese Betroffenheit in besonderer Weise. Die jüngste JIMplus-Studie[9] zeigt, dass Hass im Netz gerade diese Gruppe „zum Schweigen bringt“. Die Befragten gaben an, dass Hass im Netz die Gesellschaft und auch das eigene Handeln beeinflusst. 57 Prozent waren der Meinung, dass Hatespeech die Meinungsfreiheit online einschränkt. Viele junge Menschen verstummen demnach: 40 Prozent der Befragten gaben an, Freund*innen zu haben, die sich wegen Hasskommentaren weniger an Online-Diskussionen beteiligen und ein Drittel postet aus Angst vor negativen Reaktionen die eigene Meinung gar nicht mehr öffentlich.

Die einleitende Phänomenologie zeigt: Die Verdrängung von Menschen aus dem digitalen Raum gefährdet über die individuelle Betroffenheit hinaus mittelbar auch unsere Demokratie, denn „das Netz ist mittlerweile unser wichtigster Debattenraum“[10]. Krause bezeichnet diesen Effekt deshalb als „Silencing“ (S. 6 f.).

Eine beachtenswerte Aussage, denn nicht jeder ist bei der Verfolgung und Durchsetzung eigener Rechte so hartnäckig, wie bspw. die Politikerin und Anwältin Renate Künast, die nach vielfältigen massiven digitalen Beleidigungen zuletzt mehr als drei Jahre lang[11] straf- und zivilrechtlich durch alle „Beschwer­deinstanzen“ bis zum BVerfG das interpretationsfähige verfassungs­rechtliche Spannungsfeld zwi­schen Meinungsfreiheit, Tatsachenbe­haup­tung, Schmähkritik und strafbarer Beleidigung bearbeitete.[12]

Insofern mahnt Krause zu einem „Kulturwandel“ beim Thema Hate Speech. Es handele sich angesichts potenzieller Wirkungen keinesfalls etwa um „Klein­kriminalität“. Hasskriminalität im Netz betreffe schon wegen der enormen Reichweite „die Opfer viel intensiver als etwa Äußerungen im sonstigen öffentlichen Raum“.[13] Schon deshalb ist das Werk ein gelungener Beitrag, um die potenziellen Wirkungen dieses Phänomens besser einordnen und in sachgerechter Weise repressiv / präventiv angehen zu können

Das führt Krause zu einem kurzen Ausflug über bereits ergriffene und – ge­wissermaßen als „Tour d’Horizon“ – noch ausstehende bzw. konkreti­sierungsbedürftige rechtspolitische Maßnahmen rund um das Phänomen (S. 8 ff.), u. a. zum am 27. Oktober 2022 im ABL der Europäischen Union verkündeten „Digital Services Act“ als nach dem partiellen Scheitern des NetzDG dringend gebotenen europäischen Rechtssetzungsakt, der allerdings im Wesentlichen erst im Februar 2024 in Kraft tritt (ebd., Art. 93). Obwohl es sich um eine unmittelbar geltende EU-Verordnung handelt, bedarf es auf nationaler Ebene noch der Präzisierung.

Im zweiten Kapitel – Praxisrelevante Straftatbestände bei „Hate Speech“ unternimmt Krause einleitend zunächst den Versuch der Abgrenzung zwi­schen verfassungsrechtlich garantierter Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) und etwaiger materiell und formell strafrechtlicher Relevanz sowie dem öffentlichen Strafverfolgungsinteresse entsprechender Äußerungen / Abbildungen. Er reflektiert hierbei auch auf die Verantwortung der Telemediendienstbetreiber und leitet im zweiten Unterkapitel über auf relevante phänotypische Straftaten (vgl. Inhaltsverzeichnis des Bandes, Fn. 2) und deren tatbestandliche Besonderheiten.

Im dritten Kapitel – Praxisrelevante Ermittlungen bei „Hate Speech“ arbeitet Krause mit Hinweis auf die jüngere bundesverfassungsgerichtliche Recht­sprechung zunächst die als Klammer über jeder phänotypischen Ermittlung gespannte Notwendigkeit einer umfänglichen Kontextualisierung der jeweiligen Äußerung heraus.[14] Die in praxi in jedem Einzelfall dogmatisch hochkomplizierte Prüfung wird mit den präsentierten hochrelevanten Quellenhinweisen sowie einer zusätzlichen kurzen gleichwohl gut gelungenen Kommentierung im Alltag der Strafverfolgungsbehörden bestimmt erleichtert. Danach (S. 60 ff.) stellt er eine ganze Reihe strafprozessualer Standard- und spezielle Verursacher-Identifizierungsmaßnahmen vor und geht hierbei prägnant auf einige Be­sonderheiten ein.

Der besondere Praxisnutzen des Buches erweist sich erneut im vierten Kapitel, in welchem Krause einige besonders relevante Mustertexte für Standard- und Spezial-Ermittlungsmaßnahmen bereitstellt.

Krause weiß aufgrund seiner reichhaltigen Erfahrung mit strafrechtlichen Ermittlungen in der Digitalsphäre ganz genau wovon er spricht. Er versteht es zudem, die relevanten rechtstatsächlichen Problemstellungen auf den Punkt zu bringen. Er legt ein übersichtlich gegliedertes, wesentliche Implikationen des Phänomens Hate-Speech umfassendes, mit reichhaltigen aktuellen Quellen­hinweisen versehenes, gleichzeitig prägnant wie ansprechend formuliertes und somit in hohem Maße praxistaugliches Handbuch vor, an welchem in naher Zukunft wohl kein Rechtsanwender der Strafverfolgungsbehörden zur Gewinnung eines ersten Überblicks vorbeikommen wird. Es gehört daher als Nachschlagewerk unbedingt in die Präsenzbibliotheken bei Justizbehörden und Polizei.

Holger Plank (im Dezember 2022)

[1] Dr. Benjamin Krause, Oberstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main, Abt. 6, Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT), Kurzvita.

[2] Siehe Verlags-Website von C. H. Beck, inkl. Inhaltsverzeichnis.

[3] Vgl. BMI / BKA, „Politisch motivierte Kriminalität im Jahr 2021“, S. 12, zugegriffen: 18.12.2022.

[4] Vgl. Plank, 2022, Kap. 4, Die „Präventivwirkung des Nichtwissens“: Empirisch valide, (un-) eingeschränkt auf die digitale Sphäre übertragbar, Folgen für Gestalt und Umfang künftiger digitaler Polizeiarbeit? Zugegriffen: 18.12.2022 (eine Kurzfassung des Online-Beitrags ist erschienen in Feltes / Klaas / Thüne (Hrsg.), 2022, „Digitale Polizei: Aktuelle Einsatzfelder, Potenziale, Grenzen und Missstände“, Frankfurt: Verlag für Polizeiwissenschaft).

[5] Landesanstalt für Medien NRW, „Hate Speech Forsa-Studie 2022“.

[6] Hoven, 2022, „Hass im Netz“.

[7] Forsa Politik- und Sozialforschung GmbH, 2021, „Hass und Gewalt gegen Kommunalpo­litiker*innen“ im Auftrag der Körber-Stiftung.

[8] Vgl. bspw. Horten & Gräber, 2021, ”Hatespeech” – Der Hass im Netz. In: Forensische Psy­chia­trie, Psychologie, Kriminologie (15) S. 91 – 94; IDZ Jena (o. D.). „Hasskriminalität als Botschaftstat“, zugegriffen: 18.12.2022.

[9] JIMplus, 2022, „Fake News und Hatespeech“, Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, mpfs.

[10] von Hodenberg, Interview, SZ, 03.02.2022, „Da muss unser Rechtsstaat endlich alle Mittel ausschöpfen“)

[11] Vgl. bspw. Berliner Zeitung, Interview mit Renate Künast: „Wir brauchen ein digitales Gewaltschutzgesetz“, 19.11.2022, zugegriffen: 18.12.2022.

[12] Eine lesenswerte Darstellung ihrer „Digital-Odyssee“ vor dt. Gerichten findet sich auf der Website der Media-Kanzlei, zugegriffen: 18.12.2022.

[13] Krause, „Strafverfolgung von Hasskriminalität“, beck-aktuell, 19.05.2021, zugegriffen: 18.12.2022.

[14] BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11.11.2021, 1 BvR 11/20 (Bezeichnung eines Sängers als Antisemit, Fall Naidoo), dort v. a. Rn. 17.