Michael Soiné, Strafprozessordnung. Kommentar für Polizeibeamte im Ermittlungsdienst. Rezensiert von Leif Artkämper

Michael Soiné,  Strafprozessordnung – Kommentar für Polizeibeamte im Ermittlungsdienst. Loseblattwerksammlung in zwei Ordnern, Stand: 140. Aktualisierung Dezember 2022. Umfang: Rund 3762 Seiten. Preis: 110,00 Euro mit und 220,00 Euro ohne Aktualisierungsservice. ISBN: 978-3-7832-0577-0,  Kriminalistik Verlag, Heidelberg

Polizeiliche Ermittlungen werden von einer professionellen – aber neutral rechtsstaatlichen – Neugier geprägt, die sach- und personenbezogen ist und von einem kriminalistischen Denken dominiert wird. Dabei sind aber stets die rechtsstaatlichen Grenzen des formellen Strafrechts – mithin der StPO und anderer Regelungen – bei der Strafverfolgung und die landesrechtlichen Vorgaben im Falle einer präventiv-polizeilichen Tätigkeit zu berücksichtigen und einzuhalten. Die Idee, diese Materie(n) für Polizeibeamte im Ermittlungsdienst kompakt und verständlich zu präsentieren, stellt eine Herausforderung dar, der die Veröffentlichung (mehr als) gerecht wird. Dabei sei nur am Rande erwähnt, dass das Werk seit mehr als 65 Jahren mit diesem seinem Anspruch erscheint.

Die Kunst, zu ermitteln, ist keine, die irgendeinem Polizeibeamten in die Wiege gelegt wurde. Er muss selbst zuvor die Fähigkeiten erlangen, die ihn auf diesem Gebiet erfolgreich im Sinne der Aufklärung werden lassen, zugleich aber auch zu gerichtsfesten Ermittlungsergebnissen führen.

Einen Kommentar mit dem vorgenannten Umfang zu rezensieren, kann und muss bedeuten, dass der Rezensent sich auf Stichproben beschränkt und nicht in der Lage ist, dass gesamte Werk, das zudem kein „Lesebuch“, sondern ein Nachschlagewerk ist, Wort für Wort zu lesen. Es geht mithin um die Beantwortung der Frage nach Praxistauglichkeit und Handlungssicherheit, wenn im polizeilichen Alltagsgeschäft Probleme auftreten. Es sollen daher aus dem Strauß der Lektüre folgende Standardprobleme der Ermittlungen punktuell herausgegriffen werden:

Wahl- und Einzelidentifizierungsmaßnahmen im Sinne des § 58 II StPO i.V.m. Nr. 18 der RiStBV prägen den polizeilichen Alltag. Sie sind antizipierte Beweisaufnahmen, da in der Hauptverhandlung nur beschränkt reproduzierbar, aber häufig für den Ausgang des Verfahrens streitentscheidend. Die Kommentierung auf 10 Seiten, von denen sich vier mit § 58 I StPO beschäftigen, ist zwar recht knapp geraten, spricht aber die wesentlichen Probleme in verständlicher Art und Weise an. Hier wäre eine vertiefte Darstellung von Vorbereitung, Durchführung und Dokumentation durchaus wünschenswert, um dem Leser hinreichend Handwerkszeug zu vermitteln um eine gerichtsfeste Identifizierung durchzuführen.

Polizeibeamte neigen häufig dazu, Durchsuchungen nebst Beschlagnahmen anzuregen, obwohl die §§ 102 ff. StPO nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht dazu dienen, einen tatsachenbasierten Anfangsverdacht zu begründen, sondern einen solchen voraussetzen, was hinreichend klar und deutlich angesprochen wird. Die Darstellungen dieser Standardmaßnahmen  sind durchweg praxisorientiert und stehen – werden sie in der Praxis beachtet – einer späteren, erfolgreichen Geltendmachung von Beweisverwertungsverboten entgegen.

Einen Problemschwerpunkt polizeilicher Tätigkeit beinhalten letztlich die Belehrungsvorschriften für den Beschuldigten nach den §§ 163a,136 StPO. Ihre Missachtung eröffnet über die Widerspruchslösung des BGH die Möglichkeit, belastende Einlassungen aus dem Ermittlungsverfahren als unverwertbar zu deklarieren, sie stellen daher ein beliebtes Tummelfeld der Verteidigung dar. Während die Kommentierung zu § 163a StPO auf dem aktuellen Stand ist, erfolgte die letzte Bearbeitung des § 136 StPO im März 2020 und ist daher – leider – veraltet; hier dürfte Handlungsbedarf bestehen, der allerdings wahrscheinlich bald erfüllt werden wird. Werden hier die aktuellen Vorgaben eingearbeitet, ist auch dieser Bereich polizeilicher Tätigkeit gut erschlossen.

Rechtliche Verästelungen mögen – jedenfalls aus der Sicht eines Strafjuristen – teilweise etwas kurz geraten sein und im Einzelfall einer näheren Präzision und Vertiefung bedürfen; allerdings handelt es sich dabei angesichts des potenziellen Adressatenkreises um eher marginale Kritik. Die Veröffentlichung ist vielmehr davon geprägt, dass sie losgelöst von juristischem Fachvokabular und Abkürzungswirrwarr für Polizeibeamte relevante Normen schwerpunktmäßig korrekt und verständlich darstellt. Sie vermittelt insgesamt ein informatives Bild über Rechtsfragen für Polizeibeamte im Ermittlungsdienst, führt in diese Materie nachvollziehbar ein, wobei die Ausführungen regelmäßig weit über das Niveau einer Einführung hinausgehen. Positiv zu bewerten ist auch die Einbindung der RiStBV und weiterer rechtlich relevanter Regelungen, die bei vielen Polizeibeamten kaum präsent, für die Praxis aber durchaus relevant sind. Allerdings scheint der Anhang, der diverse Gesetzestexte enthält und fast ein Drittel der Veröffentlichung einnimmt, im Zeitalter des Internets eher entbehrlich.

Es bleibt die Gretchenfrage zum Abschluss: Aktualisierungsservice ja oder nein? Deren Beantwortung bleibt jedem einzelnen Leser vorbehalten; angesichts der ständigen Änderungen der StPO, der kosten- und zeitintensiven Einpflege der mehrmals jährlichen Aktualisierungen tendiere ich – wie bei vergleichbaren Loseblattsammlungen auch – dazu, auf Nachlieferungen zu verzichten, gegebenenfalls bei Einzelproblemen ein persönliches Upgrade via Internet zu suchen und die Veröffentlichung in entsprechenden Abständen neu und aktualisiert zu erwerben.

Fazit: Zu Recht ein beliebter und bewährter Klassiker der polizei(recht)lichen Literatur.

Rechtsanwalt Dr. Leif Gerrit Artkämper, Dortmund, Januar 2023