John Willheim, War of Whispers. Rezensiert von Thomas Feltes

John Willheim, War of Whispers. Mit einem Gedicht von Bryan Thao Worra, Auszügen aus einem Song von Leonard Cohen und einem Nachwort von General Stanley McChyrstal, Design SYB. 22,0 × 29,8 cm, 280 Seiten mit ca. 175 Abb., farbig und schwarz/weiß, Hartmann Books Stuttgart, ISBN 978-3-96070-065-4, € 49,00.

Dieses Buch erzählt die außergewöhnliche Geschichte des später als „der geheime Krieg der CIA“ bezeichneten Konflikts im asiatischen Laos in den 1960er/1970er Jahren. Es war die größte Geheimoperation der CIA bis zum heutigen Tag. Eine Guerilla-Armee von Hmong-Stammesangehörigen kämpfte gegen die von den kommunistischen Nordvietnamesen unterstützten Pathet Lao. Warum jetzt dazu ein Buch, und zudem ein Bildband? Die folgende Rezension sagt, warum das Buch notwendig ist und wer es ansehen sollte.

Im Gegensatz zum Krieg im benachbarten Vietnam, über den breit berichtet und gegen den weltweit demonstriert wurde, war dies bei dem sog. „Geheimen Krieg“ in Laos nicht der Fall. „Jeder Reporter, der vage Gerüchte über einen geheimen Krieg hörte und sich ihm näherte, wurde mit vorgehaltener Waffe abgewiesen.  Es gab eine einzige Ausnahme. Ein frischgebackener CIA-Offizier, John Willheim, der bereits ein versierter Fotograf war, wurde ausgewählt, den Geheimen Krieg zu dokumentieren, ohne jegliche Einschränkung. Seine daraus resultierenden Fotos und Filme waren zu dieser Zeit streng geheim. Nur hochrangige amerikanische Geheimdienstler, einige US-Kongressabgeordnete und der damalige Präsident Lyndon Johnson hatten Zugang zu Willheims Material“ (Verlagstext).

Auch in den Jahren danach blieben diese Bilder unter Verschluss. Nun wäre dies alleine kein Grund, sie jetzt zu veröffentlichen, zumal der Band aufgrund der Größe, der Machart und der damaligen Bildqualität keine „Hochglanz-Bilder“ enthält (s. dazu unten). Das ist aber, um es vorwegzunehmen, gut so. Denn gerade dadurch entsteht ein einzigartiges Kunstwerk, das den Leser von der ersten Seite an in den Bann zieht – auch und besonders hoffentlich diejenigen, die den Vietnam-Krieg altersbedingt weder medial, noch bei Demonstrationen erlebt haben.

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Der Band setzt sich aufgrund der oftmals unspektakulären Bilder dem Vorwurf aus, dass er versucht, den Krieg zu verherrlichen. Das trifft aber nicht zu. Die eindrucksvollen Bilder und der informative Text, der ähnlich einem Untertitel am unteren Ende der Seiten durchläuft (was am Anfang etwas ungewohnt ist, weil der Text nicht immer unmittelbaren Bezug zu den Bildern hat) sind heute, 50 Jahre später, Zeugnis einer vergessenen Zeit.

Es ist der einzige Bildband, der jemals über diesen Krieg erschienen ist. In dem Band werden alltägliche Bilder von Menschen, Dörfern und Landschaften in Kontrast zur Realität des Krieges gesetzt. Willheims Sympathien galten und gelten, das machen die Bilder deutlich, dem Volk der Hmong, die diesen Stellvertreterkrieg kämpften und ihn letztlich verloren. Die Hmong sind ein indigenes Volk Ost- und Südostasiens und leben heute in den bewaldeten Berggebieten des südlichen China, in Laos, Vietnam und Thailand (Wikipedia). Sie werden bis heute als „Amerikas vergessene Krieger” von der kommunistischen Regierung in Laos verfolgt. Zehntausende Hmong flohen ins benachbarte Thailand und emigrierten später in die USA.

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Laos selbst war im Vietnamkrieg offiziell neutral, wurde aber von den USA unterstützt.1959 fiel Nordvietnam in Laos ein, um den Ho-Chi-Minh-Pfad zu kontrollieren und zu erweitern. Die CIA organisierte in den 1960er Jahren eine Guerilla-Gegenarmee, die sich aus Mitgliedern der Hmong-Leute von Long Cheng zusammensetzte, um gegen die Pathet Lao zu kämpfen. Dieser Konflikt war der internationalen Öffentlichkeit weitgehend unbekannt, und davon handelt dieses Buch. Die zu Beginn erfolgreiche Operation endete in einem Desaster und hatte den Tod und die Flucht vieler Hmong zur Folge. Im Kampf gegen den Kommunismus wurden über Laos bei den amerikanischen Flächenbombardements pro Einwohner geschätzte 2,5 Tonnen an Sprengsätzen abgeworfen. Daher gehört Laos zu den am schwersten bombardierten Ländern der Welt (s. dazu die eindrucksvolle filmische Darstellung Eternal Harvest – USAF Bombing in Laos).

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Der aktuelle Krieg in der Ukraine macht deutlich, dass es nicht den einen Krieg gibt, sondern dass es hinter einem sichtbaren Krieg und den dort tätigen offiziellen Protagonisten zum einen Söldner gibt (wie hier die sog. „Wagner-Gruppe“[1]), und zum anderen oftmals neben einem „offiziellen“ Krieg andere, verborgene Kriege stattfinden. „Each war tells us something about the way the next war will be fought.- Herodotus, ca. 430 B.C.“ – zitiert Willheim.

Mit einem dieser Kriege, der von 1953 bis 1975 in Laos stattfand, beschäftigt sich der Band. Dieser Krieg lag im Schatten des Vietnamkrieges und war der westlichen Öffentlichkeit über Jahrzehnte hinweg kaum bekannt. Das Buch macht nun Bilder zugänglich, die vor Ort und mitten im Kriegsgeschehen aufgenommen wurden. Der Anthropologe, Fotograf und Filmer John Willheim war vom CIA beauftragt, zwei Jahre dieses „geheimen Krieges“ zu dokumentieren. Bis zu seiner Freigabe und Veröffentlichung im vergangenen Jahr sollen die Aufnahmen nur hohe Offiziere der CIA und wenige Politiker gesehen haben.

Dies sind die einzigen professionellen Bilder des geheimen Krieges der CIA. Ein Moment in der Zeit, der in der Geschichte verschwinden wird. Ich war der letzte Zeuge. Dies ist mein Vermächtnis“, schreibt Willheim (hier zitiert nach der Besprechung des Buches in der taz von Jochen Becker[2], auf die im weiteren Verlauf immer wieder einmal Bezug genommen wird, weil diese fachkundige Besprechung in der taz ebenso wie seine weiterer Besprechungen von (Bild-)Bänden ebenso wie seine Beiträge zu Architektur und Stadtsoziologie sehr empfohlen werden (er hat sich übrigens auch schon mal – 2002 – mit der Fan-Kollektion des FC St. Pauli beschäftigt). Seine Beiträge in der taz sind hier verfügbar.

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Aus der Besprechung des Buches von Becker: „Eine filmisch anmutende Sequenz setzt in dem Fotobuch tatsächlich den Anfang. Auf Doppelseiten sind Leuchtspuren zu sehen, Explosionen, später abstrakte Lichtzeichen in der Nacht. Luftaufnahmen über malerischen Hügeln – wären da nicht die Militärmaschinen. Sie landen auf eingeebneten Flächen im Urwald. Ein großer, locker wirkender Mann im verschwitzten Dschungellook: Es ist John Willheim, und er trägt ein Gewehr“.

Und weiter. „„War of Whispers“ ist eine ambivalente Publikation, ein ästhetisches Produkt, das eine äußerst subjektive und am Krieg unmittelbar beteiligte Position wiedergibt. Im Wechsel von Dia-Abzügen sowie körnigen, bewegungsunscharfen Filmstills pendeln Willheims Aufnahmen zwischen Reportage und Rapport, ethnografisch wirkender Beobachtung und der Dokumentation des heftigen Kriegsgeschehens. Wunderschöne Berglandschaften werden von Landepisten durchschnitten; Helikopter stehen geparkt vor Basthütten und Vorgärten mit Nutzpflanzen. Das Dorf steht Schlange, als wäre gerade der Onkel aus Amerika vorgefahren“.

Leider kann auf die einzelnen Bilder und/oder auch Textpassagen nicht konkret mit Seitenangaben verwiesen werden – schlichtweg, weil der Band keine Seitenangaben enthält. Absicht?

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Becker: „Fotos aus dem Helikopterblick markieren erkennbare Zielkreuze für die informell eingerichteten Landeplätze der „Air America“. Angehörige der CIA sollen teilweise Waffen gegen Opium eingetauscht haben. Sie versorgten ein an und für sich fruchtbares Gebiet mit Reis aus der Luft. Laut Willheims sparsamen Kommentaren glaubten die Kinder bald, Nahrung fiele aus natürlichen Gründen vom Himmel“.

Willheim ist ein, wie Becker es formuliert, „Bildprofi im fog of war. Er hat in seinem schillernden Leben sogar die Kamera für Orson Welles geführt. Gewollte Unschärfen, überraschende Anschnitte, unterschiedliche Bildebenen zeigen, wie gut er mit Bildern operiert. Einige Schwarz-Weiß-Aufnahmen punktieren die farbsatten Bildstrecken. Dazwischen montierte Filmstills zoomen den Krieg bedrohlich nahe heran, weisen auf Kampfsituationen in schlierigen Reißschwenks. Fallschirme schweben in der Luft wie Quallen“.

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Aus 1.400 Aufnahmen und zwei Filmen wurden die Bildstrecken für das Buch ausgewählt und „rhythmisiert“ auf mattem Papier. Dieses (Umweltschutz-)Papier (C2C-Certified) ist sicherlich zu hinterfragen, weil es zum einen auch nach Tagen einen gewissen Geruch abgibt, vor allem aber, weil es durch seine Mattheit die Bilder auf eine bestimmte Art und Weise darstellt.

Nachtrag: Der Verlag hat mich nach Abschluss der Rezension dazu folgendes mitgeteilt: „Das Papier und der damit einhergende „Geruch“ sind übrigens gewollt. Munken Papier in Verbindung mit Offsetdruck und Lack riecht so schön „analog“, das mögen die FotobuchsammlerInnen dieser Welt„.

Aber nicht nur angesichts des Themas, sondern auch vor dem Hintergrund des Alters der Bilder passt dies durchaus gut zusammen. Zwar sind die Bilder mit einer für damalige Verhältnisse hochwertigen Kamera aufgenommen, einer in den frühen 1960er Jahren entwickelten NIKON F35 mit verschiedenen Objektiven (Details dazu finden sich am Ende des Buches) und Farb- bzw. Schwarz-weiß-Filmen für 36 Aufnahmen – aber Reproduktion und Papier sorgen teilweise für (manchmal sicher auch stilistisch beabsichtigte) Unschärfe, die man angesichts der hochauflösenden digitalen Bilder heutzutage nicht mehr gewohnt ist.

Der Anthropologe Willheim arbeitete im Auftrag der CIA eigentlich „nur“ zwei Jahre in dem südostasiatischen Land, in dem der US-Geheimdienst bäuerliche Milizen gegen den Vietcong rekrutierte. Dass Willheims Bilder erst vergangenes Jahr „aus dem Giftschrank geholt wurden“, lässt dem Rezensenten Becker „die Haare zu Berge stehen“.

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Die Bilder auf Doppelseiten sind für ihn ebenso wie für mich zwiespältig. Man spürt, dass sie damals möglicherweise mit einer anderen Intention (Auftraggeber) angefertigt wurden. Das belegen viele freundliche, lachende Gesichter, die so gar nicht zu dem Thema des Buches passen wollen. Und die fotografische Handschrift von Willheim pflegt „noch im Krieg einen Ästhetizismus“, der den Rezensent Becker gelegentlich irritiert, ebenso wie der Motivwechsels von Toten und Verletzten mit traumschönen Landschaften – aber dies hat wohl weniger der Fotograph als der Bucheditor und Grafikdesigner SYB zu verantworten.

Ein irres Buch„, so Becker, und bei genauer Betrachtung lassen die Bilder schaudern. Gute Grafiker*innen, so John Willheim lt. Becker in einem Telefonat, „seien zugleich Psychoanalytiker“.

Rezensent Becker bekam Gänsehaut, mich selbst lässt das Buch fragend zurück, und das ist gut so. Obwohl ich die damalige Zeit „aktiv“ erlebte, waren mir diese Details des „geheimen Krieges“ nicht (mehr?) präsent. Das Buch hat mich veranlasst, noch einmal zurück zu schauen, genauer hinzusehen, zu vergleichen (mit der Situation heute), mir Fragen zu stellen – deren Beantwortung nicht einfach ist.

Insofern ist dies ein Buch, das nachwirkt.

Thomas Feltes, Januar 2023

[1] Private russische Söldnerfirmen wie die Wagner-Gruppe haben sich schon längst auch in Afrika breit gemacht, wo sie für sich selbst und den Kreml Einfluss und Zugang zu Rohstoffen erkämpfen und/oder erkaufen, wie bspw. die Wirtschaftswoche im Oktober 2022 berichtete und über die zuvor ein Film gedreht wurde, bei dem drei Journalisten ums Leben kamen. Auch ehemalige Nazi-Offiziere hatten sich in den Jahren nach 1945 als Södner in Afrika verdingt, wie z.B. Siegfried Friedrich Heinrich Müller, genannt Kongo-Müller, der in den 1960er-Jahren als Söldner an der Niederschlagung der Simba-Rebellion im Kongo beteiligt war. Deutsche Söldner waren auch zur Verstärkung der rechten Szene in den 1990 Jahren nach Südafrika und Namibia gegangen.

[2]Jochen Becker lives and works in Berlin as a critic (taz/die tageszeitung, springerin), project teacher (Hochschule für Gestaltung und Kunst, Zurich) and cultural producer (Baustop.randstadt,-/NGBK, Berlin, 1998; MoneyNations2/Kunsthalle Exnergasse, Vienna, 2000; Urban Control/Forum Stadtpark, Graz, 2001; Werkleitz Biennale, 2002). He is a founding member of BüroBert, co-editor of Copyshop – Kunstpraxis & politische Öffentlichkeit (1993), editor of BIGNES? on recent urban development, and co-editor, with Stephan Lanz, of Metropolen (2001), Space//Troubles (2003), Hier Entsteht (2004), Self-Service City: Istanbul (2004), City of COOP: Buenos Aires/Rio de Janeiro (2004), Kabul/Teheran 1979ff (2006) and Architektur auf Zeit (2006). In 2007 he launched the mediaZones book line, whose forthcoming titles include Nollywood, EuroMaps and Roaming Around”. http://www.networkedcultures.org/index.php?tdid=54