Hunold / Singelnstein: Rassismus in der Polizei. Rezensiert von Astrid Jacobsen und Jens Bergmann 

Hunold, Daniela; Singelnstein, Tobias (Hrsg.), Rassismus in der Polizei. Eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme. Wiesbaden, Springer VS, 2022, 742 Seiten. ISBN ISBN: 978-3-658-37132-6. Preis 42,79 Euro, als pdf kostenlos (Open Access).

Der Sammelband ´Rassismus in der Polizei´ bietet erstmalig einen Einblick in den Diskussions- und Forschungsstand sowie verschiedene Perspektiven bzw. Forschungsansätze für den deutschsprachigen Bereich an. Er leistet eine Anbindung des Themas an rassismustheoretische und rechtswissenschaftliche Perspektiven und präsentiert Erkenntnisse aus der Polizeiforschung. Die insgesamt 32 Beiträge zeigen auf, in welch vielfältigen Formen bzw. auf welchen Ebenen Rassismus durch die Spezifik individueller, polizeilicher und gesellschaftlicher Strukturen sowie Praktiken bedingt ist.

Darüber hinaus machen sie Folgen, Untersuchungsmethoden sowie mögliche Umgangsweisen mit diesem Problem kenntlich. Das große Spektrum an Themen, disziplinären Zugängen und Betrachtungsebenen ist in sechs Kapitel unterteilt. In die Inhalte der Beiträge wird von den Herausgebenden in einer umfangreichen, den Band gut strukturierenden und instruktiven Einleitung eingeführt.

Die im ersten Kapitel (´Grundlagen´) versammelten Auseinandersetzungen mit rassismuskritischer (Polizei-)Forschung sowie mit rechtlichen bzw. rechtswissenschaftlichen Implikationen begründen einerseits die notwendige Beschäftigung mit dem Thema sowie die fehlende Verknüpfung zur Polizeiforschung. Darüber hinaus werden Anknüpfungspunkte ausgewiesen, die in späteren Beiträgen aufgegriffen werden, etwa: Rassismus, als gesellschaftliches Verhältnis verstanden, bedarf der Perspektive auf die institutionelle Ebene des Phänomens jenseits individueller Einstellungen; ein Vorschlag für Elemente einer rassismuskritischen Polizeiforschung; die Notwendigkeit des Einbezugs rechtlicher Vorgaben, die Diskriminierungsschutz verordnen.

Unter dem Titel ´Formen und Entstehungszusammenhänge´ versammeln sich im zweiten Kapitel Beiträge, die einerseits recht einmütig die Forschungsdesiderate bestimmen und gleichzeitig verschiedenen Perspektiven auf Rassismus und Polizei vorschlagen, entwickeln und anmahnen. Hier finden sich begriffliche Diskussionen sowie die Anwendung von theoretischen Modellen zur Erhellung des Phänomens und Beschreibungen und Erklärungen rassistischer Diskriminierung durch die Polizei.

Kapitel drei (´Polizeiliche Praxen´) weist (rassistische) Diskriminierungen in verschiedenen Aufgabenbereichen (Gefahrenabwehr und Strafverfolgung), in Zusammenhang mit polizeilicher Raumkonstruktion und (damit verbundenen) Selektionspraxen, aber auch im Hinblick auf polizeiliche Gewaltanwendung und den Umgang mit migrantisch gelesenen Opfern aus.

Das vierte Kapitel (´Folgen für Betroffene und Gesamtgesellschaft´) verdeutlicht, dass Folgen rassifizierender Praktiken der Polizei für die Gesellschaft und Individuen weitreichend sind, da sie nicht nur verletzende, traumatisierende sowie exkludierende/ stigmatisierende Auswirkungen für Einzelne und Gruppen haben, sondern da sie auch soziale Integration, Sicherheit und Legitimität des Staates gefährden. Die Beiträge zeigen zudem Ansatzpunkte für mögliche Interventionen auf, indem sie Handlungsbedingungen, Organisationsformen und Aktivitätsfelder zivilgesellschaftlicher Akteure thematisieren.

Teil fünf (´Forschungsansätze und Methoden´) setzt das breite Spektrum an Formen, Ursachen und Wirkungsebenen des polizeilichen Rassismus mit einer Pluralität an methodischen Herangehensweisen und Betrachtungsperspektiven in Verbindung. Das Kapitel veranschaulicht wie produktiv es ist, heterogene Perspektiven (u.a. intersektionale, ethnographisch-teilnehmende, historisch-kulturbezogene und einstellungsbezogene Ansätze) zu verwenden und aufeinander zu beziehen. Es kann als Brevier für ein mehrdimensionales, multimethodisches Untersuchungsdesign gelesen und genutzt werden.

Im abschließenden sechsten Kapitel (´Möglichkeiten und Grenzen des Umgangs´) zeigen die Beiträge Möglichkeiten und Grenzen einer Bekämpfung von Polizeirassismus auf, an die praktisch angeschlossen werden kann. Ebenso wie in den vorherigen Beiträgen wird die Vielfalt möglicher Ansatzpunkte deutlich. So kann es auf der individuellen Ebene, bei der Personalauswahl oder der Aus- Fortbildung ebenso sinnvoll sein Veränderungen anzustoßen, wie auf der strukturellen Organisationsebene oder dem rechtlichen, institutionellen Kontext der Polizei.

Im Ergebnis präsentiert der Band eine Sammlung nicht nur verschiedener theoretischer und empirischer Perspektiven, inhaltlicher Fokussierungen und auch Forderungen zum Thema ´Rassismus in der Polizei´, sondern auch Beiträge ganz unterschiedlicher Textgenres – von begrifflichen Diskussionen über empirische Forschungsberichte hin zu Essays – und unterschiedlicher Qualitäten. Trotz der inhaltlichen Diversität der Aufsätze ziehen sich einige Themen konstant durch mehrere Beiträge, etwa der Zusammenhang zwischen verräumlichtem Erfahrungswissen und rassistischer Diskriminierung, die Problematisierung von Über- und Unterordnungsverhältnissen, welche die Praxis der Polizei verstärkt und , in diesem Zusammenhang,  auch die Verflochtenheit der Polizei mit anderen gesellschaftlichen Feldern. Dominant ist die Forderung nach der Beschäftigung mit institutionellem und strukturellem Rassismus, die im Sammelband selbst noch nicht eingelöst werden kann: Hier überwiegt – entsprechend des Forschungstandes – der Analyseschwerpunkt auf der individuellen Ebene.

Was leistet der Sammelband? Er repräsentiert die Notwendigkeit einer diversen Forschung zu ´Rassismus in der Polizei´. Er funktioniert als Annäherung an das Thema, als Lesebuch zum Stöbern, als gezieltes Studium von spezifischen Perspektiven und schließlich als Ansatzpunkt für weiterführende Forschungen. Nicht zuletzt begründet er einen Forschungsgegenstand und beweist eindrücklich die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Versachlichung des Themas jenseits alltagstheoretischer Perspektiven.

Astrid Jacobsen und Jens Bergmann, Januar 2023