Arnold Odermatt, Ein Bild muss scharf sein. Rezensiert von Thomas Feltes

Arnold Odermatt, Ein Bild muss scharf sein. Hrsg. von Markus Hartmann, Texte von Daniel Blochwitz, Matthias Dell, Harald Szeemann. Hartmann Books Stuttgart 2017, 96 S., 80 Abb., ISBN 978-3-96070-009-8, € 16,80

Wer als Fotograf auf die Frage, was ein gutes Bild ausmacht, antwortet: „Ein gutes Bild muss scharf sein“, der wird nicht unbedingt für sich in Anspruch nehmen, ein Künstler zu sein. Dennoch hat der auf anspruchsvolle Fotobücher spezialisierte Verlag Hartmann Books Bilder von Arnold Odermatt veröffentlicht, die der Sohn des Schweizer Polizisten, Urs Odermatt gesammelt und bereits in mehreren Ausstellungen präsentiert hat.

Tatsächlich ist über Arnold Odermatt, den Nidwaldener Polizisten, der als fotografischer Autodidakt in der frühen Nachkriegszeit begann Unfälle, den Polizeidienst, das alltägliche Leben und seine Familie mit seiner 6 × 6 Mittelformatkamera zu protokollieren, einiges veröffentlicht worden, auch an Bildbänden[1]. In dem hier vorgelegten Bildband durchbrechen die bekannten nüchtern-surrealistischen Unfallbilder immer wieder die Innerschweizer Idylle des familiären und beruflichen Lebens im Kanton Nidwalden.

Die Texte von Daniel Blochwitz, Matthias Dell, Markus Hartmann und Harald Szeemann, interpretieren die Bilder und stellen sie in den historischen Kontext. Ausführlich wird auch die Entdeckung, Erschliessung und Verbreitung des Werkes über Bücher, Medien, Ausstellungen und Galerien geschildert. Urs Odermatt entdeckte 1991 die Bilder des Vaters bei Recherchen für seinen Spielfilm „Wachtmeister Zumbühl“, „der Rest ist eine wunderbare lehrreiche und unterhaltsame Geschichte über die Kunstwelt der letzten 25 Jahre“ (so der Verlag).

Nidwalden ist ein Bergtal in der Schweiz, das früher nur über eine See-Enge erreichbar war, wo die Drehbrücke gesperrt werden konnte, wenn zu viele Züricher „im Anmarsch waren“ (so Urs Odermatt im Interview, S. 55). Dort hat Arnold Odermatt gelebt und gearbeitet und er war rund um die Uhr nicht nur im Dienst als Polizist, sondern auch als Fotograph.

„Arnold hatte kein Bureau, er war die Rufnummer 117, sonntags, nachts, feiertags. Privat war, wenn das Telephon nicht klingelte. … Wegen der finanziellen Situation mit Familie und kargem Beamtengehalt war Geiz Lebenshilfe: Von jedem Ereignis gab es grundsätzlich nur ein Bild. Auf dem Negativstreifen im Labor zeigte also Bild eins etwa eine Karambolage mit Landschaft, Bild zwei meine Schwester beim Spielen, Bild drei eine weitere Karambolage, diesmal mit Personenschaden, Bild vier einen Akt meiner Mutter, Bild fünf Wachtmeister Zumbühl beim Reinigen der Dienstpistole, Bild sechs das Stanserhom im Zwielicht. Alles auf dem gleichen Negativstreifen. Kein Dienstfilm, kein Privatfilm, ein Odermattfilm“ (S. 70).

Auf die Frage, ob ihm das Material nicht gestellt wurde, antwortet der Sohn: „Ich glaube, daß die Kantonspolizei Arnold das Labor eingerichtet und die baulichen Maßnahmen sowie die Strom- und die Wasserrechnung bezahlt hat. Aber Negativfilm, Papier, Chemie und die Photokamera, das kam alles von Arnold. Die Polizei war damals sehr schweizerisch, der Staatsgeiz hat jeden Rappen gezählt. Kein Wunder, daß Arnold jedes Motiv nur einmal photographiert und nur nach Ansage vergrößert hat. … Das frühe Labor war in unserem Badezimmer, das werde ich nie vergessen: Das erste, was ich von Photographie wußte, war, daß sie stinkt“ (aaO.).

Ein lesens- und ansehenswertes Buch, nicht nur für alle, die noch wissen dass Photographie „stinkt“; aber auch diejenigen, die einen Eindruck von Polizeiarbeit (hier besonders Verkehrsunfallaufnahme) in bestimmten Teilen der Schweiz in den 1950 und 1960er Jahren bekommen wollen, sei dieses Buch empfohlen. Auch wenn sich das künstlerische Element in den Bildern nicht immer sofort erschließt: Die Geschichte des Schweizer Polizisten Odermatt wird hier anschaulich und manchmal auch humorvoll dargestellt.

Thomas Feltes, Februar 2023

[1] https://steidl.de/Kuenstler/Arnold-Odermatt-0506151921.html