Jan-Philipp Küppers, Polizei als lernende Organisation. Rezensiert von Thomas Feltes

Jan-Philipp Küppers, Polizei als lernende Organisation. Systemisches Polizeimanagement in Planungspraxis, Entscheidungsfindung und Handlungsoptionen. Springer VS, Wiesbaden 2022, 485 Seiten, ISBN 978-3-658-35130-4. Softcover 54,99, e-book 42,99

Am Anfang, so der Autor in der Einleitung zu seinem Buch, stand „eine Irritation über die förmlich ins Auge springende Diskrepanz zwischen offiziellem Selbstverständnis und alltäglicher Realität; oder um es anders auszudrücken: zwischen öffentlicher Fremdwahrnehmung auf die Organisation der Polizei und der offensichtlich zunehmend größeren Schwierigkeit, polizeiinterne Probleme und kritische Vorfälle in einem guten selbstreflexiven Vermögen auch lösungsorientiert zu überprüfen und zu bearbeiten“ (S.1). Sehr vorsichtig formuliert Küppers hier eines der Grundprobleme der Polizei in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten: die durch mangelnde Fehlerkultur bedingten Probleme in der Außendarstellung dieser Institution mit Gewaltlizenz.

Durch diese Diskrepanz werde, so meint Küppers, „der thematische Raum im Bereich des organisationalen Lernens für die Polizei geöffnet, der interessante Einblicke in die organisationalen Strukturen und individuellen Verhaltensreaktionen erlaubt“. Sicherlich hat ein organisatorisches Lernen wohl schon früher stattgefunden, wurde aber als solches kaum wahrgenommen und entsprach sicherlich nicht dem, was man heutzutage positiv konnotiert unter einer „lernenden Organisation“ versteht. Die Polizei ist und war schon immer in der Lage, sich, ihre Führung und ihre Struktur anzupassen und damit zu verändern, wenn auch bis Ende des 20. Jahrhunderts meist mit dem Ziel, möglichst unauffällig ihre Arbeit zu verrichten. Aber man kann nicht bestreiten, dass Ereignisse wie die Geiselnahme bei den Olympischen Spielen 1972, das Gladbecker Geiseldrama 1988, die Göhrde-Morde 1989 oder der „Münchener Kessel“ 1992 für Veränderungen in der Polizei, ihrer Struktur und ihre Führung bewirkt haben.

Ausgerechnet Rainer Wendt zitiert Küppers, wenn er zu Beginn des Buches aus Anlass des Amoklaufes in einem Münchner Einkaufszentrum im Jahr 2016 den Begriff der „lernenden Organisation“ aus den Ausgangspunkt für sein Buch benennt – dabei gibt es innerhalb der Polizei bundesweit wohl niemanden, der diesen Begriff derart missbraucht und ab absurdum führt und geführt hat wie der DPolG-Vorsitzende. Möglicherweise war das „Schaffen“ von Wendt dem Autor nicht näher bekannt, und er hat nach einem Aufhänger für den Titel seines Buches gesucht, und immerhin schreibt er direkt danach, dass diese Aussage von Wendtnicht so Recht zur inneren Verfasstheit, den Vorkommnissen und dem eingespielten Abwehrverhalten“ in der Polizei passe.

Der Begriff des „Lernunternehmens Polizei“ wurde bereits in den 1990er Jahren geprägt, und zwar wesentlich von Bernhard Prestel (Freiburg) im Rahmen von Polizeireformen in mehreren Ländern, darunter auch in Deutschland. In einer in diesem Kontext entstandenen Schriftenreihe mit dem Titel „Lernunternehmen Polizei“ waren im Felix-Verlag Holzkirchen fünf Bände erschienen[1], die jedoch nur beschränkte Aufmerksamkeit erfuhren – vielleicht auch, weil das Thema damals zumindest in Deutschland nicht im Vordergrund stand.

Aber zurück zum Buch von Küppers, das in seiner Gesamtheit trotz einiger Einschränkungen (dazu später) durchaus als dissertationswürdig bezeichnet werden kann[2]. Der Autor nutzt verschiedene spektakuläre Ereignisse wie die „Loveparade-Katastrophe“, die Amoktat in München, den G20-Gipfel in Hamburg und den Amoklauf in Norwegen 2016 an diesen Beispielen herauszuarbeiten, ob und wie sich Polizei als „lernende Organisation“ versteht oder verstehen sollte und was notwendig ist, damit dieser Anspruch tatsächlich innerhalb der Organisation umgesetzt wird.

Er schreibt dazu: „Diese sehr tragischen Vorkommnisse und die verbreitete Gefühlslage einer Diskrepanz zwischen Selbstverständnis und Fremdwahrnehmung, weckten das Interesse an einem Buch über die Polizei als lernende Organisation und erzeugten schon aus sich heraus weitere Fragen: Kann eine Organisation überhaupt lernen und was unterscheidet sie von einer nicht lernenden Organisation? Welche Rolle spielt der im Wesentlichen gut strukturierte aber größtenteils starre Aufbau der Bürokratie mit vorgegebenen linearen Ablauf auf den Lernprozess? Und können polizeiinterne Regeln, formale Verfahrensabläufe, hierarchische Positionen, Dienstvorschriften und so weiter, gepflegte und oftmals unanfechtbare Denk- und Verhaltensmuster reale komplexe Vorgänge besser erklären und lösen, die eher organisationalem Lernen zugeschrieben werden?“ (S. 3 f.).

Als sozialwissenschaftlicher Ansatz benennt Küppers die interdisziplinäre Beschäftigung mit der Polizei als lernender Organisation, in der es immer um menschliches und damit, wie er meint, soziales Verhalten gehe, das Handlungsmöglichkeiten, Chancen und Risiken in sich berge. Menschen stünden im Mittelpunkt des Buches, „die Organisationprozesse im Dienst der Sicherheit gestalten. Sie sind es, die an beliebigen Stellen der Organisation der Polizei zum Prozess beitragen können. Und wer könnte einen Veränderungsprozess besser beeinflussen als der Polizist auf der Straße, der im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht?“ (S. 4).

Diese Annahmen sind richtig, greifen aber zumindest teilweise zu kurz, soll es doch um die Organisation Polizei gehen. Zwar gestalten Menschen Organisationsprozesse, sie sind aber nicht „die Organisation“, und sie können auch diese Institution nur (sehr) bedingt überhaupt beeinflussen. Es ist gerade nicht der „Polizist auf der Straße“, der Veränderungsprozesse beeinflusst, sondern es sind die Polizeiführung und die politische Führung, die solche Prozesse initiieren, durchführen oder durchführen lassen. Sie entscheiden letztlich, ob und was an Änderungen umgesetzt wird.

So hatten Mitte/Ende der 1990er Jahre verschiedene Organisationsunternehmen die Polizei untersucht. Ausgangspunkt war die allgemeine Verwaltungsreform, der sich die Polizei nur schwerlich entziehen konnte. Die Untersuchungen kamen zu teilweise erschreckenden Ergebnissen: Das Consulting-Unternehmen Mummert + Partner fällte nach einer 7 Mio. Mark teuren Untersuchung bspw. ein vernichtendes Urteil über die Berliner Polizei. Mit einer Reform müssten die Fehler von 25 Jahren ausgebügelt werden[3] – das wurden sie aber danach leider nicht. Und auch die Organisationsuntersuchung der Landespolizei Baden-Württemberg aus dem Jahr 1995 hatte entsprechende Probleme aufgezeigt – wobei typisch für den Umgang der Polizei mit solchen Studien ist, dass die Berichte bis 2025 gesperrt sind und überhaut nur im persönlichen Archiv des damaligen Innenministers Frieder Birzele nachgewiesen sind. Auch das sog. „Saarbrücker Gutachten“ war mehr oder weniger in der Versenkung verschwunden, bis es der Rezensent einscannte und allgemein zur Verfügung stellte.

Manfred Reuter schreibt in seiner Dissertation aus dem Jahr 2007 zur Umsetzung einer Studie zu den Neuen Steuerungsmodellen (NSM) in den 1990er Jahren in NRW: „Dem IM sind die Ergebnisse der NSM-Studie von Lange/Schenck vorab vorgestellt worden, dort jedoch auf wenig Interesse gestoßen. Das Ministerium befürchtet dadurch zu viel Unruhe in der Organisation und möchte daher lieber nicht weiter darüber diskutieren“.

Otto Diederichs stellte damals fest, dass „es längst zu einem beliebten Mittel geworden (ist), im Vorfeld einer polizeilichen Strukturreform externe Managementberater mit millionenschweren Verträgen einzubeziehen und damit sowohl Offenheit und Unvoreingenommenheit zu demonstrieren wie auch die eigene Reformunfähigkeit gekonnt zu überspielen“.

Den Widerspruch zwischen Menschen und Organisation erkennt Küppers durchaus, er thematisiert ihn aber leider zu selten. Die politischen Kräfte, die auf die Polizei einwirken, bleiben in seiner Studie mehr oder weniger außen vor. So wird der Eindruck erweckt, dass die Polizei quasi im luftleeren Raum steht und agiert und es selbst in der Hand hat, wie sie sich verhält, organisiert oder verändert. Damit aber werden die entscheidenden rechtlichen Rahmenbedingungen ebenso wie die politischen außen vorgelassen.

Ungeachtet dessen ist das Buch[4] wichtig und wertvoll, weil es deutlich macht, welche Veränderungsmöglichkeiten innerhalb der Polizei gegeben sind. Küppers beschreibt und analysiert die Grundlagen einer lernenden Organisation (Kap. 2 bis 4), bevor er auf die Organisation der Polizei eingeht (Kap. 5 und 6) und dabei auch auf rechtliche Grundlagen, Strukturen, Abläufe und Funktionen. Diese eher deskriptiven Kapitel bilden den Ausgangspunkt für die darauffolgende Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Polizei und Zivilgesellschaft (Kap. 7) und dem Thema Kommunikation (Kap 8). Im Kapitel 9 werden dann die Loveparade-Katastrophe, die Amoktat in München 2016 und der G20-Gipfel in Hamburg 2017 als „praktische Fallbeispiele“ beschrieben und im Rahmen des hier möglichen auch anschaulich analysiert.

Spätestens hier wird aber auch deutlich, dass das erste und das letzte Ereignis (Loveparade und G20) entscheidend politisch geprägt waren und politische Fehler maßgeblich für das Versagen der Polizei in beiden Fällen waren[5]. Zwar werden politische Funktionsträger als „Stakeholder“ benannt (S. 358), sie spielen aber bei den Analysen kaum eine Rolle. Hier ist dann mehr von „taktischen Fehleinschätzungen“ der Polizei die Rede (so auf S. 442), deren eigentliche Grundlagen aber im politischen Vorlauf lagen oder zumindest politisch nicht unerheblich beeinflusst wurden. So bleibt die Analyse leider oftmals im theoretischen Leerraum, und „Die Polizei als lernende und adaptive Organisation“ (Kapitel 10) wird zu wenig eingebettet in das gesellschaftliche und vor allem politische Umfeld, in dem sie agiert und andererseits werden die Besonderheiten dieser Organisation zu wenig beachtet.

Hinzu kommt, dass Küppers zwar immer wieder einmal die „tägliche Routinearbeit“ benennt, sie aber zu wenig in seiner Analyse berücksichtigt – was sicherlich auch seinem Ansatz geschuldet ist, diese drei Ereignisse als Ankerpunkte für seine Arbeit zu nehmen. Das, was die Polizei aber auszeichnet und prägt, ist ihr Alltagshandeln.  Hier kommen dann Aspekte wie die „lokale Polizeikultur“ oder generell die Subkultur in der Polizei, die solche Abläufe und den Umgang mit Fehlern und damit letztlich auch die „Lernkultur“ entscheidend prägen, leider nicht zur Sprache.

Küppers verkennt vielleicht auch, dass die Polizei eine Organisation ist, die zuallererst funktionieren muss, und das möglichst unauffällig und reibungslos. Probleme und Fehler gibt es nicht, weil es sie nicht geben darf; und wenn es sie doch gibt, dann müssen sie möglichst unter der Decke bleiben. Die schon panische Angst der Polizeiführung und auch der Politik vor öffentlichen oder internen Diskussionen, vor Widerspruch und Fehlern führt im Ergebnis zu einer Paralysierung dieser Institution und ihrer Mitarbeiter, wie Maurice Punch und ich dies in einem Beitrag 2005 beschrieben hatten. Wir haben dabei auch auf den amerikanischen Polizeiwissenschaftler Loveday verwiesen, der die Polizei mit einem gestrandeten Wal verglichen hat: “A combination of extended hierarchies, organizational culture and the lack of effective management had resulted in the police service taking on all the fine characteristics of a beached whale”. Dieser “gestrandete Wal” ist tatsächlich unfähig, sich zu bewegen (und damit nicht fähig zu lernen) – mit dem Ergebnis, dass Reformversuche oft verpuffen oder als Alibireform enden. Dazu trägt auch die tief verwurzelte Einstellung bei, dass ein Polizeibeamter, der es zu etwas bringen will, primär zu funktionieren habe, am besten überhaupt keine eigene Persönlichkeit haben sollte (weil diese Ecken und Kanten haben und so Probleme machen könnte), und am besten alles so bleibt wie es ist, weil man dann keine Risiken eingeht und keine Fehler machen kann, denn man hat es ja schon immer so gemacht.

Solche konnten in dem Buch leider nicht behandelt werden, aber immerhin geht Küppers ausführlich auf „Kommunikation, Interaktion und Information“ ein (S. 267 – 346) und benennt in diesem Kapitel viele Aspekte, die für das Zusammentreffen von Polizei und Bürger entscheidend sind.

Insgesamt hat Küppers eine Studie vorgelegt, die durchaus intensive Beachtung in der Polizei finden sollte und finden muss, wenn man den Anspruch, eine „lernende Organisation“ zu sein, ernst nimmt.

 

Thomas Feltes, März 2023

[1] Darunter auch eine Festschrift für Bernhard Prestel, die sich wesentlich mit diesem Begriff des „Lernunternehmens Polizei“ beschäftigt. Das Buch steht auf der Website der UB Tübingen zum kostenlosen Download zur Verfügung.

[2] Der Autor hat einen Abschluss in Sozialarbeit/Sozialpädagogik und Politikwissenschaft/Soziologie und ist zurzeit Doktorand an der Universität Stuttgart.

[3] https://taz.de/Umstaendlich-aufwendig-unproduktiv/!1391820/

[4] Das Inhaltsverzeichnis des Buches, zusammen mit einer kurzen Zusammenfassung der jeweiligen Kapitel, wird dankenswerterweise vom Verlag hier bereitgestellt.

[5] Die Rolle der Polizei bei der „Loveparade-Katastrophe“ wurde u.a. deshalb kaum diskutiert, weil keine Ermittlungen gegen Polizeibeamte angestrengt wurden. Ungeachtet dessen hat der Prozess deutlich gemacht, dass wesentliche Fehler auch und besonders durch die Polizei gemacht wurden. „Die Mängel bei der Loveparade 2010 lagen ganz offensichtlich aber vor allem darin, dass a) diese Veranstaltung so nie hätte genehmigt werden dürfen, b) die Polizei dann, als sie sich dann doch verantwortlich sah, aufgrund schlechter

Vorbereitung (?), wiederum bedingt durch unklare Kompetenzabstimmungen, handwerkliche Fehler machte (in dem z.B. einige Beamte den Zugang vom Tunnel zum Veranstaltungsgelände absperrten, zeitgleich aber ein (oder mehrere) Beamte(r) weitere Personen in den Tunnel nachdrängen lies, was dann zu dem Stau und der Paniksituation führte, c) es massive Kommunikationsprobleme gab, und zwar sowohl zwischen Veranstalter und Polizei, als auch bei der Polizei selbst (man wusste bspw. schon vorher, dass die analogen Funkgeräte vor Ort und konkret in dem Tunnel nicht funktionierten)“, Feltes, Sicherheit bei Großveranstaltungen durch Überwachung der Teilnehmerinnen? 2012, verfügbar hier.