Elisa Hoven (Hrsg.), Das Phänomen „Digitaler Hass“. Ein interdisziplinärer Blick auf Ursachen, Erscheinungsformen und Auswirkungen. Nomos, Baden-Baden 2023, 202 Seiten, E-Book ISBN 978-3-7489-3039-6, Softcover broschiert ISBN ISBN 978-3-8487-8668-8, jeweils 59.- Euro.
Das Buch beschäftigt sich mit dem strafrechtlichen Umgang mit digitalem Hass und steht im Zusammenhang mit einem Forschungsprojekt unter der Leitung der Herausgeberin an der Universität Leipzig. Als „Hate Crime“ zuerst in den 1980er Jahren in den USA diskutiert, besteht das Phänomen schon seit vielen Jahrhunderten, und der Begriff wird längst auch in Deutschland verwendet. In den Jahren 2020 und 2021 wurde mit dem „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“ ein sog. Artikelgesetz verabschiedet, mit dem das Strafgesetzbuch, das Bundesmeldegesetz sowie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) geändert wurden. Nach verfassungsrechtlichem Streit wurden die Änderungen im StGB und im Meldegesetz und im Netzwerkdurchsetzungsgesetz danach dann bis 2022 umgesetzt.
Ausgangspunkt für die Gesetzesänderung war die im Internet und in den sozialen Medien beobachtete zunehmende Verrohung der Kommunikation, welche nach der Auffassung des Gesetzgebers die Meinungsfreiheit gefährde. Mit dem Gesetz sollte im Wesentlichen eine Meldepflicht der Anbieter sozialer Netzwerke eingeführt werden. Sie sollten bestimmte strafbare Inhalte an das Bundeskriminalamt (BKA) melden, damit von dort aus die Strafverfolgung durch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden veranlasst werden kann. Über die bereits in § 3 Abs. 2 NetzDG vorgesehene Löschung rechtswidriger Inhalte hinaus sei es notwendig, diese auch strafrechtlich zu verfolgen, insbesondere die sogenannte Hasskriminalität mit rechtsextremistischem Hintergrund, nicht nur, aber gerade auch bei Tatbegehungen im Internet.
Das Bundeskriminalamt (BKA) rechnete Anfang 2020 wegen des NetzDG mit rund 250.000 Meldungen pro Jahr, die etwa 150.000 neue Strafverfahren nach sich ziehen. Wie sich die Zahlen tatsächlich entwickelt haben, ist derzeit noch nicht bekannt. Allerdings geht das BKA davon aus, dass mitursächlich für den Anstieg der Fallzahlen im Jahr 2022 bei Bedrohung (+28,1 Prozent) insbesondere die Verschärfung des § 241 StGB sein, die im Zuge der Umsetzung des Gesetzes zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität am 3. April 2021 in Kraft getreten ist. Dabei lag der Anteil der mit dem Tatmittel Internet begangenen Fälle der Bedrohung allerdings lediglich bei 6,4 Prozent, so dass die ursprüngliche Annahme, der Schwerpunkt der Hasskriminalität liege dort, sich bislang nicht bestätigt hat.
Unter dem Titel „Das Phänomen „Digitaler Hass““ hat die Elisa Hoven für den Band insgesamt neun Beiträge zusammengestellt, die einen interdisziplinären Blick auf Ursachen, Erscheinungsformen und Auswirkungen richten sollen. Dabei geht man davon aus, dass Hass im Netz nicht nur die unmittelbar Betroffenen verletzt, sondern bedroht sei „nicht weniger als die demokratische Gesellschaft selbst“.
Der vorliegende Sammelband biete daher, so die Website des Verlages, „eine umfassende interdisziplinäre Betrachtung verschiedener Facetten des Phänomens „Digitaler Hass“. Hierfür werden Erkenntnisse aus Sozial-, Kommunikations- und Medienwissenschaft, Linguistik und Kriminologie zusammengeführt: Kommentaranalysen geben Aufschluss darüber, welche Inhalte Hass hervorrufen und wie sich dieser äußert. Eine Interviewstudie beleuchtet Motive der Verfasser:innen und Auswirkungen auf die Betroffenen. Weitere Beiträge untersuchen Eskalationsstrukturen und die Frage, wer in besonderer Weise zur Zielscheibe des Hasses wird“.
Der Begriff der Hasskriminalität oder „Hate Crime“ kann, worauf das US Department of Justice auf seiner Website hinweist, irreführend sein. “When used in a hate crime law, the word „hate“ does not mean rage, anger, or general dislike. In this context “hate” means bias against people or groups with specific characteristics that are defined by the law. … hate crime laws include crimes committed on the basis of the victim’s perceived or actual race, color, religion, national origin, sexual orientation, gender, gender identity, or disability”.
Das amerikanische Justizministerium (s.o.) weist auch darauf hin, dass “hate crime is often a violent crime, such as assault, murder, arson, vandalism, or threats to commit such crimes. It may also cover conspiring or asking another person to commit such crimes, even if the crime was never carried out”. In den USA geht man dabei davon aus, dass dort durchschnittlich 250,000 “hate crimes” jedes Jahr begangen werden, wobei die Mehrzahl nicht den Strafverfolgungsbehörden gemeldet wird.
Ungeachtet dessen hat sich der hier so genannte „digitale Hass“ in Deutschland zu einem erheblichen Problem in den sozialen Netzwerken entwickelt, wie auf der Website der Universität Leipzig zum Forschungsprojekt betont wird, in dessen Kontext der Band entstanden ist. „Für die Betroffenen stellen herabwürdigende und bedrohliche Kommentare eine massive Belastung dar. Doch Hasskommentare wirken auch darüber hinaus: Menschen ziehen sich aus Sorge vor Anfeindungen aus dem gesellschaftlichen Diskurs zurück; das bedroht Meinungsfreiheit und Demokratie“.
Im Rahmen des Projekts werden, so die Angaben auf der Website, die verschiedenen Facetten von digitalem Hass aus kriminologischer, strafrechtlicher und strafprozessualer Perspektive beleuchtet und auf der Basis von empirischen Untersuchungen sollen konkrete Vorschläge für eine effektive strafrechtliche Bekämpfung von digitalem Hass entwickelt werden. Dabei geht es vor allem um folgende Straftaten: Ehrschutzdelikte (§§ 185 ff. StGB), Volksverhetzung (§ 130 StGB), Bedrohung (§ 241 StGB), Öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB), Belohnung und Billigung von Straftaten (§ 140 StGB), Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten (§ 126 StGB).
„Der erste Teil des Projekts widmet sich dem besseren Verständnis von Ursachen und Erscheinungsformen von Hass im Internet. … Insbesondere durch die Analyse der typischen Formen von Hass im Netz lassen sich Ansatzpunkte für eine Ergänzung des materiellen Strafrechts finden“.
Methodisch geht das Projekt so vor, dass mithilfe verschiedener Kommentaranalysen zunächst Anlässe und Inhalte von Hasskommentaren untersucht werden. Eine repräsentative Bevölkerungsbefragung soll weiterhin Einblicke in das Erleben digitalen Hasses geben, und den Schwerpunkt bildet eine Interviewstudie, in der die Perspektiven der Betroffenen sowie der VerfasserInnen vertieft beleuchtet werden.
Danach soll die Anwendungspraxis des materiellen Strafrechts und das strafprozessuale Vorgehen der Ermittlungsbehörden durch eine Akten- und Urteilsanalyse untersucht werden, wobei man davon ausgeht, dass die Akten Auskunft darüber geben, wie die Strafbarkeit von digitalem Hass durch die Staatsanwaltschaften und – sofern das Verfahren mit einem Urteil endete – durch die Gerichte bewertet werden. Die Untersuchung ermögliche es so, bestehende Auslegungsprobleme oder Regelungslücken zu identifizieren. Zudem wird erforscht, ob sich Unterschiede in der Handhabung der tatbestandlichen Voraussetzungen und hinsichtlich der Ermittlungspraxis finden. Die Auswertung wird durch ExpertInnen-Interviews mit Vertreter*innen der Staatsanwaltschaft, Polizei und der Strafverteidigung ergänzt. Auf Basis der gewonnen Erkenntnisse sollen der ermittelte gesetzliche Anpassungsbedarf konkretisiert und in Reformvorschläge überführt werden. Das mit knapp 400.000 Euro finanzierte Projekt läuft von 2020 bis 2022.
In dem Buch präsentieren nach einem Geleitwort der damaligen Justizministerin Lambrecht Hannah Heuser und Alexandra Witting die im Rahmen des Forschungsprojekts entstandene Interviewstudie mit Adressatinnen und Verfasserinnen digitaler Hasskommentare. Die Ergebnisse bieten, so die Herausgeberin in ihrem Vorwort, „Aufschluss einerseits über das Erleben und die Auswirkungen aus Perspektive der Betroffenen, andererseits über die Motivation und das Vorgehen der Verfasserinnen“.
Mario Haim und Thomas Hestermann stellen danach die Erkenntnisse von zwei weiteren Studien vor. Haim untersucht sichtbare Hasskommentaren in moderierten Online-Foren mit Fokus auf Kommunalpolitikerinnen, Hestermann die Hassdichte und die Natur von Hasskommentaren auf den Facebook-Seiten reichweitenstarker deutscher Medien. Robert Schöffel befasst sich mit dem Ausmaß von Hasskommentaren auf Facebook – allerdings in Facebook-Gruppen, die „weniger reguliert“ sind – was auch immer dies bedeutet. Eva Groß thematisiert die Bedeutung von digitalem Hass für Radikalisierungsprozesse und Jakob Guhl koordinierte Hasskampagnen im Netz. Anja Rubitzsch untersucht inwieweit Anonymität die Entscheidung beeinflusst, Hass im Internet zu posten. Im letzten Beitrag des Bandes erörtert Sylvia Jaki die Bedeutung gruppenbezogenen Hasses im Internet.
Bei vielen Beiträgen handelt es sich um (Teil-)Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt oder auch aus Dissertationsprojekten, was sicherlich hätte Erwähnung finden können, ebenso wie die Tatsache, dass die Beiträge mit einer Tagung im Zusammenhang stehen, die im Geleitort angesprochen wird.
Wissenschaftlich seriös wäre es auch gewesen, deutlich zu machen, welche Inhalte im Abschlussbericht zu dem mit öffentlichen Mitteln finanzierten Projekt enthalten und/oder vertieft behandelt werden, der sicherlich demnächst veröffentlicht wird (angaben zum wann und wo finden sich leider weder im Band, noch auf der Website).
Etwas ungewöhnlich ist, dass sowohl im Inhaltsverzeichnis, als auch in den Seitenüberschriften der Beiträge die (akademischen) Titel der Autor*innen genannt werden. Warum dies geschieht, erschließt sich dem Rezensenten nicht. Denn der Inhalt der Beiträge sollte für sich sprechen, ungeachtet des Status der Autor*innen. Und auch die Angabe von überlangen Internetadressen in einem gedruckten Buch ist unschön und hätte zumindest durch Kurze-Urls optimiert werden können.
Insgesamt sind die Einzelbeiträge durchaus spannend zu lesen, wobei der den Band übergreifende Bezug fehlt. Der Herausgeberin gelingt es leider nicht, deutlich zu machen, warum gerade diese und keine anderen Aufsätze in den Band aufgenommen wurden und was die Beiträge verbindet (oder trennt) – außer der Tatsache, dass sie Bestandteil einer Tagung waren. Außer einer doch sehr groben Übersicht über den Inhalt (S. 6 f.) finden sich keine abschließende Bewertung und Analyse der Ergebnisse der Beiträge (und/oder des Projektes), so dass Leser*innen hier etwas alleine gelassen werden.
Insgesamt erschließt sich die Zielrichtung des Bandes daher nicht – es sei denn, er diente dazu, den Mitarbeitenden am Projekt und (angehenden) Doktorand*innen eine Plattform für eine Veröffentlichung zu bieten, ebenso wie den Vortragenden bei der Tagung, die im Juli 2021 in Leipzig stattfand (ein Tagungsbericht dazu findet sich hier). Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden, jedoch wäre ein Hinweis auf diesen Kontext angebracht gewesen.
Thomas Feltes, April 2023