Michael Graßl, Polizeikommunikation auf Social Media. Rezensiert von Karsten Lauber

Michael Graßl: Polizeikommunikation auf Social Media. Ziele, Strategien, Inhalte. Wiesbaden, Springer VS 2023, 332 Seiten, Softcover – ISBN: 978-3-658-41262-3, 59.99 EUR, E-Book – ISBN: 978-3-658-41263-0, 46,99 EUR

Kürzlich untersagte die Sächsische Datenschutz- und Transparenzbeauftragte der Staatskanzlei in Dresden den weiteren Betrieb ihrer Facebook-Seite wegen Verstoßes gegen das Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz.[1] Ebenso unterliegen die polizeilichen Social Media-Accounts seit etlichen Jahren vielfältiger Kritik, beispielsweise in Bezug auf den Sprachstil, die mangelnde Neutralität oder fehlende Ermächtigungsgrundlagen.[2] Schätzungsweise gibt es derzeit rund 540 polizeiliche Social Media-Accounts.

Präzise Angaben, wie viele Polizei-Accounts derzeit online sind, konnte der Autor der vorliegenden Arbeit, Michael Graßl, trotz mehrerer Anfragen bei Polizeibehörden leider nicht erheben. Die Nutzung der sozialen Medien durch die Polizei ist bislang nur wenig erforscht – sowohl in den Polizei- als auch in den Kommunikationswissenschaften. Michael Graßl widmet sich in seiner Untersuchung der Frage, wie die Polizeien in den sozialen Netzwerken kommunizieren. Die Arbeit wurde 2023 unter dem Titel „Der Digitale Dorfgendarm: Strategien und Kommunikation der Polizei in Deutschland auf Social Media“ an der Sprach- und Literaturwissenschaftlichen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt als Dissertation angenommen.

Die Untersuchung basiert methodisch auf zwei aufeinander aufbauenden Teilen: Zunächst zwölf Leitfadeninterviews mit polizeilichen Social Media-Verantwortlichen und im Anschluss daran einer quantitativen Inhaltsanalyse von 1.010 polizeilichen Feedposts (Facebook 340 Posts, Twitter 340 Posts und Instagram 330 Posts) – ergänzt um die Analyse von 78 Instagram-Storys. Die Verbindung qualitativer und quantitativer Methoden auf diesem Gebiet sowie die Einbeziehung der drei wichtigsten Social-Media-Kanäle ist das Alleinstellungsmerkmal dieser Arbeit. Für die Herleitung der Forschungsfrage und der dazugehörigen Hypothesen dienen die Beschreibung der Polizei in der heutigen Gesellschaft (S. 7 ff) sowie der Polizei in der heutigen Wissenschaft (S. 29 ff) und drei Kapitel über die polizeiliche Kommunikation, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (S. 39 ff).

Das Kapitel über die Polizei in der heutigen Gesellschaft beinhaltet eine kurze Beschreibung der Geschichte der Polizei und damit auch des Polizeibegriffs. Ergebnis der Ausführungen ist, dass es nicht nur „die eine Polizei“ (S. 14) gibt. Bestandteil des Kapitels ist zudem eine kurze Analyse der Polizei als „Spiegelbild der Gesellschaft“ (S. 22 ff). An die polizeigeschichtlichen Ausführungen dürfen in der kommunikationswissenschaftlichen Arbeit nicht zu große Anforderungen gestellt werden. „Die“ Polizei ist im Wesentlichen die staatliche Polizei, d.h. es fehlen Hinweise auf die kommunalen Ortspolizeibehörden und das Wechselspiel zwischen Verstaatlichung und Kommunalisierung der Polizei ab dem 19. Jahrhundert. Häufig fehlen zeitgemäße Quellen, beispielsweise bei der Beschreibung der Polizeiausstellung 1926. Der Hinweis, wonach die Aufbereitung der Rolle der Polizei zwischen 1933 und 1945 „lange Zeit ein Tabu in der deutschen Polizei“ (S. 13) war, hätte mit einem Hinweis auf inzwischen vorliegende Untersuchungen aussagekräftiger gestaltet werden können. Dass 1979 Frauen „für die Schutzpolizei zugelassen“ (S. 14) bedarf angesichts der Polizeihoheit der Länder einer Präzisierung, zumal der Zugang von Frauen in Bayern erst 11 Jahre später möglich war, d.h. 1990. Das Fazit, wonach es nicht nur die eine Polizei gibt, sondern aufgrund der Länderhoheit eine heterogene Polizeilandschaft ist für die Kriminologie und Polizeiwissenschaft ein banales Ergebnis; aus Sicht der Kommunikationswissenschaften mag das sicherlich anders aussehen. Hier hätte eine Herleitung der Gesetzgebungszuständigkeiten – ausgehend von Art. 70 Grundgesetz – für noch mehr Klarheit sorgen können. Dennoch ist es keine Marginalie, wenn wiederholt von „der“ Polizei in Deutschland gesprochen wird. Treffender wäre, wenn von den Polizeien die Rede gewesen wäre.

Problematisch ist bei den Aufgabenbeschreibungen der Polizei die Aussage, die Schutzpolizei wäre „vor allem präventiv“ tätig, „u.a. für die Aufnahme gesetzwidriger Handlungen und die Ahndung von Ordnungsdelikten“ (S. 16). Die Zuständigkeit der Kriminalpolizei soll sich demgegenüber auf die „Verfolgung und Aufklärung von Straftaten“ (S. 16) beziehen. Diese Beschreibung folgt eher dem Bild der Polizei, wie es in Krimis vermittelt wird. Polizei- und strafprozessrechtlich ist das falsch. Dahingehend hilft es auch nicht weiter, die „Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit“ als „übergeordnete[n] Auftrag aller Polizeien Deutschlands“ zu benennen (S. 16). Etliche Seiten später heißt es dann, die „Polizei hat die Sicherstellung der öffentlichen Ordnung zur Aufgabe“ (S. 66). Dass der Autor von der „sogenannten“ Schutzpolizei spricht, ist ebenso wenig plausibel (S. 16) wie die Bezeichnung des ehemaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer als „obersten Entscheidungsträger der deutschen Polizei“ (S. 81).

Das Kapitel beinhaltet zudem einen kurzen Hinweis auf das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung, leider mit den üblichen false friends, wonach die mediale Berichterstattung und die Polizeipräsenz zu den wesentlichen Einflussfaktoren zählen sollen. Unklar ist die Bedeutung des kurzen Unterkapitels über die Polizei als Spiegelbild der Gesellschaft (S. 22 ff). Vor diesem Hintergrund wird nicht so recht deutlich, weshalb der Autor an späterer Stelle – im Zwischenfazit zur Teilstudie I – schreibt, „die weite theoretische Herleitung, die mit der Geschichte der Polizei in Deutschland begann“, hätte sich „bewährt“ (S. 190).

Das anschließende Kapitel über die „Polizei in der heutigen Wissenschaft“ (S. 29 ff) dreht sich um die Frage einer Polizeiwissenschaft in Deutschland und ist leider ähnlich unscharf. Die Aussage, wonach die „Institutionalisierung von Polizeiwissenschaft […] fast ausschließlich an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster“ stattfindet und an „Hochschulen für öffentliche Verwaltung oder Polizeihochschulen“ vertreten sein soll, ist problematisch bzw. hätte in Bezug auf die Deutsche Hochschule der Polizei einer kritischeren Analyse bedurft.

Recht ausführlich und durchaus solide widmet sich der Autor der polizeilichen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie dem Verhältnis mit den Medien (S. 39 – 115). Für die zunehmend journalistische Tätigkeit der Polizeipressestellen in den Sozialen Medien hätte sich eine kritischere Reflexion angeboten. Leider fehlt der Rekurs auf ältere Arbeiten über die polizeiliche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit wie beispielsweise von Frehsee,[3] Kania,[4] Reuband[5], Schäfer[6] oder Scheerer.[7] Auf der anderen Seite lassen sich etliche überbewertete Quellen ausmachen. Dabei zeigt das 38-seitige Literaturverzeichnis grundsätzlich, dass der vorliegende Literaturbestand gut erfasst wurde.

Wenig zufriedenstellend ist die Beschreibung eines digitalen Community Policings: „Im Prinzip bedeutet es eine forcierte Bürgerbeteiligung, die eine Aktivierung und Partizipation der Bevölkerung bzw. Bürger für mehr Sicherheit möchte“ (S. 107). In Bezug auf das dazugehörige (analoge) Community Policing fehlt eine Auseinandersetzung rund um das oft missverstandene Konzept bzw. Objekt von Vereinfachungen. Bis auf eine Arbeit von Feltes mangelt es an der Nennung einschlägiger, d.h. vor allem auch zeitgemäßer Quellen. Ähnlich problematisch ist der Versuch, einen „digitalen Dorfgendarm“ (S. 153) zu konstruieren. Auf der Grundlage bereits vorliegender, aber auch in dieser Untersuchung erlangter Ergebnisse über eine eher geringe Dialogorientierung der Polizei in den sozialen Medien wäre dieser Begriff zu hinterfragen gewesen. Wünschenswert wäre zudem eine intensivere Beschreibung der historischen Entwicklung der Social-Media-Aktivitäten der Polizeien gewesen, einschließlich der Beschreibung herausragender Ereignisse wie beispielsweise den sog. Türknauf des Todes.

Leider wurde zudem unterlassen, bei der Darstellung des Forschungsstandes genauer auf die Frage der jeweiligen Datenerhebung einzugehen. Wer sich der Analyse von Social Media-Daten widmet, wird sich intensiv mit der Frage auseinandersetzen, wie die Datenerhebung zu bewerkstelligen ist. Immerhin weist Graßl auf technische Limitationen hin, denen er selbst unterlag (S. 218).

Mit Beginn des empirischen Teils geht dann ein deutlicher Qualitätssprung der Arbeit einher, so dass nun auch Kriminologen und Polizeiwissenschaftler ihre Freude haben dürften. Die Teilstudie I befasst sich auf der Grundlage von Leitfadeninterviews mit den Social-Media-Praktikern der Polizei (S. 133 ff.) und liefert aufschlussreiche Erkenntnisse aus dem Innenleben der polizeilichen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

Ergebnisse der Teilstudie I (Leitfadeninterviews) sind:

  • Eine erfolgreiche Integration von Social Media in das System der Polizei.
  • Die Adaption journalistischer Arbeitsweisen.
  • Die Social Media-Arbeit ist ggü. der klassischen Polizeipressearbeit als komplementär, nicht als konkurrierend zu betrachten.
  • Es gibt strategische Besonderheiten wie der Umgang mit Humor, Influencern, Hate Speech und polizeilichen Großlagen.
  • Die Polizeien verfolgen kanalspezifische Strategien.
  • Vor- und Nachteile der Dialogorientierung.

Als größte Herausforderung der Social Media-Arbeit wird das Community Management beschrieben, insbesondere vor dem Hintergrund einer „zunehmend hasserfüllten. Diskussionskultur“ (S. 192). Bemerkenswert ist dabei, dass Fake News in den Interviewaussagen der Experten offenbar fast keine Rolle spielen. Soweit sich eine Interviewte an der NS-Vergangenheit des Begriffs „Freund und Helfer“ stört (S. 144), wäre eine genauere Beschäftigung mit dessen Herkunft erforderlich gewesen; vor allem deshalb, da der Autor des Öfteren auf diesen „Frame“ Bezug nimmt. Ein kurzer Hinweis auf die Polizeiausstellung von 1926 ist dahingehend nicht ausreichend, zumal bei der kurzen Bezugnahme – wie bereits erwähnt – leider nicht auf Originalquellen zurückgegriffen wurde.

Die Teilstudie II beinhaltet die Inhaltsanalyse von 60 Accounts (Facebook, Twitter, Instagram) von 20 Polizeibehörden im Zeitraum von März 2021 bis Ende Februar 2022. Unter Einbeziehung von 17 Posts je Medium ergeben sich theoretisch 1.020 und praktisch 1.010 Datensätze im Sample. In der Gesamtbetrachtung ergeben sich aus den entwickelten 63 Kategorien und über 1.000 codierten Posts mehr als 60.000 Einzeldaten. Die bei derartigen Untersuchungen problematische Frage der Stichprobenziehung zeigt sich auch in dieser Untersuchung, so dass Posts aus den Monaten März bis Juni überrepräsentiert sind (S. 217 f.).

Die Forschungsfrage (Wie kommuniziert die Polizei in Deutschland auf Social Media) wurde in dieser Teilstudie in vier untergeordnete Forschungsfragen und 13 Hypothesen operationalisiert. Die Forschungsfragen lauten:

  • Welche Themen und Akteure tauchen in der Kommunikation auf und wer wird adressiert?
  • Gibt es Auffälligkeiten im Post-Verhalten, die Rückschlüsse auf die Social-Media-Strategie der Behörden geben?
  • Lassen sich für Facebook, Twitter und Instagram unterschiedliche Vorgehensweisen erkennen und die identifizierten Kanaltypen aus Teilstudie I bestätigen?
  • Welche Rolle spielen der Dialog und die Interaktion mit den Abonnenten und Followern und kann ein Zusammenhang zwischen diesen Strategieelementen und einer höheren Resonanz (in Form von mehr Likes, Kommentaren, Shares) hergestellt werden?

Im Wesentlichen werden die Ergebnisse im Zuge von Häufigkeitsverteilungen präsentiert, unter gelegentlicher Berechnung bivariater Zusammenhänge. Ausgewählte Ergebnisse der sehr ausdifferenzierten Teilstudie II sind:

  • Die geringe Bedeutung von Dialekt in den Nachrichten.
  • Die eher informelle als formelle Kommunikation (Stichwort: „Du“).
  • Der hohe Stellenwert von Bildern und die geringe Nutzung von Videos oder Grafiken.
  • Eine – gemessen an dem Wesen sozialer Medien – dann doch eher geringe Dialogorientierung.
  • Die Erkenntnis, wonach die Polizeien unterschiedliche Strategien bei der Nutzung der drei Kommunikationskanäle verfolgen.

Bemerkenswert ist die geringe Bedeutung von Humor in den Nachrichten, aber auch die kriminalpolitische Einflussnahme spielt keine nennenswerte Rolle.

Die Empfehlungen für weitere Forschungen beziehen sich insbesondere auf den Zusammenhang zwischen der Kommunikation auf Social Media und dem Vertrauensverhältnis zwischen Polizei und Bevölkerung sowie eine intensivere Analyse der Dialoge zwischen Accountinhaber und Rezipienten (S. 290 f.). Bei der Methodenkritik am Ende der Untersuchung wäre ein (nochmaliger) Hinweis naheliegend gewesen, wonach die rückwirkende Datenerhebung zu Restriktionen führen kann (S. 218, S. 291 f.).

Der abschließende Ausblick beinhaltet zwei Thesen. (1) Die eher einfache Aussage, wonach die Bedeutung von Polizeikommunikation auf Social Media weiter zunehmen wird und (2) die Benennung der fehlenden Medienkompetenz als größte Herausforderung für die Polizeikommunikation. Letzteres bezieht sich sowohl auf die Kompetenzen innerhalb der Polizei, aber auch auf die Medienkompetenzen in der Bevölkerung.

Fazit

Empirische Arbeiten über das Agieren der Polizeien in den sozialen Netzwerken sind in Deutschland noch rar. Graßl legt mit seiner Untersuchung eine sehr ausdifferenzierte Analyse vor. Besonders hervorzuheben ist die Einbeziehung der drei größten Netzwerke (Twitter, Instagram und Facebook) sowie der Methodenmix zwischen Experteninterviews und quantitativer Inhaltsanalyse polizeilicher Posts. Gerade die Leitfadeninterviews geben einen aufschlussreichen Einblick in das Innenleben der Social-Media-Dienststellen der Polizei. Wer sich aus kriminologischer oder polizeiwissenschaftlicher Perspektive mit der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit befasst, sollte zu dieser Monografie greifen. Über die ersten zwei Kapitel, die sich mit Polizeigeschichte und Polizeiwissenschaft befassen, kann hinweggegangen werden. Der Verlust dieser ca. 30 Seiten ist allerdings zu verschmerzen.

 

Karsten Lauber, Juli 2023

 

[1] Vgl. Sächsische Datenschutz- und Transparenzbeauftragte (Hrsg.) (2023): Staatskanzlei muss Facebook-Fanpage abschalten. Pressemitteilung vom 07.07.2023. Verfügbar unter https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/1067876. Abgerufen am 24.07.2023.

[2] Vgl. Lauber, K. (2020): „Hier spricht die #Polizei!“ Polizeiliche Pressearbeit auf Twitter, in: Kriminalistik, Nr. 8-9/2020, S. 506-512 (509).

[3] Vgl. Frehsee, D. (2000): Kriminalität in den Medien – eine kriminelle Wirklichkeit eigener Art, in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Kriminalität in den Medien. 5. Kölner Symposium, 27. – 29. September 1999, Universität zu Köln. Mönchengladbach, S. 23 – 42.

[4] Vgl. Kania, H. (2000): Die Entwicklung der Kriminalitätsberichterstattung, in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Kriminalität in den Medien. 5. Kölner Symposium, 27. – 29. September 1999, Universität zu Köln. Mönchengladbach, S. 78 – 97.

[5] Reuband, K.-H. (1978): Die Polizeipressestelle als Vermittlungsinstanz zwischen Kriminalitätsgeschehen und Kriminalberichterstattung, in: Kriminologisches Journal (10), 3/1978, S. 174 – 186.

[6] Schäfer, A. (2002): Polizeiliche Pressearbeit und ihr Umgang mit der Kriminalstatistik, in: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform (85), 1/2002, S. 55 – 67.

[7] Scheerer, S. (1978): Der politisch-publizistische Verstärkerkreislauf. Zur Beeinflussung der Massenmedien im Prozeß strafrechtlicher Normgenese, in: Kriminologisches Journal (10), 3/1978, S. 223 – 227.