Marius Danne, Prävention und Repression im Sicherheitsrecht. Rezensiert von Rüdiger Schilling

Marius Danne, Prävention und Repression im Sicherheitsrecht. Grenzen juristischer Begriffsbildung. Das Recht der inneren und äußeren Sicherheit, Band 18. Duncker & Humblot GmbH, Berlin 2022. ISBN (Print) 978-3-428-18694-5. € 89,90. 283 Seiten Text, 32 Seiten Literaturverzeichnis, Paperback

Bei diesem Buch handelt es sich um die Dissertation von Marius Danne, die 2022 von der Justus-Liebig-Universität Gießen als solche angenommen wurde. Es liegt eine äußerst detaillierte Arbeit mit grundsätzlichen semantischen Herleitungen und juristischen Einordnungen der gesellschaftspolitisch inflationär verwendeten Begriffe Prävention und Repression vor. Der Autor hat dabei den „normativen Einsatz von Sprache im Blick“ (S. 94). Insoweit könnte dieses Buch Grundlage juristischer Ausbildung sein, auch oder gerade wegen der kritischen Worte am Ende. Aufgrund seiner sprachlichen Finesse ist es eindeutig Fachliteratur für Juristen und ambitionierte Leser mit Interessen am Sicherheitsrecht.

Das Buch beginnt mit einem Vorwort mit Danksagungen zum Promotionsverfahren. Es folgen fünf Seiten Inhaltsverzeichnis und eine Seite Abbildungsverzeichnis. Etwas ungewöhnlich ist die arabische Seitenzählung bereits mit der gesamten Titelei, so dass der eigentliche Text mit der Einleitung auf Seite 13 beginnt. In dieser führt der Autor 31 Seiten lang über die Problemstellung, die Dynamik des materiellen Sicherheitsrechts, das institutionelle Sicherheitsrecht, Kooperationen, Koordinationen darin, sowie Forschungsstand, Erkenntnisinteresse, Anschauungsgegenstand, Methode und der Gang der Untersuchung ein. Dabei weißt er früh darauf hin, dass es sich bei Prävention und Repression um „schillernde Begriffe“ handelt und ihr Gebrauch „oft unscharf und vieldeutig“ ist (S. 13). Es stellt die Frage, ob „die Begriffe überhaupt sinnvoll im Sicherheitsrecht weiterverwendet werden“ können (S. 18). Ausführlich werden die Relevanzen der Begriffe inhaltlich, sprachlich, systematisch wie praktisch dargestellt. Auch im institutionellen Sicherheitsrecht wird die Relevanz der für die Arbeit zentralen Begriffe Prävention und Repression dargestellt. Der Autor weist hier auf eine „Vernachrichtendienstlichung“ des Polizeirechts und eine „Verpolizeilichung“ des Strafverfahrensrechts hin (S. 30). Zutreffend beschreibt er unter Forschungsstand und Erkenntnisinteresse, dass „[i]n Zeiten politischer Aufgeregtheit und progressiven Aktionismus […] das Recht der dringenden Warnung zur Weitsicht und Differenziertheit [dient]“ (S. 39).

Die sprachlichen Grundlagen nehmen in diesem Buch eine zentrale Rolle ein. So werden etymologisch die beiden Begriffe aufgebrochen, um dann alltagssprachlich, fachsprachlich, sowie juristisch weiter ausdifferenziert zu werden. Im folgenden Kapitel lässt der Autor die theoretischen Grundlagen folgen. Hier unterscheidet er in sprachtheoretische und Maßstäbe der juristischen Begriffsbildung. Es sprächen „gute Gründe für die Nutzung von „präventiv“/“repressiv“ als juristische Basisbegriffe. Als fremdsprachliche Worte ist das Versprechen an Präzision hoch, die Worte bleiben jedoch im juristischen Kontext unpräzise und damit letztlich flexibel, entwicklungs- und wertungsoffen“ (S. 81). In der Zusammenfassung erklärt der Autor die Begriffe zu „semantischen Chamäleons durch die Zeit und über Sachzusammenhänge hinweg“ (S. 84). Es werden weitere Grundlagen gelegt und die Begriffe in Rechtsatz, Rechtsprechung, Rechtswissenschaft und Rechtsdogmatik weiter aufbereitet, methodische Folgerungen daraus gezogen und es folgt eine Zusammenfassung dieses Kapitels.

Die nächsten Kapitel widmen sich der historischen Dimension von Prävention und Repression vor dem Hintergrund der Entwicklung des Polizeirechts und den Strafzwecktheorien, sowie der Verwendung der beiden Begriffe im geltenden Sicherheitsrecht. Der Autor stellt fest: „eine dichotome Gleichsetzung zwischen Gefahrenabwehr mit „Prävention“ und Strafverfolgung mit „Repression“ dürfte […] unterkomplex und damit nicht statthaft [sein, denn] nicht jede zukunftsbezogene polizeiliche Tätigkeit ist Gefahrenabwehr und nicht jede vergangenheitsbezogene polizeiliche Tätigkeit ist Strafverfolgung“ (S. 151). Hier finden nun auch die zentrale Auseinandersetzung und inhaltliche Aufarbeitung des Erkenntnisinteresses der Dissertation statt. Danne stellt eine begriffliche Unterscheidung in „Prävention“ und „Repression“ im tradierten Polizeirecht fest (vgl. S. 251). „Die sich daran anschließenden kategorialen Grundunterscheidungen Opportunität/Legalität, Bundeskompetenz/Landeskompetenz, Gefahr/Verdacht, Störer/Beschuldigter, Straftatenverhütung/Strafverfolgungsvorsorge bilden die abgeleiteten binären Folgeunterscheidungen, mittels derer das Polizei- und Ordnungsrecht wahrgenommen und angewendet wird. Mittels zuordnender Begriffe wie „doppelfunktionale Maßnahme“, „Zweckbindung“ oder „Schwerpunkt“ wird diese Struktur in Zweifelsfällen modifiziert aufrechterhalten. Diese deduktive Wahrnehmungsform des Sicherheitsrechts entspricht dabei aber weder der gesetzgeberischen Ordnung noch seiner entsprechenden Dogmatik und erweis sich daher als teleologisch dysfunktional“ (S. 251/252).

Eine sachlich-kritische und nachvollziehbare Diskussion an diesem Begriffspaar folgt auf 23 Seiten im folgenden Kapitel. Im letzten Kapitel spricht der Autor Empfehlungen an das Sicherheitsrecht aus, denn eine „semantische Beliebigkeit und Austauschbarkeit der Worte stehen im Kontrast zur historischen Beständigkeit und Beliebtheit der Begriffe im Sicherheitsrecht“ (S. 259). Dabei „suggerieren [die Begriffe] Fachsprachlichkeit“ und entwickeln dadurch „rhetorische Überzeugungskraft“ (S. 260). Letztendlich blieb „die Suche nach einem in sich schlüssigen Sprach- und Begriffssystem für die Begriffe „Prävention“ und Repression […] erfolglos“ (S. 275). Eine “Generalüberholung der Sicherheitsarchitektur“ hält Danne nicht für notwendig, gleichwohl „punktuelle Anpassungen“ (S. 281).

Marius Danne hat ein Grundlagenwerk geschaffen, welches aufgrund des Detaillierungsgrades und der Fachtermini vermutlich leider nur Juristen zugänglich sein wird. Dies ist insoweit schade bzw. benötigt eine „Übersetzung“ in kurze, schlagkräftige Botschaften, um all denen die Begriffe Repression, aber vor allem Prävention anschaulich erklär- und nutzbar zu machen, die inflationär mit solchen „Containerbegriffen“[1] umgehen. Dieser Hinweis will diese Arbeit nicht schmälern, nein, eine solche Grundlagenarbeit ist vermutlich nötig, um Essenzen daraus überhaupt gewinnen zu können. Und sicherlich ist „eine kohärente fachsprachliche Terminologie [ein] Qualitätsmerkmal für eine rechtswissenschaftliche Schrift“ (S. 117). Aber, wie der Autor richtig erkennt, verlangt das Bundesverfassungsgericht, dass „ein Normadressat den Gesetzeszweck erkennen können muss und dass der Gesetzesgeber seine „wahren Absichten“ nicht verschleiern darf“ (S. 103). Das ist wichtig, werden Gesetzesänderungen doch oft mit dem Präventionsgedanken begründet. Und auch „materiell-verfassungsrechtlich [sind] keine unterschiedlichen Vorgaben [zu] erkennen. Das Schutzniveau der Grundrechte ist nicht davon abhängig, ob ein Eingriff zum Zwecke der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung ergeht“ (S. 216).

Juristisch gesehen wäre eine Vereinfachung der Erkenntnisse von Herrn Danne vermutlich falsch. Deshalb ist das Buch all denen ans Herz gelegt, die einen Transfer aus der Juristerei in sonstige sicherheitsrelevante Bereiche und die Politik leisten können.

[1] Vgl. Pütter, N. (2022). Soziale Arbeit und Polizei. Zwischen Konflikt und Kooperation. In: Bieker (Hrsg.): Grundwissen Soziale Arbeit; Kohlhammer Verlag, S. 63

Rüdiger Schilling, August 2023